Mittenwalder Verhältnisse

Auf dem ehemaligen Garnisonfriedhof in Berlin-Neukölln versammeln sich am Volks­trauertag alte und neue Nazis, Burschenschaftler und Bundeswehrsoldaten zum »Heldengedenken«. von arne norden

Ausgerechnet wegen des überflüssigsten staat­lichen Gedenktags heißt es für Berliner Antifas am kommenden Wochenende früh aufstehen.

»Jeder darf hier Kränze und Blumen ablegen«, sagte Armin Brenker am Volkstrauertag des vergangenen Jahres auf dem Friedhof am Columbiadamm klipp und klar. Und tatsächlich lagen Kränze des Reservistenverbands und des »Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge« einträchtig neben denen von NPD, DVU und »Stahlhelm« am zentralen »Eisernen Kreuz«. Dennoch erweck­ten die Worte des Oberstleutnants der Reserve und stellvertretenden Berliner Landesvorsitzenden des »Verbands der Reservisten der Deutschen Bundeswehr« einen falschen Eindruck. Personen, die die Polizei für »Störer« hielt, wurden an jenem Tag des Friedhofs verwiesen und zu einer Kundgebung in sicherer Entfernung geleitet. Von dort war es kaum möglich, die als Gottesdienst getarnte militaristische Traditionspflege wirksam zu beeinträchtigen. »Mittenwalder Verhältnisse« in Neukölln also.

Hinter der Friedhofsmauer konnte Brenker 2006 ungestört vom »Heldentod« der bei Aus­lands­einsätzen gestorbenen Bundeswehrsoldaten sprechen – ein kaum verblümtes Plädoyer dafür, zur nationalsozialistischen Tradition der Gefallenenehrung am Volkstrauertag zurück­zukehren, der im Jahr 1934 in »Heldengedenktag« umbenannt worden war. Knapp 200 Personen lauschten Brenkers Worten, darunter – obwohl angeblich nicht eingeladen – Angehörige rechtsextremer Parteien und der Kameradschaftsszene wie der Neuköllner Aktivist Sascha Kari und der Geschäftsführer der Brandenburger Landtagsfraktion der DVU, Sigmar-Peter Schuldt. Auch der rechtsextreme Liedermacher Jörg Hähnel, seit vorigem Jahr für die NPD in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Lich­tenberg, trug sich in die ausliegende Anwesenheitsliste ein. Am Eingang verteilten NPD-Kader die Deutsche Stimme.

Unter den während der Gedenkfeier aufgeru­fenen Traditionsverbänden waren die Ordens­gemeinschaft der Ritterkreuzträger sowie die Hilfs­gemeinschaft der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS. Und obwohl seit 1999 ein explizites Kontaktverbot zwischen der Bundeswehr und den Veteranenorganisationen der SS besteht, nah­men ebenso zahlreiche Bundeswehrangehörige in Uniform teil. Militaristische Vereine wie der Deut­sche Marinebund, der Bund der Fallschirm­jäger und der Kyffhäuserbund sowie Kameradschaften ehemaliger Wehrmachtseinheiten waren zum Kranzabwurf angetreten. Das Standortkommando Berlin der Bundeswehr steuerte zur musikalischen Begleitung einen Trompeter bei und betreute die ausländischen Militärattachés.

Trotz des offenkundigen gemeinsamen Gedenkens kann die Bundesregierung bisher keine unzulässigen Kontakte der Bundeswehr zu Rechts­extremen erkennen. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion »Die Linke« hieß es lapidar, Brenker habe nicht für den Reservistenverband gesprochen, sondern als Vizepräsident des Rings Deutscher Soldatenverbände Berlin, der die Feier offiziell ausrichtete. Höchstwahr­schein­lich handelt es sich hierbei um eine Nachfolgeorganisation des 2005 auf Bundesebene aufgelösten Rings Deutscher Soldatenverbände, bei dem die Bundesregierung seinerzeit »tatsächliche Anhaltspunkte für einen rechtsextremistischen Hintergrund« sah. Brenkers Vokabel vom »Heldentod« beunruhigte sie indes nicht, diese sei im »Sprachgebrauch der Bundeswehr (…) nicht verankert«.

Auch von den Kränzen rechtsextremer Verbände will sie nichts gewusst haben. Da aber nicht aus­zuschließen sei, dass Vertreter der Ritterkreuz­träger oder der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS zu der Veranstaltung erscheinen, sei in Betracht zu ziehen, dass die Bundeswehr auf ihre Teilnahme verzichte. Dass es dazu in diesem Jahr kommen wird, ist höchst fraglich.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Friedhof am Columbiadamm als Ruhestätte der Berliner Garnison gegründet, wo mittlerweile Reservisten, Traditionsvereine und ihre rechtsextremen Gäste mit der jährlichen Feier ein generations­über­greifendes »Heldengedenken« etabliert haben. Über 6 000 Soldaten, die meisten aus den beiden Weltkriegen, liegen hier begraben. Ein Ensemble aus über 20 Ehrenmälern, Grabplatten und Gedenktafeln erinnert an die »Gefallenen« des deut­schen Militarismus seit den preußischen Befreiungskriegen. »Wir starben, auf dass Deutschland lebe, so lasset uns leben in euch!«, lautet die Inschrift auf dem Ehrenmal einer Eliteeinheit des Ersten Weltkriegs. Ein anderes Denkmal ehrt Soldaten der deutschen Einigungskriege 1866 und 1870/71 und ergänzt: »Unseren unvergessenen Kameraden der deutschen Wehrmacht zum Gedächtnis 1939 – 1945«. Das Denkmal des Kaiser-Alexander-Garde-Grenadier-Regiments ist mit meh­reren Ehrentafeln von Infanterie- und Panzer­divisionen der Wehrmacht bestückt. Mit dem »He­rero-Stein« gedenken der »Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen« und die »Afrika-Kameradschaft Berlin« der Soldaten, die beim Vernichtungsfeldzug deutscher Kolonialtruppen in den Jahren 1904 bis 1907 in Deutsch-Südwestafrika ums Leben kamen. Alle diese nationalistischen Denkmäler zieren nach jedem Volkstrauertag frische Kränze und Gestecke.

Auf den Webseiten der Berliner Burschenschaften ist der 18. November ein fester Termin. Vertreter der »Gothia«, die in einem Reader der Antifa TU zum »offen rechtsextremen Flügel der Deutschen Burschenschaft« gezählt wird, nahmen in den vergangenen Jahren mit schwarz-weiß-roten Bän­dern und orangefarbenen Kappen am Heldengedenken teil. Sie wiederum stellen der Reservistenkameradschaft »Freiherr von Lützow« regelmäßig ihr »Gothenhaus« in Berlin-Zehlendorf für Treffen zur Verfügung und luden sich den Reservistenfunktionär Brenker als Referenten ein – ein weiterer Beleg der Kontaktpflege zwischen Bundeswehrveteranen und rechten Vereinigungen. Für Ulla Jelpke (Die Linke) sind diese Kooperationen ein Grund mehr, um auf die Widersprüche und Auslassungen in der Berurteilung der Bundesregierung hinzuweisen. Eine Antwort auf eine hierzu neu gestellte Anfrage steht noch aus.

Die »Gothia« hat für den Volkstrauertag standesgemäßes Erscheinen angekündigt: 11 Uhr sine tempore, Hochoffizielles Institut, dunkler oder gedeckter Anzug erforderlich, Damen sind willkommen.

Das Bündnis gegen Geschichtsrevisionismus ruft auf zur Kundgebung »Schluss mit deutschem Heldengedenken« am Sonntag, 18. November, um 10 Uhr am Columbiadamm 122 in Berlin-Neukölln. www.antifa-moabit.de.vu