Sportart Dauerleugnen

Jan Ullrichs Taktik scheint aufzugehen

von elke wittich

Die Webpage sieht so aus, wie der durchschnitt­liche Internetauftritt eines Sportstars eben so aussieht. Im Fanshop werden die üblichen Devotionalien angeboten, in die Galerie sind die neuesten Fotos eingestellt. Und in der Sek­tion Letterbox beantwortet der Star ausgewähl­te Fanmails. Genauer: er beantwortete sie, zuletzt im April 2006, etwas später wurde das Gästebuch von der Seite genommen. Denn der Star heißt Jan Ullrich und steht unter massivem Dopingverdacht. Derzeit nur in der Sportart Dauerleugnen aktiv, versucht er auf seiner Webpage nahezu verzweifelt, den Anschein aufrecht zu erhalten, Opfer finsterer Machenschaften geworden zu sein.

Dummerweise trifft keines der klassischen Merkmale einer Intrige auf den Fall Ullrich zu: Es gibt keine vehement geäußerten, allenfalls durch Andeutungen belegte Behauptungen, keine zwecks Rufmord gestreuten Gerüchte. Keine Profiteure, die zwar ahnen, dass an den Vorwürfen nichts dran sein kann, und keine Erklärungen für Ungereimtheiten haben, allerdings aus Angst um Pöstchen oder einfach nur mit der Eitelkeit des vermeintlichen Mitwissers die vorgebliche Enthüllung weiter tragen.

Die Beweiskette im Fall Ullrich ist dagegen so gut wie lückenlos: Zu den von der Guardia Civil bei den Ermittlungen gegen den Dopingdoktor Eufemiano Fuentes sichergestellten Beweisen gehören nicht nur Blutbeutel mit Codenamen, sondern auch Telefonprotokolle und Zahlungsnachweise, die bis zurück ins Jahr 2003 datieren. Die Behauptung des Profis, er habe niemals Kontakt zu dem spanischen Arzt gehabt, konnte zudem anscheinend durch Fotos, die die beiden zeigen, widerlegt werden.

Und so verstanden die wenigsten Fans, dass Ullrich seit Mai versucht, unter Unschuldsbeteuerungen die Vorwürfe auszusitzen. Weder erklärte er sich zu einer Blutprobe bereit, mit der leicht hätte bewiesen werden können, ob die ihm zugeschriebenen spanischen Proben tatsächlich von ihm stammen, noch versuchte er, Gegenbeweise zu liefern. Ullrich tat einfach so, als sei nichts geschehen. Und ließ sich, obwohl längst vom Schweizer Radsportverband, von dem er seine Lizenz hat, suspendiert und vom Team Telekom entlassen, beim Training fotografieren.

Nun sieht es so aus, als habe sich seine Dick­felligkeit gelohnt: Weil die spanischen Behörden das gesammelte Material erst nach dem Ende der Ermittlungen offiziell freigeben wollen, fehlt die Grundlage, auf der die Verbände die des Dopings Beschuldigten sperren können. Die den Schweizern bislang vorliegenden Belege gegen Ullrich reichten zwar wohl für ein Verfahren und den Rausschmiss aus, dem kam der Radsportler aber durch seinen Austritt in der letzten Woche zuvor.

In Deutschland, dem Land, von dem Sportfans immer so gern annehmen, dass es als einer der wenigen Staaten der Welt Doping­sünder unnachsichtig verfolge, während die Stars andernorts in aller Ruhe ihre Leistungen mit Hilfe illegaler Substanzen steigern könnten, gibt es zudem keine wirkungsvollen Dopinggesetze. Wie der Spiegel schrieb, ist die zu Beginn des Dopingskandals um Fuentes noch so groß gewesene Bereitschaft der Politiker, ähnlich harte Gesetze wie in Frankreich oder Spanien zu erlassen, mittlerweile so gut wie nicht mehr vorhanden. Die in der Zwischen­zeit erfolgte »gezielte Lobbyarbeit« der Verbände habe sich wohl ausgezahlt, vermutet das Nachrichtenmagazin.

Jan Ullrich, der bereits wieder mit Rennställen verhandelt, bedankte sich übrigens letz­tens auf seiner Homepage bei seinen Fans und beklagte »die Lügengeschichten« der Me­dien. Natürlich ohne auch nur eine einzige zu entkräften.