Gespräch mit Menashe Amir über Juden im Iran

»Die Repression verhindert größere Proteste«

Der Journalist Menashe Amir (68) war viele Jahre lang Leiter der persischsprachigen Sendung von Radio Kol Israel (Stimme Israels), das von Israel aus in den Iran sendet (Jungle World 27/04). Er ist unter Oppo­sitionellen im Iran und im Exil einer der bekanntesten Regimekritiker. Er arbeitet heute als Chefredakteur der persischsprachigen Website des israelischen Außenministeriums. Die Machthaber im Iran müssen seiner Ansicht nach unbedingt daran gehindert werden, in den Besitz einer Atom­bombe zu kommen, doch der iranischen Opposition fehle es dafür an internationaler Unterstützung.

Sie haben den Iran schon vor der islamischen Revolution 1979 verlassen. Wie kam es dazu?

Als ich 20 Jahre alt war, besuchte ich auf Einladung der Jewish Agency zusammen mit einer Gruppe iranisch-jüdischer Lehrer zum ersten Mal Israel. Geblieben bin ich nicht nur, weil ich Jude war, sondern vor allem hat mich die israelische Demokratie sehr beeindruckt, eine junge Nation, die entschlossen war, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Hinzu kam die harte politische Repression, die zu der Zeit unter dem Schah herrschte.

Wie hat sich die Situation der Juden im Iran entwickelt, seit Sie das Land verlassen haben?

Vor der Revolution gab es 80 000 Juden im Iran, die meisten gehörten der Mittelschicht an, zwei bis drei Prozent der Oberschicht, einige der industriellen Pioniere im Iran waren Juden. Bis zum Aufkommen der Revolution hatten sie ein sicheres und gutes Leben, danach musste man sich zunehmend Sorgen machen, denn Juden gelten im schiitischen Islam als unrein, Muslime dürfen ihnen beispielsweise nicht die Hand geben. Zudem hatten viele der iranische Juden gute Verbindungen zu Israel, dem erklärten Todfeind der Anhänger Khomeinis, und sie hatten gute politische und geschäftliche Beziehungen zum Schah-Regime. Heute leben noch 17 000 bis 20 000 Juden im Iran, das Regime behauptet, sie würden in Sicherheit leben, aber in Wahrheit werden im Iran alle nicht-schiitischen Bevölkerungsgruppen diskriminiert. Die Perspektive für Juden im Iran ist sehr beängstigend, vor einigen Jahren wurden 13 von ihnen willkürlich der Spionage für Israel angeklagt, und vor allem ein möglicher Krieg zwischen Israel und dem Iran könnte für sie lebensgefährlich werden.

In der Süddeutschen Zeitung schrieb Katajun Amirpur kürzlich, bei den Drohungen des Iran, Israel zu vernichten, handle es sich um einen Übersetzungsfehler.

Wer immer das geschrieben hat, hat entweder keine Ahnung oder ist nicht unvoreingenommen. Ahmadinejad hat immer und immer wieder zur Zerstörung Israels aufgerufen, auch die Führer der Revolutionsgarden haben sich oftmals eindeutig entsprechend geäußert. Ich lese seit Jahren sorgfältig alle Verlautbarungen aus dem Iran, ich kenne dessen Psychologie und habe keinen Zweifel daran, dass sie Israel bei der ersten Gelegenheit, die sie erhalten, vernichten wollen. Dabei sehen sie in Israel einen Vorposten des Westens und auch des Christentums, seine Zerstörung wäre nur der erste Schritt.

Der gängige Einwand lautet, dass der Iran selbstmörderisch und nicht rational handeln würde, wenn er Israel angriffe. Dem Iran würde es vor allem um Sicherheitsbedürfnisse gehen, da das Land von Feinden umgeben sei.

Suchen Sie nicht nach Rationalität bei dem iranischen Regime. Es handelt sich um einen Haufen Extremisten mit religiös begründeten Weltherrschaftsansprüchen. Sie sehen es als ihre religiöse Pflicht an, die islamische Revolution zu exportieren; töten und getötet zu werden, ist für sie das weltliche Los, das von allen guten Muslimen akzeptiert werden muss. Die iranische Aufrüstung und das Atomprogramm dienen nicht der Sicherheit, sondern der Führung eines globalen Krieges, das Leben der Iraner ist ihnen dabei völlig gleichgültig.
Der Iran braucht Sicherheit, aber er braucht keine Sicherheit vor Israel, einem Land, mit dem er vor der Revolution gute Beziehungen auf allen Ebenen hatte. Der Iran und Israel sind natürliche Verbündete, es gibt keinen Grund für Feindschaft. Der Iran braucht keine Raketen mit 5000 Kilometern Reichweite zur Verteidigung, das ist eine Lüge. Der Iran wurde immer wieder von den umliegenden Ländern bedroht und angegriffen, aber nicht von Israel. Der beste Weg zu Frieden und Sicherheit wäre eine kluge Diplomatie der Koexistenz.

Was muss getan werden, um die iranischen Machthaber zu stoppen?

Mindestens 60 bis 70 Prozent der Iraner wünschen sich ein Ende des verhassten Regimes und sie suchen dafür internationale Hilfe. Das weiß ich beispielsweise aus meinen Radiosendungen, bei denen Leute direkt aus dem Iran anrufen und ihre Meinung kundtun können. Wenn die internationale Gemeinschaft inklusive Russland und China entschlossen gegen das Regime zusammenarbeiten und die Sanktionen verstärken würde, könnte sie dem Regime das Rückgrat brechen. Dazu müssten diese Länder aber erkennen, dass der Iran und sein Atomprogramm nicht nur für Israel eine Gefahr darstellen, sondern für die ganze Welt. Ein nuklear bewaffneter Iran könnte beispielsweise internationale terroristische Organisationen mit kleinen Bomben ausrüsten.

Wie kann das Regime sich halten, wenn es von so vielen in der Bevölkerung abgelehnt wird?

Es gibt drei große Hindernisse für einen Sturz des Regimes: Der iranische Repressionsapparat versucht, jegliche Opposition zu unterdrücken. Zudem fehlt es an einer alternativen politischen Führung, die einen Aufstand koordinieren könnte, außerdem an internationaler Un­ter­stüt­zung. Un­glücklicherweise ist den meisten Staaten, darunter auch Deutschland, der Handel mit dem Iran wichtiger als die Menschenrechte.

Es wird oft gesagt, dass der starke iranische Natio­nalismus die Bevölkerung das Atomprogramm und die imperialen Ambitionen des Iran unterstüt­zen lässt, und dass Druck von außen wirkungslos sei, da er die Iraner auf die Seite des Regimes treibt.

Es ist wahr, dass der iranische Nationalismus sehr stark ist, aber die Iraner wissen auch, dass sie inter­na­tio­na­le Unterstützung zum Sturz des Regimes benötigen. Die echten iranischen Na­tio­na­listen wollen die Bombe haben, aber ihnen ist auch klar, dass eine Bombe in den Händen des derzeitigen Re­gimes nicht im nationalen Interesse des Iran wäre, sondern im Gegenteil die Existenz des Landes gefährden würde.

Glauben Sie, dass es in den nächsten zehn Jahren zu einem echten politischen Wandel im Iran kommen wird, und welche Kräfte im Iran könnten ihn bewirken?

Es muss einfach dazu kommen, denn meiner Meinung nach ist das gegenwärtige Regime etwas sehr uniranisches. Es wird sich auf Dauer nicht halten können. Diskriminierte ethnische Minderheiten, entrechtete Frauen, unterdrückte Studenten, die Arbeiter, vor allem in der Ölindustrie, und die Jugend, die um ihre Zukunft betrogen wird, sie alle müssten gegen das Regime zusammenarbeiten. Mit einer vereinten Führung und internationaler Unterstützung wäre ein erfolgreicher Aufstand gegen das Regime möglich, aber beides fehlt derzeit noch.

Können sich die sozialen Unruhen und Arbeiterkämpfe im Iran zu einer echten Gefahr für das Regime entwickeln?

Überall im Land herrscht Missmanagement, die Produktion verschlechtert sich, manche Firmen haben seit sechs Monaten oder noch länger keine Löhne mehr gezahlt und es kommt fast jeden Tag irgendwo im Land zu Protesten und Streiks. Doch die Repression des Regimes verhindert eine Ausweitung der Arbeiterproteste. So ist Mansour Osanloo, der Anführer des Busfahrerstreiks im Iran, noch immer inhaftiert, und wie ihm geht es vielen anderen Gewerkschaftern.

Welche Rolle spielt ausgerechnet das israelische Radio im Iran?

In dieser Woche feiert die Persische Welle von Radio Kol Israel ihr 50jähriges Jubiläum. Nach unseren Untersuchungen haben wir täglich zwischen zwei und sechs Millionen Hörer im Iran. Wer wirklich wissen will, was im Iran vor sich geht, hört unser Radio, das ist allgemein anerkannt, auch wenn wir natürlich offiziell als »zionistische Lügner« bezeichnet werden. Wir versuchen, zur Erziehung zur Demokratie beizutragen, denn in einer iranischen Demokratie gäbe es unserer Überzeugung nach keinen Platz für kriegerische Aggression und Terror.