Sexualität und Mutterschaft

Waren Frauen im »Dritten Reich« wirklich nur desexualisierte Gebärmaschinen? Ljiljana Radonic über die Geschlechterverhältnisse im Nationalsozialismus

Der Umgang mit dem Nationalsozialismus war bis zum Ende der achtziger Jahre ein Thema, das in der gesamten Frauenbewegung beinahe ausnahmslos auf eine Art ­behandelt wurde. In der geschichtlichen Aufarbeitung des NS wurden Frauen meist als auf die Mutterrolle reduzierte Opfer ­beschrieben. »Das mag damit zusammenhängen, dass Frauengeschichtsschreibung häufig mit dem Anspruch betrieben wird, zur Identitätsstiftung von Frauen beizutragen«, meint Angelika Ebbinghaus 1987. Der von ihr herausgegebene Band »Opfer und Täterinnen. Frauenbiographien des ­Nationalsozialismus« gehört zu den ersten, die diese Interpretation als eine Art weib­lichen Opfermythos thematisieren.

1990 schreibt Lerke Gravenhorst in dem Sammelband »Töchter Fragen – NS-Frauengeschichte«: »Es hat zwar in der Bundes­republik immer wieder Inseln einer feminis­tischen Öffentlichkeit der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit gegeben. An dieser (…) Diskussion haben jüdische Feministinnen ei­nen großen Anteil gehabt. Aber mir scheint, dass daraus noch keine breite Diskussion zu der Frage geworden ist.«

Karin Windaus-Walser schätzt im selben Band die Diskussion über das Thema folgen­dermaßen ein: »Es fällt auf, dass in der bun­des­­republikanischen Diskussion zum Thema ›Frauen im Nationalsozialismus‹ im Vergleich mit der Situation in anderen Ländern die Frau als Opferfigur besonders lang überlebt hat und weiter überlebt. (…) Eine solche Verweigerung von Einfühlung den wirk­lichen, weiblichen und männlichen Opfern des Nationalsozialismus gegenüber hängt mit der Verleugnung jeglicher eigener Schuld des weiblichen Geschlechts an Na­tio­nalsozialismus und Antisemitismus zusammen.«

Im Sinne dieses weiblichen Opfermythos, der Theorie der »Gnade der weiblichen ­Geburt«, spricht Renate Wiggershaus in ­Zusammenhang mit KZ-Aufseherinnen von »zum Funktionieren bereiten (…) Aufsichtsmaschinen«, in denen sie, ebenso wie in »Gebärmaschinen«, von Männern instrumentalisierte Frauen zu erkennen glaubt. Marianne Lehker gibt folgende Erklärung für die Teilnahme von Frauen an der NS-Herrschaft: »Frauen befanden sich 1933 also in einer Situation, in der sie die Grundlage der patriarchalen Argumenta­tion bereits verinnerlicht und akzeptiert hatten. (…) So konnten die Opfer zu Handlangern der Täter werden.«

Christina Thürmer-Rohr entwickelt 1987 ihr Konzept der Mittäterschaft von Frauen als einen Versuch der Abgrenzung zur Opfer­theorie. Sie spricht von aktiver Anpassung der Frauen an die »mörderische Normalität« einer von Männern gemachten Welt. Windaus-Walser stellt hierzu die richtige Frage, ob dies nicht bloß eine neue Variation desselben Grundgedankens darstelle: »›Mit­täterschaft‹ reduziert sich so auf weibliche Korrumpierbarkeit durch das patriarchale System und seine Ideologie, (…) statt pas­sive haben wir nun sich selbst betrügende, aktive Opfer. Am Konzept von Weiblichkeit als Anpassung aber hat sich im Wesentlichen nichts geändert.«

Viele feministische Publikationen gehen davon aus, dass Frauen im NS genauso wie »die Juden« Opfer patriarchaler Herrschaft gewesen, genauso wie diese benutzt, enteig­net und zu Ausgestoßenen gemacht worden seien. In der Gleichsetzung von Sexismus und Rassismus (das Wort Antisemitismus kommt in derlei Analysen nicht vor) wird die Einzigartigkeit der Shoah verharmlost. Gisela Bock z.B. imaginiert in den Zwangssterilisationen einen Genozid an Frauen, um den Opferstatus »der Frau« ein für alle mal zu »beweisen«.

Die feministische Zeitschrift Schlangenbrut erklärte 1988 zum Jahr des Holocausts an den Frauen, definiert als die »Zerstörung unseres Selbstbewusstseins, die Angst, die noch heute in uns als eine Folge des Patriar­chats brennt«. Mit der beliebigen Verwendung des Begriffes Holocaust wird die ei­gene Verantwortung sowie jene deutscher und österreichischer Mütter und Großmütter für die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden verharmlost. »Die Frau« wird als wahres Opfer des vom Patriarchat verübten Holocausts imaginiert. Es handelt sich hierbei um ein feministisch gewendetes Motiv des sekundären Antisemitismus.

Matriarchatsforscherinnen wie Gerda Weiler, Hanna Wolff und Christa Mulack hingegen geben dem Judentum die Schuld an der Zerstörung des Matriarchats und folgern daraus, das jüdische Vaterrecht sei im Laufe der Zeit immer autoritärer geworden und zum Schluss seien die Muttermörder wegen der Verderbnis, die sie verschuldet haben, umgebracht worden. Die Juden sind bei Hanna Wolff demnach nicht nur schuld am falschen Gottesbild. Wer einschlä­gige Literatur zum krank machenden Gottes­bild kenne, der »wundert sich nicht mehr über Kriegsgräuel, Konzentrationslager, Holo­caust oder neueste Ausschreitungen, er fühlt sich vielmehr auf schmerzliche Weise gezwungen, über die Beziehung solcher perver­sen Gewalt zum krank machenden Gottesbild Erwägungen anzustellen«.

Außer unter Matriarchatsforscherinnen bricht sich der schlecht getarnte Antisemitis­mus auch als Antizionismus, der Israel, dem Staat der Shoah-Überlebenden, das Existenz­recht abspricht, in der deutschen und öster­reichischen Frauenbewegung Bahn. Charlotte Kohn spricht in diesem Zusammenhang von »antifaschistischen Antizionistinnen« und betont, dass »eine eingehende Auseinandersetzung mit der Entwicklung der femi­nis­tischen Bewegung nach 1968 zeigt, dass der Antifaschismus und der Antizionismus zu einer ideologischen Basis wurden. Alle feministischen Bestrebungen bewegten sich mehr oder weniger auf dieser verbindlichen Grundlage: Gruppierungen innerhalb der feministischen Theologie, der Matriarchatsforschung, linke Gruppierungen, die feministische Friedensbewegung, die Ökologinnen und die Frauen, die sich für die Dritte Welt einsetzten, waren selbstverständlich antifaschistische Antizionistinnen.«

Auf unzähligen internationalen und natio­nalen Frauenkonferenzen wurde seit Ende der sechziger Jahre der Zionismus zur übel­sten aller Formen von Rassismus erklärt und mit dem NS gleichgesetzt. Obwohl der Antizionismus ein Phänomen ist, das innerhalb der Linken im Allgemeinen kritisiert werden muss, erfuhr er in Zusammenhang mit dem Verdammen des Judentums als ­besonders patriarchale Religion und dem Vorwurf der Auslöschung des Matriarchats eine spezifisch feministische Ausprägung.

Das Ende des Opfermythos?

Angesichts dieser antisemitischen Tendenzen und der Dominanz des Antizionismus in der Frauenbewegung verwundert es wenig, wenn jüdische Feministinnen ihre Lage in den Nachfolgestaaten des NS wie folgt schil­dern: Maria Baader etwa begründete 1984 ihre Entscheidung, Deutschland zu ver­lassen, mit den Worten: »Diesen Sommer werde ich meinen Standort nach New York ­verlegen. Damit endet ein Abschnitt meiner Geschichte, der Teil der Westberliner Frauengeschichte und jüdischer Geschichte im Nachkriegsdeutschland ist. Für mich gilt, dass ich es müde bin, mich im deutschen Kontext aufzureiben. Ich will es nicht mehr aushalten müssen, hier jüdisch zu sein.«

Auch Leah C. Czollek beschreibt 1998 in dem Text »Sehnsucht nach Israel« ihre Er­fah­rungen mit deutschen Therapeutinnen folgen­dermaßen: »Dann, in Westberlin, be­kom­­me ich Kontakt mit einer Reihe feminis­tischer Therapeutinnen. Von ihnen lerne ich, dass Judentum eine patriarchale Religion ist, die man grundsätzlich ablehnen muss. Jüdin und Feministin, das geht nicht. (…) Eine fühlt sich heute in der Bundesrepublik verfolgt wie die Juden, weil sie Feministin ist. Wahlweise bin ich überempfindlich oder aggressiv. Und überhaupt, was habe ich ›da­mit‹ zu tun, was haben sie ›damit‹ zu tun? Wir sind doch alle ›danach‹ geboren. Deutsche Therapie ist irgendwie universell. Ich, die Jüdin, darf mich nicht äußern. Und doch reden sie gerne mit mir über die Nazizeit. (…) Manchmal will ich nicht. Da ist dann wie­der meine Arroganz. Ich werde zu einem ›Ihr‹. Immer wieder werde ich gefragt, was ›wir‹ von irgendetwas denken.«

Trotz der Kritik jüdischer Feministinnen und trotz vereinzelter Versuche, den eigenen Umgang mit dem Antisemitismus zu reflektieren, wurde und wird im Sinne der Identitätsstiftung in der Frauenbewegung eine Aufarbeitung weitgehend erfolgreich vermieden.

Es drängt sich der Eindruck auf, das kurze Aufflackern einer Aufarbeitung der antisemi­tischen Tendenzen Anfang der neunziger Jahre wäre schnell durch die mannigfaltigen Widerstände aufgerieben worden.

Vernünftige neue Literatur zum Thema Frauen im Nationalsozialismus ist rar. Gudrun Schwarz setzt ihre Nachforschungen zum Thema SS-Frauen seit Anfang der Neun­ziger fort und Gisela Bock bricht zumindest teilweise mit ihrem früheren Opferdenken.

Christina Herkommer gibt zwar in »Frauen im Nationalsozialismus – Opfer oder ­Täterinnen?« einen Überblick über die bisherige Debatte, fordert aber zugleich eine Frauenforschung »jenseits der Opfer-Täter-Dualität«, welche die Rollenvielfalt von Frauen im NS betont. Sie erkennt zwar die Gefahr, dass »Vielfalt zur Beliebigkeit wird«, begrüßt aber den (de)konstruktivistischen Einfluss auf die Frauenforschung. Es stünde nun nicht mehr »die eindeutige Zuordnung von Personen in binäre Schemata im Vordergrund«, sondern Frauen erschienen, »je nach ihrer ethnischen Herkunft, ihrem sozia­len Umfeld, ihrer religiösen Überzeugung etc., als Opfer, Zuschauerinnen, Mitläuferin­nen und auch als Täterinnen«.

Eine binäre Unterteilung in antisemitisch, rassistisch, politisch oder als »Asoziale« etc. verfolgte Frauen einerseits und als »arisch« geltende andererseits ist jedoch für eine Analyse des NS unabdingbar – und sei es nur, weil die Täterinnenschaft sich auf das Verbot an die eigenen Kinder beziehe, mit »jüdischen Kindern« zu spielen oder in »jüdischen Geschäften« einzukaufen.

Auch in aktuellen Untersuchungen von Gemeinsamkeiten zwischen Antisemitismus und Antifeminismus wird jedoch seit der Entstehung der »Neuen Frauenbewegung« scheinbar zwangsläufig immer der gleiche Fehler begangen. Die Vorstellung, »Frauen ›rangierten‹ im Nationalsozialismus knapp vor den Kühen« und hätten »in der Ideologie der Nazis (…) nur als Mütter – möglichst von Söhnen – eine Lebensberech­tigung«, wie Margarete Mitscherlich es aus­drückte, ist noch nicht erledigt.

Die Veränderung des Geschlechterverhält­nisses im NS wird in dieser geschichtsverfälschenden Sichtweise auch heute noch an der offiziellen Verherrlichung der Frau als Mutter festgemacht, welche die Frau desexu­alisiert und die Rolle von Disziplinierung und Gehorsam überbetont habe: »Obwohl das Dritte Reich ein patriarchaler, auf der Ungleichbehandlung der Geschlechter aufbauender Staat war, erfuhr die Frau hier, sofern sie arischer Herkunft war, in gewisser Hinsicht eine Aufwertung. (…) Damit wurde sie zur ›Trägerin der Art‹, verantwortlich für die Reinheit des deutschen Blutes, den ›Erb­strom‹ und die deutsche Rasse. Für diese Rein­haltung hatte die Arierin sauber, anstän­dig und diszipliniert zu sein, eine gute Haus- und treue Ehefrau. Der weibliche Körper wurde damit aufgewertet, die Mutter als ›Hüterin des Blutes‹ gottgleich gemacht, jedoch gleichzeitig entsexualisiert und biologischer Zweckmäßigkeit unterworfen«, schreibt die A.G. Gender-Killer in dem von ihr herausgegebenen Band »Antisemitismus und Geschlecht«.

Dort heißt es weiter zur völligen De­se­xu­ali­sierung der Frau: »Der weibliche Körper wurde damit zum politischen Feld schlechthin für die Rassepolitik. Das wird auch deut­lich in den Vorstellungen über die Sexua­lität der arischen Frau. Für die Frau galt es einerseits, ihren Körper zu schützen – da­für sollten Lust und Sinnlichkeit unter Kon­trolle gehalten werden. Sie sollten nicht dem in­di­vi­duellen Genuss unterstellt sein, sondern der bevölkerungspolitischen Aufgabe.«

Diese Darstellung der arischen Frau, die »mehr Mutter als Geliebte« war, der »idealen deutschen Mutter, in deren Körper eine enterotisierte, staatlich garantierte Sexua­­lität eingeschrieben war«, widerlegt Dag­mar Herzog in ihrem Buch »Die Politisierung der Lust«. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Beschreibung des NS als lust­feindlicher Epoche, in der ent­erotisierte, staatsdienliche Beziehungen die Regel waren, um eine Uminterpretation seit den fünf­ziger Jahren handle, während in den Nach­­kriegsjahren die Besinnung auf die Moral als Abgrenzung zur unmoralischen Sexualität im NS gesehen wurde.

Das »Dritte Reich« war ein gewaltiges Un­ter­fangen zur Steuerung der Fortpflanzung. Es unterband mittels Zwangssterilisationen, Abtreibungen und Mord die Fortpflanzung all jener, die als den rassischen Kriterien nicht entsprechend gebrandmarkt wurden, und förderte die Produktion »arischen« Nachwuchses.

»Dennoch: Die offenkundig brutalen Aspek­te der NS-Sexualpolitik waren nicht in eine insgesamt sexualitätsfeindliche Haltung eingebettet. Vielmehr wurde die Mehr­heit der Deutschen damals angespornt und ermuntert, sexuelles Vergnügen zu suchen und zu erfahren«, so Herzog.

Die Widersprüchlichkeit der NS-Sexualpolitik ließe sich durch die Wechselwirkung zwischen Sexualität und Religion erklären, zwei Bereiche, die bisher fälschlicherweise meist getrennt voneinander behandelt wur­den: »Dabei steht außer Frage, dass die Nationalsozialisten in puncto Sexualmoral ­uneins waren; einige wollten zweifellos zu konservativen Werten und Verhaltensweisen zurückkehren. (…) Viele andere Wortführer und NS-Autoren arbeiteten jedoch daran, die Assoziation emanzipatorischer Vorstöße mit ›Marxismus‹ oder ›Judentum‹ aufzulösen und die sexuelle Befreiung nunmehr als ›ger­manisches‹ oder ›arisches‹ Vorrecht neu zu definieren. (…) Im Lauf der Zeit (zeichnete sich) doch ein klarer Trend gegen die über­kommene Moral ab.«

Im NS wurde bestimmt, wer mit wem Sex haben durfte; die Verfolgung und Folte­rung Homosexueller lieferte beispielsweise »den Hintergrund für die ständigen Empfeh­­­­lungen, heterosexuellen Kontakten freudig nach­zugehen«.

Das in der NS-Zeit führende Handbuch für Sexualberatung empfahl ganz offen den Gebrauch von Kondomen, und Zeitzeugen zufolge waren diese im Überfluss vorhanden und an Automaten erhältlich, von ­denen viele dann in den fünfziger Jahren abmontiert wurden. 1941 wurde zwar ein Gesetz erlassen, das andere Verhütungsmethoden verbot. Dieses wurde jedoch ständig unterlaufen und Kondome waren ohnehin von dem Verbot ausgenommen.

Ein konservativer NS-Arzt stellte 1938 erzürnt fest, »dass nur noch rund fünf Prozent der Frauen bei ihrer Heirat noch Jungfrauen« seien. »Die Bevölkerung habe zwar den Nationalsozialismus in politischer Hinsicht weitgehend angenommen und auch den An­ti­semitismus in den meisten Bereichen angemessen umgesetzt, zeige aber keinerlei Neigung, ihre emanzipierten sexuellen Gewohnheiten wieder aufzugeben. (…) Die Sexualität sei ohne Frage der Bereich‚ wo es offensichtlich am schwersten ist, ein guter Nationalsozialist zu sein.« Doch es gab auch eine andere Argumentationslinie, die »zu spielerischer, lustvoller Heterosexualität ermunterte, sofern die Beteiligten dem Regime ideologisch und ›rassisch‹ genehm waren«, betont Herzog.

Die Mär von der ­desexualisierten Mutter

Der NS setzte in einer Art Doppelstrategie die Enttabuisierung vor- und außerehelichen Geschlechtsverkehrs durch und leugnete dies zugleich: »1934 hatten die Führerinnen im Bund Deutscher Mädel (BDM) die An­weis­ung, die ihnen anempfohlenen jungen Mäd­chen zum vorehelichen Geschlechtsverkehr zu ermutigen, noch mit dem Vermerk ›streng geheim‹ erhalten. Bereits 1935 war es ein offenes Geheimnis, was in einigen BDM-Gruppen ablief. In Dresden vermerk­te beispielsweise Victor Klemperer 1935 in seinem Tagebuch: ›Annemarie Köhler erzählt verzweifelt, die Krankenhäuser seien übervoll, nicht nur von schwangeren, sondern auch von tripperkranken 15jährigen Mädchen. Der BDM. Ihr Bruder habe sich aufs äußerste gewehrt, seine Tochter eintreten zu lassen.‹«

Nicht enden wollend sind hingegen die Beteuerungen der A.G. Gender-Killer, beim BDM sei es um alles andere, nur nicht um Sexualität gegangen: »Im BDM wurde besonderer Wert auf die körperliche Ertüch­tigung gelegt. Neben Leichtathletik und Gruppenspielen war hier auch eine die ­Anmut schulende Gymnastik wichtig. Der Sport hatte, ganz im Sinne der NS-Ideo­logie, ein pädagogisches Ziel: Der Gruppengeist wurde gestärkt und damit ein Gefühl der Verantwortung für das völkische Kollektiv hervorgerufen. Die Mädchen sollten sich als Teil einer Gemeinschaft und somit ihres Volkes begreifen. Flankiert von weltanschaulichen Schulungskursen in ›Heim-abenden‹ mit Volks- und Rassenkunde, kultureller Erziehung mit Volkstänzen, Liedern und der Aneignung hauswirtschaftlicher Fähigkeiten arbeitete auch der BDM trotz vermeintlich emanzipatorischer Stärkung des weiblichen Körpers auf die zukünftige Rolle der Frau im Dienste des Staates hin. Gehorsam, Disziplin, Pflichterfüllung, Kampf­geist, Gesundheit, eine einfache, praktische Lebensführung und ein schlichtes Erscheinungsbild ohne Luxus und Schminke, mit flachen, zweckdienlichen Absätzen sollte ver­mittelt werden. Gleichzeitig diente Sport der Herstellung bzw. Regeneration eines leistungsfähigen Körpers.«

Der BDM wurde von den jungen Frauen selbst jedoch keineswegs nur als Disziplinie­rungsinstanz gesehen: »Ein bisschen was sehen und erleben«, wie es eine ehemalige BDM-Führerin formulierte (Zit. nach Ina Paul-Horn: Faszination Nationalsozialismus. Zu einer politischen Theorie des Geschlechterverhältnisses).

Mitte der dreißiger Jahre ging der männli­che Zulauf zur Hitler-Jugend zurück, der BDM hingegen verzeichnete stetig steigende Zahlen. »Entscheidend für die Attrakti­vität des Bundes Deutscher Mädel unter den Mäd­chen war, dass ihnen Angebote gemacht ­wur­den, die ihre Interessen und Bedürfnis­se aufgriffen«, schreibt sogar Dagmar Ree­se, die in vielen anderen Punkten Kritikerinnen wie Ebbinghaus und Windaus-Walser wiederum kritisch gegenübersteht.

NS-Autoren verteidigten aber nicht nur Sex vor und außerhalb der Ehe, sondern betonten auch die Rolle der Leidenschaft in der ehelichen Gemeinschaft. Dabei dürfen die NS-­Lobhymnen auf die Freuden der Liebe nicht bloß als taktischer Zierrat für eine in Wahrheit rein auf die Reproduktion ausgerichtete Strategie betrachtet werden. NS-Sexualberatungsschriften versuchten, das sexuelle Vergnügen beider Partner zu steigern.

Ein gängiger regimetreuer Sexualratgeber betonte z.B. die Bedeutung des Orgasmus für Frauen wie für Männer und wies auf die Erregbarkeit der Klitoris hin.

Das uneinheitliche Auftreten des Regimes, so Herzog, »mal als Moralwächter, mal als Fürsprecher sexueller Freizügigkeit, war offenbar viel wirksamer, als jede einheitli­che Sprachregelung es hätte sein können, denn so ließen sich viele Bevölkerungsgruppen auf einmal ansprechen. Die Sexual­konservativen wurden nie direkt zensiert, sondern zitiert und doch verspottet, unverhohlen erotische Bilder und sexualitätsfreundliche Aussagen wurden gelobt, aber auch rhetorisch gegeißelt.«

In massenpsychologisches Vokabular über­setzt, bedeutet das: Nachdem die Last der Kultur abgeworfen und das schlecht verinnerlichte Über-Ich veräußerlicht worden ist, bestimmt im NS statt der inneren Autorität, dem rigiden Über-Ich, der Führer, was erlaubt ist und was nicht.

»In seiner Eigenschaft als kollektives Über-Ich ist der Führer imstande, die Masse zu einem einzigen Gruppen-Ich zusammenzuschweißen, das – je nach seinem Willen – emotionale Trieb­abfuhren entfesselt oder bremst«, schreibt Ernst Simmel.

Clemens Nachtmann weist darauf hin, dass »das jugendbewegte Ressentiment der faschistischen Bewegung gegen alles Tra­ditionelle, Überkommene und institu­tionell Verfestigte«, also der »antiautoritäre Protest« – in unserem Fall gegen die überkommene christliche Sexualmoral –, und »autoritärer Staat« – genauer der ­nationalsozialistische »Unstaat« (Franz Neumann) – einander nicht nur nicht ­ausschließen, sondern einander notwendig bedingen.

Diese rebellische repressive Entsublimierung im NS muss aber auch in Zusammenhang mit der Untergangsstimmung gedacht werden, welche Adorno als von Anfang an im NS angelegt beschrieb: »Keiner, der die ersten Monate der nationalsozialistischen Herrschaft 1933 in Berlin beobachtete, konnte das Moment tödlicher Traurigkeit, des halbwissend einem Unheilvollen sich Anvertrauens übersehen, das den angedrehten Rausch, die Fackelzüge und Trommeleien begleitete. (…) Die von einem Tag zum andern anberaumte Rettung des Vaterlandes trug den Ausdruck der Katastrophe vom ersten Augenblick an, und diese ward in den Konzentrationslagern eingeübt, während der Triumph in den Straßen die Ahnung davon übertäubte. (…) Während sie alles gewannen, wüteten sie schon als die, welche nichts zu verlieren haben. Am Anfang des deu­tschen Imperialismus steht die Wag­nersche Götterdämmerung, die begeisterte Prophetie des eigenen Untergangs.«

Dass die Sexualpolitik der repressiven Ent­sublimierung im NS so deutlich den heute gängigen Darstellungen widerspricht, erklärt Herzog mit einer Verschiebung der Darstellungsweise: »Ein Haupteffekt des ›Normalisierungsprozesses der fünfziger Jahre‹ bestand dann auch darin, dass die sexfreundlichen Seiten des Nationalsozialismus in Ver­gessenheit gerieten. Vor den eigenen Kin­dern oder dem Rest der Welt zuzugeben, dass man am Dritten Reich durchaus Vergnü­gen gefunden hatte, ließ sich mit der erfolg­reichsten Taktik der Nachkriegsdeutschen im Umgang mit ihrer Schuld (…) nicht vereinbaren«. Wenn die A.G. Gender-Killer also die Rolle der Frauen im NS auf die bloß passive Mutterrolle reduziert, ist es zwar nur konsequent zu behaupten, dass auch der Sex der »arischen« Frau bloß als Pflichterfüllung stattfand, es steht aber einer sinnvollen Analyse des NS im Wege.

Falsch ist auch die Beschränkung der Frau­enrolle im NS auf die Mutterschaft: »Im Bild des Seite an Seite für Deutschland eintretenden Kämpferpaars erschien der Mann als Akteur der Politik und als Soldat im wirk­lichen Krieg, die Frau dagegen kämpfte an der ›Kinderfront‹. Das Mutterdasein erfuhr eine Heroisierung; es wurde mit dem Begriff ›heldisch‹ verherrlicht. Denn schließlich war die Mutter die Produzentin immer neuer männlicher Soldaten.«

Spätestens an dieser Stelle sollte der A.G. Gen­der-Killer aufgefallen sein, dass es sinnvoll sein könnte, einen Unterschied zwischen der offiziellen NS-Ideologie und der Realität zu machen, denn nicht einmal die Nazis schickten nach 1933 Geborene als Sol­da­ten an die Front. Vor allem waren Frauen nicht bloß an der »Kinderfront« tätig, sondern zum Leidwesen der Verfolgten sowohl in den besetzten Gebieten, als auch an der »Heimatfront« aktiv.

Jenseits der ­»Kinderfront«

Frauen haben sich im NS aber nicht nur auf vielen Gebieten abseits der »Kinderfront« be­tä­tigt, sondern waren auch in unterschied­licher Art und Weise an rassistischen und antisemitischen Verfolgungsmaßnahmen beteiligt. Während Frauen im SS-Frauen-Korps etwa als Funkerinnen direkt am Krieg mitwirkten, verpflichteten die ebenfalls im Generalgouvernement lebenden Ehefrauen der SS-Führer die Häftlinge der Konzentra­tionslager als Dienstpersonal und bereicher­ten sich an ihrem Eigentum.

Mehrere tausend Frauen arbeiteten als KZ-Aufseherinnen. Sie wurden durchgehend als unvorstellbar sadistisch und grausam beschrieben und standen ihren männlichen Kollegen bei der Vernichtung tausender Men­schen in nichts nach. Auch bei den Todesmärschen und der Massenvernichtung in den KZ in der Endphase des NS-Regimes, als keine Befehle mehr von oben kamen, handelten die Aufseherinnen selbständig nach der antisemitischen Devise, noch möglichst viele Juden und Jüdinnen umzubringen.

An der »Heimatfront« meldeten seit 1934 Fürsorgerinnen Auffälligkeiten rassischer, politischer und körperlicher Art. Auch wach­ten sie darüber, dass die Hilfeempfänger nicht bei Juden kauften, und strichen bei Zu­widerhandeln die Hilfeleistungen. Sie setzten sich auch vielerorts dafür ein, die Un­ter­stützung für Jüdinnen und Juden zu streichen, und teilten die Ansicht der arischen Hilfeempfänger, es sei unangebracht, Arier zu besuchen, nachdem man die Luft in einer jüdischen Wohnung ge­atmet hatte.

Bei Denunziationen machte der Anteil der Frauen bis zu 30 Prozent aus. D.h. Frauen waren zwar nicht im gleichen Ausmaß wie Männer für Denunziationen verantwort­lich, auf diesem Gebiet jedoch weitaus stär­ker vertreten als bei anderen NS-Verbrechen. Das lässt sich dadurch erklären, dass zum Denunzieren kein Amt und keine Machtposition notwendig waren, sondern Frauen ungehinderte Möglichkeiten zur Denunziation hatten.

Natürlich ist die Anzahl der Frauen, deren Handeln direkt zur Deportation oder Ermordung anderer Menschen führte, geschweige denn die Zahl der Frauen, die selbst Häftlinge ermordeten, im Verhältnis zur Gesamtbe­völkerung gering. Aber auch das Handeln ganz »gewöhnlicher« deutscher und österreichischer Frauen darf im Kontext der Beteiligung am NS nicht unerwähnt bleiben. Sechs Millionen Frauen, d.h. jede fünfte Frau über 18 Jahren, gehörten bis 1941 der NS-Frauenschaft oder dem deutschen Frauenwerk an, den zwei größten Frauenorgani­sa­tionen im NS.

Im Gegensatz zu der weit verbreiteten Ansicht, die Frauenbewegung habe 1933 zu existieren aufgehört, kommt Claudia Koonz zu folgendem Ergebnis: »Im NS-Deutschland hatten Frauen die Möglichkeit gehabt, die größte Frauenorganisation der Geschichte auf­zubauen, und zwar mit dem Segen der so offensichtlich männlich-chauvinistischen NSDAP. Die Vision vieler Frauenrechtlerinnen des 19. Jahrhunderts war hier auf eine alptraumhafte Weise Realität geworden.« Forschungen ergeben, dass sich weite Teile der Frauenbewegung größtenteils problemlos vom »jüdisch-marxistischen Geiste« reinigen ließen bzw. sich selbst reinigten.

Der Antisemitismus der Frauenführer­innen war bereits 1933 unübersehbar. Im »Frau­enordensblatt« von Lydia Gottschew­ski wurden Frauen mit folgender Auffor­derung auf ihre neue Aufgabe bei dem geplan­ten Boykott jüdischer Geschäfte vorbereitet: »Jetzt werdet Ihr als Aufklärungsgruppe eingesetzt. Ihr habt dafür zu sorgen, dass keine deutsche Frau beim Juden kauft. (…) Ihr habt die deutschen Frauen darüber aufzuklären, dass dieselbe jüdische Gräuelpropaganda schuld ist an den zwei Millionen Toten, schuld ist an den verhungerten Greisen, Frauen und Kindern, schuld ist an Versailles. (…) Nicht allein für den Augenblick, sondern für immer muss der Jude aus Volk und Staat ausgeschaltet werden.«

Eine andere Frühkämpferin, Irene Seydel, erklärte vor begeisterten Zuhörerinnen, der politische Kampf beginne im eigenen Heim: »Hier wird in kleinstem Rahmen der Kampf gegen den inneren Feind, den undeutschen Geist, ausgetragen.«

Es steht fest, dass die Frauenmassenor­­ga­nisationen die Eingliederung der weiblichen Bevölkerung in den NS-Staat beschleu­nig­ten. Sie wirkten bei der »Erb- und Rassenpflege« mit, indem sie unter den Frauen das Verbot propagierten, »Juden«, »Zigeuner« und andere »Minderwertige« zu hei­ra­ten. Auch unterstützten sie die Sterili­sa­tions­politik, indem sie auf Anzeigen drängten. Mil­lionen Frauen in NS-Frauenorga­nisationen waren nicht bloß Mütter oder Instrumente männlicher Wünsche, sondern traten erstmals in so großer Zahl als selbstbewusste, politische Akteurinnen auf.

Der NS bot für Frauen – trotz der offiziellen Politik der Betonung der Mutterrolle – auch neue Möglichkeiten, aus ihrer weiblichen Rolle auszubrechen. Da das Private auch durch den Einsatz der Frauen selbst unter das Vorzeichen nationalsozialistischer Politik gestellt wurde, konnten sich Frauen durch ihr Engagement für die Volksgemeinschaft nützlich machen und lösten sich teilweise aus der Abhängigkeit von ihren Ehemännern und Vätern. Ihr Engagement war plötzlich mehr als erwünscht, neben einem Einsatz für das Wohl der Volksgemeinschaft erlaubte es auch neue Aktivitäten von Frauen.

Der Handlungsspielraum erweiterte sich vor allem in der Jugendphase und auf dem Arbeitsmarkt deutlich in Richtung einer »relativen Gleichberechtigung«. BDM-Schulungen ermöglichten Mädchen Aktivitäten, die vergleichbar mit denen der männlichen Hitler-Jugend waren. Auch wurden durch den Mutterkult im NS »Mutterschaft und Hausfrauenarbeit« in »bisher einmaliger Manier professionalisiert« und verschafften Frauen eine außerhäusliche Arbeitsmöglichkeit.

Weibliche Erwerbstätigkeit, insbesondere die verheirateter Frauen und Mütter, nahm seit 1933 – also auch vor dem Krieg – stetig zu. Soldatenfrauen verfügten während des Krieges selbständig über 80 Prozent der Vorkriegsgehälter ihrer Ehemänner, während diese »in Vollpension bei der Wehrmacht« waren, wie Götz Aly es formuliert, und zahlreiche Bäuerinnen hatten die Macht über ihnen zugeteilte Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Das weit verbreitete Bild von der Zurückdrängung »der Frau« aus dem Berufsleben der NS-Zeit entspricht also nicht den Tatsachen.

Nach Ansicht der A.G. Gender-Killer musste »die Frau« hingegen erst eingeschworen, organisiert und kontrollierbar gemacht wer­den: »Um die Hausfrau und Mutter vollends auf das Volk einzuschwören, den Zusammen­hang von Familienleben und politischem Bewusstsein herzustellen und sie staatlich kontrollierbar zu machen, musste sie organisiert werden. (…) Es wurde den Frauen, wie dem Arier, der Sinn für die Gemeinschaft vermittelt, ihr Körper wurde wie seiner zu einem Teil des Ganzen.«

Dabei wird auch die Darstellung reproduziert, im NS sei das Geschlechterverhältnis radikaler als vorher von »zwei sich konträr gegenüberstehenden Geschlechtern« gekennzeichnet gewesen. Ebenso wie die Aussage, der NS sei ein patriarchales System gewesen, tragen derartige Annahmen nichts zur Analyse des NS bei, sondern verschleiern das Wesentliche.

Gabriela Walterspiel weist in ihrem Text »Das ›zweite Geschlecht‹ und das ›Dritte Reich‹« bereits 1993 auf das Bestreben des NS hin, nicht nur Kapital und Arbeit miteinander zu versöhnen, sondern alle Unterschie­de innerhalb der Volksgemeinschaft zu nivel­­lieren, und kommt zu dem Schluss, dass der NS trotz des offiziellen Mutterkultes bestrebt gewesen sei, »den Gegensatz von Mann und Frau aufzuheben«.

Dies sei durch die Vorstellung des absolut Negativen gelungen, der »Gegenrasse«, die vernichtet werden muss, um sich selbst zu retten, weswegen alle angesichts dieser Bedrohung verschwindend geringen Interessengegensätze versöhnt werden müssten. Der »als Führer personifizierte faschistische Souverän« habe einerseits mithilfe der Formel »Gemeinnutz vor Eigennutz« und des Versprechens der »Anerkennung des Werts der einfachen Arbeit« alle Standes- und ­Arbeitervertretungen aufgelöst, um sich in der Arbeitsfront die Arbeit unmittelbar anzueignen.

Andererseits habe er die »Frauen ihrer Bewegung für die Gleichberechtigung als bürgerliche Subjekte« enteignet, indem er in der Reichsfrauenschaft »die Frauen als Frauen, d.h. in ihrem unmittelbaren Ge­schlechts­charakter affirmiert« habe. Damit habe er »das Problem von Gleichheit und Differenz tatsächlich« gelöst, »wenn auch auf seine faschistische Weise – Gleichheit mit den Männern im Kampf gegen die Juden, Differenz in der arbeitsteiligen Reproduktion der Gattung«.

Literatur:

A.G. Gender-Killer (Hg.): Antisemitismus und ­Geschlecht. Von »maskulinisierten Jüdinnen«, ­»effeminierten Juden« und anderen Geschlechter­bildern. Münster 2005

Christina Herkommer: Frauen im Nationalsozialismus – Opfer oder Täterinnen? München 2005

Dagmar Herzog: Die Politisierung der Lust. Sexua­lität in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. München 2005

Ljiljana Radonic: Die friedfertige Antisemitin? ­Kritische Theorie über Geschlechterverhältnis und Antisemitismus. Frankfurt/Main, Wien 2004

Gabriela Walterspiel: Das »zweite Geschlecht« und das »Dritte Reich«. Über »Rasse« und »Geschlecht« im Feminismus, in: Kritik und Krise. Materialien gegen Politik und Ökonomie, Nr. 6. 1993