Was geht ab, Alter?

Neue Datenträger, geplante Web 2.0 Projekte, Handys, auf denen Soaps laufen: Was man will und was nicht

Wikipedia für Experten

»Absetzen« will Larry Sanger die Online-Enzy­klo­pädie Wikipedia mit seinem Konkurrenz-Projekt Citizendium. Das ist eine gewagte Ankündigung, immerhin hat es Wikipedia innerhalb von fünf Jah­ren geschafft, zu einer der 20 am meisten aufgerufenen Seiten des Internets zu werden. Den­noch wird Sanger viel Aufmerksamkeit zuteil, schließlich ist er einer der Mitbegründer von Wikipedia und seit seinem Ausscheiden aus dem Projekt einer der stärksten Kritiker der Enzyklopädie. Doch trotz aller Medienberichte und aufgeregten Diskussionen ist von Citizendium im Netz noch nichts zu sehen. Das Projekt befindet sich noch in seinen Anfängen und ist nur einem ausgewählten Kreis von Insidern zugänglich.

Doch auch wenn die neue Enzyklopädie öffentlich zugänglich sein wird, werden sich ihre Inhalte zunächst nicht allzu sehr von Wikipedia unterschei­den. »Wir werden mit allen Wikipedia-Artikeln anfangen, so dass Citizendium ganz einfach als Spiegel von Wikipedia starten wird«, heißt es auf der Home­page von Citizendium. Auf der Basis der vorhandenen Wikipedia-Artikel soll dann unter einem veränderten Regelwerk eine bessere Enzyklopädie entstehen.

Dies sei dringend nötig, meint Sanger. Zu »ama­teur­haft« sei Wikipedia, und er teilt damit eine Kritik, die seit einigen Monaten immer häufiger geäußert wird. Als offene und anonym zugängliche Plattform fordere Wikipedia politisch motivierte Manipulationen, gezielte Provokationen und die Veröffentlichung des Halbwissens aufgeblasener Egomanen geradezu heraus. Selbst die Macher von Wikipedia haben das erkannt und versuchen derzeit, diese Probleme in den Griff zu bekommen, wollen dabei die offenen Strukturen aber nicht allzu sehr einschränken.

Sanger dagegen ist der Meinung, dass eine On­line-Community nur funktioniert, wenn sie sich an die gleichen Regeln hält, die für alle funktionierenden Gesellschaften gelten. Und dazu gehören für ihn Kontrolle und Hierarchie. Eine besondere Rolle sollen bei Citizendium Experten spielen. Diese müssen in einem öffentlich einsehbaren Lebenslauf ihre fachlichen Qualitäten nachweisen und sollen als Redakteure dienen, die bei Meinungsverschiedenheiten die letzte Entscheidungskompetenz haben. Natürlich sollen auch »gewöhnliche Menschen« wei­terhin mitarbeiten dürfen, für sie soll Citizendium ein Platz sein, an dem sie unter »Anleitung von Experten arbeiten können«. Dass dies alles reibungslos funktioniert, dafür sollen dann »Constables«, also Wachtmeister, sorgen.

Strenge Regelwerke, Autoritäten und Wachtmeis­ter sind also die Komponenten, mit denen Sanger im Internet »eine verantwortliche Gemeinschaft und einen guten globalen Bürger kreieren will«. Es mag sein, dass dadurch die Qualität der Wikipedia-Artikel verbessert wird. Für Anhänger offener Projekte ist das aber fast so, als würde man fordern, dass You Tube Filmstudenten als Redakteure einstellt, um zu verhindern, dass You Tube zum RTL 2 des Internet wird. Das Wichtigste an diesen Projekten würde dabei verloren gehen.

stefan kindler

Nicht ohne mein TV-Handy

Nun ist es also da: »ProSiebenSat.1 Mobile« heißt der Sender, den der Zuschauer mit dem Handy via Digital Multimedia Broadcasting (DMB) empfangen kann. Jeder Wochentag des 24-Stunden-Programms wird einem Genre zugeordnet: Mittwochs und samstags gibt’s Comedy, sonntags und montags Magazine wie »Akte 06« und »Abenteuer Leben«.

Das Handy wird schneller sein: Die Sat.1-Telenovelas »Verliebt in Berlin« und »Schmet­terlinge im Bauch« wird es jeweils einen halben Tag vor der Ausstrahlung im Fernsehen geben. Auch die Großverlage Burda und Holtzbrinck steigen ins Handy-TV ein. Beide Firmen beteiligen sich mit je 33,3 Pro­zent an der Neva Media GmbH, die Anwendungen für den mobilen TV-Standard DVB-H entwickelt. Anträge sind gestellt.

Wie alles, was derzeit rund um die neuen Medien passiert, wird auch dies die Gesellschaft gründlich verändern. Die Konzerne werden zwar versuchen, ihre Monopolstellung auszubauen, gleichzeitig aber werden die Kapazitäten der Server steigen. Zugleich wird das Handy als Sender eingesetzt. Mit der gerade entwickelten Flüssigkeitslinse werden hier ganz neue Möglichkeiten entstehen.

Jeder macht dann Fernsehen, es wird TV-Blogs geben, der Grimme-Preis wird an besonders originell gestaltete Programme vergeben. »Privatfernsehen« erhält so eine völlig neue Bedeutung: Jeder kann sein eigener Fernsehsender werden. Es werden Bücher darüber geschrieben, wie toll die Möglichkeiten sind, die das neue Format bietet, Menschen werden Bücher darüber schreiben, wie sie sich über Austauschwerbeclips finanzieren. Das neue Format bringt völlig neue Stars hervor und wird seinerseits auf die Programmgestaltung zurückwirken. Selbstmordattentäter und Terrorgruppen werden Handy TV als Echt­zeit-Protokoll ihrer Handlungen nutzen. Es wird nie da gewesene Kriegsbilder geben, und in der Bahn wird Stimmengewirr herrschen.

Konservative Kritiker werden sagen, dass wir nirgends mehr unbeobachtet seien, dass wir ein Volk von Voyeuren geworden seien, sie werden sich nach Zeiten zurücksehnen, in denen man sich im Wald noch zu Hause fühlen konn­te, und die Familie als effektive Sozialversicherung loben.

Progressive Kritiker werden der Meinung sein, dass die staatliche Überwachung durch permanen­te Selbstkontrolle der Bevölkerung ersetzt worden sei. Jüngere linke Aktivisten werden das neue Medium schätzen lernen, etwa bei Demonstrationen – Stichwort Vernetzung. Nur eines wird schwer zu finden sein: Handy-TV-freie Zonen.

jürgen kiontke

Der abgedrehte Fetisch der Zukunft

Ein bedeutendes Medium der Zukunft ist das Vinyl, keine Frage & Widerspruch nicht erlaubt. Und das eben nicht nur aus halbherzig herbeigefühlten, primitiven, gar stylischen Gründen, etwa dem, dass man sich als DJ sogleich viel wichtiger fühlt, wenn der Fan, der einem den Plattenkoffer trägt, sich auch richtig abschleppt. Nein, das Vinyl wird überleben, und das labrig-papahafte alte Tonband, das schick-scheiternde 8-Track-Tape, die den Pubertierenden in die Hand gedrückte Cassette, die wunderbar überflüssige Bildplatte oder gar das miese kleine Plas­tikteil CD, das sich sogar hergelaufene Redakteu­re und Autoren wie zum Beispiel ich in ihren billigen Computern bebrennen können, oder schließlich das unsichtbare, öd datenmassige Fettfleckchen namens MP3, sie alle werden dem Vinyl, das ewig hineingemeißelt sei in das Museum für die Welt der schönen Dinge, so wie es auch der Spazierstock oder der vergoldete Eierschneider ist, diesem Vinyl jedenfalls werden sie alle nichts anhaben können, denn das Vinyl fasst sich nicht nur besser an als alle Konkurrenzmedien und gibt Generationen von großen Schwestern einen willkommenen Anlass dafür, den kleinen Bruder zu verprügeln – ich sage nur: »verkratzt, die Sau!« –, nein, Sinn macht das Vinyl zudem, weil es uns einen Vorwand gibt, unsere Linn-, Thorens- oder meinethalben Bang & Olufsen-Plattenspieler zu benutzen, die nicht nur sauteuer, sondern auch erdbebenfest sind und entweder aussehen wie schwarze Pizzakartons oder das unter das Waffengesetz fallende Innenleben des Terminators, auf jeden Fall also: geil. Diese vorführen zu können, braucht es eine Robbie- oder Kylie-Vinyl-Scheibe aus, wie wir Vinylfetifaschisten gern sagen, »Wax«, auf denen irgendwie der Sound viel besser ist, sagt uns wer, der überhaupt noch gut hören kann, trotz Fluglärms und Fahrradklingelgeklingels überall. Und da wir keine anderen Sorgen haben, brauchen wir also diese unförmigen Platzwegnehmer im bunten Pappschuber, die uns das Gefühl geben, dass wir cool sind. Und was bitteschön sollte das ersetzen können, wenn uns die Industrie stattdessen nur Scheiße anbietet mit Digital und so?

jörg sundermeier