Starkes Wir-Gefühl

Welche Folgen werden die Razzien für die Proteste in Heiligendamm haben? daniel steinmaier hat nachgefragt

Wütende Spontandemonstrationen in Hamburg und Berlin, in Amsterdam und Aschaffenburg, in London, Leverkusen und an vielen Orten mehr. Farbbeutelwürfe auf das deutsche Konsulat in Edinburgh und auf die Botschaft in Managua, das Konsulat in Salzburg wird aus Protest mit Schmet­terlingen verziert – auf dem linken Internetportal Indymedia sieht es derzeit aus, als stünde die Revolution unmittelbar bevor. Und das ausgerechnet dank der deutschen Bundesanwaltschaft.

»Die Durchsuchungen in der linken Szene haben das linksliberale Publikum an uns geschweißt«, meint Silvia Müller*, die sich in der »No-G 8-Grup­pe Kiel« engagiert. Ihrer Meinung nach ging die Polizeiaktion vom Mittwoch der vorigen Woche, bei der rund 40 Büros und Wohnungen durchsucht wur­den, »voll nach hinten los«. Denn bis ins bürgerliche Spek­trum hinein hätte man bemerkt, dass »das eine völlig überzogene Keule« gewesen sei. In der gesamten Bewegung gebe es »ein stärkeres Wir-Gefühl gegenüber dem gemeinsamen Feind«.

Dass sich die öffentliche Resonanz der Gipfelproteste nur der Bundesanwaltschaft verdankt, will sie jedoch nicht gelten lassen. Schließlich sei man bereits zuvor stark gewesen: »Die Bewegung hat das Potenzial zur sozialen Revolte. Der Staat schlägt zu, weil er nervös wird.« Daher sei es klar, dass Schäuble angesichts der spontanen Proteste gegen die Durchsuchungen durchdrehe und mit Vorbeugehaft drohe.

Auch bei Attac schöpft man politisches Selbstbewusstsein aus der Repression. Werner Rätz, der dem Koordinierungsrat von Attac angehört, meint, die Vorbereitungen der Gipfelgegner seien beachtlich gewesen. »Das war auch das Motiv für den Staatsschutz, sich die Bewegung genauer anzusehen.«

Andererseits werde nun »der Widerstand in vielen Medienberichten mit Terror und Gewalt in Verbindung gebracht«. Deshalb macht er sich Sorgen darüber, »dass der ganz normale IG-Metall-Jugendsekretär, der mit seinen Jugendlichen zum Gipfel fahren wollte, sich vielleicht überlegt, ob er das überhaupt verantworten kann«. Schließlich will Attac nicht nur überzeugte Linksradikale, sondern möglichst viele dazu bewegen, sich den Protesten anzuschließen. Deshalb müsse dafür gesorgt werden, dass diese »Kriminalisierungsstrategie« nicht aufgehe.

Dass sich sogar Attac mit den Opfern der Repres­sionen solidarisiert, findet Hanne Jobst* von der Berliner »Gipfelsoli-Infogruppe« bemerkenswert. Selbstverständlich sei das nämlich keineswegs. Dies zeige, dass die Strategie der Bundesanwaltschaft, »die Szene in radikale und bürgerliche Gruppen zu spalten«, fehlgeschlagen sei. Stattdessen würden »militante Gruppen durch die öffentliche Aufmerk­samkeit eher selbstbewusster«. Heiligendamm werde als »Testfeld für die Wirksamkeit militanter Aktionen« betrachtet. Darin wiederum dürfte sich Han­ne mit der Polizei einig sein. »Für militante Politik ist der Gipfel auf jeden Fall ein Schritt nach vorne.«

Keineswegs repräsentativ sei die »Militante Grup­pe«, die bei den Ermittlungen eine wichtige Rolle spielt. Diese Gruppe hat in den letzten Jahren schon mal Drohbriefe mit scharfer Munition an potenzielle Anschlagsopfer verschickt. Ob sie wirklich, wie die Welt titelte, »Exekutionen« plant, ist mehr als frag­lich. Bislang ist sie nicht durch Anschläge auf Menschen aufgefallen.

»Personenschäden werden in der Szene abgelehnt«, sagt jedenfalls Hanne Jobst. Politik und Medien versuchten aber, »einen Zusammenhang zwischen Linksradi­kalismus, Terrorismus und Islamismus herzustellen«, etwa wenn Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble islamistische Terroranschläge und Gipfelproteste in einem Satz erwähne.

Dass die Terrorhysterie Auswirkungen auf die inhaltliche Diskussion der Gipfelgegner haben könnte, glaubt Hanne nicht. Diskutiert werde ohnehin schon lange nicht mehr. »Vier Wochen vor dem Gipfel haben wir alle Hände voll zu tun mit organisatorischen Dingen.« Nur »antideutsche Gruppen«, die als letzte zum Widerstand gestoßen seien, hätten noch Zeit zu diskutieren, sagt Hanne beiläufig. »Die überlassen die Organisation anderen und tun so, als seien sie die einzigen, die sich mit Inhalten auseinandersetzen.« Dabei hätten diese Diskussionen bei den anderen Gipfelgegnern bereits vor einem Jahr stattgefunden.

Juliane vom »Leipziger Bündnis gegen G 8« hingegen findet nicht, dass bereits über alles diskutiert worden sei, und fürchtet, die politischen Inhalte könnten durch die Razzia noch weiter in den Hintergrund geraten. »In Leipzig gibt es gerade dauernd irgendwelche Spontandemonstrationen«, meint sie, und findet das »schon fast nervig«. Sie bezweifelt, dass »der momentane Aufschrei die Spannungen im Bündnis der G8-Gegner kittet«. Auch müsse sich erst zeigen, »ob die jetzt von vielen Seiten versicherte Solidarität aus dem moderaten NGO-Spektrum« Bestand haben werde. Und eine »prinzipielle Akzeptanz radikalerer Positionen und militanter Aktionen« werde es sicher nicht geben.

»Auch wenn sich viele jetzt extrem wichtig und gefährlich vorkommen, wird keine Revolution ausbrechen«, meint Lisa*. Sie wohnt im Kreuzberger Künstlerhaus Bethanien, das zu den durchsuchten Gebäuden gehört. Dennoch glaubt sie, dass sich die Razzien als hilfreich für die Proteste erweisen könnten, selbst wenn die Aktion selbst, wie Lisa während der Durchsuchung beobachtet hat, »planlos« und »ohne Hand und Fuß« gewesen sei: »Irrerweise hat die Polizei gar nicht das Büro des G8-Widerstands durchsucht, sondern das Büro der Antirassistischen Initiative.« Dort aber habe man die Computer beschlagnahmt und »damit die Flüchtlingsarbeit lahmgelegt, die mit dem Gipfel nichts zu tun hat«.

Besuch von der Polizei bekam auch Nils Havemann*. »Um 8 Uhr morgens traten Polizisten die Wohnungstür ein und stürmten mit gezückten Waffen unsere WG«, erzählt der 27 jährige Berliner. Aus dem Durchsuchungsbefehl habe er erfahren, dass er an einem Brandanschlag auf die Firma Dussmann beteiligt gewesen sein soll. Den Verdacht sehen die Ermittler damit begründet, dass sich Nils im Internet ausführlich über diese Firma informiert haben soll. Zudem engagiert er sich bei der Gruppe Fels, die sich unter anderem mit den Themen Migration und Rassismus beschäftigt. Diese Schlag­worte wiederum tauchten im Bekennerschreiben zum Dussmann-Anschlag auf – der Polizei schien das auszureichen, um gegen ihn wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung zu ermitteln.

»Nach dem martialischen Auftritt der Polizei ist die Durchsuchung selbst zum Glück in recht zivilisierter Weise erfolgt«, erzählt Nils, was durchaus von einer gewissen Gleichmütigkeit zeugt. Immerhin hielten sich die Beamten elf Stunden lang in seiner Wohung auf, um am Ende Computer, gebrannte CDs und sogar ein Bewerbungsschreiben mitzunehmen. Nils hatte sich bei Tchibo um einen Nebenjob beworben, was den Beamten offenbar verdächtig schien, schließlich wurde einer der im Zusammenhang mit den Razzien erwähnten Anschläge auf das Auto des Tchibo-Vorstandsvorsitzenden verübt. »Als ich abends um neun endlich aus dem LKA rauskam, wo man mir eine DNA-Probe abnahm, war die Nachricht von den großen Spontandemonstrationen natürlich sehr erfreulich«, erzählt Nils. Auch er findet, dass die Aktion der Bundesanwaltschaft »politisch ein klares Eigentor« gewesen sei. Schließlich gebe es »auch in der bürgerlichen Presse viel Kritik an Schäubles Bürgerrechts-Einschränkungen«.

Das gegen ihn ermittelt wird, nimmt Nils gelassen. Dass bei der Großrazzia kein einziger Haft­befehl vorlag, spreche dafür, dass die Bundesanwaltschaft ihrer eigenen Konstruktion keinen rechten Glauben schenke. So will er trotz Ermittlungen zusammen mit der Gruppe Fels nach Heiligendamm zum »Migrations-Aktionstag« fahren. Wenn Schäuble ihn nicht – vielleicht wegen einer Internetrecherche über Hei­ligendamm – vorsorglich in Vorbeugehaft nehmen lässt.

*Name von der Redaktion geändert