Der vierte Mann

In der vorigen Woche wurde in der Türkei ein viertes mutmaßliches Mitglied der islamistischen Terrorgruppe verhaftet, die verheerende Bombenanschläge in Deutschland geplant haben soll. Von Pascal Beucker

Bisher konnten sie im Gefängnis nur Skat, demnächst geht dann auch Schafkopf: Im anatolischen Konya wurde in der vergangenen Woche ein mutmaßliches viertes Mitglied jener islamistischen Terrorgruppe verhaftet, die nach Überzeugung der Ermittlungsbehörden in der Bundesrepublik Bombenanschläge von bisher in Eu­ropa nicht erlebten Ausmaßen verüben wollte. Zwei Monate nach der Festnahme von Fritz Martin G., Daniel Martin S. und Adem Y. im sauerländischen Medebach-Ober­schledorn hat es nun Attila S. erwischt.

Dem 22jährigen deutschen Staatsbürger »fiel im Gefüge der Vereinigung die Aufgabe zu, die Zünder für die Sprengvorrichtungen zu beschaffen«, heißt es in einer Erklärung der Bundesanwalt­schaft. Allerdings dürfte es in seinem Fall nicht so leicht sein, eine konkrete Beteiligung an den Planungen für den Anschlag nachzuweisen. Denn im Gegensatz zu den anderen wurde er nicht in flagranti erwischt. Bereits seit Februar hielt er sich in der Türkei auf. Im Juni meldete sich Attila S. dort amtlich an und heiratete eine junge Türkin. Er habe ein neues Leben beginnen wollen, erzählte er dem Spiegel.

In seinem alten Leben hatte der in Ulm in einer streng religiösen Familie aufgewachsene Attila S. indes engen Kontakt mit Fritz G., dem mutmaßlichen Kopf der Gruppe. Beide gehörten zu den Stammgästen des Neu-Ulmer »Multikulturhauses«. Mit G. wurde Attila S., der nach einer Lehre als Autolackierer Gebrauchtwagen verkaufte, im Dezember 2004 von der Polizei aufgegriffen. Die beiden jungen Männer hatten nachts ein Buch verbrannt, wenig später fanden die Beamten in dem Auto der beiden islamistisches Propagandamaterial. Und beide brachen zur Hadsch nach Saudi-Arabien auf und diskutierten in Mekka über den wahren Glauben. Als S. von dort zurückkehrte, wurde er Anfang 2005 am Flughafen verhaftet. 13 Tage musste er unter dem Vorwurf der Volksverhetzung im Stadelheimer Gefängnis verbringen. Das Verfahren wurde später eingestellt. Im Sommer 2005 reiste G. nach Damaskus, kurz darauf folgte S. Die Ermittler sind davon überzeugt, dass sie später heimlich von Syrien nach Pakistan weiterreisten.

Am Silvesterabend 2006 machten Attila S. und Fritz G. mit einem Dritten einen Abstecher zur US-Militärbasis Hutier in Hanau. Im Observa­tions­protokoll heißt es, sie hätten »mehrfach, dabei unter anderem auch im Schritttempo, das dortige Gelände der US-Armee« umfahren. Dabei interessierten sie sich »insbesondere für die Zu- und Abfahrtsmöglichkeiten«. Wollten sie das Objekt ausspähen? Die Männer behaupten, sie hätten nur sehen wollen, »wie die Amerikaner Silvester feiern«.

Zu Fritz G. will Attila S. seit Frühjahr dieses Jahres keinen Kontakt mehr gehabt haben. Die anderen beiden Festgenommenen kenne er »überhaupt nicht«. Die Vorwürfe bestreitet er vehement. »Er hat damit nichts zu tun«, sagte sein Anwalt Manfred Gnjidic, der auch den im Jahr 2003 von der CIA entführten Deutsch-Libanesen Khaled el-Masri vertritt.

Welche Verbindungen die mutmaßlichen home grown terrorists zur ominösen »Islamischen Jihad-Union« (IJU) unterhielten, ist unklar. Für die Bundesanwaltschaft ist Attila S. »dringend verdächtig, sich seit Ende 2006 an der inländischen terroristischen Vereinigung beteiligt zu haben, der auch die seit 4. September 2007 inhaftierten Fritz Martin G., Adem Y. und Daniel Martin S. angehörten«. Einzig in dem Zusammenhang, dass alle vier »im Jahr 2006 in einem Trainingslager der IJU in Pakistan eine Ausbildung durchlaufen« haben sollen, taucht die mysteriöse usbekische Terror­organisation in der Erklärung der Bundesanwaltschaft noch auf.

Denn mittlerweile gibt es Zweifel daran, dass die IJU tatsächlich hinter den vereitelten Anschlägen steckt. Dabei schien sich zunächst dieser Verdacht zu erhärten, als eine Woche nach den Verhaftungen in Medebach in einem türkischsprachigen islamistischen Forum im Internet eine »Pressemitteilung« erschien, in der ein »Politbüro« der IJU sich zu den vereitelten Anschlägen in Deutschland bekannte. Das Bundes­innenministerium erklärte umgehend, das Kommuniqué füge »sich in die bisherige Erkenntnislage der Strafverfolgungsbehörden ein«, man gehe von seiner Authentizität aus. Das könnte jedoch etwas vorschnell gewesen sein. So weist der baden-württembergische Verfassungsschützer Benno Köpfer darauf hin, dass das elektronische »Bekennerschreiben« ausschließlich Informationen enthält, die vorher schon allgemein zugänglich gewesen seien. Es gebe viele Indizien, dass es sich bei dieser Erklärung um das Werk von Trittbrettfahrern handelt.

Ohnehin hat der Leiter der Forschungsgruppe für islamistischen Terrorismus beim baden-württembergischen Verfassungsschutz »erhebliche Zweifel«, dass die IJU überhaupt existiert, da es von ihr nur einige wenige Lebenszeichen im Internet gebe. »Die Islamische Jihad-Union, so wie sie sich uns darstellt, ist erst mal eine Erfindung im Internet und hat nur eine Präsenz im Internet«, sagte Köpfer dem ARD-Politmagazin Monitor. In derselben Sendung sagte Craig Murray, der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, die IJU sei »höchstwahrscheinlich von den usbekischen Geheimdiensten erschaffen« worden. Die ersten vermeintlich von der IJU verübten Anschläge, die sich im Jahr 2004 unter anderem gegen die israelische und die US-Botschaft in Usbekistan richteten, seien ein Werk der Sicherheitsbehörden des diktatorisch regierten Landes gewesen, um die islamistische Bewegung zu diskreditieren.

Das US-State-Department beschreibt die IJU hingegen als Abspaltung der »Islamischen Bewegung Usbekistans«. Das Bundeskriminalamt und die Bundesanwaltschaft haben sich dieser Auffassung angeschlossen. Demnach handelt es sich bei der IJU um eine vorwiegend in Zentralasien aktive sunnitische Gruppierung, die zunächst regionale Ziele in Usbekistan – wie etwa den Sturz des dortigen Präsidenten – verfolgte, inzwischen jedoch ihren Wirkungskreis »im Sinne des globalen Jihad ausgeweitet« hat. »Diese Ausweitung der Aktivitäten dürfte nach dem bisherigen Erkenntnisstand unter dem Einfluss von al-Qaida erfolgt sein«, meint die Bundesanwaltschaft. Die USA haben die IJU im Mai 2005 auf ihre Liste der terroristischen Vereinigungen gesetzt. Und es war auch der US-Geheimdienst, der Ende 2006 deutsche Sicherheitsbehörden vor Rückkehrern aus Terrorlagern der IJU warnte.

So sollen Fritz G. und Daniel S. mit mindestens einem IJU-Kader per E-Mail in Kontakt gestanden haben. Nach Informationen des ZDF handelt es sich dabei um den derzeit im Iran vermuteten Usbeken Gofir Salimov, der die Ausbildungslager der IJU koordiniert haben soll. In einem dieser Lager im pakistanischen Waziristan sollen sich im Juni 2006 auch ein Mann namens »Muaz« und ein weiterer Mann aus Deutschland befunden haben. Auf sie war die CIA bei der Auswertung von mitgeschnittenen Telefongesprächen, abgefangenen E-Mails, Augenzeugenberichten, beobachteten Reisebewegungen und Verhören von Verdächtigen gestoßen. Im November 2006 bat der US-Geheimdienst den bundesdeutschen Verfassungsschutz um Hilfe – und ihre gemeinsamen Recherchen führten zu einer Person: Attila S. Er soll sich nach ihrer Überzeugung hinter dem Pseu­donym »Muaz« verstecken. Attila S. beteuert jedoch, er sei »nie in einem Ausbildungslager« gewesen, und er sei auch nicht »Muaz«. »Ich bin unschuldig«, sagt er.