Madame est morte

Wort und Fleisch

Bischof Bossuets Totenrede auf Henriette von England ist der Höhepunkt der französischen Literatur.

Am Nachmittag des 29. Juni 1670, eines Sonntags, gegen fünf Uhr, erbat sich Henriette, Prinzessin von England und Herzogin von Orléans, Urenkelin Maria Stuarts und Enkelin Heinrichs IV., Tochter Karls I., Schwester Karls II., des Herrschers über England, und Gemahlin Philippes, des einzigen Bruders Ludwigs XIV., damit des zweitmächtigsten Fürsten des mächtigsten Reiches der Erde, eine Tasse Zichorienwasser und trank von ihm. Gleich darauf verspürte sie heftige Schmerzen in den Eingeweiden. Sie verlangte nach einem Gegengift, ihr wurde Natternextrakt gereicht, das aber keine Linderung brachte. Neuneinhalb Stunden später, gegen halb drei Uhr früh, starb Henriette.

Dieser jungen Frau hat Molière seine »Ecole des femmes« gewidmet, die besten Dichter und Schriftsteller ihrer Zeit haben ihr kurzes Leben besungen und beschrieben, La Fontaine, Racine, Corneille, Mme de La Fayette, Mme de Sévigné, aber nur einem ist es gelungen, den dramatischen Vorwurf in eine mächtige, mitreißende Musik zu verwandeln, Jacques-Bénigne Bossuet mit seiner »Oraison funèbre de Henriette-Anne d'Angleterre, duchesse d'Orléans«, einer Totenrede, über die sein Gegenspieler Voltaire bemerkte, sie habe den »größten und seltensten Erfolg« erzielt, nämlich »den Hof in Tränen ausbrechen zu lassen«. Aber das ist natürlich nicht alles.

Bossuets Nekrolog bedient sich der stärksten Kontraste; ein Leben voller Glanz und Geist, ein jämmerliches Sterben, ein mutiges Sterben, ein Leben voller Hast und Hass. Er musste nicht übertreiben. Das Leben Henriettes von England spiegelt wie kein anderes die europäische Monarchie auf der Höhe ihres Könnens und zugleich den Beginn ihres Niedergangs.

Revolutionen

Von ihrem ersten Tag an, dem 26. Juni 1644, wird Henriettes Leben von Revolutionen erschüttert. Ihr Vater, Karl I. von England, regiert gegen das Parlament, das seinen Anglikanismus, aber auch gegen das Volk, das den Katholizismus seiner Gattin verabscheut. Um sich zu retten, exiliert die Königin, Henriette-Maria von Frankreich, einen Monat nach der Geburt dieser jüngsten Tochter, wird in ihrem Heimatland mit allen Ehren empfangen; vielleicht vor allem aus Furcht vor antiroyalistischen Erhebungen, denn »Furcht stimmt solidarisch« (Jacqueline Duchêne, »Henriette d'Angleterre, duchesse d'Orléans«, Paris 1995).

Henriette bleibt in der Obhut einer Gouvernante, Lady Morton, die das Leben des Kindes jedoch bald in so großer Gefahr sieht, dass sie die Zweijährige, als Knaben verkleidet, nach Frankreich schmuggelt. Die abenteuerliche Flucht erregt in Frankreich kein großes Aufsehen mehr und findet selbst bei der Mutter kaum Beachtung, zu sehr ist diese damit beschäftigt, ihrem Gatten durch Beschaffung von Geld und Truppen das Leben zu retten. - Vergebens, auf Geheiß des Parlaments wird Karl am 9. Februar 1649 geköpft.

Von dieser Hinrichtung wird sich die europäische Monarchie nie wieder erholen. In Frankreich schwelt seit dem Vorjahr die Fronde, die mit einer Weigerung königlicher Beamter, Steuern einzuziehen, beginnt. Angefeuert sowohl vom englischen Vorbild als auch von der harten Reaktion Kardinal Mazarins, de facto der Herrscher des Landes, erheben sich immer mehr Provinzfürsten, Adelige, schließlich sogar der Klerus. Barrikaden werden errichtet, Paris wird belagert, der Aufstand niedergeschlagen, doch bald erneuert er sich in den Provinzen. Mazarin, nicht nur als Architekt des Absolutismus, sondern auch als Italiener verhasst, muss fliehen.

Henriette-Maria hat all ihren Besitz bei der Aushebung royalistischer Truppen verbraucht, nun zahlt auch der Hof nicht länger die ihr zugesagte Leibrente. Während der Evakuierung der königlichen Familie bleibt sie mit der kleinen Henriette allein und ohne Mittel im Louvre zurück. Sogar an Brennholz, sagt die Legende, soll es gefehlt haben. Ausgerechnet Kardinal Retz, einer der führenden Frondeure, fühlt sich bemüßigt, den Beiden das Nötigste zukommen zu lassen. Ihre Lage erschwert sich nach dem Ende der Fronde nur noch, als sich Mazarin 1654 mit Cromwell einigt und dieser die Vertreibung der Stuarts fordert. Sie geschieht, Henriettes Bruder Karl und andere Geschwister werden des Landes verwiesen, und es bedarf einigen Geschicks, die Königin von England und ihre jüngste Tochter von dieser Vereinbarung auszunehmen. Resigniert zieht sich die Mutter in das von ihr gegründete Konvent Chaillot zurück. Henriette, inzwischen katholischer Konfession, hält man dort von allen Zerstreuungen fern.

Der Tod Cromwells wird zu ihrer zweiten Geburt. Die kleine Henriette ist mit einem Mal zu einer guten Partie geworden, sie erscheint auf den Bällen, wird von der Mutter der Mme de La Fayette in die höfischen Sitten eingewiesen und vorsorglich mit dem »parfum d'intrigue« (Duchêne) vertraut gemacht. Sie besticht mehr durch Grazie als durch Schönheit; eine kühle und feine, zur Bosheit neigende Intelligenz wird sich bald regen. Henriette liebt die Künste und die Feste. Ludwig XIV. verschmäht die Kleine zunächst, aber selbstverständlich nicht, weil sie für ihn, der die Drallen bevorzugt, wie die »Knochen vom Friedhof zu den Heiligen Unschuldigen« aussieht. Eheschließungen kommen politischen Bündnissen gleich, Ludwig muss, der Entente mit Spanien wegen, die plumpe Maria-Theresia heiraten. Henriette fällt, zum Zwecke der Festigung des französisch-englischen Verhältnisses, seinem Bruder Philippe zu.

Philippe ist eine ungewöhnliche, weibliche Schönheit. Angeblich hat Mazarin seine Erzieherinnen dazu angehalten, ihn in Mädchenwäsche zu kleiden und zu verzärteln, damit er seinem Bruder nicht den Rang streitig mache. Auch wenn des Kardinals weitsichtige Diabolik ausnahmsweise nicht im Spiel gewesen sein sollte, ist zu dem »Wunder, das Herz dieses Fürsten zu entflammen, keine einzige Frau der Welt ausersehen«, wie Mme de La Fayette in ihrer »Histoire de Madame Henriette d'Angleterre« (hg. v. G. Sigaux, Paris 1988) schreibt, einem Werk, das in enger Zusammenarbeit mit Henriette entstanden ist, deren Handschrift sich sogar auf einer Seite des Manuskripts findet.

Die Homosexualität Philippes, der als Bruder des Königs »Monsieur« genannt wird (Henriette wird als »Madame« tituliert), seine Eifersucht und seine Einfalt, die Intrigen am Hofe, die vielen Liebschaften Henriettes, darunter Ludwig, der erst spottete und dann schwärmte, und ihre großen Lieben, darunter der Graf von Guiche, der zugleich ein Liebling Philippes ist, werden in diesem Büchlein mit solcher Offenheit, Eleganz und mit soviel Anmut dargestellt, dass es als Vorläufer von La Fayettes Meisterwerk, »La Princesse de Clèves« (1678), gelten kann.

Koliken

Nach dem Tod Henriettes setzt die Freundin, die Augenzeugin ihres Sterbens ist, ein Kapitel über den letzten Tag Henriettes hinzu. Es bestätigt nicht nur, wie akkurat Bossuet in seiner Schilderung bleibt, sondern zeigt Henriette auch als höchst selbstbewusste Frau, die an Geist und Einfluss alle anderen Akteure des Hofes ausgestochen hat. Zwei Wochen vor ihrem abrupten Ende erreicht sie bei ihrem Bruder, inzwischen Karl II., dem sie ihr Leben lang bis zum Inzest zärtlich zugetan ist, ein Bündnis zwischen England und Frankreich. Die diplomatische Mission muss Henriette, von Kindheit an kränklich und durch acht Geburten, davon fünf Fehlgeburten, ohnehin geschwächt, erschöpft haben.

An jenem Sonntagnachmittag, drei Tage nach ihrem 26. Geburtstag, bringt ihr also Mme de Gamaches die Tasse eisgekühltes Zichorienwasser, eine Erfrischung, um die Henriette bereits einige Minuten zuvor gebeten hat. Erst sei ihr das Blut ins Gesicht geschossen, dann sei sie ganz bleich geworden, berichtet La Fayette. »Man rief ihren Leibarzt, M. Esprit, herbei; er kam und sagte, es handele sich um eine Kolik, und ordnete die bei solchen Vorfällen üblichen Mittel an. Inzwischen waren die Schmerzen unerträglich geworden; Madame sagte, ihr Leiden sei viel schlimmer, als man denken könnte, dass sie sterben werde, dass ein Beichtvater herbeizuholen sei. Monsieur trat vor ihr Bett; sie umarmte ihn und sagte, mit einer Zartheit und einem Ausdruck, der auch die barbarischsten Herzen hätte anrühren können: 'Ach, Monsieur, Sie lieben mich schon lange nicht mehr; aber dies ist unbillig: Sie haben mich niemals vermisst.'«

Philippe zeigt sich von der Idee, es könnte Gift sein, weder bewegt noch in Verlegenheit gebracht, er schlägt vor, »einem Hund von diesem Wasser zu geben«. Schließlich trinkt sogar eine Hofdame aus der Tasse, ohne irgendwelche Beschwerden. »Es schien, dass Madame die vollkommene Gewissheit ihres Todes besaß und dass sie auf ihn vorbereitet war wie auf irgendeine gleichgültige Sache. Allem Anschein nach stand der Gedanke, es sei Gift, für sie fest; und als sie nun sah, dass alle Medikamente nutzlos waren, sann sie nicht länger über das Leben nach, sondern gedachte die Schmerzen geduldig zu ertragen.«

Wenn sie sich nicht gerade erbricht oder nach Luft ringt, scheint sie die Ruhe selbst und zum »mourir par les formes« entschlossen. Als Philippe sie fragt, ob die Ärzte, die immer neue Mittel anwenden, sie nicht zu sehr inkommodierten, beruhigt sie ihn: »Oh nein, Monsieur, nichts inkommodiert mich mehr; morgen mittag werde ich nicht mehr am Leben sein, Sie werden sehen.« Der König erscheint und verabschiedet sich weinend von ihr. Ihr Beichtvater, Feuillet, hält ihr eine Strafpredigt, sie lächelt dazu.

Schließlich betritt Bischof Bossuet, den La Fayette an anderer Stelle den »rechtschaffensten, zartesten und freimütigsten« Herrn am Hofe nennt, die Bühne. Er kniet nieder und spricht der Sterbenden von Gott. »Sie nahm alles, was er ihr sagte, mit bewundernswerter Lebhaftigkeit, bewundernswerter Geistesgegenwart auf. Als er so sprach, näherte sich ihre erste Kammerdienerin, um ihr einige Dinge zu reichen, die sie brauchte; (Madame) sagte ihr auf Englisch, weil (M. Bossuet) diese Sprache nicht verstand und sie bis zum To-de ihre Höflichkeit wahrte: 'Geben Sie, wenn ich tot bin, (M. Bossuet) den Smaragden, den ich für ihn habe anfertigen lassen.'« Sie presst ihre Hände über dem Kruzifix ihrer Mutter zusammen, unterhält sich weiter mit dem Bischof, obwohl ihre Kräfte schwinden, und verliert »ihr Leben zugleich mit ihrer Rede«.

Das Gerücht, Henriette sei vergiftet worden, hat sich gleichzeitig mit den Meldungen, sie sterbe, sie sei tot - Bossuets »Madame se meurt! Madame est morte!« ist jedem gebildeten Franzosen geläufig -, verbreitet. Mme de Montespan, ebenfalls eine Augenzeugin, dehnt es sogar auf die nur zehn Monate zuvor verstorbene Mutter Henriettes aus, auch diese sei vergiftet worden, nämlich von ihrem Arzt, und Bossuet habe »deswegen in seiner Totenrede nicht einmal die Stirn gerunzelt« (»Mémoires«, Paris 1829). Ein leicht erklärlicher Seitenhieb, denn Bossuet war es, der dem König empfahl, diese Mätresse, mit der Ludwig sieben Kinder hatte, zu verstoßen. Doch der brach das Verhältnis erst ab, als die Montespan selbst unter dem massiven Verdacht stand, an Giftmorden beteiligt gewesen zu sein.

Der Herzog von Saint-Simon, obwohl erst fünf Jahre nach Henriettes Tod geboren, gibt in seinen Erinnerungen einen Kriminalroman voller rührender Einzelheiten; Anstifter sei der von Henriette geschasste Ritter von Lothringen, der das Pulver gesandt habe, das D'Effiat, der Vollstrecker, in die Tasse gerührt habe, wobei dieser von einem Küchenjungen ertappt worden sei, sich aber herausgeredet habe. Ludwig, der einen Mitwisser zu sich zitierte, sei sehr darüber beruhigt gewesen, dass sein Bruder nicht hinter dem Giftmord steckte, und habe das Ganze dann auf sich beruhen lassen. Die gleiche Geschichte wird, viel weniger vivid, auch von Philippes zweiter Frau, Lieselotte von der Pfalz (»Alles an ihr war deutsch«, Saint-Simon), erzählt. Ein Vergleich der Details ergibt, dass eine der beiden Versionen erfunden sein muss, vermutlich aber beide es sind. (s. Guy de La Batut, »Oraison funèbre d'Henriette d'Angleterre par Bossuet«, Paris 1931)

Indes neigt wiederum 100 Jahre später auch Sainte-Beuve (»Causeries du lundi«, VI, Paris 1947) der Giftmord-These zu. Er erinnert daran, dass der eifersüchtige Philippe Henriettes Mission in England missbilligt habe, und daran, dass der Ritter von Lothringen gleich nach ihrem Tod aus dem Exil zurückgekehrt sei. La Fayette und andere Vertraute Henriettes hätten sich angewidert vom Hof abgewandt, doch gewiss auch, weil er nun seines intellektuellen Zentrums beraubt war, denn nach ihr mag es »vielleicht mehr Pracht und Größe gegeben haben, aber weniger Distinktion und Finesse« (Sainte-Beuve).

Ludwig, dem das Gerücht alles andere als gleichgültig sein kann, da von seiner Wahrheit doch der gerade glücklich erreichte Frieden mit England abhängt, ordnet eine Autopsie an, an der auch englische Ärzte teilnehmen. Die Ärzte ermitteln übereinstimmend krankhafte Verformungen aller Verdauungsorgane und eine Perforation des Magens, wohl Folge einer übergangenen Entzündung des Bauchfells oder der Gallenblase, eine Diagnose, der sich übrigens auch die meisten Historiker angeschlossen haben. Doch wichtiger ist, dass das Gerücht auch Bossuet beschäftigt, der in einem Brief feststellt, die Ärzte hätten bei der Öffnung des Körpers nichts Gesundes gefunden außer dem »Magen und dem Herzen, die doch die ersten Körperteile sind, die von einem Gift angegriffen würden«; eine nicht ganz korrekte Wiedergabe des Autopsieberichtes also, aber doch ein überzeugender Beleg dafür, dass Bossuet weiß, in welcher Schlangengrube er sich befindet.

In einer sinistren und von Ludwig bis ins Kleinste ausgeklügelten Zeremonie werden am 2. Juli 1670 Henriettes Herz im Kloster zu Val-de-Grâce und die Eingeweide in dem zu Célestins beigesetzt. Die Trauerfeier begeht der Hof am 21. August mit einem bis dahin nicht gekannten Pomp. Der gesamte Innenraum der Basilika von Saint-Denis ist mit schwarzem Stoff ausgeschlagen. Der Sarg, mit einem goldbesetzten Tuch und mit Hermelin drapiert, ruht auf der Estrade eines Mausoleums im antiken Stil. Aus einer Urne steigt der Duft von Räucherwerk, Marmorstatuen, die Hoheit, Jugend, Poesie, Musik, Glauben, Hoffnung, Kraft und Zartheit, also die Verstorbene, symbolisieren, und Hunderte von goldenen Kandelabern sind über den Raum verteilt. Der gesamte Hofstaat ist in einer stillen Prozession von Saint-Cloud gekommen, nur Philippe fehlt. Inmitten von Gold, Kerzen und Chören schreitet Bossuet zur zweiten Autopsie.

Flüsse

Er ist zu diesem Zeitpunkt 42 Jahre alt, im Vorjahr zur Bischofswürde bestimmt, aber noch nicht geweiht worden, hat den Höhepunkt seiner Karriere - der in der Erziehung des halb schwachsinnigen Dauphins bestehen wird - fast erreicht, sich als Erzdiakon von Metz Reputation als Streiter für die Orthodoxie erworben und wird auch bei den Höflingen, insbesondere seit seinen Fastenpredigten von 1662, in denen er es wagt, die Galanterie anzuklagen - Ludwig kann diesen Predigten nicht beiwohnen, weil er gerade Mme de La Vallière beiwohnt -, und einigen seiner Totenreden - auf seinen Lehrer Nicolas Cornet, 1663, auf Anna von Österreich, die Königinmutter, 1667, und Henriette-Maria, 1669 - geschätzt und gehasst.

Dem Leben ist er nicht feind; seines Verhältnisses mit Mlle de Mauléon wegen hat der Pater La Chaize, auf die theologische Schule des Luis Molina anspielend, der Bossuet nahe steht, gescherzt, er sei »kein Molinist, sondern ein Mauléonist«; und wer weiß, dass Religion und Liebe bei Bossuet untrennbar verbunden sind, hält diesen Satz nicht bloß für einen Kalauer. Doch blickt er, »mit einer gewissen Kurzsichtigkeit, die seltsamerweise notwendig ist, um weiter zu sehen«, wie Michel Crépu in seinem gedankenreichen Essay »Le Tombeau de Bossuet« (Paris 1997) bemerkt, über das Getümmel hinweg, ohne dass ihm das Mindeste entgeht.

Jene uralte und noch heute gepflegte Tradition der Totenrede missachtend, derzufolge in ihr nur Gutes über den Toten, nur Schmeichelhaftes über seine Angehörigen und nur Besänftigendes über das menschliche Schicksal zu hören sein sollte, schont Bossuet die nicht, die ihm zuhören. Er spricht über den Säugling, der von seinen Eltern im Stich gelassen wurde: »Sie konnte mit dem Propheten sagen: Mein Vater und meine Mutter setzten mich aus; aber Gott nahm mich in seine Obhut«; über Henriettes bedrohte Kindheit, »von der Wiege an Gefangene von unerbittlichen Feinden ihrer Familie«; über die »Erdbeben« der Revolutionen in England und Frankreich; über die höhere Gesellschaft, diese »Wesen ohne Kraft und Gewissen, die ihre verräterische Zunge nicht hüten können«; über ihre Vorliebe »für Romane und deren fade Helden«; über den Ruhm, in den sie »gestürzt wurde« und dessen verderblicher Wirkung er sie so sehr ausgesetzt sieht, dass er es gar für eine »Wohltat Gottes« hält, »die Versuchungen mit den Tagen von MADAME verringert zu haben, sie ihrem Ruhm entrissen zu haben, bevor der Ruhm im Überschwang ihre Mäßigung gefährden konnte«; er schildert ihre letzten Stunden: »Oh vernichtende Nacht! oh entsetzliche Nacht, in der plötzlich, einem Donner gleich, diese grauenvolle Nachricht widerhallte: MADAME stirbt, MADAME ist tot! Wer von uns war nicht von diesem Schlag getroffen, so als hätte ein tragisches Ereignis die eigene Familie erschüttert? Beim ersten Wehklagen eines so befremdlichen Unheils strömten sie von allen Seiten nach Saint-Cloud; alles ist bestürzt, nur nicht das Herz dieser Prinzessin. Überall sind Schreie zu hören, überall Schmerz und Verzweiflung zu sehen und das Bild des Todes. (...) Vergebens hielt Monsieur, vergebens selbst der König MADAME eng umschlungen. Nun konnten sie, der eine wie der andere mit dem Heiligen Ambrosius sagen: Stringebam brachia, sed jam amiseram quam tenebam; ich hielt es fest umschlossen, doch hatte ich schon verloren, was ich hielt«; er schreckt nicht davor zurück, auf jenen ersten Satz anzuspielen, den sie Philippe auf dem Sterbebett zuflüsterte: »Welche Kraft! welche Zärtlichkeit! O Worte, die man einem überfließenden Herz entströmen sah, das über allem stand, Worte, die der wirkungsvolle Tod und Gott, der noch wirkungsvollere, geheiligt haben, die aufrichtige Regung einer Seele, die, dem Himmel ganz nahe, der Erde nichts mehr als die Wahrheit schuldet, ewig werdet ihr im Gedächtnis der Menschen weiterleben, ewig weiterleben vor allem aber im Herzen dieses großen Prinzen«; ja, er lässt nicht einmal das seine königlichen Zuhörer gewiss beklemmende Detail aus, dass die Katakomben, vor deren Eingang er sich befindet, überfüllt sind: »Bald wird sie in diese dunklen Gemächer hinuntergebracht, in diese unterirdischen Verliese, um mit den Großen dieser Erde im Staube zu ruhen, wie Hiob sagt, mit diesen erloschenen Königen und Prinzen, unter denen sie kaum Platz findet, so gedrängt sind die Zeilen, so behende belegt der Tod die Grabstellen«.*

Nicht allein, dass Henriette von England tot ist, führt er vor Augen, sondern auch, dass seine Zuhörer, die er immer wieder direkt anredet, sterben werden und mit ihnen ihre ehrgeizigsten Pläne, ihre kühnsten Gedanken, ihr Staat, ihre Kultur, denn »all unsere Gedanken, die nicht Gott gewidmet sind, gehören dem Reich des Todes an. Sie sterben, sagt der königliche Prophet, und an diesem Tag werden all ihre Gedanken untergehen, das heißt die Gedanken der Eroberer, die Gedanken der Herrschenden, die in ihren Studierzimmern Pläne geschmiedet haben werden, die die ganze Welt umfassen. Sie werden sich nach allen Seiten mit unendlichen Vorsichtsmaßnahmen gewappnet, werden schließlich alles vorhergesehen haben, nur nicht ihren Tod, der in einem Augenblick all ihre Gedanken mit sich fortreißen wird.«

Das sind ungewöhnliche Worte für einen Schriftsteller, denn glaubt er nicht, dass sich seine Gedanken in seinen Schriften erhalten? Er glaubt es so wenig, wie er an den Fortbestand des »französischen Königshauses, des unvergleichlich größten der Welt« glaubt, dessen Diener er ist.

Er »möchte in einem einzelnen Unglück das allgemeine Missgeschick des Menschen beklagen und in einem einzelnen Tod den Tod und die Nichtigkeit aller menschlichen Größe aufzeigen«, doch duldet es keinen Zweifel, wessen Eitelkeit er mit diesem Vanitas vanitatem zu allererst treffen will: »In der Tat gleichen wir alle fließenden Gewässern. Welch dünkelhafte Unterschiede sich Menschen einbilden mögen, sie sind alle der nämlichen Herkunft; und diese Herkunft ist gering. Ihre Jahre bahnen sich allmählich ihren Weg, wie Fluten; unablässig fließen sie dahin; bis sie schließlich alle, nachdem manche ein wenig mehr von sich reden machten und ein wenig mehr Länder durchquerten als andere, in einem Abgrund vereinen, wo weder Prinzen noch Könige, noch all die anderen Ränge zählen, die die Menschen unterscheiden; ebenso wie diese viel gepriesenen Ströme namenlos und ruhmlos bleiben, vermengen sie sich im Meer mit den unbekanntesten Flüssen.«

Musik

So erhalten sowohl der Tod Henriettes als auch ihr wechselhaftes Schicksal einen pädagogischen Sinn: Gott klärt die Fürsten über ihre Nichtigkeit auf. Schon im ersten Satz seiner Predigt über den Tod (1662), bei der er hier viele Anleihen macht, hat er mit bösem Spott gefragt, ob es erlaubt sei, »vor dem Hof ein Grab zu öffnen«, so »empfindliche Augen« mit einem so »düstern Gegenstand« zu behelligen, und sich die Freiheit genommen, es zu tun, denn »es ist eine seltsame Schwäche des menschlichen Geistes, dass ihm niemals der Tod gewärtig ist (...), die Menschen verwenden nicht weniger Mühe darauf, die Gedanken an den Tod zu vergraben, als darauf, die Toten zu begraben«. (»Sermons«, hg. v. C. Cagnat-Deb¦uf, Paris 2001)

Es scheint, dass nicht allein der Tod eines seiner Mitglieder, sondern auch die Hinrichtung Karls, die Verfolgung der Stuarts, die Herrschaft Cromwells, selbst die Fronde - die Bossuet freilich erst in seiner Totenrede auf den Prinzen von Condé als Beispiel heranziehen wird - vom himmlischen Präzeptor statuierte Exempel sind, um das Haus der Bourbonen, das den Vorzug, so belehrt zu werden, noch nicht schätzen gelernt hat, an seine Endlichkeit zu gemahnen. »Ein ganzes Königreich ist umgewälzt worden, um Madame zum katholischen Glauben zu bekehren; sie stirbt, damit ihr Tod für ein anderes Königreich eine Lehre sei.« (Jacques Truchet, »Bossuet panégyriste«, Paris 1962) Die Katastrophe gerät zur Moritat.

In seinem bekanntesten Buch, dem »Discours sur l'Histoire universelle« (1681), wird Bossuet die Behauptung wagen: »Die Revolutionen der Reiche sind angeordnet von der Vorsehung und dazu dienlich, die Fürsten zu demütigen.« (zit. n. Crépu) Sein Glaube an die Vorsehung (Providence) ist grenzenlos und berührt sich gar mit dem Determinismus der Jansenisten und Pascals, die offiziell seine Gegner sind. Crépu schreibt, die Vorsehung nehme in Bossuets Denken die Position ein, die das Kapital in dem der Linken behaupte. Sie ist die allgegenwärtige, alles beherrschende, alles zermalmende Macht, das absolute Prinzip.

Der Vergleich ist gut gewählt, denn sowohl Kapital als auch Vorsehung können dem, der mit ihnen die Geschichte erklärt, doch erst post festum hilfreich sein, nachdem etwas geschah. Denn nur was geschah, ist Geschichte, »die man zu Recht als die kluge Ratgeberin der Fürsten bezeichnet« (»Oraison funèbre«). Dagegen ist über die Zukunft keine begründete Aussage zu treffen, außer der, dass, was immer geschehen sollte, von der Vorsehung oder dem Kapital bestimmt sein wird, deren Wege unerforschlich sind. Die Zukunft ist so gesehen ein Existential, ihre Unbestimmtheit wirft auch den, der alles in der Geschichte bestimmen kann, auf sich selbst, seine Unwissenheit, seine Zweifel, seine Verzweiflung zurück. Eben davon, gewissermaßen von der noch verhüllten Vorsehung oder der Stelle, an der sie sich mit der Verzweiflung berührt, handelt diese Totenrede.

Der Tod unterbrach »mit einem Hieb den Lauf des schönsten Lebens dieser Welt«, und es ist viel mehr als ein rhetorischer Kniff, dass er auch den Lauf der schönsten Rede dieser Welt unterbricht: »Mit Freude sagten wir, dass der Himmel, einem Wunder gleich, sie den Händen der Feinde des Königs, ihres Vaters, entrissen hatte, um sie Frankreich zu geben: wertvolle Gabe, unschätzbares Geschenk, wäre der Besitz nur dauerhafter gewesen! Aber warum unterbricht mich diese Erinnerung? Ach! nicht einen Moment können wir die Augen auf dem Ruhm der Prinzessin ruhen lassen, ohne dass der Tod sich einschliche, um einen Schatten auf ihn zu werfen. O Tod, entferne dich von unseren Gedanken (...).«

Gerade weil der Fluss seiner Rede so gleichmäßig, gerade weil sein Satz so ebenmäßig ist, erscheint der Bruch so jäh: »Nous disions avec joie / que le ciel l'avait arrachée, / comme par miracle, / des mains des ennemis du roi son père / pour la donner à la France: / don précieux, inestimable présent, / si seulement la possession en avait été plus durable! / Mais pourquoi ce souvenir vient-il m'interrompre? / Hélas!« Eine rhythmische Verschiebung kündigt sich schon vor der Interjektion »Hélas!« an. Das Schwergewicht liegt, mit Ausnahme der meisterlich alliterierenden Fügung »don précieux, inestimable présent«, in den Teilsätzen, die ich hier als Verse ausgezeichnet habe, jeweils auf dem letzten Wort, das nicht ohne Grund jeweils einen hohen affektiven Wert besitzt, »joie«, »arrachée«, »miracle«, »père«, »France«, »durable«. Nicht allein durch die Intonation des Fragesatzes, sondern auch durch dieses aufgeschreckte »Mais pourquoi?« wird die Überraschung perfekt.

Überflüssig, auf die Klangfarben, das jubilierende »i« in »disions avec joie que le ciel«, das dumpf grollende »m« in »mains des ennemis«, das zischende »s« in »si seulement la possession«, oder auf die geschickte Verklammerung der kontrastierenden Wörter »inestimable« und »durable« hinzuweisen. Hier ist nichts dem Zufall überlassen, dieser spontan scheinende Ausbruch ist minutiös vorbereitet. Niemals ist zugleich kunstvoller und lebendiger über den Tod gesprochen worden.

Der Tod, voraussehbar und doch niemals erwartet, unterbricht den Lauf des ruhmvollen Lebens und Redens. Hier stockt der Atem, und die Rede, die wie ein Strom ruhig dahinfloss, staut sich mit einem Mal an. Das Setzen von Pausen und Kadenzen folgt nicht nur psychologischen, sondern auch musikalischen Einsichten. Die Musikalisierung der Rede aber, ihr Wechsel von Spannung und Entspannung, ihre Verwandlung von Gehalt in Töne, kommt einer Entsprachlichung gleich und ähnelt dem Namenlos-Werden der Flüsse, von dem der Redner gesprochen hat. Namenlos und flüchtig ist der Klang.

Namen

Die Flüchtigkeit des Namens ist ein Schrecken, der die ganze Rede durchwirkt und von dem sie ununterbrochen angezogen und abgestoßen wird, als ob er ihre geheime Wahrheit wäre. Gleich am Anfang, nachdem der Redner die Bestürzung über Henriettes sudden death mit wenigen Strichen skizziert hat, fährt er fort: »Nein, nachdem was wir eben erfahren haben, ist Wohlbefinden nur ein Wort (nom), das Leben nur ein Traum (songe), der Ruhm nur Schein (apparence).« Alles, was am Leben imponiert, ist also nur »Wort«, »Traum«, »Schein«, es verweht.

(Die Stelle verweist auf den Titel von Calderóns »La vida es sueño«, und von da könnte auch Pascal den Gedanken bezogen haben, der in den »Pensées« bemerkt: »Das Leben ist nur ein etwas weniger unbeständiger Traum« (Übers. v. W. Rüttenauer). Über die Nähe von Pascals »Pensées« zu Bossuet und insbesondere zu dieser Rede ist häufig spekuliert worden, doch Pascal starb 1662 und die »Pensées« waren lange abgeschlossen, bevor die Rede gehalten wurde, obwohl sie erst erschienen, nachdem sie gehalten war.)

Aber folgt der Leser der weiteren Verwendung von »nom« (Name, Wort), ergibt sich ein anderes Bild: Denn mag auch der Name etwas Ephemeres sein und sich das Leben, der Körper, der Ruhm verflüchtigen wie er, hält er immerhin doch vorübergehend etwas fest, er bezeichnet etwas, zeichnet etwas aus. Viel erschreckender ist die Namenlosigkeit des ins Meer eingehenden Stromes. Und wenn der Redner später fragt: »Größe und Ruhm! Können wir diese Wörter (noms) noch in diesem Triumph des Todes vernehmen?«, so unterstellt er doch, dass sie, als das Leben in Blüte stand, vernehmbar waren und den Klang besaßen, den er hier noch einmal aufstrahlen lässt: »La grandeur et la gloire!«

Bossuets Rede ist kein blasses Adagio, eine letzte Ölung kann in ihr wie ein Geschlechtsakt und ein Staatsakt wie eine griechische Tragödie erscheinen. Die Namen, die Wörter, denen er so misstraut, die er so verachtet, sind die Substanz dieses Textes, seine monumentale Musik, die dennoch verklingen muss. Doch dass sie erklingen kann, fordert, dass etwas Göttliches in den Wörtern mitschwingt. »Größe und Ruhm« - Bossuet räumt ein, dass »weder Irrtum noch Eitelkeit diese prunkvollen Bezeichnungen hervorgebracht« haben können, »wir hätten sie, ganz im Gegenteil, niemals gefunden, hätten wir ihren Kern nicht schon in uns getragen. Wie denn edle Vorstellungen aus dem Nichts gewinnen? Der Fehler, den wir begehen, ist also nicht, uns dieser Bezeichnungen bedient zu haben; vielmehr, sie auf unwürdige Gegenstände angewendet zu haben.«

Hier scheint sich das Problem des Wortes auf ein bloß semantisches zu reduzieren; nicht die Wörter selbst sind falsch und flüchtig, bloß ihr Gebrauch. Eine orthodoxe Grammatik hätte Größe und Ruhm richtig distribuiert und die edlen Wörter edlen Gegenständen zugewiesen. »Sie sprechen gerade entgegen den Gesetzen der Grammatik«, belehrt er im »Discours« den Dauphin, »deshalb misstrauen Sie den Ratschlägen der Vernunft. Wenn Sie die Worte falsch setzen, setzen Sie die Dinge falsch; Sie strafen, wenn Sie belohnen müssten; und es ist alles, was Sie tun, am Ende außer der Ordnung, gewöhnen Sie sich nicht von Kind auf daran, Ihren Geist wachsam zu halten, alle seine undeutlichen und unsicheren Bewegungen zu ordnen und stets ernsthaft darüber nachzudenken, was zu tun ist.« (zit. n. Crépu)

Der Urfehler bestünde demnach in der Verletzung einer Grammatik, der Grammatik der göttlichen Vernunft, und aus diesem Urfehler ergäben sich alle weiteren. Wäre diese Ordnung gestört, gerieten Geist und Welt in Unordnung, Chaos und Wahn wären die notwendige Folge. Im Zentrum einer solchen Grammatik, die die Wörter richtig zu setzen und sie den Gegenständen richtig zuzuordnen lehrt, müsste das »Fleisch gewordene Wort Gottes« stehen. So erklärt sich nebenbei Bossuets Abscheu vor dem Kind, auf die Jacques Le Brun (»Bossuet«, Brügge 1970) hinweist, denn das Kind steht »für einen miserablen Zustand, unfähig zu reden und zu denken«. Miserabel ist, noch nicht sprechen zu können, nicht mehr sprechen zu können und falsch, nämlich unwürdig zu sprechen.

Doch ist die richtige, würdige, treffliche Sprache erlangt, der Name erworben, ist auch das Grabmal errichtet. Es könne nicht genügen, heißt es einmal, dem Ehrgeiz, der Größe und dem »Namen Gottes« zu dienen. Aber gibt es einen würdigeren Gegenstand für einen Namen als Gott? Der Wurm muss in der Grammatik, in der Sprache selbst sitzen. Das Fleisch Gottes verwest, sobald es zum Wort wird, und umgekehrt verwest das Wort Gottes, wird es zu Fleisch. »Werden die Verehrer menschlicher Größe mit ihrem günstigen Schicksal zufrieden sein, wenn sie sehen werden, dass in einem Augenblick ihre Ruhmestaten zu ihren Namen werden, ihre Auszeichnungen zu ihren Gräbern?« Das ist die Wahrheit der Signifikation: Was auszeichnet, wird zum Grab des Ausgezeichneten.

Fleisch

Den Verehrern göttlicher Größe ergeht es nicht besser. Das Fleisch gewordene Wort kann nicht auferstehen, sondern verliert sich in der Namenlosigkeit, es stirbt, es ist tot. »Nicht einmal einen Körper lässt uns der Tod, allein die Gräber behaupten ihre Gestalt. Die Beschaffenheit unseres Fleisches ändert sich bald; unser Körper nimmt einen anderen Namen an; selbst den der Leiche, sagt Tertullian, die uns noch eine menschliche Form zeigt, behält sie nicht lange: sie wird zu Ich-weiß-nicht-was, das keinen Namen in keiner Sprache hat; so wahr ist es, dass alles in ihr stirbt, bis hin zu den Worten des Todes, mit denen die unglücklichen Überreste bedacht wurden!«

Die Passage aus dem vierten Kapitel von Tertullians »De resurrectione carnis« (Hg. v. E. Evans, London 1960), auf die er hier verweist, muss geradezu eine Obsession Bossuets gewesen sein, er kommt in seinem Werk auf sie insgesamt zehnmal zurück, prominent in der bereits erwähnten Predigt über den Tod, aus der er hier sogar wörtlich zitiert: »Auf Erden werden von uns keine Reste bleiben: das Fleisch wird sich in seiner Natur wandeln; der Körper wird einen anderen Namen annehmen; 'selbst der des Leichnams wird ihm nicht lange bleiben: Er wird', sagt Tertullian, 'zu einem Ich-weiß-nicht-was, das keinen Namen in keiner Sprache hat': so wahr ist es, dass alles in ihr stirbt, bis hin zu den Worten des Todes, mit denen die unglücklichen Überreste bedacht wurden: Post totum ignobilitatis elogium, caducæ in originem terram, et cadaveris nomen; et de isto quoque nomine perituræ in nullum inde jam nomen, in omnis jam vocabuli mortem.«

Sie ist reine Blasphemie, denn nicht, wie Bossuet glauben machen will, Tertullian spricht so über das Verwesen des Körpers, sondern seine Feinde, die »Heiden und Ketzer«, deren frevelhafte Meinungen der Kirchenvater hier wiedergibt: »Ist nicht der Grund ihres Denkens von Anbeginn eine Verleumdung des Fleisches - seines Ursprungs, seines Wesens, seiner Wechselfälle und des unwandelbaren Endes, das seiner wartet? Unrein durch den Schlamm, aus dem es geformt wurde, unreiner noch durch den Unflat seiner eigenen befleckten Empfängnis; wertlos, schwach, bedeckt mit Schuld, beladen mit Unglück, der Sorgen voll; und nach dieser ganzen Grabschrift seiner Unedelheit wird es in seine angestammte Erde geworfen und nimmt den Namen Leichnam an und muss selbst noch diesen schrecklichen Namen verlieren und zu etwas Namenlosen werden, gestürzt in das Ende aller Sprache.«

Sie ist reine Blasphemie, weil sie die Auferstehung des Fleisches leugnet, der zuliebe Tertullian die Rückkehr zur Erde, wie die Heiden und Ketzer sie verkünden, in so drastischen Bildern malt. Sie ist blasphemisch, weil sie ein Ende von Gottes Wort für möglich hält, in einer Welt, die doch bis in den letzten Winkel von der Vorsehung durchherrscht ist und in der es nichts geben kann, was Gott nicht kennte und dem er keinen Namen verliehen hätte. Sie verletzt die göttliche Grammatik.

Natürlich leugnet Bossuet nicht die Auferstehung (das erledigt die Literatur für ihn), aber er verweilt auffällig lange vor dem Grab, vor dem Körper, der in seinen Armen starb, vor der Leiche, die vor seinen Augen geöffnet wurde, und deren Zerfall, wie der aller Leichen, seine Phantasie bedrängt. Der Schrecken geht freilich nicht allein von den bevorstehenden Verformungen, Verfärbungen der Leiche aus, ihrem Gestank, ihrer Gestaltlosigkeit, sondern vor allem von der Namenlosigkeit, in die sie versinken wird.

Vom Tod ist nichts zu sagen, und die Namen, mit denen die verstorbene Person in einem Nekrolog angerufen wird, müssen ins Leere gehen. »Princesse«, ruft er am Anfang, »genügte es nicht, dass England Ihre Abwesenheit beweinte, ohne auch Ihren Tod beweinen zu müssen?« Und zum Schluss beschwört er Henriettes Abwesenheit in dem Palast, »den sie so vollkommen einnahm«. Doch der Palast, den er selbst ihr errichtet, ist ebenso leer. Mehr noch, der Redner steht hier vor seinem eigenen prunkvollen Grab.

Bossuets Rede über Henriettes Katastrophe ist eine Rede über die Katastrophe dieser Rede selbst. Keine überraschende Feststellung, denn stets handelt große Dichtung von ihrem eigenen Ende; sie weiß, was Wörter wiegen. So streicht diese »Oraison funèbre« schließlich nicht nur das Leben Henriettes und der Höflinge, sondern auch sich selbst aus. Nur das Grab der toten Zeichen wird für eine Weile seine Gestalt bewahren, den Klang dieser berühmten Sätze, um schließlich auch diesen namenlosen Klang zu verlieren und gleich allem Bezeichneten in den unbegrenzten stummen Raum des Unbezeichneten einzugehen wie die Flüsse ins Meer und die Fürsten in den allgemeinen Staub.

* Bossuets »Oraison funèbre« auf Henriette von England zitiere ich nach einer bislang unveröffentlichten Übersetzung von Petra Bail, der ich für die Erlaubnis dazu danke. Wo nicht anders angegeben, stammen alle weiteren Übersetzungen von mir. S.R.