Powerpoint für Hessen

Die hessische NPD hat sich mit den Kameradschaften verbündet und gibt sich gleichzeitig als moderne, bürgernahe Partei. von ricardo hortem

Immerhin, der Aufmarsch konnte stattfinden. Rund 70 meist junge Neonazis zogen am 3. Okto­ber bei strömendem Regen durch die beschaulichen Taunusstädte Kelkheim und Königstein. Sie waren dem Aufruf des hessischen Landesvorsitzenden der NPD, Marcel Wöll, gefolgt, um am Tag der deutschen Einheit gegen den »Globalisierungs­wahn« zu demonstrieren. Das letzte Mal hatte die Partei im Jahr 2002 ernsthaft versucht, mit einer »Wahlkampftour« in hessischen Städten an die Öffentlichkeit zu gehen. Damals endeten die Aufmärsche, trotz prominenter Unterstützung vom NPD-Vorsitzenden Udo Voigt, für die meist nur ein paar Dutzend Neonazis in einem Eierregen. Nicht einmal die Neonazis selbst versuchten, die Tour schön zu reden, derart desolat war das Bild, dass der Landesverband damals abgab.

Inzwischen sieht das anders aus. Dass die NPD am 3. Oktober ungehindert marschieren konnte, lag am rigiden Einsatz der Polizei, die direkte Gegenproteste verhinderte, und an den Bürgern, die sich auf Bürgerfesten fernab der Neonazis über den »Missbrauch des Nationalfeiertages« empörten.

Die NPD in Hessen hat in relativ kurzer Zeit einen Generationswechsel eingeleitet und geht mit einer gefestigten Struktur an die Öffent­lichkeit. An die Stelle der seit geraumer Zeit vor sich hin dümpelnden, eher traditionellen Altherrenriege um den über 70jährigen Wetterauer Volker Sachs und den Wiesbadener Hans Schmidt, die lange Zeit die öffentliche Wahrnehmung des Landesverbands prägten, sind jüngere Leute zwischen Anfang und Mitte 20 getreten. Sie inszenieren sich offen als Nationalsozialisten und bestimmen die neue Strategie der Partei. Viele von ihnen kommen aus dem Spektrum der »Freien Kameradschaf­ten«.

Sie gerieren sich als Anwälte der kleinen Leute, warnen vor »Überfremdung« und beteiligen sich an rechten Bürgerbündnissen. Dabei pflegen sie eine revolutionäre Rhetorik, die unverhohlen die System­feindschaft propagiert und sich moderner Kommuni­kationsmittel bedient. Die Doppelstrategie scheint aufzugehen. Bürgernähe und Neonazismus sind in manchen Dörfern kein Widerspruch mehr. »Es gibt einen Gewöhnungseffekt«, meint Michael Weiss vom antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin (Apabiz).

Mit provokativen Auftritten wie der Anmeldung eines Aufmarsches zur Begrüßung des iranischen Präsidenten in Frankfurt am Main während der Fußballweltmeisterschaft (der von der Stadt dann verboten wurde) oder der Produktion einer »nationalen Wochenshow« für das Internetportal You Tube erregten die neuen Kader in kurzer Zeit überregional Aufmerksamkeit. Man gibt sich nicht mehr bieder, sondern modern und kompromisslos. Dazu gehört nach Angaben des hessischen Verfassungsschutzes die Einrichtung einer neuen Internetseite und die Or­ganisation von Schulungsabenden mit mo­dernen Techniken wie Powerpoint. Auch der Jugendverband der NPD, die Jungen Nationalen (JN), formierte sich nach Jahren der Inaktivität Ende 2005 unter der Führung von Simon Zimmermann (Lahn-Dill-Kreis) neu.

Neben der Schulung der Parteikader und dem Aufbau der Stukturen stellt der »Kampf um die Dörfer« einen Schwerpunkt der Stra­tegie dar. Anstatt sich in Hinterzimmern zu treffen, sucht die Partei die Öffentlichkeit. Hatte man sich bereits anlässlich des Kommunalwahlkampfs im März 2006 wieder mit Informationsständen auf die Straße getraut, will man in der zweiten Jahreshälfte anschei­nend das Tempo erhöhen. Sowohl Ende August in Gießen als auch bei einer Verans­tal­tung der jüdischen Gemeinde in Bad Nauheim kurze Zeit später tauchten Anhänger der NPD auf und hetzten mit Trans­paren­ten gegen Israel. Für den Jahrestag der Reichspogromnacht hat die NPD, wie sie in einer Anzeige der Parteizeitung Deutsche Stimme ankündigt, gleich zwei Aufmär­sche im von ihr als »Frontstadt« bezeichneten Frankfurt am Main geplant.

Dass die NPD und das Spektrum der Ka­me­radschaften in Hessen ziemlich deckungs­gleich geworden sind, zeigt sich am deut­lichs­ten daran, dass im Mai mit dem 23jährigen Wöll ein führender Aktivist der Kameradschaft »Freie Nationalisten Rhein-Main« zum neuen Lan­desvorsitzenden gewählt wurde. Gegen diese Kameradschaft ermittelt die Staatsanwaltschaft seit dem Jahr 2005 wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Überdies werden der Kameradschaft von Antifas zahlreiche Übergriffe auf Migranten und Andersdenkende vorgeworfen.

Wöll tritt seit dem Jahr 2004 als Anmelder und Redner bei Naziaufmärschen im ganzen Bundesgebiet auf. So sollte er beispielsweise beim dann doch verbotenen Aufmarsch für den Holocaustleugner Ernst Zündel in Mannheim neben bekannten Neonazis wie Christian Worch und Jürgen Rie­ger aus Hamburg eine Rede halten. Zuletzt sprach er im August auf der Ersatzveranstaltung zu Ehren von Rudolf Hess in Jena. Seit der Kommunalwahl 2005 sitzt Wöll außerdem für die NPD als Abgeordneter im Stadtrat der mittelhessischen Stadt Butzbach.

Dort bewohnt er seit Anfang 2005 zusammen mit anderen »Kameraden« ein Haus im Stadtteil Butzbach-Hochweisel. Das Anwesen gilt als zentraler Treffpunkt und als Schulungszentrum der regionalen Neonaziszene. Auch der hessische Landesverband der NPD hat dort inzwischen seine Kontaktadresse. Nachdem die »nationale Wohngemeinschaft« ihr zuvor in Niddau-Helden­bergen gemietetes Zentrum wegen des öffent­lichen Drucks wieder aufgeben musste, hat sie es in Hochweisel weitaus gemütlicher. Auf Protestaktionen von Antifas reagiert man dort, indem man sich darüber beschwert, dass Butzbachs Ruf ruiniert werde. Ein neu gegründeter »Arbeitskreis demokratisches Hochweisel« sprach sich gegen »Rechts- und Linksextremismus« aus, und die Neonazis selbst freuen sich darüber, dass einige Dortbewohner auch mal auf ein Bier vorbei kommen.

Die Zustände in Hochweisel sind für Michael Weiss bezeichnend für den Umgang mit Neonazis in Hessen. Deren Aktivitäten würden von Behörden und Polizei zwar überwacht, jedoch meist beschönigt, um den Ruf des Standorts nicht zu gefährden. »Hessen hat bisher weniger ein Nazi- als ein Demokratieproblem«, sagt er.