Popfeminismus als Krisenbewältigungsstrategie

Sexy, aber arm

Popfeminismus ist eine Krisenbewälti­gungs­strategie, die uns den Zwang der Pre­karität als glamouröse Freiheit verkauft.

»Nach der Scheidung meiner Eltern verabschiede­ten sich mit meinem Vater auch Geld, Haus und Garten von uns. Aus Stolz und Angst verzichtete meine Mutter auf Unterhalt und arbeitete lieber in einem schlecht bezahlten, typischen Frauenberuf. Alleinerziehende Mütter sind halt eine Klasse für sich. Freiheit macht nämlich wirklich arm. Das ist meine Erfahrung, die sich auch in den folgenden Jahren bestätigte. Ich fing dann an, selber für Platten, Bücher und Konzertbesuche zu sorgen, und gründete zusammen mit meiner Schwester ein Musikfanzine. Da kamen die Kindheitsgefühle zurück, dass man etwa Geschenke bekommt. Es war ein bisschen wie Weihnachten: jeden Tag ein neues Plattenpaket öffnen. Einmal kamen 27 rare SST-Import-Alben auf einen Schlag, weil der deutsche Promoter dieses durchgeknallten, avantgardistischen Rocklabels uns Mädchen für schwierige Rockmusik begeistern sollte. Für endlose Gitarrensolos und jazzige Arrangements. So entfernte ich mich dann logisch auch von meinen Pet-Shop-Boys-, Cure- und Madonna-Plat­ten. Von der mädchenhaften Pop-Sozialisation. Und seit dem halt immer die Kultursachen umsonst und schon seit 15 Jahren auf jeder Gästeliste, aber nie wissen, wovon die Telefonrechnung, den Computer, die Möbel, das Leben bezahlen.« (Kerstin Grether: Zungenkuss, 2003)
Popmusik war für Kerstin Grether die Möglichkeit, aus dem öden Kleinstadtleben mit Schule und Arbeit auszubrechen. Ihre Freundinnen schrie­ben nach der Besichtigung eines BASF-Werks auf den auszufüllenden Fragebogen, dass sie lieber tot wären als dort zu arbeiten. Popmusik hörten sie, um zu erfahren, was sie aus ihrem Leben jen­seits von Schule, Studium oder der Ausbildung zur Bürokauffrau machen könnten. Ähnlich lang­weilig fanden sie aber auch die Jungs mit ihren Diskussionen darüber, ob ein bestimmter Track auf ein Best-of-Album von den Television Personalities kommen sollte, und die nick-hornbyeske Sammelei von Platten mit dem Bedürfnis, diese sinnvoll zu ordnen. Mädchen hören Musik anders als Jungs, schreibt Grether, sie fetischisieren weder ihr Wissen noch ihre Kulturgüter. Kerstin Gre­ther ging dann noch zu Schulzeiten nach Köln, wurde Spex-Redakteurin und lebte ihren Ausbruch aus den kleinbürgerlichen Verhältnissen glamou­rös, aber immer unterhalb des Existenzminimums. Trotz dieses coolen Popstar-Lebens reflektiert sie, dass die meisten Menschen ein prekäres Leben nicht selbst wählen, sondern in dieses hineingeworfen werden, und hauptsächlich junge Menschen aus dem unteren und mittleren Bürgertum dazu tendieren, diese Armut zu glorifizieren.
Kerstin Grether betrieb in der Spex Anfang der neunziger Jahre Popfeminismus. Sie kritisierte eine Szene, die die Versuche des Ausbruchs aus der bürgerlichen Welt und die Suche nach dem Glücksversprechen hauptsächlich als Jungenssache verstand. Der männliche Rockstar durfte als Projektionsfläche all das ausleben, was sich auch der Junge für sein Leben wünschte, von dem aber klar war, dass Erwachsenwerden hieß, sich davon zu verabschieden: unverbindlicher Sex mit schönen Frauen, Groupies, die man sich auf Distanz hielt; reich werden, ohne eintönige oder kör­perlich anstrengende Arbeit auf sich nehmen zu müssen; die Wut auf die Verhältnisse herausschreien zu dürfen, ohne dafür Repressionen fürch­ten zu müssen. Und nicht zu vergessen: das Ausleben verdrängter homosexueller Triebregungen und der verdrängten eigenen weiblichen Anteile.
Mädchen kamen darin eigentlich nicht, oder nur als affirmative Gänse, vor, die sich hysterisch in Popstars verliebten, was aber nicht ernst genommen wurde, oder als Freundinnen von Jungs, die sich mit Musik auskannten, oder als Groupies. Das höchste der Gefühle war, selbst Objekt der Begierde in Form der Sängerin zu werden. Da an die Mädchen durch die fortschreitenden Emanzipationsbestrebungen der Frauen und ih­re damit einhergehende Subsumierung unter das Kapitalverhältnis zunehmend ähnliche Ansprüche gestellt wurden wie an die Jungs, war es nur naheliegend, dass sie ein Bedürfnis nach Ausbruch entwickelten, indem sie jetzt auch Subjekte sein und zusätzlich noch ihre mädchenspezi­fischen Zwänge und Gewalterfahrungen thematisieren konnten. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die Mädchen und jungen Frauen ihre eigene Bewegung hervorbrachten. Die erfolgreichs­te von ihnen waren die Riot Grrrls zu Beginn der neunziger Jahre.
Diese eigneten sich auf differenzfeministische Weise die sexistischen Zuschreibungen an, um diese positiv zu codieren. »Schlampe« als coole Selbstzuschreibung von Frauen, die nicht mehr nur die sexy Begleitung sein wollten, sondern ihre Wut aufgrund ihrer Gewalterfahrungen mit den Mitteln des Grunge hinausschrien und selbst eine aggressive Sexualität ausstrahlten. Die von Sonja Eismann (Jungle World 15/08) in ihrem Buch »Hot Topic« beschriebene Szene, die sie mit dem Namen »Popfeminismus« zu einer Bewegung for­mieren will, hat sich seit 2000 nach dem Schnee­ballsystem entwickelt und funktioniert, indem sie Ladyfeste organisiert und sich mithilfe des Internets vernetzt. Die Riot-Grrrl-Bewegung wurde durch diese Bewegung einmal durch den post­strukturalistischen Fleischwolf gedreht. Jetzt ist man dem Zeitgeist entsprechend queer und will die sexuellen Identitäten dekonstruieren. Doch da Eismann glaubt, dass wir nicht nur im Kapita­lismus, sondern auch in der heterosexuellen Matrix sterben werden, so geht es jetzt erst mal – wie auch schon vor den glamourösen Popfeminis­muszeiten – um gleiche Rechte und zusätzlich noch um die Ermunterung von Mädchen, auch DJ, Radiomacherin oder Musikerin zu werden, und um Netzwerkbildung. So entpuppt sich der Popfeminismus à la Eismann als die aufgepeppte Form des Gleichheitsfeminismus für eine Gesellschaft, die für das Rekrutierungsfeld der Szene, akademische Geisteswissenschaftlerinnen, kaum noch etwas zu bieten hat. Die Frauen kommen hier leider zu spät, wie so oft in ihren Emanzipationsbestrebungen und dem ewigen Hecheln nach Anerkennung.
Kerstin Grether beschrieb in ihrem Buch »Zungenkuss«, wie sie häufig auf junge Männer trifft, die über die auftauchende Krise jammern und ihr mühsam angehäuftes popkulturelles Wissen nicht mehr verwerten können. In »Hot Topic«, der von Sonja Eismann herausgegebenen Anthologie, wird darüber nicht mehr gejammert, sondern, wie im Beitrag von »Rhythm King and Her Friends«, einem queeren Berliner Musikprojekt, eine andere Form des Luxus jenseits des schnöden Mammon gepriesen: das gemeinsame Arbeiten mit Freunden jenseits von jedem Vermarktungsdruck. Kritisiert wird dann nicht mehr der Zwang, in prekären Verhältnissen zu leben, sondern es wird ein kreativer Umgang damit gefordert. So gibt es Tipps dazu, wie viel Prozent der Erwerbsarbeit mit Callcenterjobs und wie viel mit ­Boheme-Jobs zu leisten sei, um am besten durch den Boheme-Alltag zu kommen.
Dem Zwang, ihre Arbeitskraft verkaufen zu müssen, kann sich auch die Popfeministin nicht ganz entziehen. Sie weigert sich jedoch, hier ihre Identität zu finden, wie es in den heutigen Arbeits­verhältnissen erwartet wird, sondern findet ihre Identität in ihren queeren Projekten. Die Freiheit in der Freizeit und in der Kulturindustrie finden zu wollen, ist so naheliegend wie ideologisch. Denn kulturindustrielle Produkte stehen, sobald man sie verkauft, nicht außerhalb der Produktion und sind denselben Mechanismen wie das Herstellen von Waschmaschinen unterworfen. Das stellen die jeweiligen subkulturellen Gruppen jedes Mal wieder von neuem erstaunt fest, wenn ihre Produkte zu Waren geworden sind. Verkauft man jedoch seine Produkte nicht, dann ist das Kulturschaffen auch nicht mehr als ein Hobby, die kreative Selbstverwirklichung, um sich vor der Erkenntnis der eigenen gesellschaftlichen Überflüssigkeit zu schützen.
So ist der Lebensstil des Popfeminismus die glamourös getarnte Variante eines Lebens, das wir ohnehin alle gerade gezwungen sind zu leben: ohne feste Arbeitsverhältnisse, in aufgelösten Familien und mit flexibilisierten Geschlechteridentitäten. Der gesellschaftliche Zwang wird so nicht einfach nur nachvollzogen, sondern er wird uns als Freiheit präsentiert.
Eine wirkliche Kritik der Popkultur würde nicht die feministische Variante davon sein, sondern in dieser Kritik würde die eigene Überflüssigkeit reflektiert werden, die durch die kapitalistische Gesellschaft hervorgebracht wird. Dieser Pop wür­de die Hoffnung auf seine eigene Abschaffung in sich tragen und auf diese hinarbeiten.