Neue TripHop-CDs

Verdammt lang her

Der gähnende Alltag von TripHop und die schöne Zeit davor.

TripHop? Da war doch mal was, Portishead, Tricky und so, fand man ja ganz gut. Doch inzwischen traut sich in diesem Genre niemand mehr was, Innovationen finden woanders statt. Man muss lange suchen, um Ausnahmen zu finden. Ehemalige Hip Hop-DJs wie RJD2 oder DJ Fangkiebassbeton sorgen für frischen Wind, während der Rest für den Nachruf bereit zu sein scheint.

Bezeichnend ist auch, dass die neuen Entwürfe für grenzenlose Beatmusik nicht mehr aus England kommen, DJ Fangkiebassbeton etwa wohnt in Köln-Ehrenfeld. Seine Produktionen sind facettenreich, weil hörspielartig. Zwar ist es nicht neu, dass Sprachaufnahmen verschiedener Herkunft als Effekte genutzt werden, doch selten hat das jemand so humoresk zum Programm erklärt wie Fangkiebassbeton. Sein zweites Album »Handkies Met Musiek« übersetzt ironisch schenkelklopfigen Kölner Lokalhumor in ein buntes Universum, das funky die richtige Stelle zwischen Witz und Antihumor berührt.

Aus Columbia, Ohio, stammt RJD2. Seine Debütplatte »Dead Ringer« macht deutlich, wie viel Spaß hemmungsloser Eklektizismus immer noch bieten kann. Mit viel Liebe zum Detail werden alle Stilrichtungen zwischen Rap und Blues berührt, und das mit einer Lust am Spielerischen, die ansteckend ist. Wo andere mit Platituden nerven oder partout nichts falsch machen wollen, geht hier einer einfach seinen Weg, liegt damit goldrichtig und jenseits aller Grenzen des Genres.

Und damit fühlt man sich in die Zeiten zurückversetzt, in denen TripHop das neue, ganz große Programm war und programmiertes und gesampletes Instrumentalmaterial sich als führender Alleinunterhalter durchsetzte.

Man lag damals vor dem Plattenspieler und legte die frischen Vinyls von so mysteriösen Labels wie Ninja Tune, Mo'Wax oder Compost auf. Aus den Boxen kam eine produzierte Melange aus allen schwarzen Musiken, die aufzutreiben waren: Jazz, Funk, Soul, Blues, Reggae. Auch kommerziell funktionierte die Sache gut. HipHop ohne die obligatorischen Raps lud eine neue, weiße, wohlhabende Zuhörerschaft ein, die mit Straßendreck eh kaum was anfangen konnte. Aggressiver Neorealismus war gestern, jetzt regierte der coole Chill.

TripHop markierte mit seinem hohen Nostalgiefaktor, auf den gleichzeitig Filme wie »Pulp Fiction« setzten, unter Bezug auf ein »Gestern« die Hochphase einer postmodernem Poppraxis. Kein Wunder, dass das alles aus England kam. Gerade in London oder Bristol trafen verschiedene Kulturen aufeinander, dementsprechend war TripHop die neue Fusion-Musik.

Und was es damals alles für triphopige Stilblüten gab! Etwa den Cocktail-Lounge-Film. Hier konnte eine neue Generation von Zuhörern den stylishen Connaisseur spielen, Jazz-Geklimper oder Latin-Gezupfe wurde mit weichen Beats so lange verwässert, bis sich eine milde Substanz gebildet hatte, eine Coolness, die man in den Sechzigern in anderer Form von Miles Davis oder Gerry Mulligan kannte. Oft ließ man dazu ein bisschen Lässigkeit vom HipHop abtropfen, um dem ganzen etwas Bodenhaftung zu verleihen. Dazu konnte man dann wunderbar Zigaretten rauchen und Kaffee trinken. »Yes, it's so jazzy«, flüsterte man sich dann gegenseitig ins Ohr.

Oder der Kiffersound. Man kombinierte einfach alle samplebaren Sounds, die im verrauchten Zustand funktionierten, würzte das ganze mit etwas Echo vom Mixer, baute rhythmische Endlosschleifen ein und ließ eine relaxte Gesangsstimme flüsternd-glücklich von »dopen Vibes« stöhnen. Auch wenn es so unglaublich einfach klingt: Acts wie Nightmares On Wax oder Rockers Hi-Fi haben mit diesem Prinzip moderne Klassiker geschaffen.

Der atmosphärische Höhepunkt, der das Potenzial der Soundtrack-Idee im TripHop am stärksten ausnutzte, war das Film Noir-Modell. Indem man die Rhythmen langsam hielt, düstere Bläsersätze und meditative Soulstimmen in einem Meer unendlicher Streicher schwimmen ließ, siedelte man den Sound direkt in der Nacht der Großstadt an. Melancholie, Einsamkeit und urbane Romantik wurden evoziert, zu der man sich wunderbar Bilder von Wolkenkratzern und von Laternen beleuchteten Stadtstraßen machen konnte. Der König dieser Disziplin war eindeutig DJ Shadow, der mit seiner 1993 veröffentlichten Maxi »In/Flux« den Archetyp des Genres veröffentlichte.

Shadows vor drei Monaten erschienenes Nachfolgewerk »The Private Press« will nun noch eins draufsetzen. Das ist zwar sowieso unmöglich, scheitert aber besonders an einer perfekten Produktion, die alles besitzt, außer Leben. »The Private Press« ist das notorische Connaisseur-Werk, dem es vor allem darum geht, sich selbst zu gefallen. Risiken werden keinesfalls eingegangen, eher wird eine pauschale Formel für künftige Hipster-Produzenten niedergeschrieben. Doch wenn das mit Downbeat tatsächlich so weiter geht, ist das Genre bald so langweilig wie ein Musikstudium, und dann kann Shadow auch beruhigt in einer Stereozeitschrift Fachgespräche über Mischtechnik und Equipment führen. Perfekte Produktionsstandards und genaue Kalkulation waren noch nie die Stärken einer DJ-Kultur. Sie sollten es auch nicht werden.

Als extremen Gegenentwurf könnte man die neue Platte von Nightmares on Wax mit (dem klischeebeladenen Titel »Mind Elevation«) heranziehen. Zwar ist es im Vergleich zum vorigen Album »Carboot Soul« etwas kreativer geraten, doch wirkliche Impulse sehen anders aus. Der Kopf des Kollektivs aus Leeds, E.A.S.E., hat den vielleicht typischsten aller Abhängersounds, der sich immer noch auf Quincy Jones und Jamaika-Fusion im britischen Weichzeichner stützt, jetzt um Songwriting erweitert. Reggae- und Soulsänger treffen sich für einige Stücke, die zwar wieder im gleichen, bekifften Universum enden, sich aber wenigstens kurzzeitig um Progression bemühen und eine Entwicklung vom Track zum Song offenbaren.

Selbstverständlich scheint auf »Mind Elevation« wie gewohnt die Sonne. Ein paar Streicher deuten an, dass man mit der Natur harmoniert, in der wiederum E.A.S.E. es sich für das Posing auf dem Cover gemütlich gemacht hat. Alles in allem haben wir es hier mit uninspiriertem, aber wenigstens recht nettem, sagen wir: HippieHop, zu tun.

Reicht das? Nö. Tendenziell hat TripHop als Stil wohl ausgedient. Das zeigt auch der aktuelle Output eines Labels wie Compost, wo inzwischen Eindimensionalität regiert, oder das Verschwinden vom Londoner TripHop-Mutterschiff Mo'Wax. Einer Gruppe wie Massive Attack wäre es eh zu wünschen, dass sie sich mal auflösen würde, die anderen sollten sich schleunigst was ausdenken, um nicht in den eigenen Klischees zu ersaufen. Momentan ist die Live-Instrumentierung hoch im Kurs, doch anders als die souveränen Cinematic Orchestra kann nicht jeder was, nur weil er einen Jazz-Akkord spielen kann. TripHop als Plateau für Verspielte wie RJD2 oder Fangkiebassbeton wäre eine Option, die man sich für dieses Genre wünschen könnte. Der Rest sollte sich bitte was Neues ausdenken, oder: Ab in die Tonne.

Fangkiebassbeton: Handkies Met Musiek
(Musicismyheroin)
RJD2: Dead Ringers (Def Jux)
DJ Shadow: The Private Press (Universal)
Nightmares On Wax: Mind Elevation (Warp)