Innen und Außen

Über Staat, Bewegung und radikale Transformation bei Nicos Poulantzas. Von Ulrich Brand und Miriam Heigl

Nicos Poulantzas suchte angesichts der historischen Erfahrungen der siebziger Jahre – der Entwicklung zunehmend autoritärer Verhältnisse, der Krise linker Parteien, des Aufkommens neuer sozialer Bewegungen – und der Entwicklung seiner eigenen Theorie nach einer neuen politischen Strategie. In seiner Konzeption des Staats als sozialem Verhältnis wird weder das »Innen« noch das »Außen« des Staates als Terrain für eine grundlegende Gesellschaftstransformation privilegiert. »In einem demokratischen Weg zum Sozialismus müssen sich beide Wege verbinden«, heißt es in seinem Hauptwerk, der so genannten Staatstheorie von 1978. Nach Poulantzas ist ohne eine Veränderung des asymmetrischen Kompromissfeldes Staat keine sozialistische Transformation vorstellbar.

Poulantzas grenzt seine Herangehensweise an das Verhältnis von Staat und Bewegungen von anderen politisch-theoretischen Positionen ab. Der Staat ist für ihn weder eine neutrale, dem »Gemeinwohl« und der effektiven Problembearbeitung verpflichtete Instanz noch ein Instrument der herrschenden Klassen. Entsprechend können emanzipative Bewegungen nicht darauf setzen, dass staatliche Akteure Politik im Sinne des »Gemeinwohls« betreiben, und auch nicht darauf, dass der Staat »übernommen« und zum Instrument emanzipatorischer Projekte gemacht werden kann.

Poulantzas wendet sich damit sowohl gegen den Etatismus der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien als auch gegen »autonomistische« und »subjektivistische« Perspektiven. An der Haltung der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien kritisiert er, dass deren Etatismus aus einem tiefen »Misstrauen gegenüber der Initiative der Volksmassen« beruht. Entsprechend bedarf es in dieser Konzeption der Partei und ihrer avantgardistischen Kader, um die Volksmassen zu lenken.

Die autonome Perspektive fokussiert hingegen vor allem auf autonome Kämpfe und Gegenmacht an der Basis, während der Staat als unkontrollierbarer Leviathan betrachtet wird. Poulantzas schließt in seiner Kritik dieser Position an Rosa Luxemburg an, die auf die Gefahr verweist, die Errungenschaften der repräsentativen Demokratie zu unterschätzen und über vermeintliche Basisdemokratie autoritäre politische Verhältnisse herzustellen. Die »Institutionen der repräsentativen Demokratie sind sowohl Ausdrucksformen der Bourgeoisie als auch Eroberungen der Volksmassen«, erklärte Poulantzas 1979 in einem Interview, das in der Zeitschrift Prokla (Nr. 37) erschienen ist. Das zeigten die Erfahrungen aus Russland und Portugal, wo die relativ starken linksradikalen Kräfte nur auf Autonomie setzten, den Staat zu wenig beachteten und ihn somit den Sozialdemokraten überließen.

Auch die »subjektivistische« Variante des Antietatismus hält Poulantzas für unzureichend, da hier die unzähligen Formen von Mikromacht in den Vordergrund der Analyse und der Veränderungsbestrebungen treten, wobei die institutionelle Spezifik des kapitalistischen Staats ausgeblendet wird.

Essenziell für Poulantzas’ Verständnis des Verhältnisses von Staat und sozialen Bewegungen ist seine Unterscheidung zwischen Staatsmacht als Verdichtung eines Kräfteverhältnisses, das den Staat durchzieht und zugleich vom ihm geformt wird, und Staatsapparaten als institutioneller Materialisierung dieses Kräfteverhältnisses. Es handelt sich hier um kein Entsprechungsverhältnis. Die Staatsmacht umfasst alle gesellschaftlichen Kräfte, die im und durch den Staat agieren. Allerdings sind nicht alle diese Kräfte in derselben Stärke präsent. Daher gibt es gesellschaftliche Kräfte, insbesondere soziale Bewegungen, die sich außerhalb der staatlichen Apparate konstituieren und nur von einer Distanz aus auf diese einwirken. Für den Übergang zum Sozialismus ist es essenziell, dieses Verhältnis zu berücksichtigen.

Im Folgenden nehmen wir, wie Poulantzas auch, eine »doppelte Perspektive« ein: Einerseits legen wir dar, wie soziale Bewegungen im Staat wirken, welche Handlungsspielräume ihnen offen stehen und welchen Einfluss sie entwickeln können. Andererseits arbeiten wir heraus, welche Rolle der Staat aus einer poulantzianischen Sicht im strategischen Kalkül und den Kämpfen der sozialen Bewegungen spielt bzw. spielen sollte.

Organisierung bürgerlicher Hegemonie

Poulantzas schreibt dem Staat grundsätzlich die Aufgabe zu, die Hegemonie der herrschenden Klasse zu reproduzieren. Erst im Zuge der institutionellen Verankerung bürgerlicher Hegemonie und der damit verbundenen Kräfteverhältnisse kann diese stabilisiert werden. Der Staat gibt den Kräfteverhältnissen einer bestimmten historischen Phase durch vorübergehende Kompromisse eine gewisse Stabilität und Form. Das gilt auch für die Errungenschaften eman­zipatorischer Kämpfe. Poulantzas weist jedoch darauf hin, dass es immer auch zu Repression gegenüber linken Kräften kommt

Der Staat verkörpert in kapitalistischen Gesellschaften das immer durch Konflikte und Kompromisse hindurch konstruierte gesellschaftliche »Allgemeininteresse«. Allerdings ist dieses Allgemeininteresse nicht a priori vorhanden, sondern muss hegemonial hergestellt werden. Der Staat ist das Terrain, auf dem politische Strategien zu allgemein verbindlichen und auch allgemein anerkannten Politiken werden.

Poulantzas bezeichnet diese Aufgabe der Verallgemeinerung als die »globale Kohäsionsfunktion« des Staates. Der Staat ist daher immer ein zentraler Fokus von Kämpfen, die darauf zielen, eine gesamtgesellschaftliche Wirkung zu entfalten. Allerdings handelt es sich bei der staatlichen Matrix, wie soeben skizziert, nicht um ein neutrales Terrain. Der Staat ist vielmehr ein strategisches Terrain, das mit einer »strukturellen Selektivität« ausgestattet und daher eben nicht für alle gesellschaftlichen Kräfte gleichermaßen zugänglich ist.

Der Staat ist zudem nicht eine den Kämpfen der Subalternen äußerliche und einheitliche Instanz. Vielmehr sind die beherrschten Kräfte im Staat präsent und existieren im institutionellen Aufbau des Staates »in ganz spezifischer Art und Weise«, d.h. in Form von »Oppositionszentren«. Diesen Begriff führt Poulantzas nicht weiter aus, und es ist schwer, sich diese vorzustellen, da eine bewusste Organisierung von Kräften in einzelnen Staatsapparaten suggeriert wird.

Poulantzas weist außerdem darauf hin, dass die Kämpfe der sozialen Bewegungen neben der Etablierung von Oppositionszentren auch dadurch präsent sind, dass das staatliche Terrain sowohl von Widersprüchen innerhalb des Blocks an der Macht als auch zwischen diesem und den beherrschten Klassen durchzogen ist. Bereits die inneren Spaltungen des Staats sind nicht nur auf die Vertretung unterschiedlicher Interessen der Bourgeoisie durch unterschiedliche Apparate zurückzuführen, »sie hängen ebenfalls, und zwar hauptsächlich von der Rolle des Staates in Bezug auf die beherrschten Klassen ab«, schreibt er in der »Staatstheorie«.

Staat und Bewegung sind immer verschränkt. Auch wenn Bewegungen sich in Distanz zum Staat konstituieren, wirken sie auf dessen institutionelle Konfiguration ein und sind damit Bestandteil dieser Konfiguration. Daraus folgt, dass es für Bewegungen die Möglichkeit gibt, über die Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse die Struktur des Staatsapparats sowie konkrete Politiken verschieben zu können.

Strategisches Kalkül von Bewegungen

Sicherlich war es Poulantzas klar, dass es vielen linken Kräften nicht um eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse geht. Er argumentierte dennoch konsequent auf eine solche Veränderung hin. Er selbst sprach in seinen späteren Arbeiten von »radikaler Transformation« und nicht mehr von Revolution. Zwar sah er die Notwendigkeit von Brüchen und Zuspitzungen, aber nicht mehr den Moment des revolutionären Umschlags. Es handelt sich um einen langen Weg zum Sozialismus, »auf dem die Massen die Macht erringen und die Staatsapparate transformieren«.

Dies betrifft alle Staatsapparate, auch die repressiven. Da die herrschenden Klassen ein systematisches Übergewicht in den instabilen Kompromissgleichgewichten haben, geht es darum, die Terrains der Kompromissbildung zu verändern. Es handelt sich hierbei um eine »Doppelstrategie«, die sowohl auf die Transformation der Staatsmacht im Sinne spezifischer Kräfteverhältnisse zielt als auch auf die Modifikation der Materialität der Staatsapparate. Die Transformation der Staatsapparate auf der Basis breiter Massenbewegungen ist auch deshalb wichtig, da Poulantzas die Gefahr repressiver Antworten des Staates und insbesondere der Bourgeoisie bei erstarkenden linken Bewegungen sieht.

Eine wichtige Voraussetzung für eine radikale Transformation sind sozioökonomische und politische Krisen, die mitunter zu Staatskrisen werden. In solchen Phasen bilden sich windows of opportunity heraus, die unter Bedingungen der Hegemonie weniger vorhanden sind.

Wie haben wir uns radikale Transformationsprozesse aber nun vorzustellen? Poulantzas geht davon aus, dass es hierzu starker und vielfältiger Kämpfe einer Massenbewegung bedarf. Einen Masterplan gibt es nicht (mehr). Eine allgemeine Orientierung liegt jedoch in einem »gesteigerten Eingreifen der Volksmassen in den Staat« und sich ausweitenden Mechanismen demokratischer politischer Konfliktaustragung und Willensbildung.

Die Kämpfe der Massen zielen auf die Stärkung der eigenen Basis, d.h. auch darauf, Auseinandersetzungen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zusammenzuführen. Poulantzas plädiert hier für eine breite Bündnispolitik und die Integration vielfältiger Forderungen (wie z.B. Frauenfragen und Umweltpolitik). Implizit geht er von einem relativ homogenen oder zumindest nicht problematisierten Interesse der Massenbewegung aus. Gleichzeitig sollen, wie Poulantzas in der »Staatstheorie« erläutert, die Spannungen innerhalb der Staatsapparate verstärkt und die Netzwerke des Widerstands innerhalb des institutio­nellen Gefüges des kapitalistischen Staats entfaltet werden: »Diese Veränderung besteht in der Ausweitung effektiver Brüche, deren kulminierender Punkt – und es wird zwangsläufig ein solcher Punkt existieren – im Umschlagen der Kräfteverhältnisse auf dem Terrain des Staates zugunsten der Volksmassen liegt.«

Mit diesen Aktivitäten meint Poulantzas nicht nur Wahlen, das Engagement im Parlament und die immer weitergehende Besetzung immer höherer Regierungsposten. Es geht ihm auch um die Veränderung der Kräfteverhältnisse in sämtlichen Apparaten und den Dispositiven des Staats, die immer sowohl innerhalb der staatlichen Apparate als auch auf Distanz zu ihnen geschehen muss.

Mit der Metapher des Bruchs warnt Poulantzas davor, sich auf konsekutive Reformen, die gleichwohl wichtig sind, zu fixieren. Die spezifischen Brüche sind Ausdruck sich verschiebender Kräfteverhältnisse. Zwar bleibt der »Umschlag der Kräfteverhältnisse auf dem strategischen Terrain des Staates zugunsten der Volksmassen« schwer vorstellbar. Poulantzas markiert aber eine Art bottom line. Es ist erforderlich, »den Staat selbst gründlich umzustülpen und nicht bloß die Kräfteverhältnisse in ihm umzuwälzen«.

Die Kämpfe um die Kräfteverhältnisse innerhalb des Staates müssen nach Poulantzas von Kämpfen um Formen direkter Basisdemokratie und Selbstverwaltung begleitet werden, da sonst eine Sozialdemokratisierung droht. Der Versuch, basisdemokratische Elemente zu etablieren und sie sukzessive auszudehnen, findet auf dem strategischen Feld des Staats statt und beinhaltet zugleich eine Transformation der repräsentativen Demokratie. Poulantzas denkt hier an neue Formen gesellschaftlicher Willensbildung und der Koordination von Interessen, die die staatlich-politische Form überflüssig machen.

Dabei blendet Poulantzas jedoch wichtige Probleme repräsentativer Demokratie aus, nämlich die Trennung von »öffentlich« und »privat« und »Politik« und »Ökonomie« sowie deren Verhältnis zu den Formen direkter Demokratie. Werden diese Verhältnisse jedoch ernst genommen, dann müssen Bewegungen nicht nur den Staat, sondern auch andere gesellschaftliche Reproduktionsformen berücksichtigen.

Die demokratisch-emanzipatorische Transformation des Staats ist für Poulantzas zudem voller Risiken, da sich die Bewegungen auf einem höchst ungleich strukturierten Terrain befinden. Der Staat kann die Bewegungen möglicherweise in seine »Regelkreise« integrieren, weil sie schon Reaktion und Produkt des Etatismus sind. Die Bewegungen laufen somit Gefahr, zum Teil einer Selbstmodernisierung des Machtblocks zu werden, wenn sie nicht in der Lage sind, die Staatsapparate zu transformieren.

Mit Poulantzas können somit wichtige Fragen gestellt werden, die er allerdings selbst nicht beantwortet hat: Was hat der Anspruch von partikularen Bewegungen, verallgemeinerte Momente einer emanzipativen Gesellschaft auf sich zu vereinen, für Auswirkungen auf sie selbst und auf die »Bewegung der Bewegungen«? Welche Rolle spielen dabei Parteien?

Eine allgemeine Antwort ist heute, dass kein spezifischer Akteur – auch keine Partei – ein emanzipatives Allgemeines vertritt oder zumindest repräsentiert, sondern dieses kollektiv gedacht und angegangen werden muss. Verallgemeinerung unter bürgerlich-kapitalistischen Bedingungen bedeutet immer Einschluss und Ausschluss sowie herrschaftsförmige Identifizierung von Menschen und Kollektiven als Unterworfene. Die Anerkennung des Partikularen ist wichtiger als von Poulantzas angenommen. Er löst es zu schnell in der Verallgemeinerung der Arbeiterklasse und ihrer Parteien auf. Damit unterschätzt er einen Aspekt radikaler Transformationen und der Rolle des Staats: Das Allgemeine unter bürgerlich-kapitalistischen und damit antagonistischen Bedingungen wird gegen das Partikulare tendenziell herrschaftsförmig durchgesetzt.

Damit sind noch keine positiven Kriterien für einen emanzipatorischen Prozess benannt und sind wohl auch nicht benennbar. Diese müssen sich vielmehr in Kämpfen, Lern- und Erfahrungsprozessen herausbilden. Abstrakt kann gesagt werden, dass grundlegend für die Entwicklung eines Allgemeinen in einer postkapitalistischen Gesellschaft die herrschaftsfreie Artikulation von Interessen, Normen und Identitäten und ihre reflexive Institutionalisierung wäre. Das bedeutet aber auch: Radikale Transformationen im Sinne Poulantzas’ müssten offener und suchender gedacht werden, und sie dürfen den Staat nicht ins Zentrum stellen. Die gesamte Gesellschaft, d.h. die arbeitsteiligen und herrschaftsförmigen Reproduktionsmechanismen, müssen verändert werden. Das hat auch Konsequenzen für gegenhegemoniale Strategien.

Privatisierungskämpfe

Die aktuelle politische Situation ist nicht mit jener vergleichbar, in der Poulantzas seine zentralen Werke schrieb. Der Übergang zum Sozialismus steht nirgendwo unmittelbar bevor. Trotzdem denken wir, dass Poulantzas’ Konzept einer radikalen Transformation auch heute noch Anregungen für emanzipative Kämpfe bieten kann. Im Folgenden werden wir daher versuchen, Poulantzas’ Überlegungen zur radikalen Transformation am Beispiel von Privatisierungskämpfen zu diskutieren.

Dabei nehmen wir an, dass aus der Unzahl von Konflikten im gesellschaftlichen Prozess einige aufgeladen und mit besonders hoher Bedeutung versehen werden. Hierzu zählen Privatisierungen, denn diese betreffen Menschen direkter und sichtbarer in ihrem Alltag als beispielsweise die Liberalisierung der Finanzmärkte. In kritischen Analysen zum Thema Privatisierung findet sich nach wie vor die Vorstellung, der Staat sei ein Instrument der Bourgeoisie oder einzelner Kapitalfraktionen. Im Gegensatz dazu skizzieren wir eine poulantzianische Sicht auf Privatisierungsprozesse.

Privatisierungen stellen sowohl einen Versuch dar, die seit dem Ende der siebziger Jahre wahrgenommene Krise des Fordismus zu lösen, als auch eine spezifische Strategie zur Restrukturierung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die sich im Übergang zum Postfordismus herausschälende Akkumulationsdynamik basiert zentral auf der Privatisierung ehemals staatlicher Unternehmen und Dienstleistungssektoren. Favorisiert wird diese Strategie insbesondere von transnational agierenden Kapitalfraktionen. Teilweise sind auch Fraktionen der nationalen Bourgeoisie an Privatisierungen interessiert, da sie so in bestimmte Nischen vordringen können und Bereiche für die private Kapitalakkumulation zurückgewinnen.

Bei der Privatisierungstendenz handelt es sich allerdings um einen widersprüchlichen Prozess. So ist nicht jede Privatisierung ökonomisch lukrativ. Als politische Strategie dient Privatisierung dazu, die neo­liberale Gesellschaftsvision voranzutreiben. Den auf Privatisierung drängenden Kräften ist es gelungen, ihre Vision in den Apparaten des internationalisierten Staats zu verankern, wobei deren institutionelle Materialität modifiziert wurde. Der postfordistische Staat wird zu einem »nationalen Wettbewerbsstaat« (Joachim Hirsch), wobei die mit der Wettbewerbsfähigkeit verbundenen ökonomischen Staatsfunktionen wichtiger werden. In diesem Kontext werden Privatisierungen zu einem Kriterium der Wettbewerbsfähigkeit.

Damit stellen Privatisierungspolitiken heute ein neoliberales Gesellschafts- und Staatsprojekt dar. Das bedeutet allerdings nicht, dass alle Privatisierungen reibungslos vonstatten gehen. Privatisierungen bleiben inner- und außerhalb der staatlichen Apparate umkämpft.

Welchen Beitrag kann Poulantzas für die Analyse von Kämpfen gegen Privatisierung liefern? Grundsätzlich zeigt er, dass Kämpfe äußerst vielfältig sind, an verschiedenen Punkten ansetzen und trotzdem eine gewisse übergreifende Dynamik entwickeln können. An diesen Überlegungen ansetzend, werden wir im Folgenden eine Typologie von Antiprivatisierungskämpfen entwickeln.

Kämpfe gegen Privatisierung resultieren aus vielfältigen Motiven (z.B. Erhalt des Arbeitsplatzes; Zugang zu sauberem und bezahlbarem Trinkwasser) und werden von vielfältigen Akteuren getragen. Die kämpfenden Akteure konstituieren sich sowohl unmittelbar auf dem Terrain des Staats als auch in Distanz zu ihm. Erstens werden Kämpfe gegen Privatisierung mitunter von Teilen des Staatspersonals getragen. Diese Kämpfe entstehen somit direkt auf dem staatlichen Feld. Hier handelt es sich z.B. um Kämpfe von Staatsbediensteten für den Erhalt staatlicher Arbeitsplätze, die dabei der Auffassung sind, dass bestimmte Aufgaben in öffentlicher Hand bleiben sollten. Hier findet sich die Vorstellung, der Staat sei Vertreter des Allgemeinwohls. Oftmals äußert sich dieser Widerstand subtil, z.B. in isolierten Sabotageaktionen, teilweise wird er auch durch Gewerkschaften öffentlich gemacht. Obwohl sich diese Formen des Widerstands gegen Privatisierungen nicht als antikapitalistisch verstehen, stellen sie Oppositionszentren im Sinne Poulantzas’ dar.

In gewisser Distanz zum Staat entwickeln sich ebenfalls Antiprivatisierungskämpfe, die von sozialen Bewegungen getragen werden und äußerst heterogene Anliegen vertreten. Teilweise führen diese Akteure reine Abwehrkämpfe, z.B. wenn sie sich gegen den Verkauf eines Unternehmens oder Dienstleistungsversorgers wenden. Schließlich gibt es innerhalb der Antiprivatisierungskämpfe Versuche, längerfristige Strategien zu entwickeln, die über die kapitalistische Vergesellschaftung hinausgehen. Ein Beispiel hierfür ist die Kampagne gegen das WTO-Dienstleistungsabkommen Gats unter dem Motto »Unsere Welt ist keine Ware«. Hier werden Abwehrkämpfe mit einer diskursiven Erweiterung von Denkräumen verbunden.

Die Kämpfe haben oftmals in letzter Konsequenz zum Ziel – und nicht immer im Sinne eines bewussten Aktes –, die staatliche Matrix zu restrukturieren. Es geht darum, hinsichtlich einzelner ökonomischer Bereiche, Branchen oder Unternehmen die neoliberale Transformation des Staats abzuwenden. Kämpfe um Privatisierung sind daher zumeist Kämpfe gegen die mit den Privatisierungen korrelierende Internationalisierung des Staats und für die Stärkung der nationalen Parlamente.

Gleichzeitig werden die Kämpfe durch das staatliche Terrain geformt, da sie früher oder später auf die strategischen Kapazitäten des Staats zurückgreifen. Gekämpft wird dann mit staatlichen Mitteln. So versuchen Arbeitnehmer, im Rahmen von Privatisierungen drohende Entlassungen zu verhindern, indem sie auf das (Arbeits-) Recht rekurrieren. Aber auch bei der Verwendung von konfrontativen Strategien, wo zuallererst die physische Zwangsgewalt des Staats zu spüren ist, wird zumeist, um sich gegen die Repression zu wehren, auf das Recht oder die (in Frage gestellte) Legitimität zurückgegriffen.

Dabei bleibt festzustellen, dass vor allem solche Strategien von Privatisierungsgegnern erfolgreich sind, die sowohl auf eine breite Allianzbildung setzen als auch die institutionellen Akteure in ihr Kalkül mit einbeziehen. Zentral bleibt der Austausch zwischen den Protagonisten verschiedener Strategien, um so eine vielfältige und in sich widersprüchliche Bewegung zu entwickeln. Ebenso essenziell ist die Entwicklung eines gleichberechtigten internen Umgangs – im Sinne von Formen direkter Basisdemokratie – und der Widerstand gegen die Transformation des Staats, der sich auch auf die repräsentative Demokratie stützen kann.

Radikale Transformationen

Poulantzas stellt uns eine theoretisch-politische Frage: Inwieweit sind bestimmte Kämpfe in der Lage, nicht nur spezifische Interessen, Normen und Identitäten abzusichern und zu fördern, sondern auch die Terrains der Kämpfe selbst zu verändern und gesellschaftliches Zusammenleben herrschaftsfrei zu organisieren? Er sieht dabei zum Agieren innerhalb und außerhalb des strategischen Terrains Staat keine Alternative. Dies ist allerdings nicht mehr als ein allgemeiner Rahmen, der von einzelnen Kräften und Bündnissen mit spezifischen Strategien gefüllt werden muss.

Die grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft ist voller Unsicherheiten und Dilemmata. Inwieweit können emanzipatorische Kräfte Widersprüche und Krisen hegemonialer Konstellationen nutzen? Wie kann die institutionelle Materialität des kapitalistischen Staats unter Berücksichtigung widerstreitender Akteure weitgehend verändert werden? Inwieweit können emanzipatorische Kräfte Bündnisse mit anderen Kräften eingehen, die ein grundlegendes Interesse am Bestandserhalt der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft haben? Welche Rolle spielen internationale Verhältnisse? Inwieweit wirken antikapitalistische Kräfte mit ihrer praktischen Kritik dynamisierend und modernisierend für den sich stetig wandelnden Kapitalismus?

Der Begriff der radikalen Transformation bezieht sich bei Poulantzas auf den Staat, d.h. auf die Staatsmacht und die institutionelle Materialität des Staats. Eine postkapitalistische bzw. sozialistische Strategie muss aber alle gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend verändern, nicht nur den Staat, seine Macht und seine Materialität: Produktions-, Reproduktions- und Lebensformen, ethnische Verhältnisse und solche der Geschlechter, Naturverhältnisse und die Formen internationalen Austauschs. Das ist mit Poulantzas im Prinzip durchaus theoretisierbar, aber seine strategischen Überlegungen fallen dahinter zurück.

Ab den achtziger Jahren wurde mit dem Begriff des radikalen Reformismus jedoch die notwendige Perspektiverweiterung vorgenommen (Esser/Görg/Hirsch). Hierbei wird deutlicher als bei Poulantzas die schrittweise, über Konflikte sowie Lern- und Erfahrungsprozesse stattfindende Veränderung der gesamten gesellschaftlichen Verhältnisse in den Blick genommen. Die existierenden und zu bearbeitenden Divergenzen innerhalb emanzipatorischer Bewegungen treten deutlicher hervor. Auf einer allgemeinen Ebene wird von institutionellem, Institutionen transformierendem und Struktur transformierendem Handeln gesprochen.

Zugespitzt betont der radikale Reformismus die autonomen Aspekte politischer Veränderungen, ohne die Materialität des Staats aus dem Blick zu verlieren. Er ist jedoch deutlich staats- und parteienkritischer als Poulantzas’ »radikale Transformationen« und setzt stärker auf die Kreativität und Verallgemeinerungsfähigkeit der Anliegen sozialer Bewegungen. Poulantzas sieht hier die Gefahr des Korporatismus und Partikularismus. Zu diskutieren wäre daher, inwieweit Bewegungen wirklich nur partikulare und tendenziell neokorporatistische Interessen vertreten. Poulantzas unterstreicht stärker als der radikale Reformismus, dass die Staatsapparate selbst transformiert werden müssen, auch die repressiven.

Seine strategischen Überlegungen wie auch jene des radikalen Reformismus wurden zudem weitgehend auf den Nationalstaat bezogen formuliert. Angesichts der Globalisierung muss gründlich über sie nachgedacht werden. Es gilt, ein »neopoulantzianisches« Forschungsprogramm der Internationalen Politischen Ökonomie auszuarbeiten. »Innen« und »Außen« des Staates verändern sich und damit die Strategien gesellschaftstransformierender Kämpfe. Eine wichtige theoretische Aufgabe der kommenden Jahre wird darin bestehen, die Transformation der ökonomischen, ideologischen und politischen Verhältnisse und den sich darin verändernden Staat stärker aus der Perspektive von sozialen Kräften und deren Strategien zu konzeptualisieren.

Auch das »Innen« und »Außen« des internationalisierten Staates und die »Globalperspektive« seines Absterbens sind zu thematisieren. Allgemeine Orientierungen sind, dass herrschaftsfrei und nachhaltig produziert und konsumiert wird, herrschaftsfrei Konflikte ausgetragen, Willensverhältnisse formuliert, Interessen, Werthaltungen und Identitäten vertreten oder gelebt werden können. Gesellschaftliche Probleme sollten dort bearbeitet werden, wo sie anfallen, diese Prozesse müssen jedoch gegebenenfalls weltweit koordiniert werden.

Eine präzise Analyse des Staats, seiner kleinen Anpassungen und grundlegenden Veränderungen sowie seiner widersprüchlichen Rolle im Prozess bürgerlich-kapitalistischer Reproduktion bleibt eine wichtige Voraussetzung emanzipatorisch-transformatorischen Handelns. Allerdings wird auch eine noch so präzise Analyse nicht vor den Risiken, möglichen Problemen oder gar dem Scheitern radikaler, gesellschaftstrans­for­mierender Strategien und Handlungsweisen schützen.

Literatur:

Brand, Ulrich: Radikaler Reformismus im globalisierten Kapitalismus. Neubestimmungen nach »Seattle« und »Genua«. In: ila, Nr. 248/2001, 5-7

Ders. : Gegen-Hegemonie. Perspektiven globalisierungskritischer Strategien. VSA, Hamburg 2004

Esser, Josef/Görg, Christoph/Hirsch, Joachim: Politik, Institutionen und Staat. Zur Kritik der Regulationstheorie. VSA, Hamburg 1994

Hirsch, Joachim: Materialistische Staatstheorie. Transformationsprozesse des kapitalistischen Staatensystems. VSA, Hamburg 2005

Poulantzas, Nicos: Staatstheorie. Politischer Überbau, Ideologie, Sozialistische Demokratie. Neuauflage mit einem Vorwort von Alex Demirovic, Joa­chim Hirsch und Bob Jessop. VSA, Hamburg 2002

Sauer, Birgit: Die Internationalisierung von Staatlichkeit. Geschlechterpolitische Perspektiven. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 51, H. 4/2003, S. 621-637

Lars Bretthauer, Alexander Gallas, John Kannankulam, Ingo Stützle (Hg.): Poulantzas lesen. Zur Aktualität marxistischer Staatstheorie. VSA, Hamburg 2006. www.poulantzas-­lesen.de