Die Ladyboys von Khon Kaen

niklas luhmann berichtet, wie thailändische Ladyboys leben, und versucht zu ergründen, warum nirgendwo der Anteil von Transfrauen höher ist als in Thailand

Daeng

Sie erinnere sich genau, dass sie sich schon im Alter von fünf oder sechs Jahren nicht als Junge gefühlt habe und sich sicher gewesen sei, später als Frau leben zu wollen, erzählt Daeng gleich bei unserem ersten Treffen in einem Restaurant in der Provinzhauptstadt Khon Kaen, im länd­lichen und armen Nordosten von Thailand. Damals lebte sie mit ihren Eltern in einem Dorf in der Umgebung. Später, im Alter von 16 Jahren, begann sie damit, sich regelmäßig als Frau zu kleiden und weibliche Hormone einzunehmen. Ihre Eltern verstanden bald, dass ihr Sohn eine kathoey war. Insbesondere den Vater ärgerte das sehr.

Viel mehr will Daeng über diese Zeit und über den Ärger und die Trauer ihrer Eltern nicht erzählen. Nur diese Geschichte noch: dass nämlich ihre Eltern die letzte Chance im Militärdienst sahen. So wurde sie, wie alle Thai­länder, mit 21 zur Armee eingezogen. »Meine Eltern wollten sehr, dass ich ein wirklicher Mann bin. Sie wollten keinen Ladyboy in der Familie. Aber selbst die Zeit in der Armee hat mich nicht geändert. Im Gegenteil, nach meinem Militärdienst war ich noch stärker Lady­boy als zuvor.«

Daeng muss selbst ein wenig lachen, und ich frage sie, ob sie in diesen zwei Jahren beim Militär sehr gelitten habe. »Zu Beginn musste ich mir die Haare schneiden lassen und durfte auch nur samstags und sonntags Frauenkleider anziehen. Aber ich hatte einen angenehmen Bürojob, musste den Soldaten ihr Gehalt auszahlen und anderen Papierkram erledigen. Anfangs wusste niemand, dass ich eine kathoey bin, aber nach zwei, drei Monaten sprach sich das herum. Ich war dann sehr beliebt. Manchmal fühlte ich mich fast wie Miss Universe.«

Obwohl Daeng mit einer seltsamen Leichtig­keit von dieser Zeit berichtet, spürt man, dass es ein schwieriges Leben ist, das die kathoeys in Thailand führen. Und ein mutiges noch dazu. Daeng streicht sich durch ihre langen Locken. Sie sagt, dass sie sich heute wieder gut mit ihren Eltern verstehe, sie spricht über ihr Studium an der Universität von Bangkok, von den Schwierigkeiten, als kathoey eine Arbeit im öffentlichen Dienst zu finden, und von dem großen Traum, sich eines Tages einer Operation zu unterziehen. »Ich möchte eine wirkliche Frau sein«, sagt sie. »Aber ich habe nicht genug Geld, und mein Freund aus Deutschland möchte nicht, dass ich mich operieren lasse.«

Sie hat einen 64jährigen boyfriend aus einer westdeutschen Kleinstadt, der in den vergangenen zwei Jahren immer wieder nach Thailand gekommen ist. Manchmal überweist er ihr ein wenig Geld, was immer noch mehr ist, als Daeng mit ihren Jobs in einem Monat verdienen kann. Allerdings habe er sich seit ein paar Monaten nicht mehr gemeldet und liege wohl im Krankenhaus. Seither muss sie wieder mehr arbeiten.

Da ihr Englisch recht gut ist, bezahlen sie etwa 20 verschiedene Frauen aus dem Bekanntenkreis und der Umgebung von Khon Kaen dafür, dass sie in deren Namen und Auftrag mit farangs, wie weiße Ausländer in Thailand genannt werden, im Internet chattet. Sie versucht, Kontakte zu knüpfen und Bekanntschaften zu schließen, im Idealfall geht es darum, die Männer dazu zu überreden, nach Thailand zu kommen und in eine Heirat einzuwilligen. Daeng versucht, den Herren auf der anderen Seite ihre Auftraggeberinnen schmack­haft zu machen. Gerade in den weniger entwickelten nordöstlichen Provinzen wünschen sowohl viele junge Frauen wie auch viele Ladyboys, einen farang zu finden, der sie in ein besseres Leben, auf jeden Fall aber in ein Leben in Wohlstand führt.

Als ich Daeng einige Wochen später wieder treffe, erzählt sie mir, dass sie gerade von ihrem thailändischen Freund verlassen wurde, mit dem sie fast ein Jahr zusammen gewesen sei. Sie wirkt traurig, auch wenn sie versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. Er sei erst Anfang zwanzig gewesen, und seine Eltern hätten es ihm verboten, mit einer kathoey zusammenzuleben. »Er war zu jung, um sich gegen seine Eltern zu wehren. Irgendwie verstehe ich auch, dass er eine Frau finden will, die er heiraten kann.«

Sie jedenfalls wünsche sich einen Mann, der ohne Scheu mit ihr durch die Straßen gehe, der sich dazu bekenne, mit einer kathoey zusammenzusein. Sie bemüht sich um Verständnis, aber eigentlich ist sie genervt und enttäuscht: »Alle thailändischen Männer sind gleich. Die habe nur kathoeys als Freundinnen, weil diese oft Geld haben. Die wollen nur Sex und Geld. Das ist alles.Ich will nie mehr mit einem Thai zusammensein.«

Dreierlei Thai

Die thailändische Sprache kennt schon von alters her drei verschiedene Ge­schlech­terbezeichnungen: phu-ying (Frau), phu-chai (Mann) und eben kathoey. Ursprünglich bezeichnete dieser Begriff herma­phro­ditische Personen, wird heute aber zumeist für Transfrauen verwendet. Viele von ihnen empfinden den Begriff allerdings als beleidigend und abwertend, weshalb sie andere Ausdrücke bevorzugen, etwa sao praphaet song, was ungefähr »eine zweite Art von Frau« bedeutet.

Die meisten Wissenschaftler sind sich darüber einig, dass es in Thailand den weltweit höchsten Prozentsatz an Transfrauen gibt. Die Schätzungen bewegen sich zwischen 0,1 und 0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Richard Totman, ein Anthropologe von der Universität Sussex, führt in seinem hervorragenden Buch »The Third Sex« aus dem Jahr 2003 Belege dafür an, dass kathoeys seit mindestens einigen Jahrhunderten einen festen Platz in der Kultur des Landes haben. So scheinen sie – den indischen hijras ähnlich – einst eine wichtige Rolle in religiösen Zeremonien eingenommen zu haben. Er meint auch, dass sich der Buddhismus toleranter ge­gen­­über anderen Formen von Geschlech­ter­zu­ge­hö­rigkeit gezeigt habe als etwa das Christentum, als er sich in dieser zuvor animistischen Gegend ausbreitete. In der ganzen Welt hätten animistische Kulturen oft Transgenderphänomene gekannt, in Thailand sei davon nur mehr erhalten geblieben als andernorts.

Eine eher säkulare, historische Erklärung dafür, warum gerade in Thailand so viele Transgenderfrauen leben, schlägt Peter A. Jackson in seiner zehn Jahre alten Untersuchung »Dear Uncle Go – Male Homosexuality in Thailand« vor. Seiner Ansicht nach hatten die kathoeys die Rolle, unverheirateten Männern Sex zu ermöglichen, was viel unproblematischer gewesen sei als Sex mit einer jungen, unverheirateten Frau. Andere Theorien besagen, dass diese Queer-Identitäten ursprünglich die einzige akzeptierte Form gewesen seien, Homosexualität auszudrücken und zu leben.

Heute ist, gerade in den städtischen Zentren, auch eine relativ große schwul-lesbische Szene entstanden. Der Begriff gay allerdings scheint in Thailand erst in den siebziger Jahren aufzutauchen, und beide Gruppen haben bis heute nur wenige Gemeinsamkeiten.

Die kathoeys jedenfalls sind aus der thailändischen Gesellschaft kaum wegzudenken, und oft wird behauptet, dass es kaum eine Gesellschaft gibt, in der Transfrauen so tolerant behandelt würden. In Wahrheit ist das Verhältnis der thailändischen Gesellschaftsmehrheit zu den verschiedenen queeren Minoritäten verworren und kompliziert. Es stimmt sicherlich, dass die Ge­schlech­tergrenzen in diesem Teil von Südostasien fließender sind als in vielen anderen Gesellschaften. Offene, gewalttätige Homophobie ist sehr selten, kaum eine Soap im Fernsehen kommt ohne eine kathoey aus, und die großen Cabarets in Pattaya und Bangkok sind im ganzen Land bekannt. So wird jedes Jahr im Theater Alcazar in Pattaya die schönste Transfrau gekürt, und es wirkt manchmal, als sei dieser Wettbewerb bedeutender als die Wahl der »Miss Thailand«.

Millionen Thais verfolgen im Fernsehen den Wettbewerb und bewundern die Schönheit der groß gewachsenen kathoeys. Oft bekunden Thais, gerade auch Menschen aus niedrigeren sozialen Schichten, ihren Respekt gegenüber den Angehörigen des dritten Geschlechts und äußern ihre Bewunderung für deren Schönheit und Talente. Natürlich werden die kathoeys dabei immer auf typisch weibliche Eigenschaften festgelegt.

Auf der anderen Seite stehen die kathoeys im Ruf, sexuelle Libertins zu sein. Auch sagt man ihnen nach, sie seien unausgeg­lichen, vorlaut und häufig kriminell. Insbesondere in der größer werdenden Mittelschicht wächst die Missachtung. In ihrer Vorstellung eines modernen und westlichen Thailand scheint für die kathoeys kein Platz zu sein. Inzwischen mehren sich Berichte von gewaltsamen Übergriffen der Polizei, vor allem auf kathoeys, die in der Sexindustrie arbeiten.

So bestätigt Ohm, ein Mitarbeiter der schwul-trans-lesbischen Nichtregierungsorganisation »M-Plus« in Chiang Mai, die hauptsächlich in der HIV- und Aids-Prävention tätig ist, dass gerade Trans­gender-Sexarbeiterinnen von polizeilichen Übergriffen betroffen seien. Allerdings muss er auch einräumen, dass kathoeys in den entsprechenden NGO in Bangkok und Chiang Mai unterrepräsentiert sind. Irgend­wie scheint es immer weniger Platz für sie zu geben. Und es existiert keine Organisa­tion, die sich konsequent für ihre Rechte einsetzt oder die Diskriminierung thema­tisiert.

Schließlich erkennt das thailändische Recht weder einen Wechsel des Geschlechts noch gleich­geschlechtliche Partnerschaften an, und gerade auf dem Arbeitsmarkt werden kathoeys offensichtlich diskriminiert. Viele Transfrauen arbeiten in Schönheitssalons, als Kellnerinnen oder in anderen unterbezahlten Dienstleistungs­berufen, selbst wenn sie eine abgeschlossene Universitätsausbildung haben. Viele von ihnen versuchen auch, in den unzähligen Go-Go Bars oder Bordellen der touristischen Städte im Raum Bangkok oder im Süden ihr Glück zu machen. Dort kann man relativ viel Geld verdienen, wenigstens für eine gewisse Zeit.

Sam und Jojo

Sam und Jojo wollen das nicht. Ich treffe sie zwei Wochen, nachdem ich Daeng kennen gelernt habe. Die zarte und stille Jojo ist Physiotherapeutin an der Universitätsklinik. Sie führt ein Leben zwischen den Geschlechtern. Während ihrer Arbeit trägt sie immer die Uniform für Männer, erst nach Feier­abend oder an Wochenenden lebt sie als Frau und kleidet sich entsprechend.

Wie Daeng hat sie bereits als Jugendliche damit begonnen, weibliche Hormone einzunehmen. Ihre Kolleginnen und Kollegen wissen um ihr Leben als Frau. Dennoch möch­te sie keine Probleme an ihrem Arbeitsplatz verursachen. Jojo ist ein sehr sensibler und rücksichtsvoller Mensch. »Das ist nicht wichtig für mich«, sagt sie. Vielleicht leidet sie in Wirklichkeit mehr darunter, zwischen ihrem angeborenen und ihrem empfundenen Geschlecht zu leben, sich zwischen zwei Welten zu bewegen, als sie eingestehen mag, vielleicht hat sie es tatsächlich gelernt, damit umzugehen. Jedenfalls möchte sie als Frau behandelt werden, träumt von einer Ge­schlechts­umwandlung und von einer länger an­haltenden Beziehung zu einem Mann.

Ganz anders ihre ironische, ältere Freundin Sam. Sie ist Pathologin und arbeitet an der medizinischen Fakultät der Universität von Khon Kaen. Sie lebt im Beruf wie privat als Frau und ärgert sich, wenn Kinder auf sie zeigen und sie als kathoey bezeichnen. Mitunter fragt sie diese, ob sie nicht besser hinschauen könnten. Sie sei eine Frau und keine kathoey.

Sam träumt davon, ein Stipendium für eine Doktorandenstelle in Europa oder den USA zu bekommen. Sie ist viel gereist und möchte einen Mann heiraten können. Sie fühlt sich in der thailändischen Gesellschaft beengt und glaubt, dass sie in Europa oder Amerika größere Freiheiten hätte. Sie erzählt viel von befreundeten kathoeys, von den ständigen Problemen in den Partnerschaften, von Selbstmordversuchen, von den Freundinnen, die an Aids verstorben sind. Manchmal lässt sie Jojo spüren, dass sie bei ihr Mut vermisst, und fordert sie dazu auf, ebenfalls als Frau zu ihrer Arbeit zu erscheinen.

Wochen später besuchen wir zu dritt Jojos Eltern in dem Ort Ubon Rachathani, östlich von Khon Kaen. Ein religiöses Fest steht bevor, und Sam erzählt während der Fahrt ununterbrochen von ihren Leibgerichten und möchte Jojos Eltern unbedingt noch ein paar Kilo frische Süßwasserkrabben mitbringen. Jojo ist sehr gläubig und spricht über die buddhistische Religion, als wir am Nachmittag das Heimatmuseum in Ubon Rachathani besuchen.

Am nächsten Tag fahren wir durch kleine Dörfer in einem Niemands­land entlang der laotischen Grenze. Als wir auf einem Parkplatz in der Nähe eines Wasserfalls zwei junge Transfrauen mit ihren Familien aus dem Auto steigen sehen, sagt Sam lächelnd: »Oh, das scheint hier eine hoch zivilisierte Gegend zu sein. Sieh dir die hübschen kathoeys da drüben an!«

Da könnte etwas dran sein. Ich jedenfalls habe kein überzeugendes Indiz für die These gefunden, dass die hohe Anzahl an Transfrauen in Thailand nur dem Sextourismus und der großen Sexindustrie geschuldet sei. Keine falsche kathoey ist mir begegnet, kein Mann, der sich als Sexarbeiter verdingt und ein anderes Geschlecht nur vorgegeben hätte. Sie gehören einfach zu dieser Gesellschaft. Auch Sam ist sicher, dass es kathoeys schon immer gab. Alles andere hätte mich auch gewundert.