Kruzifix statt Tito

Der päpstliche Nuntius in Zagreb hat die übereifrigen kroatischen Priester aufgefordert, sich nicht weiter in den Wahlkampf einzumischen. Hochrangige Vertreter der katholischen Kirche, deren Bischöfe zu den glühendsten Kriegsverteidigern und Ustascha-Sympathisanten gehören, werfen den Politikern vor, »ethische« Werte zu vernachlässigen, und halten die Abschaffung des Religionsunterrichts für »teuflisch«. von viktor ivancic

Vielleicht ist es gut, dass immer mehr Schüler in Kroatien den Religionsunterricht in der Schule besuchen. Es könnte eine echte Chance sein, dass sie sich frühzeitig dem Katholizismus entfremden. Denn die Erfahrung hat uns gelehrt, dass staatliche Ideologien immer dann gefährdet sind, wenn überzeugte Anhänger beginnen, nur noch Verachtung für sie übrig zu haben. Der äußere Schein und die Megalomanie der Unfehlbarkeit zeigen dann erste Symptome von innerer Zersetzung. Mit etwas Glück wird nach dieser Theorie dem Katholizismus dasselbe Schicksal widerfahren wie einst dem staatlichen Sozialismus.

Don Zivko Kustic, katholischer Geistlicher und Publizist, hat mit einer kürzlich gemachten Beobachtung dieses Schicksal sehr gut und einfach beschrieben: Immer mehr Schüler kämen in den Religionsunterricht, immer weniger Leute über 18 Jahre kämen in die Kirche. Die Initiative der katholischen Kirche, die Sonntagsarbeit zu verbieten, ist nichts anderes als ein Versuch, die Diskussion um den freiwilligen oder verpflichtenden schulischen Religionsunterricht und die damit verbundene Hoffnung auf wachsende Besucherzahlen in den Kirchen auf den volljährigen Teil der Bevölkerung auszudehnen. Nur hat Don Kustic den Grund der mangelnden Gottesdienstbesuche nicht verstanden. Es sind dieselben Religionsschüler, die sich, wenn sie erwachsen werden, an die mentale Tortur erinnern, der sie in der Schule ausgesetzt waren, und, statt in die Kirche zu gehen, lieber in den nächstgelegenen Supermarkt flüchten, um dort den heiligen Waren zu huldigen.

Doch hat die katholische Kirche hierzulande noch nicht begriffen, dass sie mit der Einführung des »freiwilligen« Religionsunterrichts in Kindergärten – wo sich dank der guten Organisation annähernd 100 Prozent des vorschulischen Lebens abspielen – frühzeitig die Träger ihrer eigenen Zerstörung erziehen.

Vor einigen Wochen löste die Weigerung der Richterin Amara Trgo aus Split, weiter unter dem Kruzifix an der Wand des Gerichts zu urteilen, einen großen Skandal aus. Jedoch fragte sich niemand, was eigentlich Kruzifixe in staatlichen Institutionen zu suchen haben. Ende Oktober kam es dann zu einer ähnlichen Geschichte. Wieder war es in einer staatlichen Institution, nur dass die Akteure dieses Mal Minderjährige waren. Ein Teil der Schüler der dritten Klasse des Gymnasiums in Karlovac wollte lieber eine zeitgemäßere Ethik als die des Kreuzes erlernen und entfernte das Kreuz aus dem Klassenzimmer und kirchliche Werbeplakate aus dem Schulflur. Doch fand diese Aktion nicht den Beifall der Mehrheit der Schüler. Die christlichen Symbole wurden von Mitschülern sofort wieder aufgehängt. Der Direktor der Schule, Damir Mandic, versuchte zu vermitteln: »Wir könnten auch ein gesondertes Klassenzimmer für den Religionsunterricht einrichten. Aber es gibt keinen Grund für eine solche Ghettoisierung.«

Die Angst vor der »Ghettoisierung« der Mehrheit verwundert. Immerhin hatten sich über 90 Prozent der Schüler dieses Gymnasiums freiwillig für den Religionsunterricht angemeldet. Es geht dem Direktor in dieser Angelegenheit also nur um eins: Wir können über alles reden, aber das Kruzifix bleibt in den Klassenzimmern.

Mit ein wenig Glück wird die Zukunft zeigen, dass diese Haltung korrekt ist. Denn das Kruzifix, dass in allen staatlichen Institutionen Kroatiens anstelle der Fotografie des sozialistischen, jugoslawischen Staatsgründers Josip Broz Tito aufgehängt wurde, könnte die kollektive Scheinheiligkeit entblößen, die von der gesetzlichen Trennung von Staat und Kirche nichts wissen will.

Der Fall des Gymnasiums in Karlovac hat in der kroatischen Öffentlichkeit für einiges Aufsehen gesorgt, weil sich hier zum ersten Mal ein größerer Widerstand gegen das Kruzifix in staatlichen Institutionen zeigte und damit den gesellschaftlichen Konflikt zwischen konfessioneller und individueller Freiheit zur Sprache brachte. Das Klassenzimmer wurde auf diese Weise zum Auslöser der Diskussion um die staatliche Unterstützung des Katholizismus.

Bereits Mitte Oktober hatte Marija Lugaric, Parlamentsabgeordnete der Sozialdemokratischen Partei, einen Skandal ausgelöst, als sie ankündigte, sie werde, falls ihre Partei die Regierung übernimmt, für die Abschaffung des schulischen Religionsunterrichts eintreten. Ihr Parteichef Zoran Milanovic versuchte, die erregten katholischen Gemüter zu beruhigen: Seine Partei ehre jedermanns Recht auf freie Religionsaus­übung, doch sei sie in erster Linie dem Gesetz verpflichtet.

Milanovic hat besser als Don Kustic verstanden, was er langfristig erreicht, wenn er sich auf die laizistische Verfassung beruft. Möglicherweise hat er begriffen, dass die Kinder von heute die Glaubensinhalte ebenso konsumieren wie er seinerzeit die Theorie und Praxis des staatlichen Sozialismus. Aber über diese Einsicht schweigt er, damit die Geistlichen nicht daran erinnert würden, welches Schicksal eine erzwungene Staatsideologie nehmen kann. Denn, wenn sie sich daran erinnerte, könnten sie auf folgende Erkenntnis stoßen: Der schulische Religionsunterricht muss abgeschafft werden, um den Katholizismus zu retten.

Viktor Ivancic ist Gründer und verantwortlicher Redakteur der Wochenzeitung »Feral Tribune«, wo der hier leicht gekürzte Text zuerst erschien.