Die Sorben demonstrieren für mehr Geld

Wir sind ein Volk!

Von Ivo Bozic

Die Sorben fordern aus Sorge um ihre »nationale Substanz« mehr Geld. Deshalb demonstrieren sie an diesem Donnerstag in Berlin.

»Erstmals in der Geschichte des sorbischen Volkes«, so erklärt der sorbische Dachverband Domowina, organisiere er eine Demonstration in Berlin. Das stimmt aber nicht. Bereits 2005 marschierte beim Karneval der Kulturen eine sorbische Trachtengruppe in Berlin auf. Das war zwar nicht als Demonstration gemeint, aber es ging um nichts anderes als diese Woche in Berlin: um Trachten und Folklore-Schnickschnack.
»In größter Sorge um die sorbische nationale Substanz« fordert die Domowina, die Kürzung der Zuschüsse durch den Bund rückgängig zu machen und der anerkannten »nationalen Minderheit« aus der Lausitz wieder jährlich 16,4 Millionen Euro zu überweisen. Woraus diese »nationale Substanz« besteht? Nun, Trachten hatten wir ja schon. Dann wären da noch die sorbische Sprache und hübsche Bräuche wie die Vogelhochzeit, das Hexenbrennen, Hahnrupfen, Hahn­schlagen und Maibaumwerfen. Bei den drei letztgenannten geht es um genau das, was die Begriffe implizieren. Beim Hahnrupfen etwa reiten sorbische Burschen auf Pferden durch eine Pforte, an deren Querlatte ein toter Hahn hängt, und versuchen, ihm den Kopf abzureißen. Beim Hexenbrennen in der Walpurgisnacht wird eine vorher verurteilte Strohpuppe, die für alles Böse des vorherigen Jahres verantwortlich gemacht wird, auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Das klingt nicht nur nach einem Mittelalterfestival, das ist eines.
Mit der Demonstration in Berlin werden die Sorben jedoch beweisen, dass auch sie wissen, wie man Zug fährt oder einen Bus besteigt – und über­haupt sind sie durchaus der Moderne zugewandt. So nehmen sie an der Ethno-Fußball-EM »Europeada 2008« in der Schweiz teil, um gegen andere bizarre Volksgrüppchen wie die Zimbrer, Waliser und die Okzitanier anzutreten.
Bereits in der DDR wurde mit der staatlichen Unterstützung des sorbischen Kulturquatsches begonnen, die Domowina beklagt dennoch, dass damals die »ethnische Assimilation« vorangetrieben worden sei. Auch nun machen die Sorben die unzureichende finanzielle Unterstützung dafür verantwortlich, dass immer weniger Leute Sorbisch sprechen möchten. Dass das etwas damit zu tun haben könnte, dass man auf Sorbisch nicht mal ein Sparmenü bei McDonald’s bestellen geschweige denn einen anderen Job als den einer Trachtennäherin in der Niederlausitz aus­üben kann, das scheinen die Sorben nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Dabei hat man den Sorben schon zweisprachige Verkehrsschilder hingestellt, und an mehreren Schulen Sachsens wird Sorbisch unterrichtet. Dennoch spricht nur noch die Hälfte aller Sorben Sorbisch, etwa 30 000 Menschen. So what? Die Assimilation ist freiwillig und fußt auf der schlichten, selbst in der Lausitz um sich greifenden Erkenntnis, dass wir nicht mehr im Mittelalter leben.
Statt nach Berlin hätten die Sorben also lieber zur Welt-Artenschutzkonferenz in Den Haag fahren sollen, um ähnliche Aufmerksamkeit wie der Euro­päische Flussaal, die Grüne Meeresschildkröte und die Rote Koralle zu erlangen. Deren Einzigartigkeit gründet jedoch nicht auf dem Überziehen altertümlicher Trachten.