Kritik an Vizepräsidenten José Alencar

Lulas idealer Partner

Linke Weggefährten werfen dem gewählten Staatschef vor, die archaischen Ausbeutungsmethoden seines Stellvertreters zu verschweigen

Schon vor dem Wahlkampfstart verblüffte der ehemalige Gewerkschaftsführer seine linken Mitstreiter der Arbeiterpartei PT mit neuen Einsichten über einen alten Bekannten, den Milliardär und Textilkonzernbesitzer José Alencar. Er sei früher ein armes Schwein gewesen, habe sich zäh hochgearbeitet, aber seine Wurzeln nicht vergessen, er wisse, wie schlimm es ist, arm zu sein, und behandele deshalb seine Arbeiter richtig klasse, kurz: ein Supertyp.

»Mein Bündnis mit Alencar«, so verbreitet es der neu gewählte Präsident Inacio »Lula« da Silva bis heute, »ist eines der Ethik, des Charakters, der Verpflichtungen gegenüber dem brasilianischen Volk.« Und selbst im Pressedienst des PT, in parteinahen Blättern und Zeitschriften finden sich nur Lobeshymnen über den »Parceiro ideal«, den idealen Partner. Auflagenstarke Zeitungen titeln ähnlich: »Der Unternehmer des Volkes«.

Die Companheiros können bei Alencar keine Ethik erkennen. Sie würden gerne einige aufschlussreiche Fakten veröffentlichen, aber so etwas wird inzwischen nicht mehr gedruckt, nur noch Linientreues geht durch. Der bislang parteinahe Gewerkschaftsdachverband CUT ist gegen Alencar und pocht deshalb gleich nach Lulas Wahlsieg demonstrativ auf Autonomie, er betont die Distanz zur neuen Regierung und droht mit Streiks für eine Anhebung des armseligen Mindestlohns von etwa 70 Euro. Denn das ist ungefähr der Grundlohn für die allermeisten der über 16 000 Beschäftigten in Alencars elf Textilfabriken, in seinen Farmen und Zuckerrohrschnapsbrennereien der Coteminas-Gruppe.

Selbst in Anbetracht der brasilianischen Durchschnittspreise, die deutlich unter den deutschen liegen, ist das ein Hungerlohn. »Wer vor allem in den Betrieben Alencars im Nordosten nur damit liebäugelt, in eine CUT-Gewerkschaft einzutreten oder angesichts der niedrigen Löhne das Wörtchen 'Streik' fallen lässt, wird sofort gefeuert«, betonen Führer der CUT im Gespräch mit der Jungle World. In aufgekauften Konkurrenzbetrieben habe Alencar, der Coteminas zusammen mit seinem Sohn Christiano leitet, sofort deutliche Lohnsenkungen verfügt.

Wer sich weigere, die weithin üblichen verfassungswidrigen Zwölfstundenschichten zu akzeptieren, sei ebenfalls seine Stelle los. Arbeiter, die nach zwölf Stunden an den Textilmaschinen nach Hause kommen, sind körperlich völlig erledigt. »Alencar ist ein Menschenschinder, er wird von den meisten Coteminas-Arbeitern regelrecht gehasst«, sagt Fernando Soares, ein Gewerkschaftsfunktionär im nordöstlichen Teilstaat Rio Grande do Norte.

In fast allen Fabriken gilt dieses Schichtsystem, nach drei Arbeitstagen folgt ein freier Tag; nur etwa alle vier Wochen gibt es deshalb einen Sonntag ohne Arbeit. Selbst Mitglieder und Sympathisanten der sozialdemokratischen PT, die in Coteminas-Unternehmen tätig sind, protestierten deshalb ausdrücklich gegen Lulas politische Allianz mit Alencar und dessen rechter Sekte PL (Partido Liberal). Kein Wörtchen davon liest man in der Parteipresse.

Der Firmensitz von Coteminas befindet sich im nach Sao Paulo und Rio de Janeiro wirtschaftlich drittwichtigsten Teilstaat Minas Gerais, in der Stadt Montes Claros. Doch auch dort sehen die CUT, linke Mitglieder des PT, Sozialwissenschaftler und selbst die Arbeiterpastoren der katholischen Kirche ein »archaisches, autoritäres, gewerkschaftsfeindliches Management und eine politische Kontrolle der Beschäftigten«. In den Betrieben herrsche Furcht vor Repressalien und Entlassung.

Das Management stimuliere indessen die Beschäftigten, sich einem Syndikat anzuschließen, das nur die Konzerninteressen vertrete. Es erklärt auf Anfrage, die meisten Arbeiter schafften durchaus ein höheres Produktionssoll, bekämen deshalb eine Produktionsprämie und hätten daher am Monatsende umgerechnet etwa 150 Euro in der Tasche. Aus anderen Betrieben hieß es dagegen, dieses Soll sei nur sehr schwer zu erfüllen. Wissenschaftler der Universität von Minas Gerais wollten in den Textilfabriken des Teilstaats eine Studie über die betriebliche Modernisierung und über die Arbeitsbedingungen anfertigen. Doch der Zutritt zu den Betrieben wurde ihnen verwehrt, dort Beschäftigte waren nicht einmal anonym zu Aussagen bereit.

Auffällig ist, dass neben der CUT auch die katholische Arbeiterseelsorge (Pastoral Operaria) Lula vorwirft, die skandalösen Zustände in den Fabriken Alencars bewusst zu verschweigen; in der Pastoral wimmelt es nur so von CUT- und PT-Mitgliedern. Der in São Paulo wirkende Pfarrer Pedro Baresi aus dem nationalen Führungsgremium der Pastoral nennt es eine »teuflische Strategie« der Eliten, dass ausgerechnet ein archaischer Firmenbesitzer wie Alencar der Stellvertreter Lulas geworden sei und bei dessen Rücktritt zum Staatschef aufsteige.

Coteminas erwirtschaftet wegen der niedrigen Löhne und der üblen Arbeitsbedingungen hohe Gewinne. Seit sich Lulas Wahlsieg abzeichnete, gewannen die Firmenaktien um etwa 30 Prozent an Wert, während die der anderen 55 größten brasilianischen Firmen durchschnittlich 20 Prozent verloren.

José de Almeida aus der Führung des CUT, einer der Gründer der Arbeiterpartei und des Gewerkschaftsdachverbandes, organisierte zu Zeiten der Diktatur mit Lula die ersten Streiks im Industriegürtel von São Paulo. Vor sechs Jahren, als der PT unaufhaltsam in die politische Mitte rückte, gründete er den linken PSTU, die Sozialistische Partei der Vereinten Arbeiter, die heute etwa 15 000 Mitglieder hat. Für sie trat er in diesem Jahr sogar als Präsidentschaftskandidat an.

Alencar kennt er persönlich, er beschreibt ihn als harten Unternehmer, der in Lohnverhandlungen einer Erhöhung niemals zustimme. »Die Allianz des PT mit Alencar dient nur den Inhabern der ökonomischen Macht. Lula redet mit gespaltener Zunge und kungelt mit jenen Eliten, die Brasilien immer schon dominiert haben. Wer die Lebensbedingungen der Arbeiter wirklich verbessern will, darf sie nicht so traktieren, wie Alencar es tut.«

Der heuert unterdessen Rechte aus anderen Parteien an, bis zum Februar sollen aus den fast 30 Kongressmitgliedern seines PL mindestens 50 werden. Die Partei wird von der fundamentalistischen Wunderheilersekte »Universalkirche vom Reich Gottes« beherrscht; jetzt erhält sie erstmals Ministerposten und andere hohe Stellen in der Staatsadministration. Doch das ist ebenfalls kein Thema für Lula.