»Ist das vor uns das Brandenburger Tor?«

Peter Licht

Weder heißt Peter Licht, wie er sich selbst schreibt, »PeterLicht«, noch »Meinrad Jungblut«, wie er sich anfangs nannte. Doch ist es nicht völlig egal, wie jemand heißt, der solche Zeilen zu Papier bringt: »Charmant muss es sein / Und subtil muss es sein / Und an Witz darf es nicht fehlen / Und sexy soll es sein / Und ­Esprit soll es haben / Und Heiterkeit«?

Bei Motor Music ist nun sein drittes Album erschienen, die »Lieder vom Ende des Kapitalismus«, gleichzeitig mit seinem Buch »Wir werden siegen« (Blumenbar Verlag). Fotografieren lässt er sich nach wie vor nicht, immerhin gibt er mittlerweile persön­liche Interviews. Sogar im Taxi, wo Deniz Yücel mit ihm sprach.

Sie haben heute bereits unzählige Interviews gegeben. Gibt es eine Frage, die Sie nicht mehr hören können?

Warum ich jetzt Interviews gebe und warum ich das vorher nicht gemacht habe – obwohl das gar nicht stimmt, am Telefon habe ich immer Interviews gegeben. Und natürlich die Frage, was das mit meiner Anonymität soll, warum ich nicht auf Fotos erkannt werden möchte. Also alles, was das Private mit dem Öffentlichen verbindet.

Ich gestehe: Das hätte ich als nächstes ­gefragt. Immerhin haben Sie einmal gesungen: »Meide Informationen / Von Menschen, die vor Mikrofonen reden«.

Der Song handelt auch von mir selbst, ich habe ihn in ein Mikrofon gesungen. »Meide« meinte daher auch: »Meide mein Geschwafel!« Zugleich war »Meide die Popkultur« der poppigste Song auf der Platte.

Poppiger als »Sonnendeck«? Oder ist das wieder ein falsches Stichwort, weil alle Sie immerzu auf dem Sonnendeck wähnen?

Ich werde oft darauf angesprochen. Es ist zwar nahe liegend, dass das Lied »Sonnendeck« mit dem Sonnendeck assoziiert wird, trotzdem wundere ich mich darüber, dass viele Leute es als leichtes und unbeschwertes Lied sehen. Eigentlich ist es ein trauriges Lied.

Die Themen Trauer und Abschied tauchen auf Ihrer neuen Platte immer wieder auf. Ich hatte den Eindruck: Da ist eine Trauer – keine Weinerlichkeit –, von der man nicht weiß, woher sie kommt.

Das sehe ich auch so. Ich kann nicht genau sagen, woher die Melancholie kommt. Vielleicht daher, weil etwas zu Ende geht.

Sie sind davon überzeugt, dass der Kapitalis­mus zu Ende geht?

Leider bin ich davon nicht überzeugt, sondern eher vom Gegenteil. Ich bin nur davon überzeugt, dass sich viele Dinge ändern. Wahrscheinlich ist das okay, aber es ist eben auch traurig.

Was verändert sich?

Zum Beispiel die Arbeitsverhältnisse, der Druck und der Stress, oder das ­Verhältnis von Ost und West, die Möglichkeit von Kriegen. Genau kann ich das nicht sagen, ich bin kein politischer Chronist.

Auf dem Titellied singen Sie: »Der Ka­pitalismus, der alte Schlawiner / Is uns lange genug auf der Tasche gelegen / ­Jetzt isser endlich vorbei.«

Das sehen Sie gar nicht, oder?

Ich bin überrascht.

Ich versuche, aus der Erkenntnis, dass sich die Dinge ändern, eine schöne Blume wachsen zu lassen. Es ist ein Gedankenexperiment: Ich erfreue mich daran, fünf­zig Minuten lang zu behaupten, dass der Kapitalismus endet. Wahrscheinlich ist das haltlos. Aber wenn ich durch den Tag gehe oder, wie jetzt, durch die Straßen fahre, spiele ich in meinen Gedanken: ­Alles könnte ganz anders sein.

Wenn Sie mich fragen, was sich ändert: Zum Beispiel die Radikalisierung des Geldblicks. Sehen Sie, der Taxifahrer hat in seinem Gerät als erstes das Kriminal­gericht eingetippt, damit er direkt dahin findet. Wo waren wir stehen geblieben?

Geld.

Geld.

Geld.

Ja, dieser Scan: Wir regeln alles übers Geld. Diese Substruktur ist überall festzustellen. Was verdiene ich? Was verdienst du? Was verdient er?

Auch das »Lied gegen die Schwerkraft« konnte man politisch deuten, aber es war subtiler. Im Vergleich dazu hört sich das neue Album wie Kampfmusik an.

Ist das überhaupt Kampfmusik? Die Platte ist jedenfalls kein politisches Manifest, in dem Sinne, dass ich irgendwelche Handlungsanweisungen gebe. Es ist eine Betrachtung der Verhältnisse. Und mir war es wichtig, Bezüge zu zeigen zwischen deinem persönlichen Leben, zwischen dem, was du machst, was du empfindest, wie du dein Leben führst, und den politischen Verhältnissen. Auch bei einem Lied wie »Das absolute Glück«, das nach innen gerichtet ist.

Ein Kollege hat geschrieben, das Album sei für dieses Jahrzehnt das, was Blumfelds »Ich-Maschine« für die neunziger und »Monarchie und Alltag« der Fehlfarben für die achtziger Jahre waren. Man könnte hinzufügen: für die siebziger Jahre die Platte ­»Warum geht es mir so dreckig?« von Ton, Steine, Scherben, die Sie zitieren.

… und die ich sehr schätze.

Interessieren Sie solche Kommentare?

So ein Lob ist schön. Allerdings sind große Worte leicht gesagt. Ist das vor uns das Brandenburger Tor? Nein, das ist gemalt! Das Stadtschloss?

Sind Sie gerne in Berlin?

Heute ja. Berlin ist gut, um reinzuschießen und wieder rauszuhüpfen. Im Sommer ist es toll. Aber im Winter ist es grauenhaft.

Und Köln?

Die Frage ist zu persönlich. Da geht’s um Liebesdinge. Ich liebe diese Stadt.

Gibt es eine Frage, die Sie gerne ­beantworten würden, die Ihnen aber noch nie ein Journalist gestellt hat?

Das ist jetzt der Ernst-Reuter-Platz, richtig? Wie war noch die Frage?

Gibt es etwas, von dem Sie sagen: Warum fragt mich nie jemand ­danach?

Grundsätzlich fühle ich mich geehrt, wenn Leute etwas von mir wissen wollen. Allerdings möchte ich über mein Buch oder meine Musik wahrgenommen werden. Davon verstehe ich etwas, bei der jeder Sekunde eines Liedes weiß ich, was ich mache. Wenn ich darüber hinaus versuche, stotternd irgendwelche Sachen zu erklären, ist das eine Kommunikation, die immer zum Scheitern bestimmt ist. Aber ich will mich nicht beklagen, die Leute ­können mich fragen. Noch besser wäre es, wenn die Musik für sich selbst sprechen würde.

Denn in meinen Texten und meiner Musik ist vieles assoziativ, ich weiß selbst nicht genau, woher das kommt und ­wohin das geht. Ich schwebe in meinen Assoziationswolken, es geht um Emo­tionen. Wenn ich alles exakt benennen soll, bin ich auf der Ebene des Sprachlich-Logischen, und das klappt oft nicht.

Sie singen nicht nur, sondern spielen die meisten Instrumente.

Wenn ich Sachen mache, arbeite ich ­immer so, dass ich zuerst alles vorproduziere. Ich versuche mich an verschiedenen Instrumenten: Gitarre kann ich sogar ganz gut, ich spiele außerdem Cello, Kontrabass, Sitar und Klavier. Das haut man alles in die Kiste rein. Ich bin ein Autodidakt, ein wenig dem Punk­ansatz verpflichtet. Wie technisch alles gemacht wird, ist mir manchmal egal, das kann man später zurechtrücken. Einige Sachen hat mein Produzent Jochen Naaf an der Gitarre gespielt, manche Melodien sind von ihm. Ohne ihn würde sich das Album anders an­hören.

Es klingt jedenfalls viel rockiger, mit­unter ein wenig nach Liedermacher. Keine Lust mehr auf Elektropop?

Ja. Bei dem ersten Album war das für mich eine große Entdeckung, weil ich zuvor viel mit Gitarren gemacht habe und nicht mal einen Computer hatte. Die Möglichkeiten, die die elektronische Musik bietet, kannte ich nicht und dachte: Boah, du stößt in einen neuen klanglichen Kosmos! Jetzt habe ich versucht, diese Mittel zu reduzieren und mich nicht darin zu verlieren.

Taxifahrer: Der RBB-Rundfunk hier, oder?

Keine Ahnung, wenn Sie es sagen.