Ein X für ein Die

Mischung und Hierarchie: Der Konzeptkünstler Lawrence Weiner bemalt die Wände der Wiener Bawag Foundation. von jens kastner

Kunst handelt vom Verhältnis zwischen Menschen und Objekten. Und von nichts anderem. Das meint zumindest Lawrence Weiner. Der New Yorker Künstler mit Hausboot in Amsterdam gehört seit den frühen sechziger Jahren zu den wichtigsten Vertretern der Konzeptkunst. »Wenn mich etwas persönlich bewegt, kann ich einen Song daraus machen. Individueller Ausdruck hat nichts mit Kunst zu tun«, behauptet er. Die Aufgabe des Künstlers sei es, Fragen zu stellen, sie zu präsentieren und dann abzuhauen.

Seit den Aufbrüchen der künstlerischen Avantgarden am Beginn des 20. Jahrhunderts handeln diese Fragen nicht mehr in erster Linie von werkimmanenten Problemen wie dem Einsatz von Farbe, Form und Licht. Sie reflektieren auch die Rolle des Künstlers und die gesellschaftliche Beschaffenheit des Kunstwerks. Seitdem steht fest: Was Kunst ist, darüber muss verhandelt werden.

Das bedeutet zweierlei: Zum einen muss immer wieder ausgehandelt werden, was Kunst ist und was nicht, zum anderen aber auch, worin sie besteht, was also ihre Aufgabe ist. Weiners Antwort darauf ist eindeutig: Kunst dient der Kommunikation, Menschen müssen sie benutzen, ansonsten hat sie keine Existenzberechtigung. Einen entsprechend großen Stellenwert nimmt deshalb auch die Sprache in Weiners Werk ein, dessen künstlerische Tätigkeit in den vergangenen 40 Jahren wohl vor allem darin bestand, Buchstaben an Wänden, auf Böden oder anderen Flächen anzubringen.

Für die Ausstellung »X Y & Z« in Wien fertigte er zwei Wandarbeiten und ein Künstlerbuch, die sich mit den Themen »Mischung und Hierarchie« beschäftigten. Auch wenn sich die in der Bawag Foundation präsentierte Kombination der Lettern »X Y & Z« nicht auf den allerersten Blick erschließt, geht es Weiner nicht um zu entschlüsselnde Symbole oder Metaphern. In einem separaten Raum der Galerie befindet sich eine »paradigmatische Zeichnung«, auf der die Buchstaben x, y und z als bestimmte Artikel »die, der und das« definiert werden. Mit dieser simplen Erklärung kann man dann die Wandskulpturen im anderen Raum entschlüsseln.

Dass »Zeichnung« und »Skulptur« sich in Größe, Farbe oder Struktur kaum voneinander unterscheiden – es handelt sich bei beiden um an die Wand gemalte Buchstaben, wobei die Skulpturen zusätzlich noch einige Linien aufweisen –, ist vielleicht der sprichwörtliche Witz bei der Sache. Die kunstwissenschaftlichen Genres spielen für jemanden keine Rolle, dem das Konzept stets wichtiger war als das Werk.

Seit 1968 arbeitet Weiner nach drei von ihm aufgestellten Regeln, die er in seinem berühmten »Statement of Intent« definiert hat:

»1) Der Künstler kann das Werk selbst herstellen.

2) Das Werk kann angefertigt werden.

3) Das Werk braucht nicht ausgeführt zu werden. Jede Möglichkeit ist gleichwertig und entspricht der Absicht des Künstlers. Die Entscheidung über die Art der Ausführung liegt beim Empfänger im Moment der Übernahme.«

Die Gleichgültigkeit dem Werk gegenüber geht auch mit der Ablehnung der traditionellen Künstlerrolle des »schaffenden Genies« einher, einem Modell, das alle Vertreter der Conceptual Art ablehnen, auch wenn manche Konzeptkünstler (inklusive Weiner) längst ebenso große Namen haben wie die Leute, gegen die sie ein paar Jahrzehnte zuvor angetreten waren. Im Zentrum des Wiener Wandbildes steht ein großes »&«-Zeichen. In ihm laufen die Worte »von oben«, »von dazwischen« und »von unten« wie auf Schienen zusammen. Es ist dem Publikum überlassen, hier die Kritik an hierarchischen Organisationsstrukturen zu erkennen oder das Plädoyer für kulturelle Mischformen herauszulesen.

Wegen seines Umgangs mit Sprache ist Weiner nicht selten mit den Philosophen des Wiener Kreises oder mit Ludwig Wittgenstein in Verbindung gebracht worden. Wittgenstein hatte in seinem »Tractatus Logico-Philosophicus« behauptet: »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.« Eine inhaltliche Zuspitzung, die dem Künstler offenbar ebenso wenig gerecht wird wie die Einordnung seiner Person: »Ich bin kein logischer Positivist«, steht nun in Großbuchstaben auf der Einladungskarte zur Wiener Ausstellung: »Ich bin ein echter amerikanischer Sozialist.« Auf seinen Sozialismus angesprochen, muss er schmunzeln. Das Wort habe er gewählt, weil es mittlerweile im US-amerikanischen Wortschatz nicht mehr existiert. Zwar gehe es ihm um die »Veränderung des ganzen Lebens«, als Teil einer sozialistischen Strategie sieht er seine Kunst aber nicht. »Strategie«, sagt er, »ist sowieso etwas für Leute, die sonst nichts zu sagen haben.« Auch die Konzeptkunst sei nicht aus strategischen Erwägungen entstanden, sondern vielmehr als das richtige Tun der richtigen Leute zur richtigen Zeit. Dies scheint eben vor allem der Auseinandersetzung mit dem Objektstatus der Kunst geschuldet, die Marcel Du­champ mit seinen Ready Mades ausgelöst hatte, und weniger gesellschaftlichen Bedingungen. So deutet auch seine methodisch im Wesentlichen unveränderte Arbeit auf eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber sozialen und kulturellen Kämpfen hin.

Konzeptuelle Arbeiten sind heute aus der Kunst nicht mehr wegzudenken. Ihre Ursprünge liegen aber nicht nur in der Kunstgeschichte. Nicht nur die Ablehnung des traditionellen Künstler-Modells und der Umgang mit Objekten führten zur Abkehr von den schönen Formen und zur Wertschätzung des Konzeptes. Auch die sozialen Verhältnisse und das Kunstbusiness waren Gründe für das konzeptorientierte Schaffen. Die Protestbewegung gegen den Vietnam-Krieg führte wie die zunehmende Kommerzialisierung der Kunst auch zu einer Radikalisierung bestimmter künstlerischer Produktionen.

Das beschreibt auch der Kunsthistoriker Tony Godfrey in seiner Geschichte der konzeptuellen Kunst. Darin betont er, leicht irritiert, weil »sie doch paradoxerweise von ihm lebten«, die kritische Haltung gegenüber Kunstbetrieb und Kapitalismus vieler Protagonisten der sechziger Jahre. Weiners Sozialismus hingegen ist wohl eher eine Art essenzialistischer Anarchismus: Die Menschen sind prinzipiell gut und nur von der staatlichen Ordnung verdorben. Erkennen sie andere Kategorien als die »richtigen«, sind sie auch zu »richtigem« Handeln in der Lage. Darauf zielt letztlich auch »X Y & Z« mit dem Plädoyer für Mischung statt Hierarchie.

Auf der vom Magazin Capital zusammengestellten Liste der am häufigsten ausgestellten und besprochenen Künstler firmierte Weiner im Jahr 2004 auf Rang 25. Seine Arbeiten kosten zwischen 65 000 und 85 000 Euro und gelten damit als »günstig«. »Das Beste an der Kunst ist«, sagt er, »dass man sie nicht kaufen muss, um sie zu gebrauchen.«

Lawrence Weiner, »X Y & Z«, Bawag Foun­dation Wien. Bis zum 27. Mai