Peter Licht im Gespräch über das Ende des Pop

Pop ist aus

Peter Licht ist Schriftsteller und Popstar. Sein neues Album heißt
»Melancholie und Gesellschaft«. Ein Gespräch über das Ende von Pop.

Peter Licht, auf Ihrem Debüt-Album »14 Lieder« befand sich damals ein Song mit dem Titel »Meide die Popkultur«. Ich habe damals selbst bei dem Popkulturmagazin Spex in Köln gearbeitet, und dieser Song lief in der Redaktion rauf und runter. Aus lauter Angst vor der Sinnlosigkeit der eigenen Arbeit hört man eben Lieder über die Sinnlosigkeit der eigenen Arbeit. War der Song tatsächlich als Angriff auf die Popkultur gemeint?

»Meide die Popkultur« war eins zu eins so gemeint. Ich habe mich damals sehr lange im stillen Kämmerlein mit der Popkultur beschäftigt. Dann habe ich irgendwann festgestellt: Wenn ich mich nicht mit ihr beschäftige, geht es mir eindeutig besser. Auf der anderen Seite steckt in diesem Popsong trotzdem sehr viel Herz­blut. Der Song war schon auf die Redak­tion der Spex geschossen. Auf den ganzen Popdiskurs. Wenn man so eine Spex in der Hand hat, dann hält man irgendwie auch ein Blatt voll Angst in den Händen. Ich möchte natürlich selber Pop sein, aber Pop heißt heute für mich nun mal auch »Ende«. Genau wie unser System, die wirtschaftlichen Bedingungen. Der zeit­geschichtliche Auftrag von Pop ist erfüllt.

Es wäre vielleicht an der Zeit, sich endlich von dem Begriff »Pop« zu lösen. Man konnte sich ja schließlich auch irgendwann von dem Begriff »Rock’n’Roll« lösen.

Auf jeden Fall. Ich selbst bin seit ungefähr sieben Jahren auf der Reise weg davon. Pop ist kein Ehrentitel mehr. Es ist vergangen. Wir müssen davon weg. Der Grundgedanke von Pop, das Sub­versive, ein Begriff wie »Independent« als Anti-Establishment: Das ist vorbei. Kunst ist auch vor­bei. Die ist komplett im Mainstream angekommen, und jetzt eben auch Pop. Ich habe vor kur­zem auf dem MELT!-Festival gespielt. Ich wurde komplett vom Sponsor »Converse« bezahlt. Die wirtschaftliche Wahrheit sieht eben so aus, dass man sich nicht zur Musik trifft, sondern letztlich wird ein Turnschuh verkauft. Das ist aber auch okay so.

Der Turnschuh tut etwas für uns.

Ja. Der Turnschuh schmiegt sich an uns. Ich kann es dem Festival nicht vorwerfen, dass es ist, wie es ist. Es ist ein tolles Festival, ich bin dankbar, dass ich dort spielen durfte und dass ich Geld dafür bekommen habe, aber natürlich: Ich würde mir wünschen, nicht von einem Turnschuh, sondern für das, was ich tue, bezahlt zu werden. Die subversive Kraft des Turnschuhs. Das ist alles ganz absurd.

Spielen wir das mal theoretisch weiter durch: Wir lösen uns von der Begrifflichkeit des Pop. Es gibt dann ja logischerweise eine ­Phase des Übergangs. Nur: Einen Übergang wohin, und wie sieht der aus? Sind die Gegenstände, der Turnschuh zum Beispiel, vielleicht die Stars dieses Übergangs?

Es ist bestimmt erst der Anfang. Man schaue sich nur die neuen Wege der Musikindustrie an: Die Platten werden verschenkt und Markenhersteller laden ihr Portfolio mit kulturellem In­halt auf. Das Stichwort dazu lautet: »Content-Generierung«. Am Ende ist es wie am Hofe Ludwig XIV.: Der Hof-Komponist sitzt da und wird ausgehalten. Für den Komponisten ist das gut, für den König natürlich auch.

Die Frage wäre nur: Läuft um den besagten Hof weiter der Folklorist herum?

Der Folklorist?

Ja, der Liedermacher der Arbeiter und Bauern, der Songschreiber für die kleinen Leute. Diese Kräfte haben ja auch starken Einfluss auf die Popkultur gehabt: Arbeiterlieder, Protestlieder, Wanderlieder, Märchen. Musik, die fern­ab – vielleicht sogar gegen den König Turnschuh – aufspielt.

Ich fühle mich zurzeit dem Sound des Barden viel näher als dem des Cyberpunk – dem Musiker der Industriegeräusche. Es ist ein bisschen so, als würde man in die Steinzeit zurückkehren wol­len, um dort mit den Steinen weiterzumachen. Alles andere fühlt sich gerade einfach nur noch nach Industrie an. Synthesizer zum Beispiel sind ja auch reine Industrie-Fetischisierung: Moog, Yamaha und so weiter. Alles Produkte! Die Seele steckt im Produkt drin – Produkt­sounds.
Ein Klavier oder eine Gitarre sind natürlich auch Produkte, aber man hört den Marken­namen nicht so schnell heraus. Ich empfinde eine starke Sehnsucht nach einer produktlosen Musik. Ich bin gespannt, wie sich das bei mir ent­wickelt. Vielleicht ist das gerade auch nur eine ganz verspannte Haltung. Aber »Lasst die Produkte in eure Herzen«, das ist einfach durch – ein längst überflüssiges Erbe der Achtundsechziger: Feiere die Dose – Coca-Cola usw. Das sind Symbole einer freien Welt, Symbole des freien Konsums. Ich lebe meine Freiheit im Konsum – und das ist am Ende eben das Entsetzliche an der Popkultur: Sie ist einfach immer an Produk­te gekoppelt.

Diese Interview-Situation gibt es ja auch nur wegen der anstehenden Veröffentlichung Ihres Albums. Könnte für Musiker der Ausstieg aus dem Album-Format eine Lösung sein? Also raus aus dieser Promotion-Maschine mit Plat­tenveröffentlichung, Interview-Tour, Kon­zert­reihe usw.? Mir scheint dieser My­Space-Pop aber auch nur das Bekämpfen von Flüchtigkeit mit den Mitteln der Flüchtigkeit zu sein.

Ich hatte diesen Gedanken natürlich auch schon mal. Aber ich finde, ein Album ist ein optimales Format. Die Single ist ja eigentlich auch nur ein Mythos. Diese Gesprächssituation ist eine in dem Zyklus, in dem ich als Peter Licht stattfinde.

Auf Ihrem neuen Album singen Sie zu Beginn des ersten Songs vom »Nein-Sagen«. Am Ende des Songs wird aber doch ein »Ja!« daraus. Ich fühlte mich sofort an den Blumfeldsong »Von der Unmöglichkeit, ›Nein‹ zu sagen, ohne sich umzubringen« erinnert. Wissen Sie, wozu Sie morgens beim Aufstehen »Ja« sagen? Warum Sie immer wieder aus dem Bett kommen?

Schwer zu sagen. Es gibt ja zum Leben nur die Alternative des Selbstmords. Ich möchte viel mehr »Ja« als »Nein« sagen. Ich möchte gar nicht so viel »Nein« sagen müssen. Ich wüsste nicht, warum ich mir zwei Jahre Zeit nehmen sollte für ein Album, um damit am Ende »Nein« zu sagen. Ich möchte dabei sein im Leben. Da muss ich »Ja« sagen.

Jacques Palminger von Studio Braun singt: »Komm mit mir auf die Ja-Straße.«

Das ist sehr gut gesagt.

Die Bejahung des Lebens. Die Figuren, die in Ihren Liedern auftauchen, scheinen trotz allgemeiner Lebensbejahung alle sehr stark beziehungsunfähig zu sein, was in dem »Tren­­nungslied« seinen tragisch-komischen Gipfel erreicht. Sie singen, dass Menschen später im Altenheim mit anderen Menschen nur des­halb zusammenleben, weil sie keine Lust haben, alleine allein zu sein. Und doch sind sie allein. Jeder für sich … Ein sehr trauriges Lied.

Ich finde, das »Trennungslied« ist das traurigste Lied der Welt. Das war auch immer meine Ansage an die Band: »Spielt es wie das traurigste Lied der Welt.« Obwohl es natürlich auch lustig ist, mit seinen doofen Binnenreimen. Doof und banal. Ein ganz banales Thema. Es entwickeln sich eben lustige Szenerien, wenn sich in Cliquen plötzlich alle voneinander trennen. Irgendwie sind die Leute dann ja immer noch zusammen. Ein riesiger Schmerz, der sich immer weiter fortpflanzt. Ein Schmerz, der aber akzeptiert ist. Ich beobachte schon sehr lange, wie sich Trennungen durch das ganze Leben ziehen. Wie viele Geheimnummern ich heute brauche, um durch dieses Leben zu kommen. Meine Groß­eltern hatten noch keine Geheimnummern. Wir haben alle Geheimnummern und Geheimwörter, bis es uns zu den Ohren rauskommt. Diese ganzen Logins überall. In jedem Bereich: ein Bereich der Abtrennung. Plump gesagt, ist das kapitalistische System ein System der Abtrennung. Das fließt in alle Lebensbereiche. So produziert der Kapitalismus in einem Übermaß Melancholie.

Gesellschaft und Melancholie: Rhythm and Blues. Bei Ihrem Song »Restsexualität« und der schönen Textzeile »Bedeckte Körper sind in Ordnung« musste ich unweigerlich an Madonna und ihr aktuelles Album »Hard Candy« denken. Vor allem an die Fotos ihrer Werbekampagne zur Platte.

Bei dem Popphänomen Madonna bin ich absolut nicht dabei. Dabei soll es sich noch um die Emanzipation einer Frau handeln: Nein, da bin ich nicht dabei. Es wäre etwas hart zu sagen, dass ich sie verabscheue … Ich sage lieber: Nein, ich bin da nicht dabei. Madonna verkörpert für mich nicht das Bild einer stolzen Frau. Was ist das nur für eine Gestalt? Was soll das? Immer noch sexueller. Sexuelle Verfügbarkeit so dermaßen durchgelebt …

Das ging Ihnen mit Madonna schon immer so?

Ja, schon immer. Ich habe nie verstanden, warum das jetzt die Emanzipation der Frau sein soll. Ich möchte stolze Frauen sehen, aber keine sexuell motivierten Wesen. Das ist doch von der Ästhetik her alles im Bordell angesiedelt. Das ist kompletter Ausverkauf. Total leer.

Vielleicht sind Pornostars ja auch längst die neuen Popstars.

Ja, vielleicht. Vielleicht bin ich da einfach nur erzkonservativ, ich weiß nicht, was da mit mir los ist. Gerade im Zusammenhang von Verfügbarkeit und dieser Demutsgeste in der Pornografie. Ich finde, da sind Kapitalismus und Por­no­grafie so eine interessante Zusammenballung.

Diese Zusammenballung findet sich ja verstärkt in der Werbung wieder. Glauben Sie, die ständige Begegnung mit Werbung macht uns langfristig fertig, oder haben wir längst Kulturtechniken entwickelt, um damit umzugehen? Wie geht Peter Licht mit dem ganzen Spam-Wahnsinn um?

Es ist einfach schwer, solche Quantitäten abzuschätzen. Was macht man da? Was ist das für eine Struktur? Was machen wir, wenn wir diesen Zustand beklagen? Dazu jetzt »Nein« sagen? Wie gesagt: Ich möchte ja eigentlich gar nicht »Nein« sagen. Ich werde da echt nur sprachlos. Es gibt unterschiedliche Intensitätsgrade, mit denen ich diesen Phänomenen begegne. Ich besitze eine Kulturtechnik, um Werbung mit Gelassenheit zu begegnen: cool bleiben. Ich gehe kommentarlos an Bildern vorbei, auch wenn ich in mir spüre, dass ich eigentlich etwas dazu sagen möchte. Aber ich möchte mich selber nicht damit beschmutzen. Ich möchte es noch nicht einmal ignorieren.

Interview: Maurice Summen