Überqualifizierte raus!

Frankfurt an der Oder wirbt gerne mit seiner Weltoffenheit. Studierende der Europa-Universität will die Stadt jedoch schnell loswerden, wenn sie ihr Studium abgeschlossen haben. von kamil majchrzak

Als Nahtstelle zwischen West- und Osteuropa bezeichnet Oberbürgermeister Martin Patzelt (CDU) gerne die Stadt Frankfurt an der Oder. »Dies verhalf der Stadt zu ihrer Weltoffenheit, die auch heute noch zu spüren ist«, sagte er in einem Grußwort. Zu spüren bekamen die besondere Art der Weltoffenheit vor allem ausländische Studenten der Europa-Universität Viadrina und Zuwanderer aus Afrika, die seit Anfang der neunziger Jahre in der deutsch-polnischen Grenzstadt immer wieder zum Ziel ausländerfeindlicher Übergriffe wurden.

Unter Studierenden, Doktoranden und Flüchtlingen ist auch die Frankfurter Ausländerbehörde berüchtigt. Am 23. März stürzte sich der Kenianer Joseph M. vor den Augen seiner Verlobten Elke H. aus Angst vor der Abschiebung aus dem ersten Stock der Ausländerbehörde. Seitdem ist er querschnittsgelähmt. Das Paar hatte für den 17. März beim Standesamt einen Trauungstermin erhalten. Doch bereits am 15. März wurde ein Flugticket nach Kenia gebucht, um der Eheschließung mit einer Abschiebung zuvorzukommen.

Seit Anfang 1993 sind einer Dokumentation der Antirassistischen Initiative (Ari) zufolge mindestens 162 Menschen auf dem Weg in die Bundesrepublik Deutschland umgekommen, darunter allein 121 Personen an der deutschen Ostgrenze. Die Toten werden von den Verantwortlichen gerne verschwiegen. Und über den Umgang, den die Ausländerbehörde mit Zuwanderern pflegt, wird auch kaum gesprochen. Die Sorge der Verantwortlichen gilt, wie so oft, vor allem dem Image der Kleiststadt, das darunter leiden könnte, wenn bekannt wird, wie hier mit Menschen umgegangen wird.

Etwa mit dem ukrainischen Wissenschaftler Igor Panasiuk. Sofort nach dem Abschluss seines Studiums der Kulturwissenschaft an der Viadrina vor drei Jahren habe ihn die zuständige Bearbeiterin der Ausländerbehörde dazu aufgefordert, seine »Sachen zu packen«. Auf sein gerade bewilligtes Begabtenstipendium für die Doktorarbeit könne er verzichten, habe ihm die Sachbearbeiterin Bartschat damals gesagt.

Ähnlich erging es einigen polnischen Doktoranden, die kurz vor dem Beitritt Polens zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 aufgefordert wurden, Deutschland zu verlassen. »Seit Anfang meines Studiums 1995 hatte ich nur Probleme mit dieser Behörde«, sagt Leszek M. »Es kam auch zu amüsanten Szenen. Frau Bartschat forderte mich auf, meine Wohnungsschlüssel abzugeben, um zu überprüfen, ob ich denn wirklich meinen Doktor in Frankfurt mache«, erzählt er. »Für uns hat sich die Lage nach dem EU-Beitritt leicht entspannt. Doch umso stärker richtet sich nun der Rassismus der Behörden gegen Osteuropäer und Ausländer, die keinen Studierendenausweis besitzen«, erzählt die Polin Agnieszka G., die einen Masterstudiengang absolviert.

Igor Panasiuk verteidigte inzwischen seine Doktorarbeit über kulturelle Aspekte der Literaturübersetzung und fand eine Stelle als Übersetzer. Damit hofft er nun, auch seine Habilitation an der Viadrina finanzieren zu können. Sein Professor, Hartmut Schröder, ist von ihm begeistert. »Igor Panasiuk schreibt seine Habilitation über kognitiv-psycholinguistische Grundlagen einer kulturwissenschaftlichen Übersetzungstheorie. Er hat bei mir bereits seine Doktorarbeit mit sehr gutem Ergebnis abgeschlossen. Ein sehr engagierter Kollege, der sehr viel Positives an der Viadrina angestoßen hat«, erzählt er.

Die Ausländerbehörde bezweifelte bislang die Ernsthaftigkeit des Jobangebots, das die Übersetzungsfirma Pex Panasiuk gemacht hat, obwohl deren Leiter Romuald Pacak persönlich bei der Ausländerbehörde vorsprach. »Angeblich sei ich für diese Stelle überqualifiziert«, sagt Panasiuk. Er befürchtet, dass er nach Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis am 28. September abgeschoben wird. An diesem Tag hat er auch einen Termin bei der Behörde. »Dass ich einen Termin bei der Ausländerbehörde ausgerechnet am Tag des Ablaufs des Visums bekommen habe, ist inhuman an sich. Ich werde bis zum Schluss im Unklaren darüber gelassen, was mit mir passiert«, kritisiert er die Behörden. Das Verfahren, die Leute für den Tag vorzuladen, an dem ihr Visum abläuft, wird seit mehreren Jahren angewandt, offenbar um die Betroffenen zu verunsichern.

Der Ausländerbeirat Robin Kendon hat während seiner sechsjährigen Amtszeit viele Fälle kennen gelernt, in denen ihm das Vorgehen der Ausländerbehörde äußerst fragwürdig erschien. »Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis wollen, werden immer wieder hingehalten; hat man gerade einen Nachweis erbracht, wird ein neuer verlangt. Die Ausländerbehörde versteckt sich oft hinter der Aussage, sie habe so handeln müssen, weil die Paragrafen es so bestimmten – als ob es keinen Ermessensspielraum gebe.«

Eine Rückkehr in seine Heimatstadt Chmelnizkij würde Panasiuk sehr schwer fallen. »Ich lebe seit zwölf Jahren in Deutschland, habe hier Freunde, eine Wohnung, Arbeit, mein ganzes Leben.« Er versuchte bereits, seinen Doktortitel in der Ukraine anerkennen zu lassen. »Ohne ein deftiges Schmiergeld läuft hier nichts«, erzählt er. Ein befreundeter Wissenschaftler versuchte den Umweg über Russland und ließ seinen deutschen Doktortitel in Interkultureller Kommunikation in Moskau anerkennen. Doch nach der so genannten Orangenen Revolution sind in der Ukraine auch russische Diplome anerkennungspflichtig. »Die so genannte Revolution brachte bislang nur die Freiheit, dass Korruption zum ersten Mal im Fernsehen thematisiert wird und die jeweiligen Preise gleich mit genannt werden«, fügt Panasiuk bitter hinzu.

Er versuchte sein Glück auch in Polen. An den dortigen Universitäten waren Wissenschaftler aus dem Osten bislang gern gesehen. Seit dem Amtsantritt der Gebrüder Kaczynski hat das Bildungsministerium jedoch praktisch einen Einstellungsstopp verhängt. »Falls ich aus Frankfurt abgeschoben werde, bleibt mir nichts anderes übrig, dann muss ich als nicht promovierte Lehrkraft für 90 Euro im Monat an einer ukrainischen Universität Deutsch unterrichten«, erzählt er.

Frankfurt an der Oder wirbt seit Jahren mit der Aktion »Freundliches Frankfurt«. Aufkleber mit dem Slogan kleben auf Fahrzeugen der Bundespolizei passenderweise gleich neben der BGS-Hotline. Unter dieser Nummer können »auffällige, ausländisch aussehende Personen im Grenzgebiet« gemeldet werden. Demnächst vielleicht auch Wissenschaftler an den Universitäten, die durch ihre Überqualifikation auffällig geworden sind.