Walsers neuer Roman ist da

Dementiertes Dementi

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Martin Walsers neuer Roman mit dem Titel »Tod eines Kritikers« ist gegen die Empfehlung insbesondere Marcel Reich-Ranickis, der ihn nicht in der Gesellschaft der Werke Brechts, Celans, Adornos und Blochs sehen mochte, nun doch im Suhrkamp-Verlag erschienen. Für seine Veröffentlichung in diesem Haus sprachen dessen langjährige ergiebige Zusammenarbeit mit dem Autor, die Erwartung, dass die erste Auflage binnen eines Tages verkauft sein werde, die dann auch prompt eintraf, und die Überzeugung, dass der Vorwurf des Antisemitismus, der gegen Walser erhoben wurde, haltlos sei. In dieser Reihenfolge sprachen die Argumente. Der Vorschlag zur Güte, neben dem zum Hause Suhrkamp gehörenden Jüdischen Verlag eine Bibliothek des Antisemitismus zu gründen, sie mit diesem Buch zu eröffnen und gleichzeitig wieder zu schließen, wurde von niemandem gemacht und deshalb nicht erwogen. Immerhin bewahrte man Walser davor, künftig als Erfinder der Oi-Literatur zu gelten; die Hauptfigur seines Romans, um deren vermeintlichen Tod sich alles dreht, spricht in der Endfassung nicht mehr doitsch, sondern deutsch.

Wer noch vor einer Woche glaubte, da ja schon alles schief gegangen war, könne nun nichts mehr schief gehen, kennt unsere Kulturleute schlecht. Auf ganzseitige Annoncen in der Nationalzeitung wurde zwar verzichtet, aber stattdessen machte sich der Verlag auf die Suche nach einem anderen großen Fetteimer, um ihn herbeizuschleppen und in ihn hineinzutrampeln. Und schon bald produzierte die grafische Abteilung, zuständig für den Umschlag des Buches, ein paar Ideen.

Ganz unmöglich war es natürlich, unterm Namen des Autors und überm Titel seines Werks ein Hakenkreuz oder einen Judenstern abzubilden. Also hätte sich vielleicht ein Fernsehgerät angeboten, da der vermeintlich ermordete Kritikerstar Ehrl-König seine Macht im Fernsehen ausübte, oder eine Schreibmaschine, da es um den Literaturbetrieb geht. Ausgewählt wurde, da im ganzen Roman keine Brille vorkommt, eine Brille.

Und zwar ein sehr schlichtes Modell mit runden Gläsern. Das rechte Glas ist zersprungen und deutet in der Verbindung mit dem Wort »Tod« ein schreckliches Geschehen an, einen Unfall oder eben einen Mord. So weit werden die Grafiker gedacht haben und die Lektoren, so weit sollten die Käufer denken, und weiter hat auch kein einziger Rezensent gedacht.

Keiner unserer großartigen Kulturköpfe, die jederzeit in der Lage sind, ganze Bücher über die »Ikonografie« des Begehrens oder der Tomate vollzuschwafeln, hat sich die Frage gestellt, warum denn diese Scheißbrille ganz unübersehbar aus den zwanziger oder dreißiger Jahren stammt, obwohl Walsers Roman doch in der Gegenwart spielt. Keiner hat sich zu dieser Brille eine zweite hinzugedacht und eine dritte und eine vierte und noch weitere hundert, bis er endlich darauf gekommen wäre, dass diese Brille zu dem großen Brillenhaufen gehört, der in Auschwitz aufbewahrt wird.

Sie haben es nicht gesehen, und sie werden es natürlich bestreiten. Denn dass im Hause Suhrkamp wieder einmal das große »Es« gedacht hat, das in vielen Deutschen denkt, wenn sie glauben, sie dächten an das peinliche Thema, darf einfach nicht wahr sein. Dieses Es hat gegen die Absichten aller Beteiligten den Zusammenhang wiederhergestellt, der zuvor energisch dementiert worden war.