Militärregime und Islamisten in Pakistan

Warnschuss auf Ungläubige

Mit seinen Maßnahmen gegen militante Islamisten geht Pakistans Militärherrscher Pervez Musharraf ein innenpolitisches Risiko ein. Dennoch zeigt sich Indien bislang unbeeindruckt.

Totaler Müll« sei der Bericht, »tendenziös«, »ohne jede Grundlage« und außerdem »arglistig«, ereiferte sich ein Sprecher des pakistanischen Außenministeriums. Das undiplomatische Dementi galt einem Artikel in der New York Times, die am Mittwoch vergangener Woche unter Berufung auf hohe pakistanische Offiziere berichtet hatte, die Regierung sei im Begriff, den mächtigen Militärgeheimdienst Inter Services Intelligence (ISI) von 10 000 auf 6 000 Mitarbeiter zu verkleinern. Unter anderem würden die für Afghanistan und Kaschmir zuständigen Abteilungen, die sich bislang vor allem der Unterstützung militanter Islamisten gewidmet haben, aufgelöst.

Die Brisanz des Berichts liegt in den Bemerkungen der namentlich nicht genannten Quellen zur Kaschmir-Abteilung. Während der für Afghanistan zuständige Bereich bereits vollständig aufgelöst sei, erweise es sich als schwieriger, den »konstanten Fluss von nachrichtendienstlicher und anderer Hilfe für die Freischärler im indischen Teil Kaschmirs einzustellen. Pakistan hat immer bestritten, die Guerrillas logistisch oder mit Waffen zu unterstützen.

»Das Zögern, die Kaschmir betreffenden Operationen, ganz einzustellen, hat zwei Gründe«, erklärte ein Informant. »Erstens kann Pakistan Indien nicht trauen und daher nicht die Nachrichtenbeschaffung und die Spezialoperationen gegen seinen traditionellen Feind einstellen. Zweitens sind die Offiziere der Armee und des Nachrichtendienstes ohnehin schon wegen des Verlusts Afghanistans verstört. Es wäre nicht klug, sie mit dem Verlust der Kaschmir-Front zusätzlich zu beunruhigen.«

Beunruhigt sind auch die fundamentalistischen Gruppen, deren Verfolgung Pakistans Militärherrscher Pervez Musharraf unter internationalem Druck Ende Dezember einleitete. Auf welch dünnem Eis er sich sich dabei bewegt, machte die Ermordung des Journalisten Daniel Pearl deutlich. Der Südasien-Korrespondent des Wall Street Journal verschwand am 23. Januar, nachdem er sich für eine Recherche mit Islamisten in Karatschi getroffen hatte. In den folgenden Tagen verschickte eine bis dahin unbekannte Organisation e-Mails mit Fotos von Pearl, in denen sie die Freilassung aller von US-Truppen in Afghanistan gefangenen Pakistanis forderte. Eine Woche später drohten die Kidnapper, Pearl innerhalb von 24 Stunden zu töten. Ein Video von seiner Ermordung zeigte in der vergangenen Woche, dass sie die Drohung wahr gemacht haben.

Es gelang den Ermittlern, den Absender und damit den Hauptverdächtigen, Omar Saeed Sheikh, ausfindig zu machen. Dem in Großbritannien geborenen Saeed wurde 1994 in Indien vorgeworfen, als Mitglied der militanten Harkat-ul-Mujaheddin (HuM) an der Entführung und Ermordung von vier westlichen Touristen in Kaschmir beteiligt gewesen zu sein. Nach fünf Jahren Haft wurde er im Dezember 1999 zusammen mit weiteren mutmaßlichen Terroristen von Flugzeugentführern freigepresst.

Einige Ungereimtheiten im Zusammenhang mit seiner Verhaftung haben den Verdacht aufkommen lassen, ehemalige oder aktive Mitglieder der Armee oder des Geheimdienstes könnten in den Mord verwickelt sein. Die Entführung Pearls, die Saeed als »Warnschuss« bezeichnete, ist nur eines von mehreren Ereignissen, die zeigen, dass Musharrafs Vorgehen gegen islamistische Gruppen mit einer terroristischen Kampagne beantwortet werden könnte. Ende Januar verübte eine neue Jihad-Gruppe namens Al-Saiqa mit Raketen und Maschinenpistolen einen Anschlag auf pakistanische Grenztruppen. Die Gruppe erklärte Pakistan mit Begriffen aus der Jihad-Lehre zur »Welt des Krieges« und zur »Welt des Unglaubens«, sie kündigte einen Guerillakrieg »bis zur islamischen Revolution« an. Am Montag vergangener Woche entdeckte die Polizei vier Raketen, die auf den Teil des Flughafens von Karatschi gerichtet waren, in dem US-Truppen stationiert sind.

Dies scheint Zeitungsmeldungen zu bestätigen, die unter Berufung auf Polizei- und Geheimdienstkreise berichteten, viele Mitglieder der verbotenen Gruppen seien auf Aufforderung ihrer Führer abgetaucht und hätten sich zusammengeschlossen. Etwa 5 000 ausgebildete Kämpfer sollen den Verhaftungswellen entgangen sein.

Doch auch diese bisher härteste Repressionskampagne traf nur einen Teil der islamistischen Organisationen. Indische Beobachter verweisen darauf, dass nicht alle pakistanischen Gruppen, die in Kaschmir kämpfen, verboten wurden. So unterhält unter anderem die Harkat-ul-Mujaheddin, der Saeed angehörte, weiterhin Büros in Islamabad und Lahore. Ihre Ausbildungslager an der indischen Grenze wurden ebenfalls nicht geschlossen, nur die Schilder wurden entfernt.

Die Lashkar-e-Toiba (LeT) und die Jaish-e-Mohammed (JeM), die für den Anschlag auf das indische Parlament im Dezember verantwortlich sein sollen, wurden zwar verboten, doch gilt dies nicht für den pakistanischen Teil Kaschmirs, der, obgleich faktisch Teil des Landes, formal unabhängig ist. Der Premierminister von Azad Kashmir machte bereits deutlich, dass Mitglieder der JeM oder der LeT sich weiterhin betätigen dürfen.

Dass die jüngsten Maßnahmen begrenzt blieben, erklärte das pakistanische Monatsmagazin Newsline damit, dass die Regierung eine weitere Polarisierung zwischen moderaten und konservativen Kräften vermeiden will. Die Zeitschrift zitiert einen hohen Amtsträger: »Wir wollen keine Situation wie in Algerien, wo islamische Eiferer die Waffen gegen die Regierung erheben.«

In Indien dagegen glauben viele, dass Musharraf die militanten Islamisten lediglich in den pakistanischen Teil Kaschmirs schleusen will, um den internationalen Druck zu mildern. Nach dem Anschlag auf das indische Parlament und dem folgenden Aufmarsch der beiden Armeen hat sich die internationale Aufmerksamkeit auf die pakistanische Rolle im Bürgerkrieg in Kaschmir gerichtet. Die pakistanische Sicht der Dinge hat dabei gegenüber der indischen deutlich an Boden verloren. Die indische Regierung sieht den Konflikt vor allem als eine Folge des von Pakistan aus gesteuerten Terrorismus. Pakistan dagegen stellt den Bürgerkrieg als einen ohne Hilfe von außen geführten Freiheitskampf gegen eine repressive Besatzungsarmee dar.

Tatsächlich gehen die indischen Sicherheitskräfte, gedeckt von einer Reihe fragwürdiger Gesetze, auch gegen die Zivilbevölkerung mit aller Brutalität vor. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International haben keinen Zutritt zu dem Gebiet, in dem einer Umfrage zufolge drei Viertel der Bevölkerung die Unabhängigkeit wollen. Doch die urspünglich kaschmirische Unabhängigkeitsbewegung wurde seit Mitte der neunziger Jahre mehr und mehr von ausländischen, vor allem pakistanischen Kämpfern verdrängt, die von einer panislamischen Ideologie geleitet werden und mit Hilfe des ISI von Pakistan aus operieren konnten.

Unter den getöteten Kämpfern sind seit Jahren etwa ein Drittel Ausländer. Es sind vor allem diese Verbände, die durch Säureanschläge auf nicht verschleierte Frauen oder Kino- und Alkoholverbote begonnen haben, ihre Vision islamischer Reinheit zu verwirklichen. Lediglich die Hizbul Mujaheddin, die größte Guerillagruppe, besteht nach wie vor überwiegend aus Kaschmiris.

Sollte die Kaschmir-Abteilung des ISI tatsächlich aufgelöst werden, wäre dies ein klarer Hinweis, dass es Musharraf ernst meint mit dem Kampf gegen die Islamisten. Bislang hat die von der hindu-nationalistischen BJP dominierte indische Regierungskoalition, die im Dezember mit Militärschlägen drohte, wenn Pakistan nicht gegen die JeM und die LeT vorgeht, noch keine Veranlassung zum Einlenken gesehen. Im Gegenteil: Die Liste der indischen Forderungen, deren Kernpunkt nun die Auslieferung von 20 mutmaßlichen Terroristen ist, wurde immer länger. Mit Raketentests und provokativen Erklärungen verschärfte Indien die ohnehin bedrohliche Situation weiter. Nach wie vor stehen 800 000 gefechtsbereite indische Soldaten an der Grenze, und nach wie vor kommt es regelmäßig zu Artilleriegefechten zwischen den Armeen der beiden Staaten. Eine Ursache für die indische Härte sahen viele Beobachter im Wahlkampf in Uttar Pradesh, einem der bedeutendsten Bundesstaaten. Da die Wahl nun vorbei ist, sind die Chance für eine Entspannung möglicherweise größer.