Rechte Hooligans und Neonazis in Leipzig

Voneinander lernen

In Leipzig sind rechte Fußball-Hooligans und Nazis zu politischen Bündnispartnern geworden.

Anlässlich der Ermordung der achtjährigen Michelle haben die »Freien Kräfte Leipzig« (FKL) vergangene Woche zusammen mit den »Blue Caps Le«, einer rechten Ultra-Gruppe des FC Lokomotive (Lok), Aufmärsche mit mehreren hundert Teilnehmern organisiert, auf denen die »Todesstrafe für Kinderschänder« gefordert wurde.
Das Bündnis aus Nazis und Fußball-Hools ist dabei nicht zufällig. Gerade in Leipzig wird deutlich, dass die Nazi- und die Hooligan-Szene sich immer weiter überschneidet. Immer öfter greifen vor allem parteiferne Nazis mit der gleichen Taktik und Gewalttätigkeit wie Fußball-Hooligans die Polizei an, und es kam bereits zu Übergriffen aus dem Lok-Umfeld, die auf Linke zielten, wie beispielsweise der Anschlag auf den Fanladen des Sportvereins »Roter Stern Leipzig« und die Stürmung der Weihnachtsfeier der »Diablos«, einer antifaschistischen Ultra-Gruppe des FC Sachsen. Bei Lokalderbys sind auf den Rängen von Lok regelmäßig und in trauter Einigkeit Vertreter der FKL und der »Blue Caps« zu sehen. Nils Larisch, Mitorganisator des Rudolf-Hess-Propaganda-Lkws im vergangenen Jahr und zeitweise Mitarbeiter der Landtagsfraktion der NPD, war Gründungsmitglied des FC Lok. Inzwischen wurde er aus dem Verein ausgeschlossen.

Auch wenn in Leipzig schon lange klar ist, dass Lok-Anhänger im Zweifelsfall eher rechts stehen und Nazis, wenn es um Fußball geht, meistens Lok-Spiele besuchen, ist der aktuelle Trend zu einer stärkeren Vermengung von Hool- und Nazi­szene nicht zu übersehen. Der sächsische Verfassungsschutz hält mittlerweile 15 bis 20 Prozent der gewalttätigen Fußballfans für »Rechtsextremisten«. Im vergangenen Jahr wurden nur drei bis fünf Prozent der Fußballfans so eingeschätzt.
Viele ältere Lok-Hools wollen mit politischen Auseinandersetzungen nichts zu tun haben, und auch manchem gestandenen Nazikader ist der Hooliganismus der Jüngeren suspekt. Doch eine neue Generation bei den Nazis und bei den Hooligans hat schon längst das Parkett betreten. Insbesondere die lockeren Strukturen der »Freien Kräfte«, die sich eher an der Clique als an der Partei orientieren, haben die Verbindungen zwischen Nazis und Fußball-Hools ermöglicht.
Parallel zur Vermischung der Szenen nimmt aber auch die Gewalt zu – im Fußball ebenso wie im politischen Auftreten der Nazis. Leipzig steht damit allerdings nur exemplarisch für ganz Sachsen. Auch in Dresden und Chemnitz gibt es diese gewalttätigen Mischszenen, die mittlerweile selbst von den staatlichen Behörden nicht mehr auf die leichte Schulter genommen werden. Im unterklassigen Fußball scheint es der sächsischen Polizei trotz großer Einsätze nach wie vor nicht zu gelingen, der Gewalttätigkeit Herr zu werden, was ihr auch bei Naziaufmärschen angesichts der Hooliganisierung zunehmend schwer fällt.
Es lässt sich bisher nur darüber spekulieren, ob die Radikalisierung der Hool-Szene damit zu tun hat, dass der Einfluss der Nazis größer wird. Offensichtlicher aber ist der Vorteil, den vor allem die Nazis aus der Nähe zum Fußball der dritten Halbzeit ziehen, also den gewalttätigen Auseinandersetzungen vor und nach einem Fußballspiel. Zum einen ermöglicht es ihnen, die organisierte Straßenschlägerei zu trainieren, was für die Auseinandersetzung mit Polizei und Antifa sehr vorteilhaft ist. Zum anderen eröffnet sich dadurch ein weites Mobilisierungsfeld. Die »Kinderschänder«-Aufmärsche der vergangenen Wochen in Leipzig haben dieses Potenzial verdeutlicht.

Jenseits dieses praktischen und taktischen Austauschs sind es aber auch inhaltliche Gemeinsamkeiten, die die Nazis und die Mehrheit der Fuß­ball-Hooligans füreinander interessant machen. Beides sind Männercliquen mit ultrakonservativem Geschlechterverständnis. Frauen spielen nur äußerst selten eine aktive Rolle. Auch im Verhältnis zur Nation und insbesondere zu Deutschland dürfte man sich weitgehend einig sein. Damit verbunden ist der Glaube an das Recht des Stärkeren, der immer wieder aufs Neue unter Beweis gestellt wird. Und nicht zuletzt finden sich beide Gruppen wegen der Auseinandersetzungen mit der Polizei in ihrer Feindschaft gegen die Staatsorgane wieder. Linke Ultra-Gruppen sind in der Hool-Szene nicht grundlos die Ausnahme, auch wenn sich bei Naziaufmärschen in Leipzig immer auch Lok-Hools auf Seiten der Antifa fanden. Solche Beispiele zeigen aber, dass man sich auch im Fußball-Umfeld von solchen Vorstellungen emanzipieren kann.
Ob sich die organisierten Nazis einen großen Gefallen mit der Umarmung der Hool-Szene getan haben, wird sich noch zeigen. Denn offensichtlich kaufen sie sich damit auch eine Entpolitisierung ein, in der die Jungmänner nur noch mitmachen, weil es ihre Clique ist und sie die Chance gewalttätiger Events wittern. Der Streit zwischen Teilen der NPD und den so genannten »Autonomen Nationalisten« läuft unter anderem auf genau diesen Vorwurf hinaus. Jeder Partei­stratege, aber auch jeder nationalsozialistische Kader der »Freien Kräfte« wird verzweifeln, wenn er von Vorfällen wie in Dresden lesen muss. Dort überfielen nach Pressemeldungen vermummte Nazihools feiernde Jugendliche, um ihnen einen Kasten Bier zu klauen.