Das letzte Familienfest

Bei Madrid gedenken jedes Jahr mehrere tausend Menschen ungestört des Todes von Francisco Franco. Die spanische Synthese von Kirche und Faschismus, die 32 Jahre nach dem Tod des Diktators weiterhin besteht, wird dabei exemplarisch zur Schau gestellt. Dieses Jahr durften spanische Franquisten und Neofaschisten aus ganz Europa zum letzten Mal öffentlich feiern. Im Jahr 2008 tritt das »Erinnerungs­gesetz« in Kraft, das solche Veranstaltungen explizit verbietet. Ob es tatsächlich zur Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit in Spanien beitragen wird, bleibt jedoch fraglich. von thorsten mense

»Er war nun mal unser Caudillo. Meine Familie hatte keine Probleme zu seiner Zeit. Die, die Probleme hatten, waren die Verbrecher und Kriminellen.« Vincente, ein 40jähriger untersetzter Taxifahrer, der sich selbst nicht als »rechts« bezeichnen würde, spricht das aus, was noch immer große Teile der spanischen Bevölkerung über den Diktator Francisco Franco denken: El Caudillo – der Führer – war kein Diktator, sondern hat Spanien vor dem Kommunismus bewahrt und dem Land zu seiner heutigen Stärke verholfen. Daher hält Vincente auch die Gedenkveranstaltungen, die alljährlich zu Ehren Francos veranstaltet werden, für eine gute Sache.

Jedes Jahr treffen sich am Wochenende vor dem offiziellen Todestag Francos am 20. November in Madrid mehrere tausend alte franquistische Kame­raden, junge Neonazis und Rechtskonservative aus Kirche und Gesellschaft, um dem faschistischen Staatsmann und allen, »die für Spanien und Gott gefallen sind«, zu huldigen. Höhepunkt dieser revisionistischen Veranstaltungen ist die Heilige Messe im Valle de los Caídos, dem Tal der Gefallenen. Die Gedenkstätte liegt 60 Kilometer von Madrid entfernt in der Sierra de Guadarrama und ist Massengrab, Kirche und faschistisches Ehrenmal zugleich. Noch zu Lebzeiten hatte sich Franco von republikanischen Zwangsarbeitern und anderen politischen Häftlingen dort sein eigenes monumentales Denkmal bauen lassen.

Mittlerweile gehört das Tal der Gefallenen offiziell zum »nationalen Kulturerbe« Spaniens und dient sowohl als Touristenattraktion als auch als Pilgerstätte für Anhänger Francos und Neo­fa­schis­ten aus ganz Europa. Auf dem Weg zum Mausoleum fährt man durch grüne Hügellandschaften, ungewöhnlich für diese Gegend Spaniens. Nachdem man das von Polizei und falangistas in ihren blauen Uniformen gleichermaßen gut bewachte Eingangstor passiert hat, bewegt man sich noch ein paar Kilometer durch den Wald, während auf der rechten Seite durch die Bäume hindurch das 150 Meter hohe steinerne Kreuz sichtbar wird. Auf dem Gipfel des Risco de la nava errichtet, ist es das größte freistehende Kreuz der Welt und überragt das weitläufige Tal, so dass es noch aus 40 Kilometern Entfernung zu sehen ist.

Im Inneren des Felsens befindet sich die Basilika, das Herz der Anlage. Franco ließ die Zwangsarbeiter in 19 Jahren über 200 000 Kubikmeter Stein abtragen, um in dem Felsen sein Mausoleum einzurichten. Mit 262 Metern Länge gilt auch das Kirchenschiff als das längste der Welt, hinter den Seitenwänden sind die Gebeine von mehreren zehntausend namenlosen Opfern des Bürgerkrieges verscharrt. Nur zwei Namen sind auf den Gräbern zu lesen, die im Zentrum der Basilika vor und hinter dem Hauptaltar im Boden eingelassen sind: Francisco Franco und José Antonio Primo de Rivera. Letztgenannter war der Grün­der der Falange, der ebenfalls an einem 20. November starb, im Jahr 1936. Die Falange war die Massenpartei Francos und eine der Stützen seines totalitären Regimes. Heute noch gibt es Sektionen in vielen Städten Spaniens, sie gehören zu den Mitveranstaltern des Gedenktheaters und organisieren Busse aus ganz Spanien.

Vor Beginn der Messe sammeln sich langsam die Besucher auf dem großen Aufmarschplatz vor der Basilika, mit Blick über das weite Tal. Fami­lien mit kleinen Kindern, Ehepaare, die aussehen, als seien sie gerade auf dem Weg in die Oper, Geschäftsleute und katholische Priester, die Blauhemden der Falange und junge Skinheads. Auch die NPD ist mit einer Delegation anwesend, unter ihnen das Vorstandsmitglied Jens Pühse und der Auslandsbeauftragte Gerd Finkenwirth. Die verschiedensten Strömungen der extremen Rechten haben sich versammelt und machen den Eindruck einer großen Familie. Es werden Hände geschüttelt und Gruppenfotos gemacht. Was sie eint, ist der Wunsch nach einem großen und katho­lischen Spanien – »Una, grande y libre« lautet der Slogan – ohne Kommunisten, Juden und Migranten. Die schicke Fraktion aus der Oberschicht begnügt sich mit Spanien-Armbinden an ihren Pelzmänteln und Jacketts, andere tragen Hemden, auf die »100% Español« gedruckt ist. Am Rande posieren Neonazis mit Hakenkreuz-Flaggen. Immer wieder ruft jemand »Arriba España«, rechte Arme heben sich zum faschistischen Gruß. »Viva Franco! Viva España!« schallt es über den Platz.

Die Anzahl der Besucher liegt dieses Jahr unter den Erwartungen. Gerade mal 1 500 Anhänger Francos sind angereist, im Gegensatz zu den 5 000, die in den vergangenen Jahren ins Tal gekommen waren. Dabei hatten die Organisationen vorher noch große Töne gespuckt. »Alle auf die Straße!« und: »Jetzt ist die Zeit des Kampfes gekommen«, war im Vorfeld der Veranstaltung in Foren der extremen Rechten im Internet zu lesen.

Geht es nach dem Willen der sozialdemokratischen Regierung, hat sich der revisionistische Mob dieses Jahr zum letzten Mal öffentlich getroffen, um gemeinsam den Führergruß zu entbieten. Ende Oktober verabschiedete die Regierung gegen die Stimmen der konservativen Volkspartei das Gesetz zur Memoria Histórica, zur historischen Erinnerung. 32 Jahre nach Francos Tod im Jahr 1975 wurde damit zum ersten Mal die Diktatur vom spanischen Staat als Unrechtsregime verurteilt. Das Gesetz verbietet es unter anderem, ab dem kommenden Jahr Veranstaltungen zu Ehren Francos abzuhalten.

Ob dies durchsetzbar ist, wird sich jedoch erst noch zeigen müssen. Faktisch würde dies bedeuten, hohe Priester und mächtige Geschäftsleute an der Anreise ins Tal hindern und gegebenenfalls festnehmen zu müssen. Das Gesetz wird außerdem die fehlende Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit in Spanien kaum ersetzen können. Der kurze Begleittext, den Besucher normalerweise am Eingang zu Francos Grabstätte ausgehändigt bekommen, ist ein Beispiel dafür. Der Monumentalbau sei »auf Initiative des ehemaligen Staatschefs Francisco Franco errichtet« worden, »als Symbol des Friedens und letzte Ruhestätte für die Tausende Opfer des Spanischen Bürgerkriegs«, ist darin zu lesen. Die Broschüre, die den Diktator als »ehemaligen Staatschef« und das faschistische Denkmal als »Symbol des Friedens« bezeichnet, wurde 2007 gedruckt.

So ist auch das neue Gesetz ein sehr zaghafter und wenig Erfolg versprechender Versuch, den seit über 30 Jahren bestehenden »Pakt des Schweigens« zu brechen. Der jedoch sorgt unter den Rechten für nicht minder große Aufregung. »Zapatero ist verrückt. Er will nur die bösen Erinnerungen wecken«, beschwert sich ein eleganter Mann mittleren Alters. »Wir haben den Krieg gewonnen, nun wollen auch sie noch irgendwas gewinnen«, so interpretiert ein alter Herr in Falange-Uniform das Gesetz.

Vincente, der Taxifahrer, macht sich weniger Sorgen: »Die Rechten haben das Geld und damit die Macht. Gedenkveranstaltungen werden daher auch weiterhin stattfinden, alles andere ist Lüge.«

Diese Meinung teilt auch José María Pedreño, Präsident der linken Organisation Foro por la Memoria, die sich für eine Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit Spaniens einsetzt. »Das Problem in Spanien ist, dass die Linke zwar die Regierung stellt, aber nicht die Macht hat. Der Franquismus sitzt weiter fest in den politischen Institutionen, in den Chefetagen und in der Kirche. Sie haben sich durch den Staatsstreich 1936 die Macht geholt und besitzen sie noch immer.« Diese alten Kräfte haben sich während des fast 40jährigen Franco-Regimes mächtige Netzwerke geschaffen, die heute immer noch aktiv sind und in Spanien aus diesem Grund auch poderes fácticos – faktische Mächte – genannt werden.

Auf dem Platz vor dem Mausoleum werden die »Viva-Franco«-Rufe lauter, die Fahnen des franquistischen Spaniens und der Falange werden geschwenkt. Carmen Franco Polo, die einzige Tochter des ehemaligen Diktators und Vorsitzende der Stiftung Francisco Franco, die die Messe organisiert, läuft mit dem Rest der Familie unter Applaus in die Basilika ein, während die Menge mit erhobenem Arm »Cara al sol« anstimmt, die Hymne der Falange.

Das Innere der Basilika sieht nicht weniger pompös aus als der Bau von außen. Riesige Wandmalereien, die katholische Werte mit kriegerischem Pathos verbinden. Nicht nur die Blauhemden, auch viele andere Besucher laufen nun in Zweierreihen auf das Zentrum des Kirchenschiffs zu, in dem Jesus über dem Grab des Caudillo am Kreuz hängt. Sie stellen sich stramm hin, heben den rechten Arm in Richtung des Kreuzes und legen ihre Kränze nieder. Die Synthese von Katholizismus und Faschismus in Vollendung. Man bekommt das Gefühl, dass viele der Besucher vor allem sich und ihren Freunden beweisen wollen, gute Faschisten zu sein. Es wird ständig mit Handys gefilmt, die Kameras blitzen unaufhörlich.

Sichtlich gelangweilt sammeln sich die jungen Neonazis und Skinheads vor dem Eingang der Kirche. Drinnen warnt Priester Anselmo Álvarez vor »der Freiheit, die gegen Gott, die Wahrheit und die Menschheit gerichtet ist«, und dem »historischen und spirituellen Zerfall unserer Nation«. Während er vom »moralischen Widerstand« redet, beginnt der »nationale Widerstand« vor der Tür, Parolen und Lieder gegen Araber, Linke und den König anzustimmen. »Zapatero, geh zu deinem Opa«, ruft ein junger Mann. Zapateros Großvater wurde kurz nach dem Putsch 1936 von Francos Schergen erschossen.

Nun werden auch Keltenkreuzflaggen geschwenkt, ein junges Kind mit einer spanischen Flagge, in deren Mitte der SS-Totenkopf prangt, macht begeistert mit. »Deutsch-Spanische Freundschaft« ist in Frakturschrift auf einer anderen Fahne zu lesen. Die Legion Condor – eine Abteilung der deutschen Luftwaffe, die Hitler zur Unterstützung der franquistischen Truppen im spanischen Bürgerkrieg (1936 bis 1939) gesandt hatte – genießt hier noch immer großes Ansehen. Bereits vor zwei Jahren hatte der NPD-Vorsitzende Udo Voigt in einer Rede auf einer Gedenkveranstaltung unter großem Applaus deren Beitrag gewürdigt.

Dann wird die Stimmung plötzlich aggressiv. Manche beginnen, sich zu vermummen, und rufen »Periodista terrorista« (Journalisten sind Terroristen). Ein spanischer Kameramann, der für ein holländisches Fernsehteam arbeitet, wird wegen seiner langen Haare bedroht. »Schneide dir die Haare, bevor du ins Tal kommst«, brüllt ihn ein Skinhead an. Die Polizei ist nur am drei Kilometer entfernten Eingang präsent. Hier oben stellt die Falange die Sicherheitskräfte, die versuchen, den Mob zu beruhigen. Was ihnen nicht immer gelingt, wie später Raúl, der bedrohte Kameramann, erzählt: »Vor einigen Jahren war ein kolumbianischer Kameramann hier. Der Tag endete für ihn im Krankenhaus, und seine Kamera wurde kaputtgetreten.« Raúl ist wütend. »Der hat mich angesehen, als ob er mich töten wollte. Und ich muss mich von Faschisten vor anderen Faschisten beschützen lassen.« Er kann nicht verstehen, wie diese Veranstaltungen noch immer möglich sind. »Auf den Gräbern der Toten feiern sie deren Mörder«, sagt er kopfschüttelnd.

Diejenigen, die dem ein Ende bereiten wollen, haben eine schwere Aufgabe. »In Spanien herrscht in Bezug auf den Faschismus totale Straflosigkeit«, sagt José Maria Pedreño. »Die Täter von damals wurden nie gesucht, verfolgt oder angeklagt. Und heute kann man ohne Probleme offen dem Faschismus huldigen. Wie kann es sein, dass in einem demokratischen Land eine faschistische Gedenkstätte vom Staat finanziert und gepflegt wird und paramilitärische Organisationen dort ihre Führer von damals feiern dürfen?« Die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichts, dass die Leugnung des Holocaust in Spanien nun nicht mehr strafbar ist, sei ebenfalls ein Zeichen dafür, dass sich an dieser Situation so schnell nichts ändern wird. Das neue »Erinnerungsgesetz« ist daher seiner Meinung nach eine Farce, die nur dem internationalen Ansehen dienen soll. Für ihn gibt es nur eine Lösung, um in Zukunft die Messe zu Ehren Francos zu verhindern: »Francos Leiche dort wegschaffen und das ganze Denkmal beseitigen.«

Das neofaschistische Familienfest im Tal der Gefallenen geht dem Ende zu. Noch einmal werden vorm roten Abendhimmel die Fahnen geschwenkt, Hymnen gesungen und die rechten Arme zum Gruß gehoben, dann leert sich die Anlage. Das Gedenken ist damit aber nicht zu Ende. Traditionsgemäß treffen sich am nächsten Tag nochmals mehrere hundert Menschen zu einer Kundgebung an der Plaza Oriente, mitten in der Innenstadt von Madrid. Gleichzeitig nimmt die nationalsyndikalistische Abspaltung der Falange, die Juntas de Ofensiva Nacional Sindicalista, das Tal der Gefallenen ein. Die spanischen Faschisten lassen sich jedes Jahr ein umfangreiches Programm einfallen, um den Kameraden aus anderen Ländern zu zeigen, dass sie ungestört »alles tun können, worauf sie Lust haben«, wie es Pedreño ausdrückt. Gleichzeitig nutzt die Falange die Gelegenheit, die Vernetzung der europäischen Rechtsparteien voranzutreiben. So auch dieses Jahr mit einem gemeinsamen Abendessen mit der NPD und dem italienischen Pendant Forza Nuova. Zum Abschluss des Wochenendes stellt David Duke, ehemals führendes Mitglied des Ku Klux Klan, in einem Madrider Hotel sein neues Buch »Die jüdische Vorherrschaft« vor.

Nur eine Woche zuvor war der 16jährige Antifa Carlos Javier Palomino in der Metro von einem 24jährigen Neonazi und Berufssoldaten erstochen worden. Auf dem Rückweg vom Tal der Gefallenen in die Hauptstadt wird im Radio von der antifaschistischen Demonstration in der Innenstadt berichtet. 2 000 Menschen haben sich trotz Verbots dort zusammengefunden und rufen: »Madrid wird das Grab des Faschismus sein.« Bis dahin wird wohl noch ein wenig Zeit vergehen.