Jutta Ditfurths Buch »Rudi und Ulrike«

Rudi, Ulrike und Jutta

Als Sequel ihrer Ulrike-Meinhof-Biografie veröffentlicht Jutta Ditfurth nun ihr jüngstes Werk, das die Freundschaft zwischen Rudi Dutschke und der Hamburger Journalistin und RAF-Gründerin behandelt. Allerdings entspringt die Freundschaft lediglich der Phantasie der Autorin.

Journalisten lieben Jahrestage, deshalb beschert uns dieses Jahr allerlei Artikel, Bücher und Talkshow-Sendungen über die Achtundsechziger-Bewegung. Jutta Dit­furth hat zu dem Rummel ein Buch mit dem Titel »Rudi und Ulrike« beigesteuert, quasi das Sequel zu ihrer Meinhof-Biographie vom Vorjahr. Sie behauptet, die beiden Symbolfiguren der westdeutschen Achtundsechziger seien eng miteinander befreundet gewesen. Der Verlag schreibt in einer Presseinformation gar von einer »Freundschaft, die die Republik veränderte«. Wenn es dem Marketing dient, darf auch die autoritäre Legende, wonach große Männer Geschichte machen, benutzt werden. Dank Meinhof ist ja die Frauenquote erfüllt.
Die innige Freundschaft zwischen Dutschke und Meinhof soll angeblich zwei Jahre lang bestanden haben. Belege dafür bleibt Ditfurth schuldig. Nur fünf Begegnungen von Dutschke und Meinhof kann sie einigermaßen unter Angabe von Ort und Zeit reportieren. Der Rest sind vage Angaben und Spekulationen darüber, wo sich die beiden sehr wahrscheinlich über den Weg gelaufen sein könnten und worüber sie dann wohl gesprochen haben mögen: Meinhof könnte im Audimax der Universität Hamburg gewesen sein, als Dutschke mit Augstein und Dahrendorf auf dem Podium stritt, sie könnten sich in Westberlin im SDS-Zentrum, im Republikanischen Club und einigen großen Wohnungen getroffen haben. Solche Mutmaßungen dürften zutreffen, weil sich zwei so prominente Aktivisten sicher mehrfach getroffen haben, und sind doch seltsam angesichts des Umstandes, dass es sich nicht um das Mittelalter, sondern um neueste Geschichte handelt und jede Menge Zeitzeugen noch leben. Der Journalist Ulrich Chaussy etwa hat für seine Dutschke-Biografie rund 50 Personen interviewt.
Als allererstes Zusammentreffen nennt Ditfurth mit Bezug auf Meinhof eine Veranstaltung im Frühjahr 1967 in Westdeutschland, ohne nähe­re Angaben zu Ort und Datum oder weitere Quellen. Zeitlich als nächstes Treffen und präziser führt Ditfurth eine Stippvisite der Dutschkes in Hamburg Ende September 1967 an, allerdings musste sie diese Begegnung nur von Gretchen Dutschke abschreiben, auf die sie sich auch bezieht.
Dass Dutschke am 14. Februar 1968 mit Meinhof im Auto von Hannover nach Berlin habe mitfahren wollen, aber aus Sicherheitsgründen dann doch ein Flugzeug nahm, hatte Ditfurth schon in der Meinhof-Biografie ausgebreitet und betont, dass zwischen den beiden nie etwas gelaufen sei. »Dutschke war ihr liebster politischer Freund, kein Liebhaber, sondern ein brüderlicher Vertrauter«, heißt es darin. Dass keine Erotik im Spiel war, versichert Ditfurth auch in ihrem neuen Werk. Einige Tage später trafen sich die beiden auf dem berühmten Vietnam-Kongress des SDS in Berlin. Ditfurth schreibt viel über Ablauf und Inhalt des Kongresses; über das Zusammentreffen ihrer beiden Protagonisten heißt es dann allerdings bloß, dass Meinhof »mal neben Feltrinelli, mal neben Rudi« saß; »man lachte, diskutierte, klatschte«.
Ditfurth schreibt, Dutschke habe zusammen mit Meinhof, Bahman Nirumand und anderen das »Internationale Nachrichten- und Forschungs­institut« (INFI) gegründet, mit Geld, das vom Vietnam-Kongress übrig geblieben sei und von dem linken italienischen Verleger Giangiacomo Feltrinelli stammte. Als einzige Quelle gibt Ditfurth wiederum Gretchen Dutschke an, mit dem Hinweis, Dutschke habe damit geplante Aktivitäten in den USA finanzieren wollen. Liest man die Passage in Gretchen Dutschkes Biografie ihres Mannes nach, stellt man fest, dass Meinhof im Zusammenhang mit dem Institut mit keinem Wort erwähnt wird.
Nach dem Attentat auf Dutschke besuchte Meinhof ihn am 18. August 1968 zusammen mit Bernward Vesper in einem Haus südlich von Rom, in das er sich zurückgezogen hatte. Der Besuch dauerte nur einige Stunden, Vesper hat darüber berichtet, und Dutschke hat, zu Ditfurths Bedauern, dazu »nur magere Worte« notiert. »Ulrike wollte schon Interview, war mit Vesper gekommen«, heißt es in seinem Tagebuch, was nicht nach einer vertrauten Freundschaft klingt. Die letzte Begegnung, die Ditfurth anführt, ein mehrstündiges Gespräch in Berlin im Mai 1969, hat Gretchen Dutschke ebenfalls in ihrer Biografie genannt.
Vergebens sucht man in diesem Buch eine Auseinandersetzung mit Autoren und Zeitzeugen, die die große Freundschaft von »Rudi und Ulrike« unterschlagen haben, oder nach einer Erklärung dafür, warum Dutschke selbst diese verschwiegen haben sollte. In der Dutschke-Biografie von Chaussy (überarbeitete Neuausgabe 1993) wird Meinhof zweimal erwähnt, aber kein einziges Treffen mit Dutschke, gleiches gilt für die Monografie des Zeitzeugen Jürgen Miermeister (1986). Miermeister schreibt sogar in Hinblick auf die Entwicklung der RAF und »ohne den Einfluss markanter Individuen in der Geschichte überschätzen zu wollen«, es sei eine Tragödie für die bundesrepublikanische Geschichte, »dass Meinhof und Dutschke sich nicht mehr begegnen konnten«.
Weder in Michaela Karlas Werk über Dutschke als politischen Denker (2003) noch in Gretchen Dutschkes Biografie Rudi Dutschkes (4. Auflage 1996) ist von einer Freundschaft die Rede. Meinhof wird in beiden Büchern nur selten erwähnt. Das Treffen mit Meinhof in Hamburg auf einer Urlaubsreise der Familie Dutschke nach Sylt schildert Gretchen Dutschke in drei Sätzen. Der Inhalt ist wenig schmeichelhaft für Meinhof und steht im Widerspruch zu Ditfurths These, diese sei längst eine antiautoritäre Linke gewesen: »Rudi diskutierte mit Ulrike, die sich vermutlich zum erstenmal mit der antiautoritären Linie auseinandersetzte. Die Hamburger Linksschickeria, zu der sie gehörte, bestand vor allem aus Altkommunisten.«
Was Gretchen Dutschke, Chaussy, Karla und Miermeister schreiben, muss nicht stimmen. Vielleicht haben alle bisher etwas übersehen oder nicht wahrhaben wollen, was Ditfurth erst jetzt aufgedeckt hat. In diesem Fall müsste Ditfurth die Darstellungen der anderen quellengesättigt widerlegen, was sie nicht tut. Wie groß Ditfurths Beweisnot ist, kann man daran ermessen, dass sie sogar eine Tochter Meinhofs, Bettina Röhl, mit der sie wegen der Meinhof-Biographie streitet, als Zeugin anführen muss, die näch­telange Diskussionen ihrer Eltern mit Dutschke erwähnt. Immerhin hat Ditfurth bislang anders als bei der Vermarktung ihrer Meinhof-Biografie darauf verzichtet zu tönen, alle anderen hätten über »Rudi und Ulrike« nur Schrott fabriziert. Die Biografie von Dutschkes Ehefrau wird von Ditfurth sogar ausdrücklich empfohlen, ebenso die Werke Chaussys und Karlas.
Dass sich im Fototeil des Buches kein einziges Bild findet, dass »Rudi und Ulrike« gemeinsam zeigt, ist symptomatisch für die dürftige Quellen­lage des gesamten Buchs. Peinlich ist der Schnitzer, den sich Ditfurth und das Lektorat mit Peter Brückner geleistet haben. Der Psychologe habe 1939 mit 17 Jahren erste Kontakte zu Antifaschisten gehabt und sei 1982 »im Alter von nur neunundvierzig Jahren gestorben«, schreibt Ditfurth. Wer nachrechnet, merkt, dass die beiden Angaben nicht zusammenpassen. Wäre er 1982 im Alter von 49 Jahren gestorben, hätte er 1932/33 geboren sein müssen und die Antifaschisten im zarten Alter von sechs Jahren kennen gelernt. Tatsächlich ist Brückner 1922 geboren und kurz vor seinem 60. Geburtstag gestorben.
Statt ihre Hypothese von der intensiven Beziehung mit Beweisen zu stützen, liefert Ditfurth wie bereits in der Meinhof-Biografie Doku-Soap und Schmalz: »Rudi Dutschke war für Ulrike Meinhof ein ganz besonderer Gesprächspartner. Sie mochte ihn.« Oder sie formuliert nach dem Attentat auf Dutschke die bange Frage: »Würde sie mit ihrem liebsten und besten Freund« je wieder reden können? Ditfurth beginnt das Buch mit dem Attentat auf Dutschke am 11. April 1968. Sie berichtet, dass der Täter Josef Bachmann, ein Leser der faschistischen Deutschen Nationalzeitung, angeblich schwer empört darüber gewesen sei, dass in Berlin zwei Sozialdemokraten, der Bürgermeister und der Innensenator, zurücktreten mussten; außerdem ist nachzulesen, dass der Attentäter am Bahnhof Zoo noch Brötchen und Wurst kaufte und verspeiste, bevor er Dutschke niederschoss. »Zur gleichen Zeit«, schreibt Ditfurth, »saß Ulrike Meinhof am Schreibtisch ihrer großen Altbauwohnung in der kopfsteingepflasterten Goßlerstraße im feinen Berlin-Dahlem und schrieb. Wie immer stand eine große Kanne Kaffee vor ihr, und der Aschenbecher füllte sich rasch. Wenn sie mal nicht schrieb, rollte sie die Banderole der Zigarettenschachtel zwischen ihren Fingern. Das war eine alte Angewohnheit.«
Ob Ulrikes Aschenbecher überquoll, als Bachmann den letzten Wurstzipfel aß, ist nicht wirklich wichtig. Selbst wenn die Behauptung von der großen Freundschaft reines Marketing ist, könnte Ditfurth ein wichtiges Buch verfasst haben, hätte sie sich die Mühe gemacht, politische Inhalte, Entwicklungen, Widersprüche, Brüche und Differenzen darzustellen und zu analysieren. Selbst einen solchen Nutzwert hat dieses Buch nicht, weil Ditfurth wie schon in der Meinhof-Biografie eine Heldensaga spinnt. Lapidar heißt es: »Sie dachten in vielem ähnlich und wo nicht, konnte sie sich mit ihm glänzend streiten.« Worüber, wo und wann solche Streitereien stattgefunden haben, erfährt der Leser nicht. Dass die verstiegene Aussage, diese angebliche Freundschaft habe die Republik verändert, belegt werden kann, war ohnehin nicht zu erwarten.
In ihrem Meinhof-Epos hatte Ditfurth das Thema linker Antisemitismus und Israel als Pflichtprogramm gestreift und problematische Texte ihrer Heldin ausgespart, etwa über die Bombardierung Dresdens, die Meinhof mit der Shoah als Kriegsverbrechen gleichsetzte. In dem neuen Buch verdrängt Ditfurth Dutschkes zeitweise nationalistische Orientierung, die Karla aufgearbeitet hat. In dem Text »Pro Patria Sozi?« von 1974 propagierte Dutschke die »nationale Unabhängigkeit« von BRD und DDR als »elementaren Punkt des sozialistischen Kampfes«, als wäre die Bundesrepublik eine Kolonie und nicht schon in den 1970er Jahren wieder eine der führenden Mächte gewesen. Dutschke beklagte wie die Rechte, die BRD wäre »amerikanisiert« und die DDR »russifiziert«, die Deutschen wären gebrochen und es fehle eine nationale Identität. Er wurde darum von den so genannten Nationalrevolutionären um Henning Eichberg gefeiert und auf einem Titel ihres Blättchens Wir selbst abgebildet. Karla berichtet sogar von einem Brief des Naziterroristen Manfred Roeder, der Dutschke eine Kooperation anbot. Zuletzt unterstützte Dutschke statt der linkeren Alternativen Liste die rechtslastige »Bremer Grüne Liste«, die als erste in einem Bundesland den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffte.
Was Ditfurth bloß andeutet, ist der scharfe Gegensatz zwischen Meinhof und Dutschke, der den Ansatz der RAF immer grundsätzlich ablehnte. Zwar hat Dutschke militante Aktionen befürwortet und selbst vom urbanen Guerillero gesprochen, Attentate auf »unsere Herren an der Spitze« aber als konterrevolutionär abgelehnt. Zum Mord an Günter von Drenkmann Ende 1974 erklärte Dutschke: »Die Ermordung eines antifaschistischen und sozialdemokratischen Kammer-Präsidenten ist aber als Mord in der reaktionären deutschen Tradition zu begreifen.«
Mit »Rudi und Ulrike« hat Ditfurth sich als ernstzunehmende Autorin jedenfalls erst einmal abgemeldet.

Jutta Ditfurth: Rudi und Ulrike. Die Geschichte einer Freund­schaft, Droemer-Verlag, München 2008, 16,95 Euro