Die internationale Hilfskonferenz für den Irak in Schweden

Feilschen um Flüchtlinge

In Schweden fand vergangene Woche die internationale Hilfskonferenz für den Irak statt. Das Land hat von allen Ländern die meisten irakischen Flüchtlinge aufgenommen, aber wohlhabendere Gemeinden verweigern den Zuzug von Migranten in ihre Region.

Dass die schwedische Mitte-Rechts-Regierung als Gastgeberin der internationalen Konferenz über Wiederaufbauhilfen für den Irak fungierte, wurde von Gegnern des US-Einmarschs scharf kritisiert. In der Stockholmer Innenstadt demons­trierten etwa 1 000 Kriegsgegner, und die ehemaligen Diplomaten Pierre Schori und Sverker Åström sprachen davon, dass Schweden die völkerrechtswidrige Invasion des Irak mit der Konferenz nachträglich legalisiere.
Vertreter von 80 Staaten, darunter US-Außenministerin Condoleezza Rice und Iraks Premierminister Nuri al-Maliki, berieten am Donnerstag voriger Woche über den vor einem Jahr verabschiedeten »International Compact for Iraq« (ICI). Der »Compact« ist ein Fünf-Jahres-Programm und sieht vor, dass der Irak ein »geeintes, föderales und demokratisches Land« werden soll, das mit seinen Nachbarn in Frieden zusammenlebt und »nachhaltige ökonomische Selbstversorgung und Wohlstand« erreicht. Die reichen Industrieländer, die Vereinten Nationen sowie Weltbank und Internationaler Währungsfonds sollen, ähnlich einem Marshallplan, dabei helfen.

Um die Einwände der Kriegsgegner zu entkräften, betonte Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt, die USA hätten nach wie vor die Hauptverantwortung für die Stabilisierung und den Wiederaufbau des Irak. Andere Länder sollten lediglich »helfen« und »beitragen«. Gleichzeitig hob er hervor, dass Schweden durch die Aufnahme vieler Flüchtlinge sein »Verantwortungsbewusstsein« unter Beweis gestellt habe. Dies sei letztlich auch ein Grund dafür gewesen, dass die irakische Regierung und die Vereinten Nationen die ICI-Konferenz ausgerechnet in Stockholm stattfinden lassen wollten.
Ein Blick in die Statistiken des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR zeigt, dass Reinfeldts Eigenlob nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Über 40 Prozent aller Iraker, die 2007 ihr Herkunftsland verließen und Asyl im Ausland suchten, kamen nach Schweden. Das sind rund 18 600 Menschen. In Deutschland stellten im gleichen Zeitraum 4 200 Iraker einen Asylantrag, und in den USA weniger als 750. Iraker sind in Schweden heute die drittgrößte Einwanderergruppe.

Im Vergleich zu anderen EU-Staaten geht die Asylbehörde des skandinavischen Landes auch vergleichsweise liberal vor. Rund 70 Prozent der neu nach Schweden kommenden Irak-Flüchtlinge können mit einer Anerkennung ihrer Asylgründe rechnen oder werden zumindest aus »humanitären Gründen« längerfristig geduldet, auch wenn Migrationsbehörden und Gerichte die Lage im Irak ausdrücklich nicht als »Bürgerkrieg« werten. Andere EU-Länder gewähren nur in Ausnahmefällen Asyl, schicken Iraker unter Hinweis auf »inländische Fluchtalternativen« zurück und schieben sie ab.
Dass sich Reinfeldt mit »Verantwortungsbewusstsein« brüstet, berührt manche Kommunalpolitiker jedoch unangenehm. Der Premierminister habe keinen Grund, sich zu loben, er verbreite ein falsches Bild, erklärte etwa der Bürgermeister der Stadt Södertälje, der Sozialdemokrat Anders Lago, vor einigen Tagen in einem offenen Brief. In Wahrheit sei die schwedische Flüchtlingspolitik kollabiert. Lagos Kritik zielt vor allem darauf ab, dass die Aufnahme von Flüchtlingen innerhalb des Landes höchst ungleichmäßig vonstatten geht. Manche Städte und Gemeinden registrieren überproportional viele Zuzüge von Flüchtlingen, andere haben in den vergangenen Jahren fast gar keine aufgenommen.
Eine Ursache dafür ist, dass Asylbewerber, die in Schweden ein Aufenthaltsrecht als anerkannte Flüchtlinge bekommen, sich selbst eine Wohnung und eine Arbeit suchen dürfen. Fehlen ihnen die notwendigen finanziellen Mittel, bekommen sie von der Migrationsbehörde eine Stadt oder Gemeinde zugewiesen, die dann eine Sozialwohnung bereitstellen und einen Sprach- und Integrationskurs anbieten muss. Jede Gemeinde beschließt selbständig, wie viele Flüchtlinge sie aufzunehmen bereit ist, und teilt dies der Behörde mit.

Allein nach Södertälje kamen voriges Jahr 1 268 Iraker, weit mehr als in die USA. Einerseits hat die Stadt, in der Anders Lago Bürgermeister ist, ein Abkommen mit der Migrationsbehörde, um irakische Flüchtlinge aufzunehmen, andererseits leben dort bereits viele aus dem Land. Für neu nach Schweden kommende Iraker ist das natürlich ein Anreiz, ebenfalls dorthin zu ziehen. Dort gibt es ein Netzwerk irakischer Flüchtlinge, und bei Verwandten oder Freunden können sie eventuell kostenlos unterkommen und so vermeiden, von der Asylbehörde in weniger attraktive Gegenden Schwedens verlegt zu werden. Für die Stadtverwaltung ist der starke Zuzug aber eine Herausforderung. Neben Wohnungen und Sprach­kursen muss sie Arbeitsplätze vermitteln und sich um die Schulbildung der irakischen Kinder kümmern. Södertälje ist eine Industriestadt mit rund 83 000 Einwohnern und vergleichsweise hoher Arbeitslosigkeit. Viele Mi­granten leben in zu kleinen Wohnungen und haben wenige Chancen, Jobs zu finden.
Erbost sind die Kommunalpolitiker aber vor allem darüber, dass andere Städte und Gemeinden, die finanziell besser dastehen, nicht solidarisch sind und sich zieren, Verantwortung für Flüchtlinge zu übernehmen. Ein in Schweden bekanntes Negativbeispiel ist ausgerechnet der Heimatort von Ministerpräsident Reinfeldt, der wohlhabende Stockholmer Vorort Täby mit 61 000 Einwohnern. Dort wurden im Jahr 2007 nur 50 Flüchtlinge aufgenommen, und 2008 soll die Zahl sogar auf maximal 30 Menschen gesenkt werden. Dokumente der Asylbehörde offenbaren, dass Gemeinden rund um Stockholm, in denen bereits viele Einwanderer leben, generell deutlich mehr neue Migranten registrieren als Vororte mit niedrigem Ausländeranteil und wenig sozialen Problemen. Während das multikulturelle, aber weniger wohlhabende Botkyrka (79 000 Einwohner) voriges Jahr 360 Plätze zur Verfügung stellte, knausern reiche Vororte wie Danderyd (31 000 Einwohner) oder Tyresö (42 000 Einwohner) und wollen nur 30 bzw. 35 Flüchtlinge aufnehmen. Ein ähnliches Muster ist auch weiter südlich in Schweden, im Umland von Göteborg und Malmö, erkennbar.

Sozialwissenschaftler warnen, dass sich das Problem der »Segregation«, in diesem Fall einer ungleichen Verteilung eingewanderter Bevölkerungsgruppen innerhalb Schwedens, dadurch verschärft. Eine Folge, die sich bereits abzeichnet, ist die Entstehung so genannter Problemvororte, in denen viele Einwanderer leben, die nicht alle einen Arbeitsplatz finden, und in denen die Schüler schlechtere Noten haben als im Landesdurchschnitt. Neben Anders Lago verlangt auch der Malmöer Oberbürgermeister Ilmar Reepalu von der Regierung, dass alle Gemeinden dazu ver­pflichtet werden, Flüchtlinge aufzunehmen. Eben­so wie Södertälje verzeichnete Malmö 2007 über 1 200 neu angekommene Flüchtlinge. Die Nachbargemeinde Vellinge nahm dagegen keinen einzigen Migranten auf. »Sie sollten sich schämen«, sagt Reepalu.
Schwedens guter Ruf im Ausland im Hinblick auf Menschenrechtsfragen und humanitäre Angelegenheiten ist ein maßgeblicher Grund dafür, dass die ICI-Konferenz dort stattfand, weit weg von den Problemen des Irak. Dass sich die Städte und Gemeinden in Schweden darüber zanken, wer wie viele Flüchtlinge aufzunehmen hat, dürf­te an den versammelten Diplomaten und Politikern wohl ebenso vorbeigegangen sein wie die Tat­sache, dass die Asylbehörde immer wieder Probleme hat, neu ankommende Flüchtlinge überhaupt noch irgendwo unterzubringen.