Heute Politiker, morgen Boss

Einfluss der Wirtschaftsverbände

von stefan frank

Die Mehrheit der Bevölkerung ist gegen Doping und gegen Wirtschaftslobbyismus. Eine natürliche Auslese sorgt indessen dafür, dass nur gedopte Radfahrer die Tour de France gewinnen und nur Wirtschaftslobbyisten Politiker werden. Doch hier wie dort darf man sich nicht zu auffällig benehmen, sonst gibt es Ärger.

»Ich fühle mich meinen Wählerinnen und Wählern und meiner Partei gegenüber verpflichtet«, begründete der Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen (CDU) seine Entscheidung, auf den Posten des Hauptgeschäftsführers des größten deutschen Monopolverbandes, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), zu verzichten, nachdem man ihm vorgeworfen hatte, in einen »Interessenkonflikt« zu geraten.

Röttgen habe sich entschieden, »Volksvertreter statt Wirtschaftslobbyist« zu sein, schrieben viele Zeitungen. Ob sie glauben, dass es irgendeine Bedeutung hat, wie Röttgen im Bundestag abstimmt? Und dass seine Entscheidung davon abhängt, ob er Vorsitzender des BDI ist oder nicht? Dass er als »Volksvertreter« ohne BDI-Mandat gegen Gesetze stimmen wird, wenn er glaubt, dass sie seinen Wählern im Rhein-Sieg-Kreis schaden?

Röttgen musste verzichten. Als BDI-Vorsitzender wäre er keine große Nummer gewesen, nachdem seine Vorgänger Hans-Olaf Henkel und Michael Rogowski ihm öffentlich hatten klarmachen müssen, dass er sein Bundestagsmandat abgeben muss. »Die Unabhängigkeit des BDI wäre nicht mehr gewährleistet gewesen«, meinte Henkel.

Der BDI möchte nicht unterwandert werden wie der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). An seiner Spitze steht der CDU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Göhner, für Henkel ein warnendes Beispiel: »Beim BDA hat man doch den unmöglichen Spagat gesehen, den Göhner bei Themen wie dem Antidiskriminierungsgesetz vollführen musste: Die CDU war dafür, der BDA dagegen und er bei der Abstimmung abgetaucht. Wenn ich mir diese Situation beim BDI vorstelle, dreht sich mir der Magen um.«

Der BDI und die anderen Monopolverbände machen Politik, aber sie tun dies nicht in der Legislative, sondern da, wo die Musik spielt, in der Exekutive. Die meisten Gesetzentwürfe werden von der Regierung eingebracht, also muss man dort den Hebel ansetzen: über direkte Kontakte zum Bundeskanzler, zu den Ministern und Staatssekretären. Darüber hinaus gibt es zwischen Wirtschaft und Politik einen regen Personaltausch: »Heute Minister – morgen Bankier; heute Bankier – morgen Minister« (Lenin).

Die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) sanktioniert die Kapitalverbände als Bindeglied zwischen der Macht der Monopole und der Staatsmacht, indem sie verlangt, die Verbände »möglichst frühzeitig« an der Planung ihre Interessen berührender neuer Gesetze zu beteiligen (Paragraf 47 der seit September 2000 geltenden GGO, ehemals Paragraf 24).

In der Regel kommt kein Gesetz in den Bundestag, das die Kapitalverbände nicht mitgeschrieben haben. Da aber eine Regierung den Erhalt der bürgerlichen Ordnung im Blick haben muss, der es erfordert, die Interessen verschiedener Klassen und Schichten und verschiedener Kapitalfraktionen zu moderieren, kann sie nicht einzig und allein ausführendes Organ des BDI sein. Konflikte zwischen der Regierung und den Monopolverbänden sind also möglich und kommen auch vor. Außerdem muss der BDI schon aus PR-Gründen, um den Schein zu wahren, die Regierung fortwährend wegen ihrer angeblich wirtschaftsfeindlichen Politik kritisieren. Dazu kann man keinen Bundestagsabgeordneten als Vorsitzenden gebrauchen. Röttgen hat einfach nicht verstanden, wie Demokratie funktioniert.