Eine Empfehlung für das Ox-Kochbuch

Was soll ich bloß kochen, Schatz?

Kochen wird im Fernsehen als »Lifestyle« mit Distinktionsgewinn zelebriert. Wer es lieber politisch korrekt mag, schaltet ab und schlägt das Ox-Kochbuch auf.

Küchenschlacht« (ZDF), »Fast-Food-Duell« (Kabel Eins), »Einsatz am Herd« (RTL II) – auf allen Kanälen wird gekocht. In der »Kocharena« (Vox) werden die Sparschäler gezo­gen, die Messer gewetzt und die Fleischklopfer poliert. Im Kampf um die Quote ist auch fürs pazifistische Gemüt gesorgt: Es kann sich an der quer durchs Programm ge­spann­ten Liefer-Lafer-Lichter-Kette erfreuen.
Ob Tütenbouillon oder Tiefkühlkost, Fertigprodukte sind der neuen Gourmet-Bourgeoisie ein Gräuel. Von Heimwerker- und Gartenshows flankiert, führt der kulinarische Fernsehzirkus das Kochen als Stil gebendes Hobby vor. Backen, Brühen, Braten – die alten Kulturtechniken werden zum kulturellen Kapital erhoben und die Einbauküche wird zur letzten Bastion der Mittelklassefamilie stilisiert.
So kommen die »Topfgucker« (NDR 1 Radio MV) zusammen und tischen sich ihre Lieblingsgerichte auf in Sendungen mit so originellen Namen wie »Das! Schmeckt« (NDR), »iss was?!« (MDR) oder »Koch doch« (BR). Da gibt Alfred Bio­lek als fader Dauerbrenner den Klassiker, tin­gelt Krawalltourist Tim Mälzer koch­löffel­schwin­gend gleich mehrfach durch die Programme, ficht »Naked Chef« Jamie Oliver für die englische Haute Cuisine. Lokalpatriotisch kredenzen »Hessen à la Carte« (HR) oder »Schubecks: Meine bayrische Küche« (BR) Kohlrouladen und Kräuterhendel. Mondäner kommt »Das perfekte Dinner« (Vox) daher, bei dem sich Kandidaten durch eine Prise Extravaganz zum Wochensieger hochkochen können. »Licence to Grill« (DMAX) probiert, was jenseits von Bratwurst und Steak auf den Rost passt. Die Untiefen mitteleuropäischer Regionalküchen lotet die Schlemmerreise »Flüsse der Genüsse« (Südwest) aus, und Sarah Wiener dreht neue Folgen ihrer »kulinarischen Abenteuer« (Arte) in Ita­lien ab. Von Exotismus bewegt, verätzen sich »In Teufels Küche« (RTL II) Probanden mit einer Überdosis Cayenne, Jalapeño & Co. die Schleimhäute. Im Reportage-Imitat mit dem zynischen Titel »Kochen am Krisenherd« (WDR) degustiert Stefan Gates etwa in Afghanistan oder Tscher­nobyl.
So tut sie sich auf, die schöne neue Welt des Essens und zementiert unterschwellig einmal mehr die Geschlechterrollen. Wie immer, wenn es professionell wird, müssen auch beim Fernsehkochen die Männer ran, und weibliche Maîtres bilden die Ausnahme. Dafür richtet sich die betulich-kitschig dressierte Ratgeberliteratur ans Rollenmodell Hausfrau. Und als wäre man vom Glotzen nicht schon pappsatt, liefern etliche Spin-Offs neben obligatorischen DVD-Reihen und eigenen Produktlinien der Fernsehköche wie Küchenhelfern und Gewürzen zusätzliche Ballaststoffe: »Food for the Mood«, »Wie mann jede Frau weichkocht«, »Rezepte für die eilige Generation«. Und wer nicht einmal zum Blättern die Zeit findet, browst durchs Netz, wo marions-kochbuch.de, kuechengoetter.de und Millionen anderer Seiten um Zugriffe buhlen.
Das große Fressen also dirigiert den Zeitgeist. Eine fröhlich rockende Alternative zur ku­lina­ri­schen Kulturindustrie stellen die »Ox-Koch­bücher« dar. Vom gleichnamigen Punk-Fanzine herausgegeben, sind sie in drei Teilen und mitt­lerweile mehreren Auflagen beim Ventil-Verlag erschienen. Der Erfolg scheint auf den ersten Blick erstaunlich, gelten laut Stereotyp doch be­reits Pils und Dosenfleisch als vollwertige Mahlzeit. Hier liegen jedoch keineswegs Sammelsurien von Alkoholika und Speise­resten vor.
»Kochen ohne Knochen« – für die Heraus­geber ist Punkrock über die Musik hinaus mit einem gewissen Sendungsbewusstsein verbunden, das sich auch in Band drei in einer kon­sequent fleischlosen Ernährung niederschlägt. Ob Massentierhaltung oder Welthunger – pro Vegetarismus mögen einige Gründe sprechen. Für den Griff zum Ox-Kochbuch genügt allein das ästhetische Urteil. Denn es enthält leckere Gerichte, die einem in den üblichen Rubriken vorgesetzt werden, aber mit weniger konven­tionellen Namen versehen sind: Kleines (z.B. »das Zornige Sandwich für Zwischendurch«), Suppen (»Lebend-Bier-Suppe«) und Salate (»To-Zu-Ka-Sa«), üppige Hauptgerichte (»Revolutio­nary Kokoscurry«) und Pastavariationen (»Spaghetti à la Pythagoras«), Desserts (»heißer Chili-Apfel«) und Gebäck (»veganer Russischer Zupfkuchen«). Kapitel mit Dips (»R.I.P. Hot Soße«), Liquidem (»Holundergrog«) und Menü-Vorschlä­gen runden die Rezeptsammlung ab. Weil es sich zu zünftiger Musik gleich beschwingter kocht, werden zu jedem Gericht passende Anspieltipps mitgeliefert.
Kleine Kostprobe gefällig? Da D.I.Y. (do it your­self) das Punk-Motto schlechthin ist, versuchen wir uns mit einem eigenen Menüvorschlag, der allein dem musikalischen Gusto folgend arrangiert wurde. Et voilà: Unsere Vier-Gänge-Kompo­sition der flotteren Art.
»Humppaaviinaanitroja!« – Zum Humppa-Sound von Eläkeläiset reichen wir als Starter einen »Pustasalat auf Punkrockart«. Das Paprika-Zucchini-Möhren-Massaker treibt in einem Sud aus Apfelsaft, Essig und Curry und bereitet auf den kulinarischen Fortgang vor. Etwas melo­diö­ser untermalt Muff Potter den Verzehr des Hauptgerichts. Das besteht aus einem grund­soli­den Kartoffelgulasch, zu dem Baguette und Bier gereicht werden: »Ich will nur nicht ver­hun­gern und mich niemals überfressen.« Zum Nachtisch lockt wahlweise die beschwipste Quark­speise »Himbeertraum« mit sinistrem EA-80-Sound. Oder es locken die Circle-Pit-Pfann­kuchen in roter Soße, zu denen A Case of Grenada aufdrehen: »When oranges become juice they’re dead.« Fruchtig klingt das Mahl bei Boxhamsters’ »Tupperparty« mit einer Maibowle aus. Während man wohlgenährt Erdbeer- und Pfirsichstücke aus dem Waldmeister-Riesling-Gemisch fischt, bekommt man nun vielleicht Lust, die Lieblingstonträger durchzuhören und zum Abschied schließlich WIZOs Schlachthof-Elegie mitzusäuseln: »Und jetzt spritzt das warme Blut/aus dem Hals der letzten Sau … «
Einfach nachzumachende und auf Alltags­taug­lichkeit geprüfte Leckereien – das Konzept geht auch beim Ox-Kochbuch Nummer drei auf. Statt mit den üblichen Meisterwerken der Produktfotografie, deren künstliche Perfektion der Heimkoch ohnehin nie erreicht, ist der Band mit Humor gewürzt, kleinen Kritzeleien, Comic-Strips und mit Anklängen ans Fanzine-Layout garniert. Am Rande informieren Interviews über die Kunst, viele Mäuler zu stopfen, geben Einblicke in einen Bio-Milchhof und ökologischen Gartenbau. Und der Folklore halber leitet ein Beitrag zum Topflappenklöppeln – natürlich in schwarz-rot – an.
Als appetitliches Bollwerk gegen die neu-bour­geoise Küche schütteln diese Soundtracks zum Kochvorgang den restaurierten Biedermeier ordentlich durch. Anarchischer Kochspaß eben, der – um’s Klischee zu bedienen – in keiner rock­linken Plattensammlung fehlen sollte. Oder im Singsang von Ohio Express: »Yummie, Yummie, Yummie«.

Uschi Herzer & Joachim Hiller (Hg.): Das Ox-Kochbuch III, Kochen ohne Knochen: Die feine fleischlose Punkrock-Küche, Ventil-Verlag, 9,90 Euro