Maskottchen schreddern!

1977 gehasst, 2007 geschätzt: In Münster hat man sich mit der Ausstellung »Skulptur Projekte« arrangiert. von jens kastner

Die überdimensionalen Billard­kugeln sind frisch gestrichen. Sie stehen seit 1977 am Ufer des ­Aasees. Damals fand zum ersten Mal eine Skulpturen-Schau unter Beteiligung international renommierter Künstler in Münster statt. Aufgebrachte Einwohner hätten die klobigen Bälle vor 30 Jahren am liebsten im See versenkt. Mittlerweile gehört das Werk von Claes Oldenburg nicht nur zu den 39 Skulpturen im öffentlichen Raum, die von den bisherigen Ausstellungen übriggeblieben sind, sondern es zählt auch zu den Wahrzeichen der Stadt.

Im Juni wurden zum vierten Mal die nur alle zehn Jahre stattfindenden »Skulptur Projekte« eröffnet. Der Ministerpräsident war eigens angereist, die Buchhandlung Walther König betreibt für die Ausstellungszeit eine zweite Filiale, gut ausgestattet auch mit Literatur zu Graffiti und Street Art, und selbst der Sonderzug aus Kassel brachte die Kunstpresse pünktlich von der Documenta ins Münsterland. Allein der ortsübliche Regen passte nicht ganz in das feier­liche Bild.

Die Bedingungen in der Stadt sind ansonsten allerdings entscheidend. Anders als bei anderen Großausstellungen dieser Art entwickeln alle beteiligten Künstlerinnen und Künstler ihre Projekte und Werke direkt in und für Münster. Nicht wenige Kunstgegenstände haben es im Laufe der Zeit wie Oldenburgs Kugeln vom Hass­objekt zum geschätzten Bestandteil des Stadtmarketings gebracht.

Die Kunst als lokaler »Standortfaktor«: Andreas Siekmann, eine(r) der 34 in diesem Jahr eingeladenen Künstlerinnen und Künstler, hat verschiedene Maskottchen von Städten angekauft, geschreddert und die Überreste der bunten Werbetiere zu einer großen Kugel verklebt. Das kann als Anspielung auf Oldenburg betrachtet werden, entwickelt aber vor der barocken Kulisse des Erbdrostenhofes in der Münsteraner Fuß­gängerzone auch eine ganz eigene Anschau­lich­keit. Daneben steht die Zerkleinerungsmaschine, und eine ganze Reihe von Piktogrammen bebildert die Privatisierung des städtischen Raumes und noch einige andere, nicht offensichtliche, gesellschaftliche Zusammenhänge.

Auch Martha Rosler gelingt es, politische Inhalte ästhetisch überzeugend darzustellen. Als eine Art wörtlich zu nehmendes Memory-Spiel hat sie einzelne Elemente aus der Stadtarchitektur verdoppelt und an anderem Ort neu aufgestellt: zum Beispiel, am Gebäude des ehemaligen Lufttransportkommandos der Wehrmacht, das Relief eines Adlers, dem nach dem Krieg das Hakenkreuz unter den Krallen weg­gemeißelt wurde, damit das Lufttransportkommando der Bundeswehr das Gebäude übernehmen konnte.

Mit und an der Erinnerung arbeitet auch Silke Wagner. Sie hat ein Standbild des 1999 verstorbenen, stadtbekannten Anarchisten Paul Wulf aufgestellt. Der Antifaschist hatte Zeit seines Lebens um Entschädigung für die im Nationalsozialismus an ihm vorgenommene Zwangssterilisierung gekämpft. Neben seiner Geschichte werden bis Ende September auch andere Archivmaterialien den Mantel der Statue zieren, die nun zwischen der Filiale eines Warenhauses und der Stadtverwaltung steht. Zu Wagners Arbeit gehört auch die Digitalisierung eines großen Archivs der sozialen Bewegung, dessen Sammelstücke und Inhalte erstmals über die Szene hinaus einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Neben den genannten Beispielen gehören die künstlerischen Arbeiten mit explizit politischen Inhalten oder sozialen Ansprüchen aber keinesfalls zu den besten der »Skulptur Projekte«. Gustav Metzger beispielsweise lässt für die Zeit der Ausstellung sowohl in Münster als auch in Coventry einmal am Tag einige Steine verschieben, um damit an die Bombardierung beider Städte im Zweiten Weltkrieg zu erinnern. Nicht nur, dass damit der rechte Normalisierungsdiskurs bedient wird. Die Aktion trägt auch noch den Titel »Aequivalenz«, stellt also die Bombenangriffe auf eine Stufe.

Nicht ganz so schlimm ist die »Beautiful City« von Maria Pask. Die niederländische Künstlerin hat im Schlosspark ein kleines Zeltdorf auf­gebaut. Im Hauptzelt wird einmal die Woche über Spiritualität geredet, geladen sind Angehörige verschiedener Glaubensrichtungen. Ein Buddhist wird ebenso erwartet wie »Hexen aus Dortmund«. Irgendwie soll damit das esoterische Abdriften der 68er zur Sprache kommen. Mit solcher Folklore wird es aber wohl vor allem verdoppelt.

Dupliziert wurde auch an einem anderen Ort. Dominique Gonzalez-Foerster hat eine nicht näher erläuterte Auswahl von Skulpturen der vergangenen 30 Jahre im Maßstab eins zu vier reproduziert und auf einer Wiese nahe den Kugeln von Oldenburg versammelt. Früher nannte man so etwas »Minidom«. Es gab auch Miniaturen, die am Rand von Minigolfplätzen standen und um die eine Bimmelbahn herumfuhr. Nur durften die Kinder nicht auf den kleinen Kopien wichtiger Bauwerke herumturnen, wie sie es auf den Nachbauten der französischen Künstlerin tun.

So kommt also selbst bei namhaften Größen der internationalen Kunstszene das Gefühl auf, die Betrachter würden mit lauen Gimmicks abgefertigt. Das gilt auch für den als »Shooting Star« gehandelten Tue Greenfort. Er pumpt mit einem Güllewagen Wasser aus dem verdreckten See und spritzt es, angeblich versetzt mit einer säubernden Eisen-Chloridlösung, wieder hinein. Der Sprühwagen glänzt sauber, der Wasserstrahl macht einen ansehnlichen Bogen. Die künstlerische Intention ist dabei reichlich plump: Man möge daran denken, dass der See verdreckt ist.

Gelungenes gibt es aber auch: Manfred Pernice hat einen kruden Pavillon aus verschiedenen Materialien am Rande einer nutzlosen Grünfläche aufgebaut. Hier steht das Werk in Blickweite der ersten Skulptur, die die Stadt 1975 für den öffent­lichen Raum ankaufte. Weil sich an dieser Plastik von George Rickey die Gemüter erhitzten, wurde die erste Ausstellung 1977 ins Leben gerufen. So baut Pernice zwischen Material und Stadtgeschichte eine Spannung auf, wie sie von guter Kunst zu erwarten ist.

Auch die Geschichte der Ausstellung wird auf diese Weise reflektiert. Denn Rickeys Stange mit drei sich bewegenden Quadraten war noch eine klassische drop sculpture: Sozusagen fallen gelassen in der Stadt, blieben Plastiken wie diese doch ohne Bezug zu ihrer Umgebung. Seitdem ist viel passiert, und was genau, das lässt sich in Münster in diesen Wochen hervorragend in Erfahrung bringen. Auch die Kuratoren waren 1977 noch in anderer Mission unterwegs als heute. In einer didaktischen nämlich, bei der es darum ging, der Bevölkerung die Kunst nahe zu bringen. Das ist inzwischen nicht mehr nötig. Das Unverständnis mag im Einzelnen noch unermesslich sein, aber die allgemeine Akzeptanz ist merklich gewachsen. So zeigen die von Münster ausgegangenen Debatten um die site specifity, also die Ortsgebundenheit von Skulpturen, und die Kunst im öffentlichen Raum ihre Wirkung. Von wenigen geführt, wirken diese Diskussionen doch auf viele. Pierre Bourdieu würde diesen Effekt »kollektives symbolisches Kapital« nennen. Denn dass die Kunst gut für die Stadt ist, haben inzwischen auch diejenigen eingesehen, die vor zeitgenössischen Skulpturen stehen und denken: »Das kann ich auch.« Oldenburgs Kugeln bleiben also auf der Wiese.

»Skulptur Projekte« in Münster 2007. Bis 30. September. Katalog im Verlag der Buchhandlung Walther König, 556 S., 28 Euro