Der deutsche Hang zum Sumpf

Deutscher Sumpf

Aus dem »sumpfigen Germanien« wurde nach 2 000 Jahren doch noch ein regelrechtes Gartenland. Aber der deutsche Hang zum Sumpf lässt selbst »blühende Landschaften« allmählich wieder versinken.

»Der Gestus Münchhausens, wie er sich und sein Pferd am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht, wird zum Schema einer jeden Erkenntnis, die mehr sein will als bloßer Entwurf.« Theodor W. Adorno

Die Schlacht am Teutoburger Wald im Jahr 9 nach Christi, in der germanische Stämme unter der Führung von Hermann dem Cherusker drei Legionen des römischen Feldherren Varus aufrieben, jährt sich im kommenden Jahr zum 2 000. Mal. Die Nachkommen der Sieger wollen das feiern – unter der Schirmherrschaft von Angela Merkel. »Die Kanzlerin wagt sich damit auf sumpfiges Gelände«, sagte dazu Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung. Damit ist nicht das ursprünglich moorige Schlachtfeld gemeint, das sich neuesten englischen Erkenntnissen zu­folge gar nicht dort befindet – in der Nähe von Detmold in Westfalen – wo Kaiser Wilhelm I. ab 1838 das die »Freiheitskriege« besiegelnde Hermannsdenkmal errichten ließ, sondern im niedersächsischen Kalkriese, bei Osnabrück, wo man 2001 ein Museum errichtete, auf den Überresten der erschlagenen Römer sozusagen.
Die Schlacht bei Kalkriese, die endgültig die römische Besatzungsmacht vertrieb, ist nun auch nicht mehr nach dem Germanenführer Arminius (vulgo: Hermann) benannt, sondern nach dem von ihm besiegten römischen Heerführer Varus. Inzwischen hat sich die politisch korrekte Meinung durchgesetzt, dass der einzige deutsche Sieg im Partisanenkrieg auf heimischem Territorium – »im sumpfigen Germanien«, wie Gustav Seibt schreibt – ein großer Fehler war: Uns entgingen dadurch nämlich mindestens 500 Jahre Zivilisation. Wenn Rom die Germanen ebenso wie zuvor die Gallier, die eher soldatisch als partisanisch kämpften, besiegt hätte, dann sähe hier jetzt alles noch viel kultivierter aus. Der Altertumsforscher Rudolf Borchardt sprach bereits 1942 von einer »verfehlten Romanisierung« der deutschen Nation.
Über den gallischen Umweg versuchten es die »Römer« unter Napoleon Anfang des 19. Jahr­hunderts noch einmal mit den Deutschen. Aber auch hierbei gerieten die an sich überlegenen französischen Truppen schließlich wieder in den »germanischen Sumpf« – und in partisanischen Hinterhalt. Zwar gelang der deutsche Sieg diesmal nur dank des Widerstands der verbündeten Slawen (des russischen Heeres), aber die Ehre, dafür 1808 eine erste partisanische Kampfanleitung geschrieben zu haben, kommt dem Dichter Heinrich von Kleist zu – mit seinem Drama »Die Hermannsschlacht«. An einer Stelle heißt es: »Das ist der klassische Morast / Wo Varus stecken­geblie­ben. / Hier schlug ihn der Che­rusker­fürst. / Der Hermann, der edle Recke; / Die deutsche Nationalität, / Die siegte in diesem Drecke.« Die antinapoleonischen Insurgenten in Preußen hatten inzwischen Probleme mit einem solchen Kampf: Immer wieder ermahnte der damals ins Exil nach Moskau ausgewichene Freiherr vom Stein die meist unter der Füh­rung von Offizieren gegen Napoleon antretenden Deutschen, keine schneidigen Attacken zu reiten und sich auch nicht soldatisch zu verschanzen, sondern nach überfallartigen Angriffen rasch den Rückzug anzutreten – z.B. in die »Emsländischen Moore«. Umsonst.
Erst als die napoleonische Armee bei Moskau ins Leere gesiegt hatte, wendete sich das Blatt. Dennoch waren es schließlich doch die Kosaken, die Berlin von der Franzosenherrschaft befreiten, die Bürger jubelten ihnen bloß zu. Weil die Partei- und Staatsführung der DDR sich stets in der Tradition der Guten, d.h. der wenigen aufständischen Preußen, sah, beschäftigte sich nach der Wiedervereinigung 1990 eine Reihe jün­gerer, westdeutscher Wissenschaftler noch einmal mit dem antinapoleonischen Volkswiderstand in Preußen – und kam dabei in Anlehnung an die Zivilisationstheorie von Norbert Elias zu dem zeitgemäßen Schluss, dass bei der Enthegung des Krieges durch Elemente von Partisanentum »ein Prozess der Dezivilisierung« eingeleitet wurde und werde. Insbesondere an der »Hermannsschlacht« des »Psychopathen« Heinrich von Kleist lasse sich das Wieder-Barbarisch-Werden des Volkes im Widerstand klar herausarbeiten. Zudem erfolgte die Befreiung von den zivilisierten Franzosen mit Hilfe der barbarischen Russen, so dass man auch diesen Sieg – rückblickend – eigentlich als eine Niederlage ansehen muss.
Was war da in der Zwischenzeit geschehen? Aus dem »sumpfigen Germanien« war ein blühendes Deutschland – ein regelrechtes Gartenland geworden. Derart, dass der Wiedervereinigungskanzler Helmut Kohl auch den Ostdeutschen im Falle ihres Anschlusses an den Westen sogleich »blühende Landschaften« versprach. Und das tat auch augenscheinlich not, denn die DDR war im Laufe der kommunistischen Herr­schaft seit 1945 immer grauer und unansehnlicher geworden. Eine solche Sichtweise gehört jedoch selbst noch zur deutschen Nation­wer­dung.
Schon den römischen Gelehrten Gajus Plinius Secundus hatten die Germanen, insbesondere die küstenkultivierenden Friesen, ins Grübeln gebracht: dieses »armselige Volk«, das auf »hohen Erdhügeln« in Schilfhütten lebte und mit »getrocknetem Kot« seine kärglichen Speisen kochte, damit sich »ihre vom Nordwind erstarrten Eingeweide erwärmen«. Bei Flut, »wenn die Gewässer die Umgebung bedecken, gleichen sie mit ihren Hütten den Seefahrern, Schiffbrüchigen aber, wenn die Fluten zurückgetreten sind«. Dennoch wollten die Friesen sich nicht den Römern unterwerfen. »Wahrlich«, seufzte Plinius, »viele verschont das Schicksal zu ihrer Strafe«. Ähnlich äußerte sich der römische Historiker Tacitus – über ganz Germanien: Das Land »zeigt zwar im einzelnen Unterschiede; doch im ganzen macht es mit seinen Wäldern einen schaurigen, mit seinen Sümpfen einen widerwärtigen Eindruck«.
Die von Tacitus gleichzeitig gerühmte »Freiheit der Germanen« war ebenso wie ihr unwirtlicher Lebensbereich und dessen gemeinschaftliche Bewirtschaftung nach und nach geschwunden. Aber noch im 18. Jahrhundert »durch­streiften hier Wölfe die Wälder und Sümpfe, zumal im Osten«, schreibt der Landschaftshistoriker David Blackbourn in seiner 2007 erschienenen »Geschichte der deutschen Landschaft – ›Die Eroberung der Natur‹«. Dann ging es jedoch los – mit dem Preußenkönig Friedrich I. Zuvörderst nahm der sich die große »morastige Wüste« vor, wie der 1777 durch Ostelbien gereiste Johann Bernoulli das Oderbruch nannte: eine »natürliche Auenlandschaft«, die zwei Mal im Jahr überschwemmt wurde. Der Sohn des »Alten Fritz« – Friedrich II., auch der Große genannt – führte das Trockenlegungsprojekt mit Hilfe holländischer Entwässerungsfachleute und dem Einsatz von Soldaten fort. »Ländereien urbar zu machen, beschäftigt mich mehr als Menschenmorden«, hatte er bereits vor seiner Inthronisierung in Küstrin gesagt. Beim Oderbruch konnte er abschließend stolz verkünden: »Hier habe ich eine Provinz im Frieden erobert.«
Auch in anderen Teilen Brandenburgs sowie in der Magdeburger Börde, im Emsland, in Friesland, im bayrischen Donaumoos und am Teutoburger Wald begann man im 18. Jahrhundert, Sümpfe trocken zu legen, den Torf abzubauen und landlose Bauern, gerne auch aus dem Ausland, auf den neugeschaffenen, z.T. sehr fruchtbaren Böden anzusiedeln. Der Preußenkönig war jedoch geradezu besessen davon, aus »grauen, trostlosen« Sümpfen »blühende Gärten« zu schaffen. Ständig entdeckte er neue Feucht­­gebiete, die der Entwässerung harrten. Noch kurz vor seinem Tod schrieb er dem Präsidenten von der Goltz in Königsberg: »Hier­nechst ist von der Seite von Tilsit an noch ein großer Morast zu defrichiren.« Mit der Verwandlung von Sümpfen in Siedlungsland ging die Vernichtung bzw. Vertreibung der Schädlinge einher (von den Bibern und Wölfen über die Malariamücke bis zu den Spatzen).
Seit der Wiedervereinigung gibt es nun aber einerseits – infolge der Arbeitslosigkeit – eine zunehmende Abwanderung aus Ostelbien und andererseits eine starke Zuwanderung – von Wölfen: Sie sind jetzt ganzjährig geschützt und werden von promovierten Wolfsforscherinnen flankiert, darüber hinaus wurde ein »Wolf-Management-Plan« aufgestellt. Geradezu eine 180-Grad-Wende – nicht nur in landschaftspolitischer Hinsicht.
Mit der Trockenlegung des Oderbruchs hatte dort eine preußische Ordnung Einzug gehalten. Sie erstreckte sich auf den Straßen-, Brücken- und Kanalbau sowie auf die 1 200 Dörfer, die allein in Preußen von Mitte bis Ende des 18.Jahr­hunderts entstanden – und geometrisch angelegt wurden, die Felder der Erntemaschinen we­gen quadratisch. Es gab Widerstand: einmal im Osten von den armen, meist slawischen Fischern, die aus ihren »sumpfigen Kietz-Siedlungen« vertrieben wurden, zum anderen von Gewerbetreibenden, die sich nicht zuletzt ihretwegen angesiedelt hatten, aber auch von Deserteuren und Kriminellen, die sich im Bruch versteckt hielten. Auch die ersten, romantisch gestimmten Naturschützer im Westen meldeten Bedenken an. Am Ende wurde jedoch die »ungesunde, entlegene brotarme Sumpf- und Wasserwüste der Slawen durch die lange unentwegte Arbeit der Siedler umgeformt in das prangende Grün der fruchtbaren Wiesen«, wie Otto Schlüter schrieb, der sich dem Deutsch­ritterorden (Ordo Teutonicus) widmete, mit dem recht eigentlich die als Kultivierungsarbeit verstandenen Eroberungen des Ostens begannen.
Goethe hat diesen Kulturkampf 1830 am Ende seiner Tragödie »Faust II« thematisiert: Dort ordnet Faust kurz vor seinem Tod noch die Vertreibung/Ermordung der letzten Bewohner an, die seinem großen »Kanalbau-Projekt« im Wege stehen. In einer Weimarer Inszenierung brachte jüngst ein junger Westregisseur diese drei letzten Opfer des Faust als »nörgelnde Ostrentner« auf die Bühne. Inspiriert hatten den Weimarer Dichter einst die Trockenlegungsversuche in den »Pontinischen Sümpfen« bei Rom, die er 1787 besichtigte. Hier hatten bis etwa 300 vor Christi die Volsker gesiedelt. Nachdem die Römer sie besiegt und alle Wälder ringsum abgeholzt hatten, versumpfte die rund 780 Qua­drat­kilometer große, einst »blühende Kulturland­schaft«, als die Plinius den »Agro Pontino« beschrieb. Bald war die ganze Ebene malariaverseucht. Bereits Caesar und einige Kaiser nach ihm sowie mehrere Päpste und auch Napoleon versuchten dann, die Sümpfe trocken zu legen. 1930 nahm Benito Mussolini die Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe in Angriff. Für die Durchführung der Arbeiten wurden zehn Jahre veranschlagt.
Wenn in Deutschland im Zusammenhang mit der Trockenlegung der Sümpfe und Moore, der Begradigung der Flüsse und der Errichtung von Talsperren die »Vernichtung der Arten« beklagt wurde und eine auf Erhaltung bedachte Natur- und Landschaftsschutzbewegung entstand, dann waren immer Bio- und so gut wie nie Soziotope gemeint. Auch wenn Romantiker angesichts der zunehmenden Vernutzung der Landschaft von »Heimatverlust« oder gar von einem »verlorenen Paradies« sprachen. Neuerdings hat die Historikerin Rita Gudermann ein Buch (»Morastwelt und Paradies«) über die Trockenlegung von Sümpfen und Mooren in Westfalen und Brandenburg veröffentlicht. Ihrer Stu­die, die sich auf das Ostmünsterland und das Havelland sowie auf die Zeit zwischen 1830 und 1880 beschränkt, ist zu entnehmen, dass der Meliorationsprozess (lat. melior: besser) keines­falls linear »vom Schlechteren zum Besseren verlief, sondern ganz im Gegenteil von harten Auseinandersetzungen geprägt war«. Dazu beruft sich die Autorin u.a. auf den westfälischen Bauern Philip Richter, für den sich das Verschwin­den der »alten Morast-Welt« mit der Auflösung der Allmende im 19. Jahrhundert verband. Es war in der Tat »ein erklärtes Ziel der auf wirtschafts­liberalen Vorstellungen beruhenden Agrarrefor­men«, schreibt sie, »mit der Durchsetzung des Privateigentums am Boden auch eine intensivere Bewirtschaftung zu ermöglichen, der die vielfältigen rechtlichen Bindungen und der Aus­einanderfall von Besitz- und Nutzungsrechten zuvor einen Riegel vorgeschoben hatten«.
Kurz gesagt, schuf die Zerschlagung des Gemeindeeigentums einen Binnenmarkt, der die Bevölkerung in Konsumenten und Produzenten aufspaltete – auch auf dem Land, d.h. es ent­standen dort wenige reiche Bauern und viele landlose Arme, die sich irgendwo und irgend­wie durchschlagen mussten. Diese »Vergrößerung der sozialen Ungleichheit seit dem Ende des 18. Jahrhunderts barg einen enormen Konfliktstoff, der während der Krisenjahre der 1830er und 1840er Jahre geradezu explodierte«. Was lag da näher, als, wo es nur ging, Neuland zu schaffen und für die Trockenlegungsarbeiten eben diese neuen Dorfarmen, d.h. alle »Überflüssigen«, zu verpflichten. Nicht nur die Landesherren, auch Gutsbesitzer und reiche Bauern nahmen nun, z.T. genossenschaftlich organisiert, Entwässerungsprojekte in Angriff.
Zur selben Zeit, zu der solche Landschafts­umgestaltungen vorgenommen wurden, entstand eine »Landesverschönerungsbewegung«. Sie wollte keinen Gegensatz von Ökonomie und Ästhetik konstruieren, sondern, im Gegenteil, »das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden«, um »die Erde in ein irdisches Paradies zu verwandeln«. Ihre »Verschönerung« wurde geradezu als ein »göttlicher Auftrag an den Menschen begriffen«. Es galt, »die vorgefundene Landschaft in eine arkadische zu verwandeln« – bis, mit den Worten Jonathan Schuderoffs – »ganz Deutschland ein großer Garten« geworden sei. Und man, wo dies z.B. in und um Potsdam mit aller gestalterischen Strenge durchgeführt wurde, mit Herder sagen konnte: »Hier ist die Natur zur Kunst und die Kunst zur Natur erhoben.«
Die Idee dazu kam aus England. Vorreiter des Landschaftsgartens war hierzulande Fürst Franz von Anhalt-Dessau mit seinem bereits 1768 angelegten »Wörlitzer Park«. Dabei wurde das gesamte Flussdreieck zwischen Elbe und Mulde tiefgreifend umgestaltet. Dies geschah hier sehr viel »schonender« als im preußischen Oderbruch und war eher von humanistischem als von merkantilistischem Denken beseelt. Ähnliches gilt für den Landschaftspark in Muskau an der Neiße und in Branitz bei Cottbus, die der Fürst Hermann von Pückler 1816 anlegen ließ und womit er sich zwei Mal finanziell ruinierte. Anderswo gingen die Anstrengungen zur landwirtschaftlichen Intensivierung weiter. Aber die ästhetische Betrachtungsweise – der restlichen Moore und Heiden beispielsweise – führte gleich­zeitig zu einer Identifikation mit der »unberührten Natur«. Deren Verschwinden wurde als Verlust erlebt. Ab 1880 gewann die deutsche Naturschutzbewegung an »politischer Schlagkraft«, schreibt Rita Gudermann. 1904 gründete sich der »Bund Heimatschutz«. Trotz wach­sender Kritik an der »Denaturierung« wurden die Meliorationsarbeiten jedoch unvermindert weitergeführt. »Dieser Prozess der Landschaftszerstörung verstärkte sich sogar noch, als ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts professionell und mit Hilfe des Staates gegen die verbliebenen Moore vorgegangen wurde.«
Die Ökologiebewegung konnte sich dagegen erst ab den sechziger Jahren durchsetzen, nachdem man sie aus den USA importiert hatte. Seitdem wird auf den Schutz der verbliebenen, marginalen Reste der früheren Moor- und Heideflächen besondere Energie verwandt. 1921 erklärte man die Lüneburger Heide zum ersten deutschen Landschaftsschutzgebiet. Weitere folgten. 1991 wurde z.B. die Rhön zum »Bio­sphä­ren­reservat« erklärt, und am »Schwarzen Moor« bzw. an dem, was davon noch übrig geblieben ist, steht nun statt eines Arbeitslager-Wachturms ein behindertenfreundlicher Aussichtsturm für Touristen.
Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der deutsche Historiker Heinrich von Treitschke alles daran gesetzt, den Gegensatz zwischen dem »neuen Grün germanischen Fleißes« und den »Sümpfen und Morästen der Polen« ins allgemeine Bewusstsein zu heben. Diese waren grau und düster, jenes licht und farbenprächtig. »Die Zuordnung von Farben gehörte unweigerlich dazu, wenn Deutsche die eigene und die polnische Landschaft charakterisierten«, schreibt David Blackbourn. Währenddessen brachte die Assoziation von »Sumpf« und »Slawen« einen ganz neuen Wortschatz hervor, der z.T. noch gültig ist: Prostituierte hießen »Sumpfblüten«, »sumpfen« wurde zu einer Bezeichnung für »herumhuren«, durch zu viel Alkoholgenuss »versumpfte« man, oder man geriet in den »linken« bzw. »kriminellen Sumpf«.
Das größte Sumpfgebiet auf dem Kontinent, die Pripjet-Sümpfe in Podlasien, mit einer Ausdehnung von 270 000 Quadratkilometern, wo sich ab 1941 gut 100 000 Partisanen versteckt hielten, dieser noch heute riesige Sumpf, in dem damals eine Bevölkerung von zwei Millionen Menschen angeblich »in hoffnungslosem Stumpfsinn vegetierte«, wurde 1939 von dem Raumordnungsplaner Martin Bürgener kurzerhand zur »Urheimat« aller Slawen erklärt. Nach Abschluss des Versailler Vertrags und dem Verlust der so genannten Ostgebiete war es zu zahl­reichen Veröffentlichungen gekommen, mit denen bewiesen werden sollte, dass die deutschen Siedler dort der wilden Natur »lachende Fluren und blühende Felder« abgerungen – kurzum: einen wahren »Garten« geschaffen hatten, den die Polen verkommen ließen.
Mit dem Einmarsch in Polen 1939 versuchten die nationalsozialistischen Gärtner erneut, den Osten, diesmal bis hin nach Moskau, zu »kultivieren«. Dazu gab es einen »Generalplan«, den man zwei Jahre zuvor in einer der ärmsten Gegenden Deutschlands, in der Rhön, erprobt hatte. Er hieß dort »Dr. Helmuth-Plan« und sah die Trockenlegung von Feuchtgebieten, die Entsteinung der Äcker, den Straßen- und Brücken­­­­­­bau sowie die Anlage von Truppenübungsplätzen vor. Der Flecken geriet 1938 zur »größten Bau­stelle Deutschlands«. Der spätere DDR-Schriftsteller Bodo Uhse versuchte in den dreißiger Jah­ren, die Landarbeiter und Kleinbauern in der Rhön zu organisieren, später veröffentlichte er einen Artikel mit dem Titel »Hitlers Pontinische Sümpfe« über den »Dr. Helmuth-Plan«. Darin heißt es, dass man alle Dorfarmen und ihre Familien, »etwa 100 000 Menschen insgesamt«, gemäß des »Helmuth-Plans«, von ihren zu kleinen Äckern vertreiben und dafür »lebensfähige« Erbhöfe schaffen wollte. Uhse spricht von einer »Klassenbereinigung – die Halbproletarier sollen völlig proletarisiert werden. Das ist der ökonomische Sinn des Aufbauplans.« Die Frankfurter Zeitung meldete 1938, dass man von 13 735 landwirtschaftlichen Betrieben in der Rhön 11 552 als »nicht lebensfähig« eingestuft habe.
Als dann ab 1939 mit dem Überfall auf Polen und zwei Jahre später auf die Sowjetunion der »Generalplan Ost« realisiert wurde, den man als eine riesige »Aufgabe des Aufbaus im Osten« bezeichnete, wurden die Deutschen schon bald von einem regelrechten »Ostrausch« ergriffen. Fachleute, wie Heinrich Wiebking-Jürgens­mann, sprachen von einer »Blütezeit für … deutsche Landschafts- und Gartengestalter«, die angebrochen sei. Es ging darum, dort eine Fläche »rassischer Reinheit« zu schaffen: Polen und Juden wurden deportiert, »Judenweiber sind in die Sümpfe zu treiben«, ordnete der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, an. Noch als man Massenvernichtungsmittel anwandte – u.a. im Vernichtungslager Auschwitz, das auf einem oberschlesischen Moor errichtet wurde –, war das »In-die-Sümpfe-Treiben« Blackbourn zufolge ein »Euphemismus für Ermordung«. Auschwitz galt dem dort inhaftierten Partisanen Primo Levi dann als »die letzte Kloake des deutschen Universums«.
Im norddeutschen Moorlager Esterwegen war der Heilpraktiker Arnold Eickmann inhaftiert. Er wurde in das KZ Sachsenhausen gebracht, wo er in der Gärtnerei arbeitete. Zu allen KZ gehörten umfangreiche Gartenanlagen mit Gewächshäusern, daneben mussten die Gär­t­ner auch die Freiflächen in den Lagern und die Appellplätze »verschönern«. Eickmann, der in mehreren KZ inhaftiert war, schreibt in seinen »Erinnerungen« über das KZ Oranienburg: »Im Lager und rundherum grünt und blüht alles.« Jeder Angehörige der SS-Wachmannschaft konnte sich auch noch »einen Garten nach seinem Geschmack einrichten lassen«. Eickmann wird die Ausgestaltung des Privatgartens von Richard Glücks übertragen: »Ich konnte dabei alle meine Pläne durchführen, denn für den SS-Gruppenführer stehen unbegrenzte Mittel zur Verfügung, Menschen, Geld und Baumaterial.« Mit Hilfe von 100 Häftlingen bepflanzt Eickmann den breiten Weg vom Toreingang bis zu Glücks’ Haus mit einer Doppelreihe Pappeln, er legt Blu­menbeete, Staudengruppen, einen riesengroßen Steingarten und einen mit Trauerweiden umrandeten künstlichen Teich an. Anschließend soll er den Privatgarten des Generals der Waffen-SS, Theo Eicke, in Sachsenhausen ausgestalten. Danach legt Eickmann auch noch in einigen anderen KZ große Privatgärten an.
Der »Rhönplan« des Gauleiters Dr.Helmuth fand nach dem Krieg doch noch seine Verwirklichung – im Kleinen: als »Aufbau Ost« in der ehemaligen DDR, nachdem diese der BRD »beigetreten« war. Dabei war, wie erwähnt, von »blühenden Landschaften« die Rede. Auch diese Aufgabe versetzte die Mitgestaltenden in eine Art Ostrausch. Der für die wirtschaftliche Verwaltung Ostelbiens zuständige Treuhandchef Detlef Rohwedder klagte über seine Managerkollegen: »Die benehmen sich im Osten schlimmer als Kolonialoffiziere!« Einer seiner Privatisierungsdirektoren sagte z.B. auf einer Berliner Treuhandkonferenz: »Ich muss unbedingt mal wieder Ostweiber beschlafen!«
Sogar die politische Vorlage für die Wiedervereinigung stammte noch aus der Zeit des nationalsozialistischen Ostrausches, d.h. nach dem Scheitern der DDR wurde das Territorium noch einmal von der vorangegangenen, anti­kommu­nis­ti­schen deutschen Raub- und Raumplanung eingeholt und überrollt, indem bei der Treuhandpolitik ein alter Plan verwirklicht wurde, den der Jurist Friedrich Ernst für das »Gesamtdeutsche Ministerium« in den fünfziger Jahren ausgearbeitet hatte. Von 1939­ bis ’41 war er für die Verwaltung des »feind­lichen Vermögens« verantwortlich gewesen und hatte dazu die »Richtlinien« zur Wirtschaftsführung in den »neubesetzten Ostgebieten« ausgearbeitet. Diese Instruktionen – Hermann Görings be­rühmte »Grüne Mappe« – waren dann Grundlage für die Tätigkeit des »Wirtschaftsstabes Ost«: die Vorlage für die Ausplünderung der Sowjetunion. Dr. Ernsts praktische Empfehlungen waren 1960 bereits so ausgereift, dass sie noch 30 Jahre später als »Masterplan« für die Privatisierungspolitik der Treuhand in Ostdeutschland taugten. Bei diesem Reload des »Dr. Ernst-Plans« fehlte es auch nicht an Stimmen, die noch aus dem nationalsozialistischen Ostrausch herüber­­­­­tönten – indem sie von »verwüsteter Raublandschaft« sprachen, von »sterilen Halden und Abbauflächen, von Dämpfen und Gasen überlagert, von ekligen Gewässern durchsetzt«, wie einst der »Ostraumplaner« Erhard Mäding, sowie auch von einer, inzwischen kommunistisch regierten »Welt«, weit entfernt von »dem grünen Garten, der von der »[west-]deutschen Hochkultur« geschaffen worden war. Selbst die eilig eingeflogene US-amerikanische Schauspielerin Jane Fonda war sich nicht zu schade, für CNN am chemievergifteten »Silbersee« (!) zwischen Wolfen und Bitterfeld zu posieren – und bitterlich zu weinen ob des dort zerstörten Naturschatzes.
Nach Abschluss des »Aufbaus Ost« in der Ex-DDR wird nun deutlich: die diesmal fast friedliche Vertreibung der vom slawischen Schlendrian quasi durchseuchten Ostdeutschen – mittels Arbeitslosigkeit, Hartz IV, Zwangsarbeit und Ernteeinsätzen. Das schafft Platz – nicht nur für viele neue Naturschutzgebiete und für die Wiederansiedlung von (slawischen) Wölfen, es ermöglicht auch immer mehr Westdeutschen, sich dort anzusiedeln – um rekultivierend zu wirken, indem sie ihre Umgebung aufs Liebevollste umgestalten, auf privater Basis diesmal.
Während die deutsche Kultivierungs- bzw. Kul­turgrenze immer weiter nach Osten verschoben wurde, entstanden im bereits so gut wie trockenen Kernland ab Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr idyllische Gartensiedlungen. Die erste – »Marga« genannt – ab 1907 bei Senftenberg. Sie war für Bergarbeiter gedacht, während die in den zwanziger Jahren gebaute »Gartenstadt Leuna« für Handwerker geplant wurde. In Staaken und Falkensee bei Berlin entstand etwa zur selben Zeit »Europas größte Gartenstadt«. Zuvor hatten die Bürger bereits in vielen Städten Botanische und Zoologische Gärten gegründet, und die Stadtverwaltungen hatten öffentliche Parkanlagen anlegen lassen, nicht selten mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Arbeitslose verbunden. Für die einkommensschwachen Schichten wurden zur Selbst­versorgung Schrebergärten ausgewiesen. Die Erbauungszeitschrift Gartenlaube, 1853 gegründet, entwickelte sich gegen Ende des 19. Jahr­hunderts zum ersten erfolgreichen, deutschen Massenblatt, sie wurde 1944 eingestellt. Zuvor hatten die Nazis noch für jedes deutsche Dorf ein Naturschutzgelände und für jeden Kreis ein Naturschutzgebiet geplant, der Abschuss eines Adlers wurde zu einem todeswürdigen Verbrechen erklärt.
Heute ist es schon fast wieder so weit: So wurde im Herbst 2007 z.B. der in Ostdeutschland aufgewachsene Schreiadler »Sigmar« auf seinem Flug nach Afrika über Malta abgeschossen. Da sich die Vogelschützer inzwischen besonders intensiv der Insel widmen, wurde dem jungen Schreiadler schnelle Hilfe zuteil. »Die Naturschützer sammelten das verletzte Tier auf und ließen es per Flugzeug in die Berliner Uni-Tierklinik bringen, aber es überlebte nicht. Die Ärzte mussten den Greifvogel wenige Wochen später wegen einer infizierten Wunde einschläfern. Ein bitterer Verlust«, schrieb die Süddeutsche Zeitung. Diese naturfürsorgliche Ent­wicklung wurde in den siebziger Jahren forciert – von der Sonnenblumenpartei Die Grünen, mit Öko- und Bio-Food, mit Hinterhofgärten, Dachgärten, Schulgärten, Gemüsebeeten auf Balkonen, immer anspruchsvolleren Blumenläden und gigantischeren Gartencentern bzw. Blumengroßmärkten. Für die Berliner Gewässer wurde ein »Röhrichtschutzgesetz« erlassen. Die deutsche »Hauptstadt der Nachtigallen« ist inzwischen derart begrünt, dass einige New Yorker Urbanisten neulich nach einer Stadtbesichtigung per Schiff – vom Humboldthafen über die Spree zum Landwehrkanal – erstaunt fragten: »Where is the city?« Bei den Agrarwissenschaftlern an der Humboldt-Universität hat man einen Lehrstuhl für »Stadtgärten« eingerichtet, und in einigen Bezirken gibt es bereits »besetzte Gärten« sowie auch Wohnkomplexe mit einem Hinterhofsumpf als dezentraler Kläranlage. Den Reichen, die ein Haus von einem berühmten Architekten in einer Villengegend erwarben, bietet das Gartendenkmalamt sogar an, die in die Millionen gehenden Kosten für die detailgetreue Rekons­truktion ihres Gartens zu übernehmen. Die Besitzer dürfen dann allerdings keine Gartenmode mehr mitmachen.
Diese besteht derzeit vornehmlich im Anlegen von Gartenteichen und -sümpfen. Es gibt in Deutschland bereits gut drei Millionen davon. Der neue deutsche Hang zu Miniatursümpfen, Feuchtbiotopen, Teichen und Sumpfbeeten bzw. »Gartensümpfen« hat eine ganze Industrie entstehen lassen. Das Angebot reicht von Tier- und Pflanzenzüchtungen bis zu Umwälzpumpen, Fertigteichen und Sumpfgarten-»Beratern«. Einer, Jens Beiderbeken, der Gartenbesitzerinnen in und um Spandau beim Anlegen ihrer Feuchtbiotope hilft, spricht von einem »regelrechten Sumpffieber«. Aber auch z.B. der Bund Naturschutz legt immer neue Teiche an – mit Flachwasser- und Sumpfzonen. In Ostdeutschland hat man 1995 das sich etwa ab Hohenwutzen flussabwärts an das Oderbruch anschließende Untere Odertal fast bis zum Stettiner Haff zu einem »Nationalpark« erklärt. Auf polnischer Seite kamen dazu noch zwei »Landschaftsschutzparks« – zusammen ist damit eine Fläche von 1 172 Quadratkilometern erfasst. Dort darf die Landschaft nun langsam wie­der den Charakter eines Feuchtbiotops annehmen.
Im Oderbruch, wo die Trockenlegung der deutschen Sümpfe im großen Stil begann, wurde im Mai 2008 eine Ausstellung von zwei Kulturwissenschaftlern eröffnet, die sich mit der Zukunft dieser Landschaft befasst. Veranstaltet wurde sie vom Forum Oderbruch e.V., einem »Zusammenschluss aus Honoratioren und Honoratioren-Vereinen, der unter dem Eindruck der Hochwasserbedrohung 1997 gegründet wur­de. Die zwei Kulturwissenschafter sollten Szenarien für mögliche Entwicklungstendenzen der Region entwerfen und einen Meinungsbildungsprozess darüber auslösen«, schreibt die Rezensentin der Dorfzeitung von Reichenow, Imma Harms, die das Projekt geradezu begeisterte. Zu den beiden Autoren aus dem Eberswalder »Büro für Landschaftskommunikation« sagte sie: »Das ist wie eine Wiederholung der Geschichte von Hermann dem Cherusker. So wie der in Rom erst eine militärische Ausbildung bekam, um dann als Experte für den germanischen Guerillakampf antreten zu können, sind diese zwei Kulturwissenschaftler auch erst mal von hier weggezogen und haben sich woanders, u.a. bei Thomas Macho an der Humboldt-Universität, ihr Wissen geholt, um nun im Oderbruch, wo sie herkommen, als Experten im besten Sinne aktiv zu werden.«
Ein Berliner Rezensent, Uwe Rada, schrieb über ihre Ausstellung: »Drei der vier Prognosen ist gemeinsam, dass sie eine Absage sind ans ›Weiter so‹. Im Szenario ›Intensivierung‹ erobert die Biomasse das Oderbruch, schnellwachsende Weiden und ›Chinaschilf‹ ersetzen den bisherigen Anbau von Kartoffeln und Gemüse. Infolgedessen bricht der Tourismus ein, die Eisenbahnverbindungen werden eingestellt, Böden und Grundwasser sind mit Düngemitteln verseucht. Nicht viel optimistischer ist das Szenario ›Extensivierung‹. Weil die Entwässerung der Niederungslandschaft zu teuer geworden ist, lässt die Landesregierung weite Teile des Bruchs vernässen. Weidewirtschaft und Fischerei erleben eine Renaissance. Um den rasanten Bevölkerungsverlust aufzuhalten, setzt die Landesregierung auf eine ›Disneylandisierung‹ des Oderbruchs. Auch der Naturschutz muss deshalb zurücktreten. Die düsterste Prognose freilich hält das Szenario ›Katastrophe‹ bereit. Erneut kommt es zu einer Jahrhundertflut an der Oder. Anders als 1997 beschließt die Landesregierung jedoch, das Oderbruch aufzugeben und die Bevölkerung umzusiedeln. Doch auch die Bundeswehr kann nicht verhindern, dass zahlreiche Bewohner zurückkehren und wilde Siedlungen auf Subsistenzbasis gründen. Darüber hinaus rufen Aktivisten die ›Freie Republik Oderbruch‹ aus. Weil die Hochwasser jedes Jahr im Sommer und Winter das Bruch fluten, haben die Siedler ihre Häuser auf Warften errichtet – wie vor der Trockenlegung im 18. Jahrhundert.«
Neben dem Wolf darf sich nun auch der Biber an der Oder wieder ausbreiten, nachdem er im 19. Jahrhundert so gut wie ausgerottet worden war. Das ist jedoch kein Zukunftsszenario mehr, sondern Gegenwart, wobei für die Eberswalder Kulturwissenschaftler sowieso »klar ist, dass die Zukunft, die die Szenarien beschreiben, an der Oder längst begonnen hat«.
»Biber setzen Oderbruch unter Wasser«, titelte die Springer-Postille Berliner Morgenpost im Mai 2008. Einer aktuellen Studie zufolge wurden bereits »60 Ansiedlungen mit etwa 250 Exemplaren gezählt«. Sie bilden heute eine stabile Population. »Sehr zum Leidwesen der Oder­brücher, die ein Lied davon singen können, wie Biber ganze Felder unter Wasser setzen, dickste Bäume fällen, Gräben umleiten und selbst vor den neu gebauten Oderdeichen nicht Halt machen. Naturschützer schätzen hingegen vor allem die Nützlichkeit des Bibers. Laut europäischer Wasserrahmenrichtlinie soll Regenwasser nicht sofort aus der Landschaft abgeführt, sondern dort gehalten werden. ›Um Fließgewässer zu renaturieren, werden Millionen ausgegeben. Der Biber macht das mittels Anstauen zum Nulltarif‹, sagt Peter Streckenbach von der unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Märkisch-Oderland.«
In Ostdeutschland leben heute insgesamt wieder mehr als 6 000 Biber. In der märkischen Uckermark, wo ihre Dammbauten bereits große Seen entstehen ließen, gehen Biberschützer nun davon aus, dass diese neuen Feuchtregionen die Landschaft vor dem Austrocknen schüt­zen. Sie begrüßen also im Gegensatz zu den Oderbrüchern die erneute Versumpfung – und die Biber als die noch viel sensibleren Landschaftsumgestalter. »Sie haben ein El Dorado für all jene Tiere geschaffen, die am Wasser leben«, freut sich z.B. der Leiter des Naturparks Uckermärkische Seen, Roland Resch, dem die Wiederversumpfung gar nicht weit genug gehen kann.
In eine ähnliche Richtung argumentiert die Schriftstellerin Charlotte Roche mit ihrem Bestseller »Feuchtgebiete«, in dem es um die positive Besetzung der bisher eher kulturell eingedämmten weiblichen Körperöffnungen geht, ihre flüssigen bis sämigen Ausscheidungen, Gerüche, Geräusche und Miasmen. Auch der Münchner Biologe Reichholf hat in sein Buch »Stadtnatur« ein Kapitel über Gartenteiche bzw. -sümpfe hineingenommen. Er gibt darin zu bedenken, dass sie früher oder später »verlanden«, d.h. dass die Teiche in einen Sumpf über­gehen und »dieser nach und nach ähnliche Verhältnisse annimmt wie das umliegende Land«.
Der neue deutsche Hang zum Sumpf ist also nicht nur eine Garten-Modeerscheinung, sondern der Sumpf selbst ist ein Zwischenstadium. Im Gegensatz zur Literatur darüber, die, wie Reichholf schreibt, inzwischen »schier unübersehbar« geworden ist. Ein Text sei abschließend noch erwähnt: »La Science de Dieu« von Jean-Pierre Brisset. Der Sprachgenealoge schreibt darin: »Alle Sprachen haben die Erinnerung an die Zeit bewahrt, als man von Fliegen lebte. Das größte Glück für einen Deutschen ist es, zwei davon auf einmal zu töten: zwei Fliegen mit einer Klappe tot zu schlagen. Wir sehen ihn immer noch leben, unseren ersten Vorfahren, in den Mooren und Sümpfen; er kommt auf die Erde und steigt zur Sonne. Er ist ein Hüpfer, der von Grashüpfern, von Grillen, von allem, was summt, vor allem von Fliegen lebt. Dieser Ahn ist, man ahnt es schon, der Frosch.«
Michel Foucault beschreibt Brissets Vorgehensweise wie folgt: »Um irgendein Wort seiner Sprache herum ruft er mit lautem Gestabreime andere Wörter herbei, von denen ein jedes die alten urvordenklichen Szenen des Begehrens, des Krieges, der Wildheit, der Verwüstung nach sich zieht – oder eben das Gezänk der Dämonen und der Frösche, die am Rande der Sümpfe herumhüpfen. Er gibt die Wörter wieder den Schreien, die sie zur Welt gebracht haben; er inszeniert wieder die Gebärden, die Anstürme, die Gewaltsamkeiten, deren nunmehr schweigendes Siegel sie bilden. Er gibt dem thesaurus linguae germanicae und gallicae den anfänglichen Heldenlärm zurück; er rückverwandelt die Wörter in Theater, er bringt die Laute wieder in die quakenden Kehlen … «