Der Schiri soll die Klappe halten

Der oberste DFB-Schiedsrichter, Volker Roth, steht in der Kritik. Vor allem die Proficlubs werfen ihm vor, uneinsichtig und »innovationsfeindlich« zu sein. von alex feuerherdt

In aller Regel sind die Bundestage des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) Veranstaltungen, bei denen es harmonisch zugeht, wo an die Eintracht appelliert wird und Wahlen keine überraschenden Ergebnisse haben. Bei der jüngsten Versammlung, die Ende Oktober in Mainz stattfand, war das zunächst nicht anders. DFB-Präsident Theo Zwanziger etwa wurde ausnahmslos von allen Delegierten für drei Jahre wiedergewählt und freute sich: »Ich bin dankbar und gerührt. Das ist das schönste Amt, das in Deutschland zu vergeben ist.« Auch die übrigen Präsidiumsmitglieder erreichten hundertprozentige Zustimmung. Als es jedoch zur Abstimmung über die Wiederwahl des Vorsitzenden des Schiedsrichterausschusses, Volker Roth, kam, änderte sich das gewohnte Bild: 77 der 256 Stimmberechtigten enthielten sich. Aus dem Kreis der Erst- und Zweitliga­clubs votierte nur der FC Bayern München für ihn.

Obwohl Roth, seit 1995 Vorsitzender des DFB-Schiedsrichterausschusses, also ohne Gegenstimme im Amt bestätigt wurde, war sein schlechtes Ergebnis ein deutliches Warnsignal. Und das hatte sich abgezeichnet, denn hinter den Kulissen rumort es schon seit einiger Zeit vernehmlich. Dem Chef der deutschen Schiedsrichter wird eine halsstarrige Amtsführung vorgeworfen, insbesondere seit seinem monatelangen Streit mit dem Schiedsrichter-Abteilungsleiter Hellmut Krug. Der Konflikt zwischen den beiden früheren Fifa-Referees wurde immer größer; Krug musste sein Amt schließlich Anfang Juni aufgeben. Seit dem 1. Oktober ist er nun für die Deutsche Fußball-Liga (DFL), den Zusammenschluss der Erst- und Zweitliga­clubs, als Berater tätig.

Der Umgang mit dem ehemaligen Gymnasiallehrer ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie der Schiedsrichterausschuss und insbesondere sein Vorsitzender bisweilen mit Kritikern aus den eigenen Reihen verfährt. Krug war 2003 verpflichtet worden, um die Professionalisierung des Schiedsrichterwesens voranzutreiben. Er entwarf neue Aus- und Fortbildungskonzepte und kümmerte sich um die Verbesserung des Beobachtungswesens. So sorgte er beispielsweise für die Einführung regionaler Stützpunktbesprechungen und die Etablierung eines Coachingsystems für die Nachwuchsschiedsrichter, die Spiele der A-Junioren-Bundesliga leiten.

Im strukturkonservativen DFB machte sich Krug mit seinen Neuerungen allerdings nicht nur Freunde. Vor allem der Ausschussvorsitzende Roth beobachtete die teilweise einschneidenden Veränderungen mit wachsendem Argwohn. Zudem wurde sein eloquenter Abteilungsleiter immer öfter zum Hauptgesprächspartner für die Medien, und Krug nahm dabei selten ein Blatt vor den Mund. Während des Bestechungsskandals um den Schiedsrichter Robert Hoyzer etwa kritisierte er das Beobachtungssystem des DFB als unausgereift.

Als Gerüchte die Runde machten, Krug wolle Roth stürzen und durch den früheren Fifa-Schiedsrichter Lutz-Michael Fröhlich ersetzen, spitzte sich der Konflikt zu. Mehrere Schlichtungsgespräche, nicht zuletzt von DFB-Präsident Theo Zwanziger angeregt, blieben erfolglos. Der Hauptamtliche Hellmut Krug verlor schließlich den Machtkampf gegen den ehrenamtlich tätigen Volker Roth und damit auch seinen Posten. Das Angebot, einen anderen Job beim DFB zu übernehmen, lehnte er ab.

Er ging zur DFL, die das Engagement des ehemaligen 240fachen Bundesligaschiedsrichters stets begrüßt hatte. Denn während man dort in dem Gelsenkirchener einen Garanten für Professionalität und Modernisierung sieht, erscheint Roth dem Ligaverband als Konservativer, dem zudem vorgeworfen wird, selbst auf wohlmeinende Kritik am Schiedsrichterwesen völlig uneinsichtig zu reagieren. Dabei dürfte es auch eine Rolle spielen, dass der Mann aus Salzgitter um seine Macht fürchtet. Denn während die Proficlubs in der DFL organisiert sind, unterstehen die Schiedsrichter im bezahlten Fußball weiterhin dem DFB, und Roth wies stets vehement alle Bestrebungen zurück, dies zu ändern.

Wie zerrüttet das Verhältnis zwischen dem Schiedsrichterausschuss und der DFL ist, zeigt auch ein Brief, den Wolfgang Holzhäuser, Geschäftsführer von Bayer Leverkusen, an Volker Roth geschickt hatte und der Anfang Oktober in die Öffentlichkeit gelangte. Darin heißt es dem Kicker zufolge unter anderem: »Negativer Höhepunkt der ›Rothschen Umtriebe‹ – um einmal in Ihrem Jargon zu bleiben – war für mich der Versuch, hinter meinem Rücken als noch amtierender Ligapräsident eine Verschwörungstheorie zwischen mir und Hellmut Krug als Gerücht in die Welt zu setzen.« Roth habe in einer E-Mail an Klaus Löw, den DFB-Referenten für Schiedsrichter, geäußert: »Wir wissen jetzt, dass Frau Krug noch bei Leverkusen arbeitet und beide nun in einem Kaff (praktisch Tür an Tür) mit Holzhäuser leben. Da hat man sich eben öfters getroffen …«

Die Existenz dieser E-Mail werde von Roth jedoch bestritten, schrieb Holzhäuser, und das sei »eine Lüge«: »Grobes Foul – absichtlich! Rote Karte, Herr Roth! Ich bin gerne bereit, Ihnen eine Kopie zur Verfügung zu stellen.« Zur Tätigkeit von Krugs Frau stellte der Leverkusener Geschäftsführer klar: »Tatsache ist: Frau Krug arbeitet nicht ›bei Leverkusen‹, sondern bei der Bayer AG, und es wurde sich nicht ›eben öfters getroffen … ‹ – es gab außer einer ein-, zweimaligen Begegnung auf der Straße keinen Kontakt.«

Roths Verhalten erhärte den allgemein geäußerten Vorwurf, Schiedsrichter oder deren Vertreter gäben sich unfehlbar und seien kritikresistent, meinte Holzhäuser. »Wie sonst soll man Ihre Abwehr verstehen, wenn einmal über noch professionellere Ausbildung und über professionelleres Auftreten der Unparteiischen gesprochen wird?« Der vormalige Ligapräsident schloss seinen Brief mit den Worten: »Es grenzt schon ans Unerträgliche, wenn jemand sich so verhält, dessen Kollegen Spieltag für Spieltag der öffentlichen Kritik ausgesetzt sind und sich oft gegen unbegründete Vorwürfe wehren müssen. Aber ich werde nicht – wie Sie es mit Hellmut Krug getan haben – Ihren Rücktritt fordern. Wohl aber werde ich Ihr Verhalten künftig berücksichtigen – sicher auch beim Umgang mit meinen Kollegen im Liga-Verband und auch im DFB.«

In der Tat erwecken Roth und sein Ausschuss häufig den Eindruck, konservativ zu sein und selbst konstruktive Kritik empört zurückzuweisen. Selbst der dem DFB eher freundlich gesonnene Kicker wurde ungewohnt deutlich. »Viele aktive Schiedsrichter denken anders als Volker Roth und seine Untergebenen im DFB-Schiedsrichterausschuss«, schrieb die Zeitschrift. Doch sie wagten ihre Meinung aus Angst vor Repressalien nicht öffentlich zu äußern: »Law and Order – so war es immer bei den Schiedsrichtern. Wer ausbrechen sollte, wird abgestraft.« Heute breche allerdings niemand mehr aus, weil es für die Spitzenschiedsrichter auch um viel Geld gehe. »Pfeifen und schweigen, mehr ist nicht erwünscht«, befand das Fachblatt aus Nürnberg.