Lass stecken, Chef!

Die Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste (GNBZ) gilt als »gelbe« Gewerkschaft. Sie vertritt die gleichen Ansichten wie die Unternehmer und hilft der­zeit kräftig mit, die Einführung des Mindestlohns für die Briefdienstleister zu verhindern. von winfried rust

Für den Text einer Gewerkschaft liest es sich ungewohnt: »Welcher Investor kann noch sicher sein, nicht in irgendeiner anderen Branche in Zukunft in Deutschland Opfer staatlicher Eingriffe in die Tarifautonomie und die Kostenstrukturen zu sein? Damit wird die Post-Monopolabsiche­rung zu einer Beschädigung des Standortes Deutsch­land insgesamt.« Mit insgesamt »25 Thesen und Fakten« agitierte die GNBZ auf ihrer Homepage gegen den Mindestlohn für Briefdienst­leister.

Anscheinend vergeblich. Seit 1. Januar gilt für Zustellerinnen und Zusteller, die überwiegend Briefe ausliefern, ein Mindestlohn von acht Euro bis 9,80 Euro pro Stunde. Aber nicht alle, die die Bedingung erfüllen, bekommen tatsächlich diesen Betrag überwiesen. Denn der Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste und der Bundesverband der Kurier-Express-Postdienste schlossen noch im Dezember einen »Tarifvertrag für Mehrwertdienstleistungen« mit der frisch gegründeten GNBZ ab, mit dem sich die Unternehmen aus dem Geltungsbereich des Post-Mindestlohns herausdefinieren möchten. Das Bundesarbeitsministerium prüft derzeit die beiden Anträge der neuen Briefdienstleister zur Aufnahme in das Arbeitneh­merentsendegesetz. Die Pointe ist: Angestellte, die »Mehrwertdienstleistungen« erbringen, z.B. Zustellungen am gleichen Tag oder zu einem bestimmten Termin, erhalten nur 6,50 bis 7,50 Euro pro Stunde.

Die Pin Group, Mitglied im Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste und, glaubt man den Nachrichten der vergangenen Wochen, vom Mindestlohn schon beinahe in den Ruin getrieben, bezahlt vorerst den gesetzlichen Mindestlohn, weil sie derzeit, auf der Suche nach neuen Investoren, »Rechtssicherheit« brauche, wie der neue Vorstandsvorsitzende der Pin Group, Horst Piepenburg, sagte. TNT bezahlt dagegen lediglich zwischen 6,50 und 7,50 Euro. Genauso will es offenbar der Bundesverband der Kurier-Express-Post­dienste halten. »Ich kenne kein Unternehmen, das den gesetzlichen Mindestlohn zahlt«, sagte Rudolf Pfeiffer, der Vorsitzende des Verbands, zu dem sich rund 200 zumeist kleinere Zustelldienste zusammengetan haben.

Zwei Tarifverträge in den ersten zwei Monaten ihres Bestehens – das ist eine reife Leistung, wenn man bedenkt, dass die GNBZ nur bei der Pin Group Betriebsräte stellt, aber mit den Betrie­ben des Bundesverbands der Kurier-Express-Post­dienste nichts zu tun hat. Das Tempo passt zum Geschehen um den Mindestlohn im vergangenen halben Jahr. Der neue Arbeitgeberverband nutzte seine Kontakte bis in die EU-Kommission, engagierte den früheren Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Florian Gerster, als Vorstand. Die GNBZ trat erstmals am 11. Oktober in der Bild-Zeitung an die Öffentlichkeit. Zitiert wurde Florian Gerster, der die Gründung einer Gewerkschaft für »empörte Arbeitnehmer, die sich von Verdi nicht vertreten fühlen«, ankün­digte, als habe er die Gewerkschafter persönlich für seine Ziele bestellt.

Die GNBZ hat ihre Vorgeschichte in der den Unter­nehmern nahe stehenden Liste »Wir sind Pin«, die sich als Antwort auf die Initiative für einen Be­triebsrat bei Pin Berlin gründete. Benedikt Frank, Sekretär bei Verdi für Neue Briefdienste in Berlin, erinnert sich im Gespräch mit der Jungle World: »Hier in Berlin waren bei den ersten Treffen zur Gründung von Betriebsräten U-Boote von Pin dabei. Gewerkschaftsfreundliche Mitarbeiter bekamen danach Schwierigkeiten, manchen wurden die Verträge nicht verlängert. Das verhindert natürlich per se, dass sich Betriebsräte organisieren. Denn alle acht Monate steht diese Verlängerung an, und man muss immer den Anschein erwecken, dass man keinen Betriebsrat gründen will oder dass man nicht viel krank ist.«

Wie später die GNBZ erschien die Liste »Wir sind Pin« genau im richtigen Moment für die Unternehmensleitung. Benedikt Frank sieht die Ursache für die Gründung der GNBZ im Bestreben des Arbeitgeberverbandes, den Mindestlohn zu verhindern, und ihren personellen Ursprung bei »Wir sind Pin«. Für eine Vertretung von Lohnabhängigen hat der Vorstand der GNBZ eine entsprechend eigenwillige Sozialstruktur: Er ist mit Thomas Glückstein, Christian Hocke, Michael Hocke, Uwe Reichelt und Heike Dix beinahe komplett mit Per­sonen in Leitungsfunktionen bei Pin Berlin besetzt. Dazu kommt Peter Franke als stellvertretender Leiter der Zustellpunkte von Pin in Leipzig, und Arno Doll kam aus der Geschäftsführung von Tengelmann.

Eine Besonderheit ist einer Aussage von Verdi-Sekretär Frank zufolge Pin Leipzig: »Da sind von den 220 Beschäftigten fast 200 Mitglied. Das hat damit zu tun, dass sie sich in Leipzig groß aufgestellt und da großflächig subtil Druck ausgeübt haben. Es gibt da so Sprüche wie: ›Ach so, du hast einen befristeten Arbeitsvertrag. Da würde ich mal ganz schnell in die GNBZ eintreten. Das sage ich dir jetzt nicht als Vorgesetzter, sondern als Kollege.‹« Das ist nicht überall so. »Hier in Berlin hat die GNBZ bei den Zustellern keinen Zuspruch«, sagt Frank.

Direkt nach ihrer Gründung, also noch bevor die ersten Mitgliedsbeiträge eingegangen sein dürften, beschäftigte die GNBZ hauptamtliche Mitglie­der und bezog ihre Geschäftsräume in Köln. Für den Abschluss des Tarifvertrags mit dem Arbeitgeberverband vermittelten dessen Rechtsanwälte der Gewerkschaft ihren Kollegen Krikor Seebacher, der für solche Aufträge etwa 20 000 Euro nimmt und sich in »Report aus Mainz« verwundert über die Vermittlungsdienste für »die natürliche Gegnerschaft« äußerte.

Die bislang noch kurze Geschichte der GNBZ ist ein Sammelsurium solcher Kuriositäten. Trotzdem hat sie Macht. Sie konnte die Zahlung des vereinbarten Mindestlohns für Briefzusteller bisher zum großen Teil behindern. Kaum auszuden­ken, wenn allen Ideen der GNBZ Wirkungsmacht zuteil würde. Statt einer kritischen Bestandsaufnahme der miserablen Arbeitsbedingungen bei Pin schwanken ihre Äußerungen zwischen Ressen­timent und Unterwerfung. Ein Plakat trägt die Aufschrift »DPAG + Verdi = Mafia«, ein anderes »Lieber Lohn und Brot statt Monopol und tot«, ein Demonstrationslied enthält die Zeilen: »400 Leute sind wir dort, ohne Arbeit sind wir tot«. Wäh­rend Mitarbeiter von Pin auf der Demonstration gegen den Mindestlohn, »Sechs Euro sind genug« riefen, zeigte sich die Leitung generös. Sie rief mit zur Demonstration auf und schrieb per Rundmail: »Ihr werdet trotzdem als anwesend geführt und bekommt die Zeit voll bezahlt.«

Das Modell GNBZ könnte Zukunft haben. Es passt zur neuen Dreistigkeit der Unternehmen, Gesetze glatt zu ignorieren. Ebenfalls passt es zur Angst der Lohnabhängigen im untersten Seg­ment der Arbeitswelt, »überflüssig« zu werden. Aber auch alte Tugenden leben hier auf, etwa der korporatistische Gedanke, dass Unternehmer und Lohnabhängige »im selben Boot sitzen«. Im Gegensatz zur klassischen gelben Gewerkschaft AUB, in der viele Facharbeiter organisiert sind, ist die GNBZ eine gelbe Gewerkschaft für Arme. Sie wendet sich – ungeachtet der Herkunft ihres Vor­stands – zumindest rhetorisch an die Adresse »der Geringqualifizierten, der Ärmsten, der ehemaligen Hartz-IV-Empfänger«, die sich als Opfer der Verhältnisse empfinden und die Demütigungen der prekären Arbeit regressiv verarbeiten sollen. Auch das kann ein attraktiver Markt sein.