»Die Opposition verbreitet Paranoia«

Fuad Siniora

Ehe Fuad Siniora im Sommer 2005 vom libanesischen Parlament zum Premierminister gewählt wurde, amtierte er in fünf Kabinetten des vor zwei Jahren ermordeten Rafiq Hariri als Finanzminister. Wie der Premierminister wurde der 63jährige Sunnit in der südlich von Beirut gelegenen Hafenstadt Saida geboren. Lange Jahre bekleidete er Führungspositionen in Hariris Bankengruppe Groupe Méditerranée. Seit dem Rücktritt der schiitischen Hizbollah- und Amal-Minister aus seinem Kabinett im November vergangenen Jahres fordert die Opposition Neuwahlen. Mit einem Anfang Dezember errichteten Protestzeltlager am Fuße von Sinioras Regierungssitz, dem Grand Serail, will sie seinen Rücktritt erzwingen. Mit Fuad Siniora sprach in Beirut Markus Bickel.

Ein knappes halbes Jahr nach Kriegsende ist es in der vergangenen Woche an Libanons Südgrenze zu Israel zu einem Schusswechsel zwischen Soldaten beider Länder gekommen. Fürchten Sie einen zweiten Krieg?

Die wichtigste Lehre aus dem Krieg mit Israel im Juli und August vergangenen Jahres besteht darin, dass durch Gewalt kein Frieden erzielt werden kann. Israel kann nicht behaupten, dass der Krieg seine Sicherheit erhöht hätte. Das lässt sich nur durch den Aufbau guter Beziehungen zu seinen Nachbarn erreichen. Deshalb liegt es nicht zuletzt im israelischen Interesse, den arabisch-israelischen Konflikt zu lösen. Denn am Ende wird Israel in einem Meer von Arabern und Muslimen schwimmen müssen.

Wären Sie bereit, einen Friedensvertrag mit Israel zu unterzeichnen?

Wir haben immer klargestellt, dass wir dazu bereit sind, aber erst, wenn alle anderen arabischen Staaten diesen Schritt gemacht haben. Wir unterstützen die arabische Friedensinitiative von 2002. Und wir sind bereit, bis zum Abschluss von Friedensverhandlungen zum libanesischen-israelischen Waffenstillstandsabkommen von 1949 zurückzukehren. Allerdings erst dann, wenn die Israelis sich von den besetzten Schebaa-Farmen zurückgezogen haben.

Nicht nur die israelisch-libanesischen, auch die syrisch-libanesischen Beziehungen stecken zwei Jahre nach dem Mord an Hariri immer noch in einer tiefen Krise. Würden Sie nach Damaskus fahren, um mit Präsident Bashar al-Assad einen Ausweg zu finden?

Natürlich. Eine Agenda für solche Gespräche stand schon fest, doch dann hat sich die syrische Führung gegen ein Treffen entschieden. Ich habe nie gesagt, dass ich nicht fahren würde, im Gegenteil: Ich bin damit groß geworden, Syrien und die Syrer zu mögen. Ich glaube an starke Beziehungen zwischen Syrien und dem Libanon – zum Wohle beider Länder. Aber ich glaube auch, dass der Libanon nicht als Satellitenstaat, sondern als souveräner und unabhängiger Staat viel mehr zu seiner eigenen und zur Entwicklung Syriens beitragen kann.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat Präsident Assad im Dezember in Damaskus getroffen. War das den syrisch-libanesischen Beziehungen dienlich?

Es steht mir nicht zu, das Verhalten des deutschen Außenministers zu beurteilen. Ich habe großen Respekt vor ihm, wie vor der gesamten deutschen Regierung. Ihre Unterstützung bei der Überwachung unserer Gewässer, ihre technische Hilfe an den Grenzen, auf der Geberkonferenz in Paris und in vielen anderen Bereichen schätzen wir sehr.

Die Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Libanon-Schutztruppe Unifil verteidige das Existenzrecht Israels, stieß im Herbst bei Ihrem damaligen Koalitionspartner Hizbollah auf viel Kritik.

Ich denke, Frau Merkel hat die notwendigen Klarstellungen gemacht. Ich kann nur wiederholen, dass die Rolle, die Deutsch­land für den Libanon einnimmt, für uns und für den Frieden im ganzen Nahen Osten von unschätzbarem Wert ist.

Seit zweieinhalb Monaten steht das Protestcamp der Opposition nun schon vor Ihrem Regierungssitz. Es ist kein Geheimnis, dass in den Zelten auch Waffen gelagert sind. Haben Sie Angst vor einem Sturm auf den Grand Serail?

Ich bin ein Libanese wie alle anderen Libanesen auch. Ich glaube an Gott, ich glaube an mein Schicksal. Deshalb habe ich auch keine Angst. Ich bin hingegen fest davon überzeugt, dass wir zurückkehren müssen an den Verhandlungstisch und nicht damit fortfahren dürfen, unsere demokratischen Institutionen lahm zu legen. Alle gemeinsam müssen wir uns für nationale Versöhnung einsetzen. Dazu bin ich bereit, jedem meine Hand zu reichen.

Auch dem Generalsekretär der Hiz­bollah, Hassan Nasrallah?

Selbstverständlich.

Bei einem Treffen müssten Sie mit ihm auch über die Entwaffnung der Hizbollah sprechen.

Wir haben schon vor langer Zeit festgestellt, dass diese Angelegenheit nur über den Weg eines innerlibanesischen Dialogs geklärt werden kann. Ausgangs­punkt ist die Überzeugung, dass es keine andere außer der staatlichen Autorität geben darf.

Die Hizbollah stellt das infrage.

Nur solange noch libanesisches Territorium von Israel besetzt ist. Das hat sie uns während des Nationalen Dialogs im vergangenen Frühjahr versichert. Auch ich werde von der Hizbollah nicht verlangen, ihre Waffen abzugeben, bevor nicht die letzten Flächen Land befreit sind, die heute noch unter israelischer Okkupation stehen. Deshalb setze ich mich auch mit aller Kraft für einen Rückzug der Israelis von den Schebaa-Farmen ein.

Die Opposition um Hassan Nasrallah und den Vorsitzenden der Freien Patriotischen Bewegung (FPM), General Michel Aoun, fordert Ihren Rücktritt und Neuwahlen. Wären Sie bereit, sich solchen zu stellen?

Es kann doch nicht sein, dass etablierte demokratische Prozesse bei jeder Gelegenheit geändert werden, nur weil manche Leute mit dem Ausgang der letzten Wahlen unzufrieden waren. Diese Regierung hat das Vertrauen einer Mehrheit des Parlaments. Noch vor zwei Monaten war diese Regierung auch in den Augen der Hizbollah eine Regierung des Widerstands. Jetzt diffamiert man uns plötzlich als Regierung des US-Botschafters. Ich stelle nicht das Recht zu demonstrieren infrage, das demokratische Recht, seine Meinung kundzutun. Aber es ist unzulässig, den Sturz einer Regierung zu fordern, die die Mehrheit des Parlaments hinter sich hat. Die Opposition weiß genau, dass die Mehrheit der Libanesen nicht hinter ihr steht.

Warum wehren Sie sich gegen die Forderung der Opposition nach einer Sperrminorität in Ihrem Kabinett?

Weil es ihr letztlich nur um die Blockade des internationalen Tribunals zur Aufklärung des Attentats auf Rafiq Hairi und die anderen politischen Morde geht. Bis zum Rücktritt der schiitischen Minister hat dieses Kabinett mehr als 2 800 Entscheidungen einstimmig verabschiedet. Nur als das Tribunal zur Abstimmung stand, im November 2005 und zuletzt im Dezember, konnte kein Konsens erzielt werden. Das ist das Problem. Wenn wir der Forderung nach einem Drittel der Minister plus einem zustimmen würden, könnte die Opposition die Regierung paralysieren und durch ihren Rücktritt ganz zu Fall bringen.

Bei den Zusammenstößen von Regierungs- und Oppositionsanhängern im Januar waren die Beamten der Internen Sicherheitskräfte (ISF) fast überhaupt nicht präsent. Die Opposition bezeichnet diese Truppe als sunnitisch dominierte Regierungsmiliz.

Es ist nicht redlich, solche Vorwürfe zu erheben. Das dient allein der Politisierung. Die Mitglieder der Internen Sicherheitskräfte kommen aus allen Ecken des Landes. Muslime, Sunniten, Schiiten wie Drusen sind dort in gleichem Maße repräsentiert wie Christen. Die Vorwürfe der Regierungsgegner zielen lediglich darauf, Paranoia unter der Bevölkerung zu verbreiten.