Gib das falsche Leben auf!

Bewerbungstraining wird zum Lebenssinn. Joachim Zelter hat einen Roman über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft geschrieben. von winfried rust

Der Roman »Schule der Arbeitslosen« von Joachim Zelter spielt im Jahr 2016, und die Zukunft der Arbeit liegt in der steigenden Arbeitslosigkeit. Noch immer wird das Fehlen von Jobs als das Grundübel der Zeit ausgemacht, und die Ursache dafür wird den Betroffenen zugeschrieben. In Talkshows und Handbüchern lernen sie: »Wir haben falsch gelebt. Falsch!« Mit die­ser Einsicht und zwei Taschen pro Person reist eine Gruppe Arbeitsloser nach Sphericon, einer »School of Life«, in der die mentalen Defizite der Arbeitslosen ausgeglichen werden sollen. »Sphericon ist weder Konzept noch Programm«, lesen die Arbeitslosen, die nun »Trainees« heißen. Es sei »das umfassende Einschreiten gegen jede Art von Stillstand oder Inaktivität«.

»Eine stillgelegte Fabrik in einem niedergegange­nen Industriegebiet« ist der Schauplatz der Umerziehung. Zelters Negativutopie ereignet sich nicht zwischen gigantomanischen Bauten, sondern in einem abgewrackten Gewerbegebiet. In einer alten Fabrik sind »coaching zones, training points, recreation sectors« untergebracht.

Die Koppelung von Selbstwert und Arbeit ist den Arbeitslosen bis in die Körper eingeschrieben. Bei der Abfahrt steigen sie mit »schiefen Bewegungen« in die Busse der Arbeitsagentur. Nach der Ankunft werden die »ehemaligen« Arbeitslosen in Teams aufgeteilt und müssen ohne Pause an sich arbeiten, um das perfekte Bewerberprofil zu erlangen. Das wichtigste Ziel der Schulung ist es, einen Mentalitätswechsel herbeizuführen. Orwell tritt auf den Plan. Schulische Merksätze wie »Freedom is Work« erinnern an dessen Spruch »Freiheit ist Sklaverei«. Die Trainees werden auf die neue Ideologie der Arbeit eingeschworen: »Es gibt in Sphericon kein Aber.« Schriftliche Lebensläufe werden abgefasst und sollen die Teilnehmer dazu bringen, mit den eigenen individuellen Lebensläufen abzu­schließen.

Im Zentrum des Romans stehen das Bewerbungs­team Apollo, sein Trainer Ansgar Fest und die Trai­nees Roland Bergmann und Karla Meier. Fest gilt als hoch qualifizierter Coach und führt die Gruppe mit militärischer Disziplin. »Versuchen Sie es! Tele­fonieren Sie!« feuert er die Trainees an, damit sie bei den Arbeitsstellen von gerade verstorbenen Leuten anrufen, um sich auf deren frei gewordene Jobs zu bewerben. Roland Bergmann jedoch stellt sich mit einem gewissen Eigensinn quer, und auch Karla Meier wird zur Gegenspielerin von Fest. Sie und Bergmann befreunden sich und reden unerlaub­terweise über ihre Vergangenheit. Zwei Nächte in den für den schnellen Sex konzipierten »Weekend Suites« nutzen die beiden, um ausführlich mitein­ander zu sprechen. Einst war Sex auf der Arbeit tabu – in Sphericon wird Reden zum widerständigen Akt.

Dann wird Sphericon von der Arbeitsagentur belobigt und erhält die Bewilligung für eine neue Trainerstelle, auf die sich nun die Trainees bewerben dürfen. Oder müssen, wie man Karla Meier bald bedeutet. Die Aussicht auf eine richtige Stelle löst fieberhafte Arbeit an den Lebensläufen und Bewerbungen aus, die in öffentlichen Vorstellungswettbewerben präsentiert werden.

Joachim Zelter spitzt in seinem Roman be­kannte Phänomene der gegenwärtigen Beschäftigungskrise zu, zum Beispiel die Abwer­tung von Arbeitslosen oder das verbissene Bewerbungstraining. Das Ergebnis ist eine New-Economy-Diktatur, in der die »Sucharbeit« zum Lebenssinn wird. Der Arbeitslose Roland Bergmann wird trotz hoher sozialer und beruflicher Kompetenzen als Person entwertet.

»Lebensläufe sind eigenständige Kunstwerke«, behauptet der Trainer. Karla jedoch, eine musisch begabte Frau, die viel liest und gern singt, hat andere Vorstellungen von Kunstwerken als Fest. Der Trainer wiederum entdeckt in ihrer Vita nur Lücken und Defizite. Er ist der Coach und hat die Definitionsmacht, die Biografie von Karla zu be- und entwerten.

Fests Sprache setzt sich aus sinnentstellten Sprüchen zusammen: »Eine gelungene Bewerbung ist wie ein Bestsellerroman. Alles Auto­bio­grafische ist autofiktional, und umgekehrt. Just do it!« Seine Sprache zeugt zugleich von einer Disziplinierung und einer Verwahrlosung des Denkens. »Die Umsetzung des eigenen Potenzials setzt die kompetente Führung der eigenen Person voraus. Das erfordert, eigene emotionale, kognitive und physiologische Prozesse wahrzunehmen und zieldienlich zu gestalten.« Das ist ein beliebiges Beispiel aus der heutigen Coaching-Sprache. Zelter spinnt derlei in seinem Roman nur ein wenig weiter.

Zugleich greift er die Praxis von Sanktionen gegen Arbeitslose auf. Das Prinzip Peitsche heißt im Roman: »Delete!« Wer sich widersetzt, wird aus dem Rechner der Bundesagentur gelöscht und ist damit »ohne jede Versiche­rung oder Rückversicherung … Lost.« Das Zuckerbrot ist eine bessere Konsumration oder die feierliche Verleihung der Kursbeschei­nigung, des »Certificate of Professional Appli­cation«. Der Satz »Sphericon ist absolut freiwillig« erhält eine düstere Bedeutung.

So steht auch in mancher Rezension, die Zukunft der Arbeit sei »totalitär«. Allerdings nivel­liert dieser Begriff mehr, als er erklärt. Ergiebiger ist die Frage nach der Ideologie. Wie soll man sich mit Herrschaft und einem Leben voller Angst und Arbeit identifizieren? Die Selbst-Ökonomisierung, sogar der Arbeitslosen, ermöglicht es. Der Roman spitzt die repressive Verarbeitung der Krise der Arbeitsgesellschaft gekonnt zu. Die Erwerbslosen der Zukunft sind entsolidarisierte Subjekte, die die Arbeitslosigkeit als individuellen Makel empfinden und sich zugleich als Anhängsel übergeordneter Kollektive begreifen: Betriebsgemeinschaft oder Arbeitslose. In Sphericon werden sie zu kleinen Schicksalsgemeinschaften, die ihren eigenen Korpsgeist entwickeln.

Das Bild der Coaching-Diktatur im Roman ist so gelungen, dass es dem Leser bisweilen alle Hoffnung austreiben kann. Problematisch ist zudem, dass die Arbeitslosen nicht als Handelnde, sondern als Opfer dargestellt werden. Lebendige und wider­sprüchliche Figuren kommen nicht vor. Klara wird idealisiert, während Fest als das personifizierte neue Arbeitsregime auftritt. Der Plot ist bisweilen holprig. Die Internierung von Karla zum Beispiel ereig­net sich recht plötzlich.

Das Trainer-Regime des Romans spielt an manchen Stellen auf den Faschismus an. Es gibt überraschende nächtliche Interviews, ein Plakat mit dem Spruch: »Careless talk costs jobs«, eine De­por­tations­metapher, den Spruch »Work is Freedom«, der an den Nazi-Slogan »Arbeit macht frei« erinnert. Die Analogien zwischen dem Faschismus und der Sphericon-Ideologie werden aber nicht weiter vertieft.

Der Roman ist gelungen in seiner nüchternen Form, die die heutige Mentalität und Sprache der Arbeitsgesellschaft fortführt. Dem Unbehagen an einem neoliberal-autoritären Maßnahmenregime verleiht Joachim Zelter eine schlüssige Gestalt.

Joachim Zelter: Schule der Arbeitslosen. Klöpfer & Meyer, Tübingen 2006. 206 Seiten, 19,90 Euro