Leise treten schwer gemacht

EU-Russland-Gipfel

von richard herzinger

Es ist schon bemerkenswert: Die EU würde ja gegenüber Russland nur zu gerne leise treten, bloß um die Reste ihres Traums von der »strategischen Partnerschaft« zu retten. Aber Putin lässt sie nicht.

Alle Versuche, im Vorfeld des Gipfels, der am Freitag im südrussischen ­Samara stattfand, die Wogen der zunehmenden Konflikte zwischen der EU und Russland zu glätten, scheiterten an der herausfordernd schroffen Haltung des russischen Präsidenten. Und das, obwohl Außenminister Frank-Walter Steinmeier Anfang vergangener Woche extra nach Moskau reiste, um an die guten alten Zeiten anzuknüpfen, als die Duzfreunde Gerhard Schröder und Wladimir Putin noch Pläne für eine »Achse Paris-Berlin-Moskau« gegen die »unipolare Weltordnung« der USA schmiedeten. Alle devoten Gesten der deutschen Sozialdemokratie, die eilfertig Washington dafür verantwortlich mach­ten, dass Putin wegen des US-Raketenschildes in Europa mit einem neuen »Rüstungs­wettlauf« droht, konnten den Kremlherrn nicht erweichen. Und wie um Schröders berüchtigtes Dik­tum vom »lupenreinen Demokraten« vor aller Augen Lügen zu strafen, führte Putin der EU-Ratspräsidentin Angela Merkel und dem EU-Kommissionsvorsitzenden José Manuel Barroso sozusagen live und in Farbe vor, wie in seiner »gelenkten Demokratie« mit Regierungskritikern wie Garri Kasparow umgegangen wird.

Putin scheint es darauf anzulegen, die EU durch Druck und Drohungen einzuschüchtern und zu spalten. Polen und Tschechien bekamen wegen ihrer geplanten Beteiligung am US-Raketenabwehrsystem aus Moskau zu hören, Russland werde sie dafür mit seinen Mittelstreckenraketen »ins Visier nehmen«. Gegen­über Estland steigerte sich Putins Ein­schüch­te­rungspolitik bis zur unverhohlenen Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines EU-Staats. Weil die Esten in der Hauptstadt Tallinn ein sowjetisches Kriegerdenkmal aus dem Zentrum der Stadt entfernten, stachelte Moskau kremltreue Jugendliche zu Demonstrationen und Randale auf.

Lange Zeit fehlte es in Westeuropa an Verständnis dafür, welche Sprengkraft in der geschichtspolitischen Dimension des Verhältnisses zu Putins Russland steckt. Für die osteuropäischen und baltischen Staaten ist 1945 nicht nur ein Datum der Befreiung von der NS-Herrschaft, sondern auch der Beginn einer neuen Fremdherrschaft. Die baltischen Nationen wur­den nach 1945 gar der Sowjetunion einverleibt und »russifiziert«. Vor allem in Polen ist zudem nur allzu deutlich in Erinnerung, dass erst der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 den NS-Vernichtungskrieg und die polnische Teilung möglich gemacht hat. Heute, da Russland sich wieder als auftrumpfende Großmacht geriert und Putin die Glorifizierung der alten Sowjetunion betreibt, steigen die Ängste der neuen EU-Länder vor einer Wiederkehr der russischen Vorherrschaft.

Und tatsächlich versucht Putin durch seine aggressive Kraftmeierei Einfluss auf die ehemaligen sowjetischen Satellitenstaaten zurück zu gewinnen und sie zu Wohlverhalten gegen­über Moskau zu zwingen. Doch mittlerweile scheint der neue Autokrat im Kreml eindeutig überzogen zu haben, und den EU-Repräsentanten scheint langsam ein Licht aufzugehen, mit wem sie es zu tun haben. Merkel und Barroso fanden in Samara erstmals deutliche Worte der Kritik an Putins autoritärer Politik nach innen und an seinen Versuchen, die EU zu spalten sowie Europa und Amerika zu entzweien. Insbesondere auf die europäische Ener­giepolitik, die sich bisher zu blau­äugig auf den guten Willen des Gaslieferanten Russland verlassen hat, wird dies ohne Zweifel Auswirkungen haben.

Der Autor arbeitet als Redakteur bei der Welt am Sonntag