Man gerät schnell zwischen die Fronten

Embedded im Irak. Fabrizio Bensch ist mit den US-amerikanischen Truppen unterwegs, um für die Nachrichtenagentur Reuters zu fotografieren. Der Reporter über Arbeiten im Ausnahmezustand zwischen Mediadorf und Roadside-Bombs

Sie waren im vergangenen Jahr als Fotograf für die Nachrichtenagentur Reuters in Bagdad. Wie hat man sich das Leben und Arbeiten im Ausnahmezustand vorzustellen?

Du lebst auf einem abgeriegelten Terrain hinter Sandsäcken und blastwalls, also Betonwänden, die an die Berliner Mauer erinnern. Unser Büro sieht aus wie eine Festung, es sind mehrere Privathäuser, die angemietet wurden. Die Journalisten leben und arbeiten am selben Ort, sie laufen jeden Morgen vom Übernachtungshaus ins Büro. Man lebt in einem kleinen Mediadorf, BBC ist in der Nähe, der japanische englischsprachige Fernsehsender NHK, aber auch die französische Botschaft. Überall stehen bewaffnete Posten und gepanzerte Fahrzeuge. Die einzige Straße innerhalb des bewachten Gebietes führt zur französischen Botschaft. Das ist der einzige Freiraum, den du hast. Das sind 300 Meter, wo du mal hin- und herlaufen kannst.

Wie ist die Stimmung, merkt man etwas von der festungsartigen Situation?

Das läuft alles sehr professionell. Selbst wenn es einen Anschlag gibt, ist das Vorgehen Routine. Alle sind konzentriert, um bloß keine Fehler zu machen. Unsere irakischen Kollegen sind diejenigen, die die News bekommen, von der Polizei oder der Armee. Sie sind es vor allem, die sich außerhalb bewegen und bei Ereignissen vor Ort sind.

Können sie sich dabei auf irgendeine Form von Schutz verlassen?

Sie haben keine kugelsicheren Westen und keine gekennzeichneten Fahrzeuge, es geht immer darum, sich so schnell und unauffällig wie möglich zu bewegen. Keine riesigen Kameras benutzen, alles muss ganz klein sein. Die Fernsehleute haben kleine Videokameras, manchmal Mini-DV-Kameras. Man gerät schnell zwischen die Fronten.

Sind die Journalisten ganz auf sich gestellt?

Die Fotografen, auch von verschiedenen Nachrichtenagenturen wie beispielsweise AP, AFP, Reuters oder Getty, sind oft zusammen unterwegs, oder sie treffen sich irgendwo. Das ist natürlich abhängig von der Umgebung, in der sie arbeiten. Das heißt, dort, wo es nicht so gefährlich ist, eher alleine unterwegs zu sein und da, wo es schwierig ist, lieber in Gruppen aufzukreuzen, um sich dann auch in Gruppen helfen und unterstützen zu können.

Ist es für Iraker nicht besonders gefährlich, für internationale Medien zu arbeiten?

Die Fotografen, mit denen wir zusammenarbeiten, sind alle Iraker, bis auf den Chef-Fotografen, der von den Philippinen kommt. Wir haben zwischen 20 und 25 Fotografen im ganzen Land verteilt. Bei den Irakern weiß keiner, oft nicht einmal der engste Familienkreis, welchen Beruf sie haben und für wen sie arbeiten. Das ist ein Sicherheitsfaktor, alles andere wäre lebensgefähr­lich. Ansonsten arbeiten bei uns auch nicht-irakische Textredakteure, die ständig vor Ort sind, aber alle drei Wochen eine Pause haben. Zudem gibt es Kollegen, die wie ich zeitweise im Irak arbeiten.

Aus welchem Grund werden Reporter nur für einige Wochen in den Irak geschickt?

Die kurzzeitig eingesetzten ausländischen Fotografen und Journalisten sind oft embeds, embedded journalists, zivile Kriegsberichterstatter, und werden einer kämpfenden Militäreinheit der coalition forces zugewiesen. Bei der embedded-Berichterstattung ist es einfacher, mit Ausländern zu arbeiten, weil die embeds ständig mit den Einheiten unterwegs sind. Wir hatten dort auch irakische Kollegen, aber immer nur kurz. Die Militärs sind dann noch vorsichtiger und wollen alles Mögliche über die Kollegen wissen, wer sie sind und weshalb sie dort arbeiten. Sie nehmen auch nicht gerne langfristig Iraker mit, weil diese einfach ein größeres Risiko darstellen.

Was bedeutet es, ein embed zu sein, darf man nur bestimmte Sachen filmen, aufnehmen und verwenden?

Mit den amerikanischen Einheiten gibt es keine Probleme. Die embeds werden in Deutschland immer ein bisschen verachtet. Dabei ist es nie passiert, dass da ein Zensor hinter mir saß, der kontrolliert, was ich mache und was ich verschicke. Ich konnte alles machen, was ich wollte. Es gibt allerdings eine Vereinbarung, die man auch unterschreiben muss: Man darf keine Fotos von verletzten oder toten US-amerikanischen Soldaten in der Form veröffentlichen, dass sie zu identifizieren sind. Das hat natürlich den Sinn, zuerst die Angehörigen zu informieren. Ich kann die Soldaten aber fotografieren und die Bilder im Nachhinein auch veröffentlichen.

Die irakischen Truppen machen ihr eigenes Ding. Das irakische Militär will manchmal nicht, dass gefilmt wird. Sehr oft sind aber die irakische Armee oder die irakische Nationalpolizei mit Amerikanern auf Patrouillen unterwegs. Die irakischen Einheiten sollen im Vordergrund stehen und die Amerikaner eher im Hintergrund Amtshilfe leisten. Bei den Irakern hat das embedded gar keine Bedeutung, das ist nicht wichtig. Den Amerikanern geht es dagegen vor allem um die eigene Sicherheit. Wer kommt da an? Sind es wirklich Medienleute, oder geben sie sich nur als Pressevertreter aus und haben vielleicht gerade die Explosionen ihrer eigenen roadside bomb gefilmt? Die filmen gerne ihre eigenen Dinger, um das dann im Internet für Propaganda­zwecke zu nutzen.

Sind Pressemitarbeiter bei den Einheiten auf eigene Gefahr unterwegs, oder wird man von der Armee geschützt?

Du bist im Prinzip nur durch deine eigenen Schutzmaßnahmen gesichert, etwa durch eine kugelsichere Weste. Das ist natürlich ein sehr subjektiver Schutz. Allerdings bist du auch Teil der Einheit. Es ist zumeist so, dass ein Soldat für deinen Schutz sorgt. Du gehst dann auch nicht alleine irgendwohin, sondern bleibst immer mit den Soldaten zusammen.

Wie sieht der Kontakt zur Bevölkerung aus?

Ich habe viel mit den irakischen Übersetzern gesprochen, die es in jeder Einheit gibt. Vom Studenten bis zum ehemaligen Hochschullehrer arbeiten dort Menschen mit ganz unterschiedlichen Biografien. Sie verdienen 1 000 bis 2 500 Dollar im Monat – für Iraker eine gigantische Summe. Aber auch die Übersetzer müssen ihre Identität verbergen. Sie sind maskiert, damit z.B. Nachbarn nicht mitbekommen, dass sie etwa bei den Amerikanern arbeiten.

Manchmal kommt man auch mit Irakern in Kontakt, die Englisch können. Oder man hört einfach zu, wenn die Soldaten sich unterhalten, etwa bei den Meetings mit den Stammesführern, da bekommt man dann mit, was die alltäglichen Probleme sind.

In den vergangenen Wochen sind weniger Terrorakte gemeldet worden, die Situation scheint sich zumindest leicht beruhigt zu haben. Sie waren zwei Mal innerhalb eines Jahres im Land. Haben Sie auch eine positive Entwicklung festgestellt?

Das war sehr interessant, denn es gab einen großen Unterschied zwischen meinen beiden Besuchen. Im März war die Gewalt wesentlich präsenter. Überall lagen Leichen in den Straßen. Oft waren das Menschen, die entführt, gefoltert und ermordet worden waren. Man darf die Leichen nicht anfassen, weil sie mit einer Sprengfalle versehen sein könnten. In der Nacht waren die Straßen völlig leer, es gab selten Strom, und der Müll türmte sich. Bei meinem zweiten Besuch im Oktober und November war das ganz anders. Ich habe die zweite Hälfte des Ramadan noch mitbekommen. Da merkte man so richtig: Das Leben kehrt zurück auf die Straßen. Die Leute treffen sich und trinken zusammen Tee vor der Haustür. Oft sind das dann irgendwelche staubigen Landstraßen oder kleine Imbisse, wo es Kebab gibt und die Leute Backgammon und Karten spielen. Ich bin durch die Gegend gegangen und habe es so empfunden, als ob ein Teil der Normalität eingekehrt ist.

Liegt das an der Truppenverstärkung durch die Amerikaner, oder sind auch neue Konzepte wirksam?

Im Januar haben die Koalitionstruppen angefangen, Sicherheitsstationen aufzubauen. Das sind Außen- oder Militärposten, in denen Iraker und Amerikaner, entweder zusammen oder in benachbarten Gebäuden, sitzen, aber eben außerhalb der amerikanischen Camps. Dann gibt es noch lokale Projekte, die die Amerikaner landesweit in die Tat umsetzten, die so genannten Concerned Local Citizenship Programs. Es wird versucht, die Bewohner von Dörfern oder Stadtvierteln, meistens die Stammesführer, durch Lebensmittel- und Infrastrukturhilfe davon zu überzeugen, nicht mehr gegen die Koalitionstruppen zu kämpfen. Und ihnen klar zu machen, dass man eigentlich ein ganz gutes Leben führen könnte, solange man nicht roadside bombs legt oder Angriffe startet.

Ich war im südwestlichen Teil von Bagdad unterwegs, in Arab Jabur, einem sunnitischen Bezirk. In dieser Ecke waren zwei Jahre lang weder die Koalitionskräfte, das irakische Militär oder die Polizei präsent noch waren irgendwelche irakischen Regierungsstrukturen vorhanden. Der Bezirk war eines der Zentren für al-Qaida im Irak. Von dort aus wurden die Autobomben in die Stadt hineingeschickt, die dann in Sadr City oder auf irgendwelchen schiitischen Märkten hochgegangen sind. Die Sunniten, als die Verlierer der Geschichte und Gegner der Amerikaner, hatten den ganzen Irren und Verzweifelten, die Lust haben, sich im Irak zu profilieren, Unterschlupf gewährt. Viele Selbstmordattentäter sind keine Iraker, sondern ins Land gekommen, um sich gen Paradies zu katapultieren. Der ganze Mix von Leuten aus Saudi-Arabien, dem Sudan, Syrien, dem Jemen strömte nach Arab Jabur. Dort haben sie angefangen, ihr eigenes Ding zu drehen und die Bevölkerung in den Dörfern zu massakrieren. Die Bewohner mussten erkennen, das machen die Amerikaner nun doch nicht, vielleicht sollten wir doch lieber mit denen dealen. Daher hat sich die Stimmung dort verändert, gegen al-Qaida. Das Resultat ist, dass die Amerikaner sich mit den Stammesführern zusammengesetzt haben. Es entstanden auch Verbindungen zwischen Leuten aus dem ehemaligen irakischen Militär unter Saddam, und es wurde eine Art Bürgerwehr aufgebaut. Und das funktioniert ganz gut. Sie bekommen Waffen von den Amerikanern und alles, was man so braucht, um einen Checkpoint aufzubauen, und kontrollieren ihr eigenes Gebiet. Sie kennen ja alle Bewohner, wissen, wer ist aus dem Dorf, wer kommt nicht von hier.

Stärkt man damit nicht auch diejenigen, die unter Saddam tätig waren?

Das Thema Saddam ist fast ein Tabu. Das interessiert die Menschen nicht, sie wollen normal leben, sich einen Fernseher kaufen können und Arbeit haben. Manche haben vor wenigen Wochen noch gegen die Amerikaner gekämpft und jetzt bekommen sie 100 Dollar, wenn sie ein Waffenversteck verraten. Ende August hat zudem die Mahdi-Miliz, also die schiitische Miliz, einen Waffenstillstand ausgerufen, und so langsam zeigte dieser seine Wirkung.

Ist der Eindruck richtig, dass die Verschleierung der Frauen inzwischen Alltag ist?

Die Frauen sind etwa zu 90 Prozent verschleiert. Es ist ganz selten, dass man unverschleierte Frauen sieht, das fällt auch sofort auf. Der Islam bestimmt einen großen Teil des gesell­schaft­lichen Lebens und beeinflusst sowohl das Denken als auch das Handeln der Menschen. Es besteht die Gefahr, dass als Folge der Orientierungs­losigkeit die Religion eine immer wichtigere Rolle spielt. Und das ist eins der großen Probleme, denn dort, wo die Religion auf dem Vormarsch ist, schaltet sich der Verstand oft aus.

Was ist Ihre Motivation, in einem solchen Krisen- und Kriegsgebiet zu arbeiten? Spielt Angst bei Ihnen keine Rolle, oder kann man die Gefahr ausblenden?

Wenn ich als Journalist die Möglichkeit habe, in eine Situation einen Einblick zu bekommen und diesen mittels Bildern nach außen zu transportieren, dann ist es meine gesellschaftliche Pflicht, das zu tun. Es ist natürlich immer auch eine persönliche Entscheidung, denn die Gefahr ist sehr groß. Aber man blendet das aus oder versucht zumindest, die Gefahr im Alltag auszublenden. Man weiß aber ganz genau, sie ist präsent, auch wenn man nicht beschossen wird. Es war ganz wunderbar im Oktober, denn ich bin kein einziges Mal beschossen worden. Aber man weiß nie, ob man beim nächsten Schritt nicht einen Trittschalter berührt oder einen Draht und dann schwer verletzt wird oder auch stirbt.

Wenn man zurückkommt, ist es immer ein sehr merkwürdiges Gefühl. Man muss wieder runterkommen. Man bekommt ein ganz anderes Zeitgefühl, wenn man für eine Strecke etwa so weit wie von Berlin-Kreuzberg nach Berlin-Zehlendorf zwei Tage braucht. Wenn man mit den Einheiten unterwegs ist, bewegt man sich immer nur in Konvois, und das dauert sehr lange. Wenn man von einem Camp zum anderen verlegt wird, dann macht man das mit Hubschraubern, da gibt es auch lange Wartezeiten. Die meisten Flugbewegungen finden aus Sicherheitsgründen in der Nacht statt, immer ohne Licht, da wird einfach drauflosgeflogen.

Wollen Sie wieder in den Irak zurück?

Ich denke schon, wann, weiß ich aber noch nicht. Es ist interessant, diesen Prozess jetzt zu verfolgen, weil man sehen kann, was passiert und wie es weitergeht. Ich habe das Land auch anders kennen gelernt als bei meinem ersten Besuch und interessiere mich für die Menschen dort. Ich fand es sehr wichtig für mich, auch ein normaleres Leben mitzubekommen. Dann weiß man erst, was dies für die Menschen bedeuten kann.

Interview: Kerstin Eschrich