Werdet Monster!

Mit ihrer opulenten Compilation »Girl Monster« wollen die Musikerinnen der Chicks on Speed einen weiblichen Kanon der Popmusik etablieren. von sonja eismann

Es ging bei diesem Festival nicht darum, zu demonstrieren: ›Frauen können auch Rockmusik machen‹. Das dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben, obwohl die meisten Frauen erst durch Punk und die Neue Deutsche Welle ermutigt wurden, sich in die bislang männliche Domäne des Rockbiz vorzuwagen.« Dieser Satz stammt nicht von Alex Murray-Leslie, einer der drei Chicks on Speed, die gerade die Triple-CD-Compilation »Girl Monster« herausgegeben haben. Es gab bis jetzt auch noch kein Festival mit den ausschließlich weiblichen Acts von »Girl Monster«. Nein, dieser Satz ist schon ziemlich alt. Er ist von 1981 und findet sich auf der Rückseite des Samplers »Venus Weltklang«, der das »First International Women’s Rock Festival« dokumentiert. Das ging vom 19. bis 21. Juni 1981 im Westberliner Tempodrom über die Bühne und hatte in seinem Line-Up viele Musikerinnen, die sich, teilweise in neuen Konstellationen oder solo, auch auf »Girl Monster« wiederfinden, etwa Liliput, Malaria!, The Au-Pairs. Trotzdem würden diese Sätze, ähnlich formuliert, auch heute niemanden auf dem Rücken einer »Frauen-CD« verwundern. Im Interview mit der De:Bug sagt Murray-Leslie dann auch: »Viele Leute denken immer noch, dass es kaum Frauen gibt, die Musik produzieren oder auf Festivals spielen wollen. Wir wollen zeigen, dass es diese Frauen sehr wohl gibt. Tonnen von ihnen.«

Auch 25 Jahre nach »Venus Weltklang« gilt offensichtlich: Die gleichzeitig rebellierende wie aufklärerische Pose einer »Frauen-Compilation« ist noch lange nicht obsolet geworden. Denn diese rein weib­lich geprägten Musiksammlungen, von denen es mitt­lerweile eine ganze Menge gibt, leiden nach wie vor unter einer Paradoxie: Einerseits soll durch die Repräsentation von Musikerinnen die Normalität weiblicher Musikproduktion betont werden, andererseits ist es doch gerade das Geschlecht, das hervorgehoben wird.

Zudem stehen Anstrengungen dieser Art schnell im Ruch des feindseligen Separatismus, dem es durch eine apologetische Grundhaltung entgegen­zuwirken gilt – so räumen die Chicks bereitwillig ein, dass männliche Künstler nicht per se ausgeschlossen seien, da man keinen Zaun um sich ziehen wolle, und dass man nicht an feministische Opfer-Diskurse aus den Achtzigern anknüpfen wolle.

Nein, stattdessen soll mit »Girl Monster« schlicht­weg gezeigt werden, wie großartig wir Frauen sind. Empowerment pur. Es ist keine Überraschung, dass die drei CDs von »Girl Monster« tatsächlich großartig sind. Zu gut ist das Wissen der Chicks über ihre Vorläuferinnen, zu sicher ihr Geschmack, zu perfekt ihre Vernetzung mit jüngeren und älteren Musikerinnen auf der ganzen Welt, als dass irgendetwas hätte schief gehen können. Schlicht hervorragend ist die Auswahl der alten und neuen Stücke von den späten Siebzigern bis heute, von denen zwei Drittel unveröffentlicht oder gar exklusiv 1sind.

Die Abfolge der Beiträge ist weder chronologisch noch stilistisch motiviert, sondern stellt im wilden Zickzack Querverbindungen her zwischen (Post-) Punkerinnen und Elektropoptrasherinnen, zwischen bereits kanonisierten Werken wie »Typical Girls« von den Slits, hier in einer Live-Version, und einem Track der außerhalb Wiens völlig unbekann­ten, phänomenalen österreichischen Nachwuchs-Elektronikerin Cherry Sunkist.

Die Macherinnen verfolgen dabei drei konkrete Anliegen: Ihren Vorgängerinnen wie Delta 5, Mala­ria!, Tina Weymouth vom TomTom Club oder Ari Up von den Slits soll nicht nur Reverenz erwiesen werden – wie es die Chicks mit diversen Cover-Ver­sionen ja bereits vorexerziert haben –, sondern die Chicks sehen sich auch explizit als Fortführerinnen von Traditionen. Mit ihrer spezifisch weiblichen Popgeschichtsschreibung wollen sie verhindern, dass jede Generation erst mühsam feministische Grundlagen neu erlernen muss. Dem viel beklagten Fehlen weiblicher role models, die durch ihre schiere Existenz junge Frauen zum Musikmachen animie­ren können, wird somit Dank »Girl Monster« eine satte Präsenz entgegengesetzt.

Außerdem soll nicht nur zum wiederholten Male wiedergekäut werden, was längst kanonisiert ist – statt einer Liste der altbekannten women in rock sor­gen nun eben auch neue Namen, neue Versionen und brandneue Stücke dafür, dass der verengte Blick auf weibliche Beiträge zur Popmusik erweitert wird. »Girl Monster« hat das ambitionierte Ziel, eine neue Bewegung loszutreten.

Sind die Girl Monsters also die neuen Riot Grrrls? Die einigenden Parameter für eine neue feministische Pop-Bewegung, für die es gut eineinhalb Jahrzehnte nach der Geburt von Riot Grrrl höchste Zeit wäre, werden in den Begleittexten und im von Chicks on Speed gesungenen Intro der CD ausgebreitet: Das von Schönheitskorrekturen ungezähmte, wilde Girl Monster tritt gegen das glamour girl aus der Hitparade an. Da drängen sich schnell Bilder von erdi­ger Authentizität versus normierter Künst­lichkeit auf, zumal der Untertitel der Compilation »A Triple CD Guide through the real history of women’s cutting edge music, from the 70s to the present day« schein­bar die »Echtheit« der gefeaturten Künstlerinnen betont.

Doch wer die Chicks on Speed und ihre hochartifiziellen Bühnenkonzepte kennt, weiß um ihre Skepsis gegenüber rockistischen Authentizitäts-Diskursen. Der Antagonismus zwischen Girl Monster und Paris Hilton soll daher auch nicht als Technologiefeindlichkeit verstanden werden, es geht vielmehr um die Betonung weiblicher Selbstbestimmung abseits von gängigen Schönheitsnormen.

Doch wo Riot Grrrl neben seinen inhaltlichen Zielen auch für ein weitgehend homo­genes stilistisches Programm von wütendem Punkrock stand, besteht die Klammer von »Girl Monster« offenbar ausschließlich aus der »cutting-edge«-Attitüde der Künstlerinnen. Daher sind Superstars wie Björk und Juliette Lewis ebenso vertreten wie die stilistisch völlig anders gelagerten Lesbians on Ecstasy, Boyskout oder Kevin Blechdom. Natürlich: Die Sammlung ist sowohl vom Geschmack der Chicks wie vom Zeitgeist geprägt, der jetzt – glücklicherweise – befindet, dass Prota­gonistinnen des Punk und Postpunk interessante Musik gemacht haben. In wenigen Jahren könnte so eine Rückschau auf die historischen wichtigen Punkte bzw. Einflüsse schon ganz anders aussehen.

Was aber trotz der stilistischen Varianz auffällt, sind die Leerstellen, die diese Vielfältigkeit doch homogener aussehen lassen, als es zunächst zwi­schen Postpunk-Getröte, Indie-Rock und song­orientierter Elektronik den Anschein hat. Der Großteil der Musikerinnen ist weiß und macht Musik, die man, ganz klischeebeladen, auch als »weiß« bezeichnen könnte. Selbst die – unglaublich coolen – HipHopper wie das Lesben-Duo Scream Club oder der Female-to-Man-Transsexuelle Katastrophe – sind weiß.

Sind Soul und R’n’B per se nicht »cutting edge«? Wohl kaum. Diese Kritik sei gestattet, auch wenn sie auf Knien geäußert wird. Denn obwohl »Girl Monster« den Anspruch darauf erhebt, einen losen Kanon weiblicher Popproduktion entstehen zu lassen und dieser Ambition auch gerecht wird (eine zweite Compilation mit Beiträgen aus der Riot-Grrrl-Ära soll übrigens folgen), kann es einfach niemals eine vollständige Abbildung geben. Was nur für das Anliegen des Projekts spricht: Denn wie marginal wäre der Beitrag von Frauen zur Popmusikgeschichte, wenn er sich auf drei CDs quetschen ließe?

Diverse: Girl Monster (Chicks On Speed)