Versöhnung des Unversöhnlichen

Die großen Parteien Kroatiens gleichen einander immer mehr. Sie folgen damit der Strategie der »Versöhnung« von Staatsgründer Franjo Tudjman.
von marinko culic, zagreb

Bei den bevorstehenden Parlamentswahlen in Kroatien stehen 3 585 Kandidaten auf 249 Listen zur Wahl. Doch gibt es, wie in vielen demokratischen Ländern, nur zwei relevante Parteien. Eine davon ist die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ), die sich in den vergangenen vier Jahren in der Regierung demokratisiert hat und die man am treffendsten als »Partei der reformierten Nationalisten« bezeichnen könnte. Ihren Hauptkonkurrenten, die Sozialdemokratische Partei (SDP), könnte man analog dazu »Partei der reformierten Internationalisten« nennen.

Die SDP ist die Nachfolgerin der Kommunistischen Partei Kroatiens, die vor dem Zerfall von Titos sozialistischer Föderation zur Kommunis­tischen Partei Jugoslawiens gehörte. Selbstverständlich ist seitdem viel geschehen, und die SDP hat sich bis zur Unkenntlichkeit verwandelt – viel mehr, als es die HDZ nach dem Tod des Staatsgründers und Parteivorsitzenden Franjo Tudjman 1999 getan hat. Aus Angst vor ihrer eigenen kommunistischen Vergangenheit hat die SDP im Laufe der neunziger Jahre so sehr darauf bestanden, eine richtige kroatische Partei zu sein, dass sie jahrelang nicht mal in die Nähe der Sozialistischen Internationale gekommen ist und sich übermäßig nationalistisch gab.

Das hat sich ausgezahlt. Während die SDP Anfang der neunziger Jahre keine Rolle spielte, stellte sie von 2000 bis 2003 die Regierung und glaubt nun, bei den bevorstehenden Wahlen diesen Erfolg noch einmal wiederholen zu können. Dabei verläuft die ideologische Umgestaltung der Partei spiegelbildlich zur Umgestaltung der HDZ. Die SDP hat sich von links, die HDZ von rechts dem Zentrum angenähert, so dass heute eine der anderen Partei ähnelt.

Wenn Parteien rechts von der HDZ von »siamesischen Zwillingen« sprechen, drückt sich darin allerdings nur die Enttäuschung aus, dass die HDZ vom Weg Tudjmans abgewichen ist und nur noch einen halben Schritt vom Vaterlandsverrat entfernt sei. Um diesem Vorwurf zu entgehen, bemüht sich die HDZ weiterhin, als wachsamste Beschützerin der Kriegsveteranen und Invaliden, werdender Mütter, der Kroaten in Bosnien und Herzegowina und insbesondere der katholischen Kirche zu erscheinen. Doch seit ein paar Monaten wird in allen großen kirchlichen Zeitungen wie etwa Glas Koncila starke Kritik an der HDZ-Regierung laut. Diese sei zu nachsichtig gegenüber Abtreibungen, weiche dem Verbot, sonntags zu arbeiten, aus und gebe dem Haager Tribunal für Kriegsverbrechen nach. Zwar ist es schwer vorstellbar, dass sich die katholische Kirche von der HDZ abwendet, aber diese Spannungen machen deutlich, dass der Widerstand gegen eine Demokratisierung der HDZ außerhalb der Partei größer ist als in ihr.

Zwar ist der Trend zu Parteien, die sich gleichen wie ein Ei dem anderen, nach dem Wegfall der großen Ideologien auch in anderen Ländern nicht neu. Doch so gering der Unterschied zwischen den Parteien in Kroatien ist, so groß ist er zwischen den Wählern. Untersuchungen der Zagreber Fakultät für Politikwissenschaft zeigen, dass der größte Teil der SDP-Wähler aus Familien stammt, die Titos Partisanen unterstützt haben, während die Wähler der HDZ mehrheitlich aus Familien kommen, die am Quislingregime Ante Pavelics und an dessen Ustascha-Bewegung beteiligt waren.

Tudjman wollte diese politische Dichotomie der kroatischen Gesellschaft aufheben. Bevor er in den sechziger Jahren nationalistischer Dissident wurde, war er jugoslawischer General. Diese so genannte zweistöckige Biografie wollte er auch in den kroatischen Staat implementieren, den er 1990 gründete. Sein Lebensziel war es, die Partisanen mit den Ustascha-Anhängern zu »versöhnen« .

Einer der markanten Orte, wo an dieser »Versöhnung« noch heute gearbeitet wird, ist das österreichische Bleiburg. Partisanen ermordeten dort, Ende des Zweiten Weltkriegs, flüchtende Ustascha-Mitglieder und kroatische Zivilisten. Einerseits ist Bleiburg zum rituellen Wallfahrtsort für die Ustascha-Sympathisanten geworden, andererseits unterstützen, neben der katholischen Kirche, auch die HDZ und die SDP die jährliche und immer größer werdende Gedenkveranstaltung. Auf diese Weise wird der faschistische Staat rehabilitiert und das Gedenken an die ermordeten faschistischen Täter auf eine Stufe mit dem Gedenken an die Opfer des KZ Jasenovac gestellt.

In der von Tudjman erlassenen Verfassung ist der antifaschistische Kampf der kroatischen Partisanen als Grundlage des kroatischen Staats ver­ankert. Oberflächlich betrachtet könnte man mei­nen, dies sei unbedeutend, doch es ist Teil der Versöhnungsstrategie. In der Tat war die jugoslawische Partisanenbewegung in Kroatien am stärksten, auch wenn man ehrlicherweise zugeben sollte, dass insbesondere bei der Entstehung der Partisanenbewegung die kroatischen Serben eine große Rolle spielten. Nach dem Tod Tudjmans diente diese verfassungsmäßige Bestimmung als Behelf, um ans andere politische Ufer zu gelangen. Tudjmans Nachfolger, der derzeitige Premierminister Ivo Sanader, deklarierte die HDZ als anti­faschistisch, womit der Faschismus amtlich über Bord geworfen wurde. Seitdem stellt dieser eine Art unerwünschte, aber tolerierte Subkultur dar.

In diesem Kontext geht nun auch die SDP wieder mit der Bezeichnung »antifaschistisch« hausieren, wobei sie gleichzeitig Verständnis für jene Angehörigen der Ustascha bekundet, die »verführt« oder »gezwungen« worden seien, in der Bewegung mitzukämpfen.

Auch der Skandal um Präsident Stipe Mesic vom Dezember vorigen Jahres ist in diesem Kontext zu sehen. Mesic, der den Ruf genießt, der größte Antifaschist unter den kroatischen Politikern zu sein, trat 1994 aus der HDZ aus, als die Partei von Ustascha-Sympathisanten überschwemmt wurde. Vor einigen Monaten wurde bekannt, dass auch er, Anfang der neunziger Jahre, wohlwollende Worte für die Ustascha gefunden hatte. Die Erklärung dafür ist, dass die kroatische Propaganda während des Krieges 1991 bis 1995 den Feind als »serbischen Faschismus« beschrieb. Wenn also die Serben Faschisten sind, dann sind die Kroaten Antifaschisten. So sind auch für den derzeitigen antifaschistischen Präsidenten die kroatischen Faschisten Teil des kroatischen Antifaschismus. Auch das folgt der Logik Tudjmans, der dem Krieg von 1991 bis 1995 den Namen »Vaterländischer Krieg« gab, eine eindeutige Anleihe an sowjetische und jugoslawische Bezeichnungen des Kampfes gegen den Faschismus. Der kroatisch-serbische Krieg wird als »antifaschistisch« deklariert, auch wenn er direkt von der Idee Ante Pavelics inspiriert war, die »serbische Frage« mit der Vernichtung und Vertreibung von mehreren hunderttausend Serben aus Kroatien zu »lösen«.

Wegen der Verbrechen an kroatischen Serben stehen einige kroatische Generäle in Den Haag vor Gericht. Damit ist ein großer Teil der Kroaten unzufrieden, auch Anhänger der SDP. Denn in ihren Augen sind diese Generäle »antifaschistische« Befreier. Die gleiche Umkehrung hat auch in Serbien stattgefunden, wo sich heute auch die Nachfolger der Tschetniks als »Antifaschisten« bezeichnen. So haben wir die paradoxe Situation, dass sich der Krieg von 1991 bis 1995 als Zusammenstoß kroatischer und serbischer »Antifaschisten« darstellt. So verrückt das ist: Für Kroatien ist derzeit keine bessere Situation vorstellbar. Denn eine eindeutige Bezugnahme auf eine faschistische, revanchistische Politik würde sehr vielen HDZ-Wählern Gefallen finden.

Marinko Culic ist Redakteur der linken Wochenzeitung »Feral Tribune«.