Gescheiterte Integration

Von dirk auer

Über die Verbrechen ehemaliger UCK-Kommandanten, die heutzutage kosovarische Politiker sind, wird derzeit kaum geredet. Dabei wird das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag demnächst über die Beteiligung des ehemaligen Ministerpräsidenten Ramush Haradinaj an Morden, Folter und gewalttätiger Vertreibung urteilen. von dirk auer

In der Nacht vom 6. auf den 7. Juli 2000 kam es im Kosovo zu einem folgenschweren Zwischenfall. Unter der Führung des UCK-Kommandanten Ramush Haradinaj griff eine Gruppe Bewaffneter das Anwesen der Familie Musaj an. Der Überfall wäre nur eine weitere unbeachtete Episode im inneralbanischen Machtkampf zweier Mafiaclans geblieben, wenn Haradinaj nicht Blut und seinen Ausweis am Tatort verloren hätte.

Mitarbeiter des Unmik-Nachrichtendienstes Central Intelligence Unit (CIU) stellten am Tag nach dem Überfall verblüfft fest, dass Haradinaj auf Veranlassung der CIA von einem italienischen Militärhelikopter evakuiert worden war. Spuren wurden verwischt, die Presse erhielt falsche Informationen, und die Mitarbeiter der Central Intelligence Unit wurden von ihren Vorgesetzten angewiesen, keine restriktiven Maßnahmen gegen Haradinaj zu ergreifen. Seine nachfolgende Karriere ist ein Beispiel der politischen Integration ehemaliger UCK-Offiziere durch die so genannte internationale Gemeinschaft.

Denn schon kurze Zeit später kam Haradinaj zurück und gründete mit der Zukunftsallianz Kosovos (AAK) eine eigene Partei. Der ehemalige UCK-Kämpfer sprach nun, wie seine ehemaligen Kombattanten auch, von Rechtsstaatlichkeit, Multikulturalismus und euroatlantischer Integration. Als er schließlich Ministerpräsident wurde, feierten ihn die Internationalen in Prishtina begeistert als dynamische Führungskraft.

Indes berichteten geheime Studien des BND, dass Haradinaj ein »key player« zwischen Politik und Organisierter Kriminalität sei. Verschiedene Geheimdienste bestätigten, dass sich aus den früheren UCK-Strukturen längst Organisationen entwickelt hatten, die mit Drogen-, Waffen- und Menschenschmuggel Millionengeschäfte machten. Als weitere Hauptfiguren nennt der Bericht Xhavit Haliti und Ekrem Lluka. Auch Haliti war Mitglied der UCK und ist heutzutage führendes Mitglied der Demokratischen Partei Kosovas (PDK), der auch der amtierende Ministerpräsident Hashim Thaci angehört. Lluka ist Inhaber eines Firmenimperiums und wird vom BND als Drahtzieher des Drogen- und Waffenhandels bezeichnet, den er gemeinsam mit Haradinaj organisiere.

Solche Erkenntnisse blieben jedoch ohne Konsequenzen. Unmik-Chef Joachim Rücker bezeichnet bis heute die Existenz des Berichts als Gerücht – dabei kommen andere Nachrichtendienste wir der CIU der UN zu identischen Ergebnissen und zeigen die personellen Verflechtungen zwischen Politik und organisierter Kriminalität akribisch auf. Die geschönten UN-Fortschrittsberichte wirken vor diesem Hintergrund wie Durchhalteparolen.

Schließlich stellte im März 2005 das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag doch einen Haftbefehl gegen Haradinaj aus. UN-Chefanklägerin Carla del Ponte legt ihm Morde, Folter und gewalttätige Vertreibungen zur Last. Sein Rücktritt vom Amt des Premierministers war unvermeidlich – sehr zum Bedauern des damaligen Unmik-Chefs Sören Jessen-Petersen. Er verliere einen engen Freund und Partner, teilte er der Presse kurz nach der Abreise Haradinajs nach Den Haag mit.

Selbst wenn ein Schuldspruch die sofortige Rückkehr Haradinajs verhindern sollte: Mit Ha­shim Thaci als erstem Premierminister der neuen Republik Kosovo bleibt die Kontinuität gewahrt. Wie seine Vorgänger Ramush Haradinaj und Agim Ceku ist er ein ehemaliger Kommandant der UCK, gegen den in Serbien ein Haftbefehl vorliegt. Belgrader Untersuchungsrichter haben angeblich 40 000 Seiten über das Vorgehen der UCK unter dem Kommando von Thaci gesammelt. Auch der BND hat ausführlich berichtet. Er sieht in Thaci den Kopf eines zweiten mächtigen Mafia-Clans mit lokaler Basis im Drenica-Gebiet, westlich der Hauptstadt.