Thesen zur Autonomie der Migration und zum notwendigen Ende des Regimes der Arbeitsmigration

Nicht länger Reservearmee

Die europäische Einwanderungspolitik wird bestimmt durch eine Abschottungsdoktrin. Sowohl das jetzt vorgelegte deutsche Zuwanderungsgesetz als auch entsprechende neue gesetzliche Regelungen in Frankreich orientieren sich an der Vorgabe, kein Einwanderungsland zu sein. Das Resultat ist die Entrechtung und Illegalisierung von Migrantinnen und Migranten. Die Politik der Einwanderungsländer zielt darauf ab, die so genannte klandestine Immigration als Teil der organisierten Kriminalität zu definieren und entsprechend zu bekämpfen. Yann Moulier Boutang beschreibt diese repressive Politik ausgehend von der Autonomie der Migration innerhalb der kapitalistischen Globalisierungsprozesse. Diese Autonomie stößt in den Einwanderungsländern auf ein Regime der Arbeitsmigration, mit dessen Hilfe für Migrantinnen und Migranten der Status unfreier Lohnarbeit festgeschrieben werden soll.

Die neoliberale Doktrin präsentiert Migrationsbewegungen im Allgemeinen als logisches Ergebnis von Kapitalbewegungen, als eine untergeordnete Folgeerscheinung. Dieser Auffassung zufolge ist die internationale Migration ein bloßes Anhängsel der kapitalistischen Akkumulation, eine Auffassung, die häufig von Gegnerinnen und Gegnern des Neoliberalismus geteilt wird

Eine solche Analyse der Migration verkennt die tatsächlichen Prozesse grundlegend. Ein Perspektivwechsel ist notwendig.

Autonomie der Migration

Denn die Autonomie der Migration zeigt sich in ihrer Selbständigkeit gegenüber den politischen Maßnahmen, die darauf zielen, sie zu kontrollieren. Migration unter dem Gesichtspunkt ihrer Autonomie zu betrachten, bedeutet, die sozialen und subjektiven Dimensionen der Migrationsbewegungen zu betonen. Migration mag zunächst ein individuelles Vorhaben sein, aus dem Wunsch heraus, der Misere, der Abhängigkeit und der Überausbeutung zu entkommen, einem Wunsch, durch den sich das Individuum als politisches Subjekt hervorbringt. Das Vorhaben wird jedoch von einem gesellschaftlichen Individuum entwickelt, das in einer Gruppe, in einem familiären und sozialen Umfeld lebt. Je größer die Hindernisse sind, die dem Vorhaben entgegenstehen, desto mehr erweist sich diese soziale Dimension als unerlässlich für den Erfolg des Projekts in all seinen Phasen: Ob es um das Aufbringen von Geld für den Anfang oder um den eigentlichen Grenzübertritt geht, ob es der Zugang zu Netzwerken ist, die es den Migranten erlauben, am Ziel schnell Arbeit zu finden, oder ob es der Schutz vor der Gier aller möglichen Ausbeuter und schließlich vor polizeilicher Verfolgung ist.

Migration, ob sie nun die Grenzen von Nationalstaaten überschreitet oder nicht, ist deshalb niemals die Aktion eines isolierten, asozialen, ausgestoßenen Individuums. Bilder, die diese Fiktion stützen, finden sich gewiss, und sie bedienen Vorstellungen vom Elend der Migration. Diese zum Teil tatsächlich unerträglichen Bilder werden jedoch Teil einer komplexen Inszenierung. Migrantinnen und Migranten können sich dieser Bilder bedienen, um sich den voyeuristischen oder überwachenden Blicken der Gesellschaft ihres Ziellandes zu entziehen, aber selbst lassen sie sich davon nicht täuschen.

Globalisierung. So wenig wie die Migration ein Anhängsel der Kapitalakkumulation ist, ist die Globalisierung ein Prozess, der vom Kapital oder von Großunternehmen geplant und entsprechend von oben durchgesetzt wird. Wäre dies der Fall, so wären soziale Bewegungen - und die Migrationsbewegungen sind ein fester Bestandteil dieser Bewegungen - nichts weiter als Statisten, und man verstünde nicht, warum die Globalisierung nicht nur auf Widerstände auf nationalstaatlicher Ebene stößt, sondern sich auch transnationalen Phänomenen wie der unerwünschten Migration gegenübersieht.

Es scheint uns daher methodisch sinnvoll, die Globalisierung als Antwort auf soziale Kämpfe und veränderte Verhaltensweisen zu sehen, und nicht als eine aktive oder gar voluntaristische Strategie des Kapitalismus oder einzelner Kapitalfraktionen.

Gefährliche Klassen

Es geht darum, die Bedeutung organisierter Formen von Subjektivität anzuerkennen, die in den Strömen und Netzwerken der Migration sichtbar werden. Es geht deshalb darum, nachdrücklich jede Kriminalisierung der Migration und ihrer Umstände zurückzuweisen, gerade auch, wenn sie unter dem Vorwand des »humanitären« Mitgefühls daherkommt. Das Mitgefühl verbindet sich gewöhnlich mit einer Position, die sich grundsätzlich weigert, die Forderung nach einem legalen Aufenthalt in ihrer sozialen und politischen Dimension anzuerkennen, eine Forderung, die von Sans papiers überall in Westeuropa, in Japan und in den USA erhoben wird.

Eine solche Haltung braucht keine Legitimation durch eine vermittelnde, naive Sicht der Umstände der Migration. Es ist wahr, Migranten organisieren sich, um Grenzen zu übertreten, sie nehmen auch die Dienste von Schleusern in Anspruch, so wie sich, historisch vergleichbar, die Landbevölkerung des Mittelalters der Salzschmuggler bediente.

Es ist wahr, die Migranten müssen sich Geld beschaffen, also entweder Zugriff auf mehr oder weniger reguläre gemeinschaftliche Kassen haben, oder sie müssen zu Geldverleihern gehen, deren Motivation und Geschäftspraktiken ihnen im Allgemeinen bekannt sind. Das heißt allerdings nicht, dass Migration, weil sie organisiert ist, kriminellen Mustern folgt, dass sie analog zur »organisierten Kriminalität« von Mafia-Gruppen strukturiert ist. Diese Variante der These einer besonderen Neigung der Migranten zur Kriminalität setzt auf die negative Assoziation, die die Verbindung mit »organisiert« hervorruft, ist aber letztendlich die Wiederholung der alten Behauptung von der Gefährlichkeit der subalternen Klassen.

Mafia. Man muss den Begründungszusammenhang umkehren: Die Stärke von Mafia-Organisationen beruht darauf, sich den Konturen sozialer Gruppen anzupassen, sich der Kraft sozialer Prozesse zu bedienen, um sich zu reproduzieren. Im Gegensatz zu anderen Formen der Kriminalität besitzen Mafia-Gruppen die Fähigkeit, ihre Kenntnisse der inneren Strukturen traditioneller ländlicher Gesellschaften und ihre Vertrautheit mit deren Vergangenheit mit den Traditionen und den Bedürfnissen der Migration zu verbinden. Dies wird kombiniert mit der systematischen Besetzung von Nischen des Warenaustausches im zeitgenössischen (Finanz-) Kapitalismus, die zu Besonderheiten der Organisation werden. Charakteristisch sind die extreme Unsicherheit der Transaktionen, Bargeldzahlungen und intensive interpersonelle Beziehungen, die die Abwesenheit formaljuristischer Beziehungen ausgleichen. Darüber hinaus produzieren Mafia-Organisationen Verhaltenscodizes, präzise Regeln, die ihnen eine Stabilität verleihen, zu der einzig in den Staatsapparaten Analogien zu finden sind.

Mafia-Organisationen regieren ganze Bevölkerungen, sie üben Terror aus und machen dem Staat das Gewaltmonopol streitig. Zugleich bringen sie, und das ist einer der Gründe für ihre Stabilität, eine wirksame Ordnung hervor, weil sie gewisse »soziale« Dienste leisten, etwa Zugang zu Arbeitsplätzen schaffen oder bestimmte Aufträge vermitteln, oder weil sie die Reise über »geschlossene« Grenzen ermöglichen. Es ist viel geschrieben worden über die Bedeutung der Prohibition für den Aufstieg der Mafia in den USA. Doch ist die Bedeutung der Abschottung der Vereinigten Staaten kaum ein Thema gewesen, eines Landes also, das für die italienische Emigration nach 1922 zum Hauptziel wurde.

Das historische Beispiel führt zum zentralen Problem. Ein großer Teil der internationalen Migration wird in die Massenillegalität gezwungen, ein kleinerer und seiner Bedeutung nach weit geringerer findet in die große organisierte Kriminalität. Die Gründe hierfür sind in den sozialen Verhältnissen der Herkunftsländer und der Zielländer zu untersuchen.

Schattenökonomien

Migrantinnen und Migranten erreichen die Grenze nicht allein. Sie werden von einer Bewegung unterstützt, die Wissen besitzt, eigenen Regeln folgt und ihre Praxis kollektiv organisiert. Diese kollektive Bewegung vermittelt etwa die Dienste von Schleusern, nachdem die Einwanderungsländer die Grenzen mit immer schwerer zu überwindenden Hindernissen ausgerüstet haben. Die kollektive Organisation der Migration wird häufig als der Faktor dargestellt, der es »irregulären« Migranten erlaubt, die staatlichen Kontrollsysteme zu umgehen und in den so genannten Schattensektoren der Ökonomie eine Arbeit zu finden. Doch die kollektive Organisation gilt umgekehrt auch als Beleg für die Dominanz eines informellen Sektors am Rande der Legalität in den Herkunftsländern.

Untersuchungen über den informellen Sektor in den Ländern des Trikont haben gezeigt, dass auf ihn mehr als die Hälfte der neu geschaffenen Arbeitsplätze entfallen und dass darüber hinaus mindestens ein Drittel des Wohnungsbaus in den Städten auf ihn zurückgeht. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie weitgehend unempfänglich diese in der internationalen Migration allgegenwärtige Erfahrung die Subjekte in ihrer Mehrheit für die Signale macht, die der Nationalstaat klassischerweise aussendet, seien sie nun repressiver, abschreckender oder auffordernder Natur.

Das Vertrauen in staatliche Autoritäten seitens der Bevölkerung in Ländern, in denen Korruption die Regel und Ungerechtigkeit die Grundlage des Wirtschaftslebens ist, ist zwangsläufig gering. Die Loyalität der Bevölkerung gegenüber ihren Regierungen steht zudem im direkten Verhältnis zu deren demokratischer Legitimation.

Zu diesen Faktoren gesellen sich die katastrophalen Auswirkungen der so genannten Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds seit den achtziger Jahren. Durch diese Programme wurden die bestenfalls rudimentär entwickelten sozialen Sicherungssysteme, etwa die öffentliche Versorgung in den Bereichen Bildung und Gesundheit, in Frage gestellt oder zerstört. Diese Entwicklung hat den Druck zur Migration erhöht. Eine vorübergehende Migration, also die so genannte Rotationsmigration, wandelte sich oftmals zur dauerhaften Migration.

Zugleich wurden traditionelle gesellschaftliche Strukturen, die häufig einen finanziellen Grundstock sicherten und es den Migranten erlaubten, ihre Reise zu finanzieren, geschwächt. Das hat die Entwicklung so genannter Reiseagenturen gefördert. Solche Agenturen sind häufig organisch mit klandestinen Arbeitgebern im Zielland verbunden, die dann wiederum die Rückzahlung der geliehenen Geldbeträge sicherstellen, »koste es, was es wolle«, wie es gemeinhin heißt. Das System gleicht dem, dem die Indentured servants oder Engagés im England oder Frankreich des 17. Jahrhunderts unterworfen waren: eine zeitlich begrenzte Leibeigenschaft für Auswanderer, deren Ziel die Antillen oder die nordamerikanischen Kolonien waren. Die indischen und chinesischen Kulis des 19. Jahrhunderts kannten das gleiche Schicksal.

Sicherheit und Beschäftigung. Sobald Migrantinnen und Migranten ihr Herkunftsland verlassen haben, hören dessen Strukturen für sie auf zu existieren. Im Allgemeinen gelten sie als Verräter an ihrem Land, auch wenn dieses negative Urteil im Falle einer migrantischen Karriere und konsequenter Überweisung von Ersparnissen etwas differenziert wird.

Was den Migrantinnen und Migranten von ihrem Herkunftsland bleibt, ist der Status verlogener Verlassenheit. Allerdings kann daraus schnell ein arroganter Streit um die Nationalität der Migranten werden, wenn bei Verhandlungen zwischen dem Herkunfts- und dem Einwanderungsland deren Status zu einem Faustpfand wird. Jene Verlassenheit ist ein Grund, sich Organisationen des »Syndikats« (und der Anklang an »Gewerkschaft« in den romanischen Sprachen ist kein Zufall) zuzuwenden, um genau das zu erhalten, was anderweitig verweigert wird: Anerkennung, Sicherheit, Beschäftigung und Schutz.

Unfreie Lohnarbeit

Die so genannte Immigration unter irregulären Bedingungen seit Mitte der siebziger Jahre in Europa unterscheidet nichts von der vorangegangenen gesetzlich geregelten, weder in ihrem ökonomischen Charakter, noch in ihrer Zusammensetzung. Die klandestine Migration ist also die Fortsetzung der regulären unter anderem Namen. Aber die Situation als Schwarzarbeiter und als Illegalisierte im Hinblick auf das Aufenthaltsrecht führt für die Migrantinnen und Migranten direkt in eine besondere Lage. Da ihnen soziale und politische Rechte verwehrt sind, finden sie sich unausweichlich in einem Bereich wieder, den »Tricks« und »Deals« kennzeichnen, also Klientelismus, Clanwirtschaft und Verwaltungskorruption.

Das Fehlen von Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen für die unter irregulären Bedingungen Angekommenen hat überall in Europa zum Entstehen einer Kategorie unfreier Lohnarbeiter geführt. Migrantinnen und Migranten haben nicht im gleichen Maße Bewegungsfreiheit auf dem Arbeitsmarkt wie einheimische Staatsbürger. Schon das Migrationsregime während der Nachkriegsjahre kannte diese unfreie Lohnarbeit für Migranten, soweit sie nicht aus den ehemaligen Kolonien oder aus den Ländern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft kamen. Der eingeschränkte Zugang zum Arbeitsmarkt und die Art der Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen, die an ein Arbeitsverhältnis und an einen Ort gebunden sind, stellen allerdings eine juristische und institutionelle Diskriminierung dar, die unabdingbar für das Funktionieren des Arbeitsmarktes ist.

Aber die Situation hat sich in den vergangenen 25 Jahren verschärft: Während ein Teil der Migranten, oft unter schwierigen Bedingungen, Zugang zur Staatsbürgerschaft des Einwanderungslandes erlangen und so bestimmte Einschränkungen beseitigen konnte, wurde für die Mehrheit der Neuankömmlinge die rechtliche Situation schlechter, wenn auch nicht unbedingt ihre materielle.

Klandestinität und Rassismus. Die systematische juristische Erschwerung der Einwanderung in Europa fiel zusammen mit dem Prozess der Globalisierung und der Restrukturierung der Produktion, der in drastischer Weise die klassische Industriearbeit reduzierte. Dies hatte im Wesentlichen drei Folgen.

So wurde die Immigration kriminalisiert und mit Blick auf die autochthone oder schon lange heimische Bevölkerung die Vorstellung genährt, Einwanderer »raubten« mögliche Arbeitsplätze. In fremdenfeindlichen Attacken und rassistischen Morden taucht das Bild der Immigration als fünfter Kolonne der Globalisierung auf.

Die Bevölkerung »ohne Papiere« wurde zudem einer verstärkten staatlichen Kontrolle unterworfen, ohne dass man ihr soziale Rechte geboten hätte. Diese Migranten wurden so in die Arme illegaler Organisationen getrieben.

Schließlich wurde die Verfügbarkeit der Klandestinen und Asylsuchenden, die zu wenig Geld zum Leben erhalten, andererseits jedoch keine legale Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme haben, für den schwarzen Arbeitsmarkt organisiert. Dieses letzte Moment verstärkt die ersten beiden.

Illegalisierung der Migration

Nicht die Globalisierung schafft den Zusammenhang von Migration und Kriminalität. Doch die staatlichen Strategien, die jetzt auf der Ebene der Vereinten Nationen wie der Europäischen Union entwickelt werden und zum Einsatz kommen, zielen darauf, den Kampf gegen die Kriminalität aufs Engste mit dem Kampf gegen die illegale Einwanderung zu verbinden. Dabei ist es die Abschottungspolitik der »Festung Europa«, oder der Festung der Entwicklung im Vergleich zum Süden, die in Verbindung mit der Aufrechterhaltung eines diskriminierenden Statuts für die Arbeitsmigration direkt verantwortlich für die Illegalisierung eines Großteils der Migrantinnen und Migranten ist.

Darüber hinaus wird die Politik der Abschottung, die schon in den Zeiten der wirtschaftlichen Rezession von Mitte der siebziger bis Ende der neunziger Jahre zweifelhaft war, in Zeiten starken Wachstums schlicht unhaltbar. In Deutschland sieht man sich deshalb jetzt vor die delikate Aufgabe gestellt, einander widersprechende Ziele zu koordinieren, nämlich die globale Abschottung aufrechtzuerhalten, gleichzeitig nachdrücklich rassistische Manifestationen zu bekämpfen, dies besonders mit Blick auf die zweite und dritte migrantische Generation, und ausländische Informatiker anzuwerben. Aber die deutschen Schwierigkeiten nehmen nur ein Phänomen vorweg, das im größten Teil der EU-Länder in ein oder zwei Jahren wieder auftauchen wird.

Notwendige Transformationen. Falls es darum ginge, Empfehlungen abzugeben, um der Verwechslung der Dynamik der Migrationsbewegungen mit Kriminalität wirksam etwas entgegenzusetzen, ließe sich über eine Reihe von Maßnahmen nachdenken.

Aufzugeben wäre die ausschließlich ideologisch motivierte Priorität, die staatlicherseits dem Kampf gegen die illegale Einwanderung zugemessen wird. Vor allem in Europa, aber auch in anderen Ländern, wäre das bestehende Migrationsregime zu transformieren, das darauf ausgerichtet ist, nicht Einwanderungsland zu sein. Aus der Öffnung der Grenzen wäre die Regel, aus der Abschottung, die nichts anderes als den Kriegszustand verhängt, die Ausnahme zu machen.

Das obsolete und beispielsweise selbst von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) kritisierte System von Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis wäre aufzuheben, da es nur der langfristigen Diskriminierung und Marginalisierung der Migranten dient. Für den Zugang zur Staatsbürgerschaft ließe sich überall zum droit du sol, zum Territorialprinzip übergehen sowie zu einer schnellen Einbürgerung nach fünf Jahren, ohne dass diese obligatorisch würde. Anerkannt werden müsste schließlich nicht so sehr das Recht auf freie Bewegung und zeitweilige Migration als vielmehr das endgültige Recht zu bleiben.

Das Ende des Regimes der Arbeitsmigration

Stellt man die Frage nach dem Zusammenhang von Kriminalität und internationaler Migration im Kontext der Globalisierung, so ist unseres Erachtens eine Transformation unumgänglich. Diese Transformation würde aus den Regimes der Arbeitsmigration Systeme machen, die offen für Einwanderung wären.

Lange Zeit hat man die deutsche und die französische Konzeption der Nation gegenübergestellt. Doch neuere Entwicklungen haben, ausgehend von sehr unterschiedlichen Positionen, zu einer weitgehenden Angleichung des Status der Fremden und der Immigranten in Europa geführt. Dagegen bleiben die Unterschiede zwischen den Einwanderungsmodellen europäischen und nordamerikanischen Typs bestehen.

In Europa findet sich ein Regime der Arbeitsmigration. Die Einwanderung wird von der Situation auf dem Arbeitsmarkt abhängig gemacht, die Familienzusammenführung ist an das Alter und an die Wohnungsbedingungen geknüpft und wird auf Ehepartner und direkte, minderjährige Nachkommen beschränkt. Das System der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis macht aus den Migrantinnen und Migranten eine eigene Kategorie auf dem Arbeitsmarkt. Die Einbürgerung ist nicht die Regel, sie geht weder schnell noch automatisch, denn der Migrant gilt als jemand auf der Durchreise. Die Geburt in einem Staat der EU verleiht weder die Staatsangehörigkeit noch garantiert sie Bürgerrechte. Die Öffnung ist für die europäischen Länder nicht die Regel. Die europäischen Länder sind Staaten mit dauerhafter Einwanderung, ohne dass diese Entwicklung jedoch anerkannt würde oder sich gar auf die Einwanderungspolitik auswirkte.

In den Einwanderungsländern hingegen funktioniert Migration und dauerhafte Niederlassung ganz anders. Für ein solches Modell der Öffnung gegenüber der Migration sind die USA ein Beispiel, jedoch nicht das einzige. In diesen Ländern ist die Einwanderungsmigration die Regel und die Arbeitsmigration die Ausnahme. Eine solche Ausnahme, die stark an das europäische System erinnert, bilden etwa die Regelungen für die braceros, die mexikanischen Saisonarbeiter in der Agro- und Lebensmittelindustrie. Im System der Einwanderungsmigration erfolgt die Einbürgerung im Mittel fünf Jahre nach dem regulären Grenzübertritt, Kinder, die auf dem Staatsgebiet geboren werden, erhalten die Staatsangehörigkeit und die Bürgerrechte, und die Familienzusammenführung bezieht die Verwandtschaft in einem weiten Sinne mit ein.

Freedom of Movement. Wenn sich Einwanderungspolitiken (ob restriktiv oder eher liberal) auch ähneln können, so verleiht ihnen das System, in das sie eingelassen sind und vor dessen Hintergrund sie agieren, eine ganz unterschiedliche Akzentuierung. Die Rolle, die die USA in der weltweiten Migrationskette spielen, rührt nicht nur von den Löhnen, den Arbeitsbedingungen oder der Entwicklung von Spitzenwissen her, sondern ist in gleichem Maße dem Einwanderungssystem geschuldet, das den Neuankömmlingen eine aktive Rolle bei der Entwicklung des Landes zuerkennt. Was die Bewegungsfreiheit angeht, sind die Einwanderungsländer häufig nicht weniger abschottend als die Länder mit Regimes der Arbeitsmigration, deren Grenzen sich in Zeiten von Arbeitskräftemangel oft als durchlässiger erweisen. Was jedoch die Freiheit angeht, sich auf Dauer aufzuhalten, unterscheiden sich die beiden Systeme allerdings fundamental.

Häufig wird besonderer politischer Nachdruck auf die Frage der Bewegungsfreiheit der Menschen gelegt, die als normale Entsprechung der Globalisierung verstanden wird. Aber man kann sich fragen, ob nicht viel mehr das Recht auf Einwanderung, das Recht, in einem Land zu bleiben, wesentlich ist.

Die Thesen gehen auf einen Vortrag über Migrationsregimes in Europa zurück (»Migrations internationales et criminalité organisée: changer sérieusement de point de vue et de pratiques«, 2001). Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Aus dem Französischen von Michael Sander.

Yann Moulier Boutang ist Herausgeber der Zeitschrift Multitudes. Er lehrt Ökonomie an der Universität Paris I. Die Geschichte unfreier Lohnarbeit hat er untersucht in De l'esclavage au salariat. Économie historique du salariat bridé. Paris: PUF, 1998.