Gespräch mit Alfredo Valdivieso und Braiber Martínez

»Die Regierung bietet keine Lösung an, nur Krieg«

Ein Gespräch mit dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Kolumbiens in der Region Santander, Alfredo Valdivieso, und dem regionalen Menschenrechtsbeauftragten der Partei, Braiber Martínez.

Die Farc hat in letzter Zeit schwere Rückschläge erlitten. Wie sieht die aktuelle Situation der Guerilla aus?
Valdivieso: Die jüngsten Todesfälle in der Komman­doebene durch Kampfhandlungen und Verrat gehören zum militärischen Leben dazu. Dies bedeutet aber keinesfalls, dass eine Guerilla wie die Farc gebrochen ist oder sich gar ergeben muss. Die jüngsten Verluste sind Teil des Krieges und haben nichts damit zu tun, ob das Projekt dieser politisch-militärischen Organisation weitergeführt wird oder nicht.
Die Guerilla ist also nicht stark geschwächt?
Martínez: Nein. Die Farc selber haben erklärt, dass sie einen taktischen Rückzug angetreten haben. Trotz des Plan Colombia und anderer Strategien hat es die Regierung von Álvaro Uribe nicht geschafft, die Farc militärisch zu besiegen. Natürlich wird durch die Aktionen des kolumbianischen Militärs und die Präsenz der US-amerikanischen Truppen ein großer Druck auf die Guerilla ausgeübt. Trotzdem ist sie weiterhin aktiv. Der Führungswechsel zeigt, dass es keine vereinzelten Kämpfer sind, sondern dass es eine Struktur gibt, in der diese Leute in ihren Positionen ohne Probleme ersetzt werden können.
Welche Folgen ergeben sich aus dem Führungs­wechsel?
Martínez: Die Guerilla-Bewegung führt einen strategischen Kampf. Mit dem Tod von »Tirofijo« wird sich ihre Strategie nicht ändern. Die Farc ist schon sehr lange auf der Suche nach einer politischen Lösung. In den achtziger Jahren gab es einen Waf­fenstillstand, und viele Mitglieder der Farc wollten auf traditionelle Art und Weise Politik machen. Damals gründete sich die Unión Patriótica. Aber aufgrund der Vernichtungspolitik der Regierung, durch die über 4 000 Funktionäre und Mitglieder ermordet und damit fast die gesamte Partei ausgelöscht wurde, kehrten viele in die Berge zurück. Mit Alfonso Cano wird sich daher wenig ändern. Die Farc hat einen Verhandlungsplan mit zwölf Punkten, und in diesem Rahmen ist sie weiter zum Dialog bereit. Cano kommt eher aus dem politischen Lager, aber man muss beden­ken, dass die Farc ein politisch-militärischer Apparat ist.
Nun hat aber sogar Hugo Chávez neulich gesagt, die Zeit der Guerillas sei vorbei.
Martínez: In vielen Teilen Lateinamerikas finden durch soziale Prozesse tiefgreifende Veränderungen statt. Aber hier in Kolumbien stellt sich dieser soziale Wandel sehr schwierig dar, denn faktisch wurden die sozialen Bewegungen stets mit aller Gewalt ausgelöscht. Daher denken wir, dass die Farc ebenso wie die ELN weiter bestehen werden. Denn die systematische Verletzung der Men­schenrechte hat nicht aufgehört. Weiterhin werden Gewerkschafter ermordet, wird die Landbevölkerung vertrieben und werden die Freiheiten eingeschränkt. Und für die Regierung sind alle Men­schenrechtsaktivisten Terroristen und Unter­stützer der Farc. Das aktuelle Regime bietet überhaupt keine Lösungen an, sondern nur Krieg.
Welchen Rückhalt besitzen die Farc noch in der Bevölkerung?
Martínez: Das ist schwierig einzuschätzen. Wir denken schon, dass es Regionen gibt, wo sie Unterstützung hat. Es gibt eine große Anzahl von Kolumbianern, die den Widerstand unterstützen. Ich denke, bei 10 000 bis 12 000 bewaffneten Kämpfern muss es eine Form von Rückhalt geben.
Valdivieso: Sicher haben sie Rückhalt in der Zivilbevölkerung. Viele Sektoren der Gesellschaft, vor allem die Landbevölkerung, identifizieren sich mit der Guerilla, besonders mit der Farc. Sie haben in vielen Teilen des Landes den Staat ersetzt, und dies kommt den Interessen der Leute zugute.
Aber auch die Farc sind durch Anti-Personen-Minen, Vertreibungen und massenhafte Entführungen für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich.
Martínez: Die Guerilla ist sicher gelegentlich für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. In diesem Rahmen müsste die internationale Gemeinschaft in einem zukünftigen politischen Friedensprozess diese Vergehen verfolgen. Die Kommunistische Partei hat sich immer für die Freilassung der Geiseln eingesetzt, wir lehnen die Entführungen ab. Und wir verurteilen ohne Frage auch alle anderen Aktionen, die die Zivilbevölkerung betreffen, sei es durch die Guerilla oder das Militär. Jedoch leben wir in einem bewaffneten Konflikt, und dieser verursacht natürlich Vertreibungen und zivile Opfer. Für diese Opfer setzen wir uns ein. Aber dies alles muss im Kontext der Überwindung des Konfliktes gesehen werden. Wenn wir keinen Ausweg finden, wird die Zivilbevölkerung sich weiter in der Mitte des Kriegs befinden, mit katastrophalen Auswirkungen.
Wie steht die Kommunistische Partei zum bewaffneten Kampf in der heutigen Zeit?
Martínez: Wir werden offiziell als der politische Arm der Farc bezeichnet, was aber nicht der Wahr­heit entspricht. Wir vertreten eine offene Posi­tion in Hinblick auf den Dialog und eine politische Lösung. Im Gegensatz zu vielen anderen sehen wir die Farc aber als einen Teil der Gesellschaft an, die in den Prozess einbezogen werden muss. Am Verhandlungstisch muss die Widerstandsbewegung sitzen, der Staat, die Zivilgesellschaft und alle Sektoren, die notwendig sind, um den Frieden zu erreichen. Wir sehen die Aufständischen nicht als Terroristen an. In der aktuellen Situation hat unserer Meinung nach die Bevölkerung das Recht auf alle Aktionsformen. Dies steht auch in unserem Programm. Die Überwindung des Konfliktes kann aber nicht mit Waffen und Bomben erreicht werden.
Wie schätzen Sie die Zukunft des Konfliktes ein? Ist unter diesen Bedingungen überhaupt Frieden möglich?
Martínez: Keiner der bewaffneten Akteure im Kon­flikt, weder die Farc noch das Militär, hat es geschafft, den Gegner militärisch zu besiegen. Natürlich wird die Führung der Guerilla schauen, welche Änderungen oder Verhaltensweisen nun sinnvoll sind. Wir denken, die Farc werden notwendigerweise ihre Dialogbereitschaft beibehalten. Wir von den sozialen Bewegungen und der Linken im Allgemeinen suchen eine politische Lö­sung. Denn der bewaffnete Konflikt betrifft alle auf die gleiche Weise. Ich weiß jedoch nicht, ob mit der aktuellen Regierung, die vor allem auf Krieg setzt, diese Lösung möglich ist.
Valdivieso: Die Farc haben seit ihrer Gründung nach einer politischen Lösung gesucht. Dies setzt aber die Überwindung der historischen Ursachen für die Entstehung der Farc voraus. Die Guerilla entstand als Reaktion, als Antwort der Bauern zur Verteidigung ihres kleinen Stückchens Land. Die Menschen haben damals zu den Waffen gegriffen, da sie erkannt hatten, dass auf andere Weise keine Politik möglich ist. Am Ende braucht es tiefgreifende politische, soziale und ökonomische Reformen, um wahren Frieden mit sozialer Gerechtigkeit zu erreichen. Dazu gehören auch die umfassende Entschädigung der Opfer, das Ende der politischen Exklusion, das Ende des Land­raubes und der Vertreibungen sowie der undifferenzierten Kriminalisierung aller politischen Aktivitäten. Die Regierung Uribe will aber die sozialen Ursachen nicht anerkennen und leugnet sogar, dass ein bewaffneter Konflikt besteht. Für sie gibt es nur einzelne Gewalttäter, die gegen die demokratische Ordnung kämpfen. Dies alles macht es sehr schwierig, zu einer Einigung zu kom­men. Jedoch könnte internationaler Druck Möglichkeiten schaffen, eine politische Lösung zu finden.