Maurice Papon aus der Haft entlassen

Il ne regrette rien

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»Das ist die reinste Vitaminspritze für Monsieur Papon«, erklärte der Anwalt Jean-Marc Varaut, nachdem sein Mandant aus einem Pariser Gefängnis entlassen worden war. Der 92jährige Maurice Papon, der von 1942 bis 1944, also während des Vichy-Regimes, für die Deportation von rund 1 500 Juden verantwortlich war, wurde am Mittwoch der vergangenen Woche von einem Pariser Appellationsgericht unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt.

Der Umgang mit dem Nazikollaborateur ist charakteristisch für die Probleme Frankreichs im Umgang mit der Vergangenheit. So wird erst seit wenigen Jahren auf Gedenktafeln, die an Kämpfer der Résistance erinnern, darauf hingewiesen, dass nicht wenige von Soldaten der Vichy-Regierung erschossen wurden.

Papon wurde erst vor drei Jahren zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Nach dem Ende des Vichy-Regimes hatte er unbehelligt Karriere machen können. Als Pariser Polizeichef war er 1961 verantwortlich für den Tod von 300 algerischen Demonstranten, deren Leichen in die Seine geworfen wurden. Die Angehörigen fordern seither vergeblich die Veröffentlichung der Akten und die Bestrafung der Täter.

Im vergangenen Jahr sorgten die Geständnisse ehemaliger Führungsoffiziere im Algerienkrieg, Gefange systematisch gefoltert zu haben, für Empörung. Viele ehemalige Soldaten meinten, dass man die alten Geschichten doch nun einmal ruhen lassen solle. Zu einer juristischen Verfolgung dieser Verbrechen kam es bisher nicht.

Die konservative Regierung steht nun unter Zugzwang. Papon wurde unter einer sozialdemokratischen Regierung verurteilt. Seine Freilassung könnte unangenehme Nebenwirkungen haben, da Jacques Chiracs Wahlversprechen nach Meinung von Wirtschaftsvertretern nicht zügig genug erfüllt werden und die ersten Streiks bei Air France einen heißen Herbst ankündigen. Wegen der zahlreichen Proteste hat die Pariser Staatsanwaltschaft nun auf Anweisung Chiracs einen Antrag auf Revision des Urteils angekündigt. So könnte Chirac es verhindern, dass die Linke die Empörung über die Freilassung Papons gegen die Regierung wendet.

Nach Einschätzung von Gérard Boulanger, dem Anwalt der Hinterbliebenen, wird Chiracs Vorstoß allerdings wenig Chancen haben. Dennoch hält er das Vorgehen politisch für richtig. Die Begründung des Gerichts, dass Papon haftunfähig sei, nannte er »eine willkürlich eingesetzte Variable«. Klaus Barbie musste vor elf Jahren seine Haftstrafe, obwohl er Krebs hatte, noch bis zu seinem Tod absitzen.

Publizistische Unterstützung bekam Papon auch von der Berliner Zeitung. Denjenigen, die nicht vergessen können und wollen, was er getan hat, hielt Johannes Wetzel am letzten Donnerstag auf der ersten Seite vor: »Es ist eine traurige Tatsache, dass Opfer von Grausamkeiten selbst grausam sein können.« So etwas wird dem Mann gut tun, von dem französische Zeitungen berichteten, dass er besessen sei vom »Hass auf seine Verfolger« und nichts bereue.