Die Suche nach Kunst auf der Berlin Biennale

Auf die Location kommt es an

Die Ausstellungsorte stehen im Zentrum der fünften Berlin Biennale.
Wie aufregend ist denn die Neue Nationalgalerie?

Orte sind bei der Berlin Biennale sehr wichtig. Das war schon vor zwei Jahren so, als der Parcours durch die Auguststraße und ihre verschiedenen Gebäude- und Raum­formen führte und das Feld absteckte, an dem man sich abarbeiten sollte. An die in diesen Räumen gezeigte Kunst erinnert sich der Besucher heute nur sehr fragmentarisch, weil sie zumeist nur die Rolle von Dekor einnahm, ohne dabei einen längerfristigen Eindruck zu hinterlassen.
Obwohl auch die aktuelle Biennale die Grenzen von Berlin-Mitte nur knapp überschreitet, muss der Besucher dieses Mal weiter laufen als einfach die Auguststraße hinunter. Neben den Kunst-Werken stehen bei der fünften Biennale noch die Neue Nationalgalerie, der Schinkel-Pavillon und der so genannte Skulpturenpark Berlin-Zentrum, ein noch brachliegendes Areal entlang des ehemaligen Mauerstreifens, auf dem Programm. Die stadthistorische und geopolitische Bedeutung dieser Orte spielt dabei eine große Rolle, bereits vor der Biennale wurde hauptsächlich über die Locations und ihre Auswahl geredet. Und auch während der Biennale dreht sich viel um sie, nicht zuletzt da zahlreiche der beteiligten Künstler eigens für den Ort entstandene Beiträge zeigen.
Der kleine Ausstellungsguide wird beispielsweise nicht müde zu betonen, dass die beabsichtigte Durchlässigkeit und Transparenz der von Mies van der Rohe erbauten Neuen Nationalgalerie nur scheinbarer Natur sei. Im Inneren des Gebäudes kann man sich dann praktisch von dieser These überzeugen. Gleich mehrere der hier gezeigten Werke haben sich des Themas angenommen und arbeiten sich an ihrem Präsentationsraum ab, indem sie auf ihn verweisen, ihn spiegeln, in Frage stellen und Gegenentwürfe liefern. Die Beschäftigung mit dem Ausstellungort ist allerdings auch das einzige, was die unterschiedlichen Arbeiten miteinander verbindet. Bei der formalen und inhaltlichen Bandbreite zeitgenössischer und insbesondere »junger« Kunst ist es offenbar schwierig, einen funktionierenden Kontext herzustellen.
Die Berlin Biennale zeigt viel und von allem ein bisschen und kann deshalb kaum ins Detail gehen. Sie bleibt ganz Biennale – ein Konzept, über dessen eigentliche Ziele man immer mehr ins Grübeln gerät. Es gibt Kunst in geballter Form, die Ausstellungen wurden sogar noch durch ein täglich wechselndes Nachtprogramm ergänzt. Wer will, kann also tagelang nichts anderes tun, als sich auf der Biennale umzuschauen. Zum Glück hat man dafür bis Juni Zeit und kann sich einzelne Dinge genauer ansehen. Zumindest im Gebäude der Kunst-Werke lohnt sich das auf jeden Fall. Hier trifft man auf einige interessante Künstler und einzelne Arrangements, die wirklich funktionieren und in denen Arbeiten nicht nur nebeneinander stehen, sondern miteinander korrespondieren – und zwar ganz unabhängig vom Ort.
Den Einstieg bietet die bereits aus den siebziger Jahren stammende Bildgeschichte »Soft City« des Norwegers Hariton Pushwagner. Sie ist eine an die Comic-Welten des französischen Zeichners Marc-Antoine Mathieu erinnernde Vision eines Stadtmolochs, aus dessen alltäglicher Routine es kein Entweichen gibt, weil die Protagonisten auch gar nicht entkommen wollen. Die vertrauten Geräusche einer Fußballübertragung, die dazu in einer Ecke des Raumes im Fernsehen läuft, wirken versöhnlich und beruhigend. Hat man den Comic­strip von Pushwagner abgelaufen, tritt man hinaus auf einen zentralen, leeren Platz, der immer noch leicht nach Teer riecht. Ahmet Ögüt hat die Haupthalle des Erdgeschosses komplett asphaltiert und so die Stadt in den Innenraum des Gebäudes verlegt. Hier ist gelungen, was in der Neuen Nationalgalerie eher behauptet als tatsächlich vollzogen wird, nämlich den Raum zu besetzen und ihn sich anzueignen. »Ground Control« – selten bringt ein Titel die Sache so auf den Punkt.
Steigt man dann hinab in den kleinen Projektionsraum im Keller, gelangt man in das beunruhigende Universum von Jos de Gruyter und Harald Thys. In ihrem Video »Die Fregatte« richtet sich die gespannte Aufmerksamkeit der auftretenden Personen aus nicht ersichtlichen Gründen auf ein Schiffsmodell. Schweigend, isoliert, verbissen und mit zunehmender Aggressivität stehen oder sitzen sie vor einer banalen Ziegelsteinwand und fixieren von dort die Fregatte und sich selbst. Ihr beständiges Starren, die ins Leere laufenden Kommunikationsversuche und Gesten steigern das unbehagliche Gefühl, in einem System festzusitzen, das keinen Sinn ergibt.
Es ist bemerkenswert, dass neben »Soft City« noch eine weitere Arbeit besonders ins Auge sticht, die aus den siebziger Jahren stammt. Kohei Yoshiyukis Fotoserie »The Park« zeigt äußerst hemmungslos vorgehende Spanner in einem nächtlichen Park Tokios, in dem sich Liebespaare zum Rendezvous treffen. Eine anschauliche Dokumentation des leidenschaftlichen Zuschauens. Solch passionierte Betrachter, die sich mit dem Zusehen zufrieden geben, dieses aber dafür umso obsessiver betreiben, sind eigentlich auch das ideale Publikum des Kunstbetriebs. Die Gruppe Superflex hat sich in ihrem Biennale-Beitrag für diesen perfekten, hyperaktiven Kunstrezipienten auch schon eine schöne Belohnung ausgedacht. Wer im letzten Jahr die Eröffnungen aller vier Großereignisse des Sommers – also Documenta, Venedig-Biennale, Art Basel und Skulptur-Projekte Münster – besucht hat und sich überall ein jeweils nur dort erhältliches und von Superflex designtes »Collect to win«-Kärtchen sicherte, darf nun an einer Verlosung teilnehmen. Der Hauptgewinn ist eine Reise nach Sansibar. Bleibt zu hoffen, dass es auch dort Kunst zu sehen gibt, sonst stünde dem Betrachter wohl eine relativ leidenschaftslose Zeit bevor.