Internationale Gewaltverhältnisse und die Perspektiven linker Politik

Globalisierung und Terror

Der Begriff Empire ist in linken Debatten längst zum Schlagwort geworden, häufig euphorisch als »Ende des Staates« übersetzt. Und nicht erst seit dem Beginn der Militäraktion gegen Afghanistan steht dieser Auffassung eine Position gegenüber, die im Empire lediglich den US-Imperialismus wiedererkennt. Beides ist ebenso plakativ wie falsch. Joachim Hirsch argumentiert dagegen, dass die Eskalation von staatlicher und terroristischer Gewalt eine Neuordnung internationaler Herrschaftsstrukturen kennzeichnet, die den neoliberalen Kapitalismus ablöst. Die Rechtlosigkeit der »Weltordnung« reproduziert sich im Innern als autoritäre Staatlichkeit.

Der mangels Alternativen zum Weltfeind Nr.1 avancierte Terrorismus hat einiges mit der so genannten Globalisierung und damit verbundenen Veränderungen in der Struktur des Staatensystems zu tun. Die neoliberale Globalisierung muss als eine Strategie verstanden werden, die darauf abzielte, zur Überwindung der Krise in den siebziger Jahren die keynesianisch-sozialstaatlichen politischen Strukturen der Nachkriegszeit zu zerschlagen und damit die Produktions- und Verteilungsverhältnisse wieder grundlegend zugunsten des Kapitals umzuwälzen.

Die USA wurden zu einem entscheidenden politischen Akteur dieses Transformationsprozesses. Vor allem deshalb, weil dort der korporative Wohlfahrtsstaat traditionell weniger stark ausgebaut und der Marktliberalismus ideologisch prägender war, aber auch, weil die Vereinigten Staaten wegen ihrer ökonomischen und militärischen Stärke der bevorzugte Standort des transnationalen Kapitals sind. Dies gilt insbesondere für die zu neuen wirtschaftlichen Schlüsselsektoren heranwachsenden informations-, kommunikations- und biotechnologischen Industrien. Die erfolgreiche neoliberale Globalisierung bedeutete damit zugleich die Wiedererrichtung der in den sechziger und siebziger Jahren in Frage gestellten internationalen Dominanz der USA. Mit ihr gelang es nämlich zugleich, die konkurrierenden Zentren der kapitalistischen »Triade« - Japan und Westeuropa - relativ zu schwächen.

Am Ende der westfälischen Ordnung

Der Zusammenbruch der Sowjetunion, der ebenfalls als eine Folge dieses globalen ökonomischen und politischen Umstrukturierungsprozesses gesehen werden muss, besiegelte zugleich den Untergang der »westfälischen«, mit dem Frieden von Münster und Osnabrück am Ende des dreißigjährigen Krieges etablierten internationalen Ordnung, die das moderne Staatensystem bis in das 19. und 20. Jahrhundert geprägt hatte. Die relative Machtbalance zwischen konkurrierenden Staaten und Staatengruppen, die den einzelnen Staaten gewisse - wenn auch höchst unterschiedliche - ökonomische, politische und militärische Spielräume verliehen hatte, war eine wesentliche Grundlage ihrer »Souveränität« und ihres »Gewaltmonopols«. Sie existiert heute praktisch nicht mehr.

Die »neue Weltordnung«, von Präsident Bush I. nicht zufällig anlässlich des Zweiten Golfkriegs zu Beginn der neunziger Jahre ausgerufen, ist durch die fast uneingeschränkte ökonomische und militärische Vorherrschaft der USA charakterisiert. Das bedeutet, dass gegen sie - und im Wesentlichen auch ohne ihre Duldung oder Unterstützung - ein Krieg im konventionellen Sinne praktisch nicht mehr geführt werden kann. In gewisser Weise ist damit die alte Staatenordnung durch ein neues und nun fast weltumfassendes »Empire« abgelöst worden, das von den USA zusammen mit den ihnen untergeordneten und zugleich mit ihnen kooperierenden kapitalistischen Triade-Zentren wirtschaftlich und militärisch beherrscht wird. Diese Machtstruktur definiert - teilweise mittels entsprechender internationaler Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Welthandelsorganisation - die entscheidenden wirtschaftlichen Regelsetzungen und nimmt das Recht militärischer Interventionen in jedem beliebigen Teil der Welt für sich in Anspruch. Im Gegensatz zu den aktuell diskutierten Thesen von Toni Negri und Michael Hardt bedeutet die Existenz dieses »Empires« allerdings keineswegs eine grundsätzliche Schwächung oder gar Auflösung der Nationalstaaten und schon gar nicht bildet sich dabei ein diffuses politisch-ökonomisches Netzwerk ohne definierbares Machtzentrum heraus. Das komplexe Geflecht konkurrierender und kooperierender Staaten bestimmt immer noch wesentlich die politischen Prozesse. Dies schon deshalb, weil das dominierende transnationale Kapital sich sehr wesentlich auf das bestehende Staatensystem und die von ihm erzeugten ökonomisch-sozialen Differenzen stützt, auch wenn es den einzelnen Staaten insgesamt unabhängiger gegenübertritt und seine Standorte flexibler wählen kann. Die fortgeschrittene Internationalisierung und Transnationalisierung des Kapitals setzt die beherrschende Stellung der USA voraus und stabilisiert sie zugleich. Das System konkurrierender Einzelstaaten ist und bleibt ein Strukturmerkmal des kapitalistischen Produktionsverhältnisses. Es ist eine wesentliche Bedingung für die Regulierbarkeit antagonistischer Klassenverhältnisse und Voraussetzung eines kapitalistischen Verwertungsprozesses, der auf die Ausnutzung unterschiedlicher politisch-sozialer »Standorte« angewiesen ist.

Dominanz und Hegemonie. Das Staatensystem wird aber nun von völlig neuen Dominanz- und Abhängigkeitsverhältnissen charakterisiert. Praktisch teilt sich die Welt nach dem Untergang der Sowjetunion in eine Gruppe sowohl konkurrierender wie kooperierender »starker Staaten« - die kapitalistische Triade - auf der einen und die ökonomisch und politisch peripherisierten »schwachen« Staaten auf der anderen Seite. Damit hat das Nord-Süd-Verhältnis als Konfliktachse eine völlig neue Bedeutung erlangt. Nach dem Untergang der »zweiten« gibt es auch keine »dritte« Welt mehr, sondern nur noch Zentrum und Peripherie.

Ein entscheidendes Merkmal des postfordistischen Kapitalismus besteht darin, dass es den USA zwar gelungen ist, eine bislang beispiellose ökonomische und militärische Dominanzposition zu erringen, diese aber nicht zur Grundlage einer neuen hegemonialen Ordnung wurde, so wie es in der Ära des Fordismus bis zu einem gewissen Grade noch der Fall war. Dem liegt ein fundamentaler Widerspruch des neoliberalen Projekts zugrunde: die Deregulierungs- und Globalisierungspolitik, mit der die USA ihre ökonomische Dominanz wieder erringen konnten, bedeutet zugleich den Verzicht auf eine politische Gestaltung und soziale Integration der Gesellschaft. Sie setzt wesentlich auf die Wirksamkeit des kapitalistischen Marktmechanismus, dessen politisch und sozial konflikthafte Folgen notfalls mit Gewalt bearbeitet werden.

Die neoliberale Deregulierungspolitik glaubt, auf eine politische Gestaltung und Integration der Gesellschaften verzichten zu können. Die USA und ihre Partner beherrschen die Welt im Wesentlichen mit ökonomischen - eben der weltweit durchgesetzten neoliberalen Deregulierungsstrategie - und militärischen Mitteln. Unter Führung der USA ist die Nato zu einem globalen, außerhalb der Vereinten Nationen und jenseits des traditionellen Völkerrechts operierenden Interventionsinstrument geworden, in dem sich das trotz permanenter Konflikte gemeinsame Interesse der dominierenden kapitalistischen Zentren an der Erhaltung ihrer ökonomischen und politischen Vormachtstellung und damit zugleich an der Stabilisierung der bestehenden ökonomischen Strukturen ausdrückt.

Die Folge ist eine vielschichtige Desorganisation der Welt, die sich in wachsenden ökonomisch-sozialen Ungleichheiten auf nationaler wie internationaler Ebene, der Marginalisierung ganzer Weltregionen, der Fragmentierung und dem Zusammenbruch von Staaten mit den damit verbundenen bürgerkriegsartigen Konflikten äußert. Die zunehmende Welle von Rassismus, Nationalismus und Fundamentalismus ist eine Folge davon. Die »neue Weltordnung« ist in der Tat eher eine sich permanent verstärkende »Weltunordnung«.

Markt und Militär. Damit wird es unmöglich, der ökonomisch globalisierten und politisch-militärisch von einem Zentrum kontrollierten Welt und den in ihr existierenden sozialen Gruppen, Staaten und Regionen materiell und politisch eine Existenz- und Entwicklungsperspektive zu geben, das heißt, sie nicht nur zu beherrschen, sondern ökonomisch und sozial zu stabilisieren. Dazu wäre es notwendig, dass die dominierenden Staaten in gewissem Umfang materielle und politische Zugeständnisse machen sowie kooperative internationale ökonomische und soziale Regulierungen akzeptieren und sie gegen die dominanten Kapitalinteressen durchsetzen - so wie es zu Zeiten des Kalten Kriegs unter dem Druck der Systemkonkurrenz in gewissem Umfang noch der Fall war. Ging es damals noch um »Entwicklung«, »Aufholen«, die »Gleichheit der Lebensverhältnisse« und Ähnliches, so proklamiert die dominierende Macht heute schlicht das Prinzip des »America first«.

Eine Politik, die auf eine halbwegs egalitäre Gestaltung sozialer Verhältnisse zielt, die den Interessen unterschiedlicher sozialer Gruppen und Regionen Rechnung trägt, sie nicht ausgrenzt, sondern integriert, ist weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene zu erkennen.

Faktisch läuft die herrschende Politik auf das genaue Gegenteil hinaus. Die »nationalen Wettbewerbsstaaten« des Zentrums, nicht zuletzt die USA, verfolgen im Wesentlichen die kurzfristigen ökonomischen Interessen relevanter Fraktionen des internationalen Kapitals und beschränken sich im Übrigen darauf, ihre militärische Vorherrschaft durch permanente Hochrüstung abzusichern. Politische Führung wird in einer ökonomisch, sozial und politisch desorganisierten Welt durch das Diktat von Ökonomie und Gewalt ersetzt. Die herrschende politische Klasse nicht nur in den USA scheint in keiner Weise wahrzunehmen, welche Anforderungen die vollmundig propagierte »neue Weltordnung« politisch tatsächlich stellt.

Das eigentlich Verheerende an der gegenwärtigen Situation ist, dass die »westfälische« Staatenordnung zwar - zumindest zunächst einmal - untergegangen ist, die dominierenden Staaten und an ihrer Spitze die USA aber noch nicht einmal ansatzweise realisiert haben, was das bedeutet, sondern sich nach wie vor auf die Mittel einer an das 19. Jahrhundert erinnernden Interventions- und Kanonenbootpolitik beschränken. Statt über ein aus diffusen politisch-ökonomischen Netzwerken bestehendes »Empire« zu spekulieren, sollte also besser von einer grundlegenden Neustrukturierung imperialistischer Herrschaftsverhältnisse geredet werden, in denen die konkurrierenden Staaten als Gewaltapparate eine entscheidende Rolle spielen.

Permanenter Ausnahmezustand

Über die wirklichen Motive und Hintergründe der Anschläge in Washington und New York kann man - von der Figur »bin Laden«, diesem Konstrukt der Propagandaapparate und Medien, einmal abgesehen - derzeit nur spekulieren. Fest steht nur, dass die von den dominierenden Staaten produzierte »Weltordnung« und die damit verbundenen Verwerfungen und Konflikte insbesondere in der kapitalistischen Peripherie den Anschlägen die politische und legitimatorische Unterfütterung liefern.

Der terroristische »islamische« und der bis an die Zähne bewaffnete »westliche« Fundamentalismus, der die metropolenkapitalistische Lebensweise und ihre Absicherung selbst zu einem quasireligiösen Prinzip erhebt, bestätigen und verstärken sich gegenseitig. Die von den USA betriebene Aufteilung der Welt in »Gut« und »Böse« - das sind die sich ihnen nicht bedingungslos unterordnenden Staaten - passt perfekt in diesen fundamentalistischen Diskurs. Nach den Anschlägen sprachen Politiker und Medien schnell von einem »Weltbürgerkrieg«. Zweck ist die erneute Legitimation von allgegenwärtiger Gewaltanwendung und die Proklamation eines permanenten Ausnahmezustands. Allerdings steckt darin auch ein Körnchen Wahrheit, auch wenn es immer zu berücksichtigen gilt, dass es keine Bürgerkriege ohne die Existenz staatlicher Herrschafts- und Unterdrückungsapparate gibt.

Die Fragmentierung der Welt, die Schwächung, der Niedergang, die Abhängigkeit und ökonomisch-politische Manövrierunfähigkeit von Staaten, die ökonomische und politische Perspektivlosigkeit wichtiger Weltregionen auf der einen, die absolute militärische Dominanz von USA und Nato auf der anderen Seite produzieren mit einiger Notwendigkeit terroristische Formen der Gewalt und sorgen zugleich für ihre Legitimation. Dass sich die Gewaltanwendung immer stärker allen Regeln und Beschränkungen entzieht, also tatsächlich terroristische Formen annimmt, wurde von der Nato mit ihren völkerrechtswidrigen Kriegsaktionen längst vorexerziert und mag in den Augen vieler jede Form von Terror rechtfertigen. Während die USA die Aufrüstung des Weltraums vorantreiben und immer höher technisierte Waffensysteme entwickelt werden, kehrt die Gewalt in ihren simpelsten und brutalsten Formen wieder. Die Vorstellung, politische und soziale Konflikte ließen sich mittels »klinischer« Militäroperationen und »sauberer« Kriege unter Kontrolle halten, hat sich als Illusion erwiesen.

Eskalation der Gewalt. Was wir derzeit erleben, sind die Auswirkungen einer in spezifischem Sinne nicht-hegemonialen internationalen (Un-)Ordnung. Ihre Logik besteht in der immer weitergehenden Eskalation von Gewalt. Das neoliberale Denken, das davon ausgeht, Gesellschaften, Staaten und das internationale politische System ließen sich mittels einer Kombination von entfesselten Marktmechanismen und staatlicher Gewalt stabilisieren, ist zwar ideologisch beherrschend geworden und in weiten Teilen des politischen Spektrums tief in den Köpfen verankert, scheitert aber mit allen seinen Versprechungen.

Die Anschläge von New York und Washington könnten das frühe Ende des neoliberal-postfordistischen Kapitalismus und damit des zweiten »amerikanischen Zeitalters« nach der fordistischen Nachkriegsära bedeuten. In gewisser Weise ähnelt die Situation jener nach der US-amerikanischen Niederlage in Vietnam, die einen wesentlichen Faktor der Untergrabung der amerikanischen Nachkriegshegemonie und damit der Krise des Fordismus dargestellt hat. Die Frage ist allerdings, was daraus folgt: eine lang anhaltende Phase von Gewalt und Anarchie - von US-Politikern immerhin schon vollmundig angekündigt - oder die Schaffung einer halbwegs stabilen »neuen« Weltordnung.

Wenn heute tatsächlich ein »Empire« unter der Dominanz der USA und der mit ihnen verbündeten »starken Staaten« besteht, dann bedürfte es einer demokratischen ökonomischen, sozialen und kulturellen »Weltinnenpolitik«, wenn ein globales Desaster vermieden werden soll. Dies wäre allerdings etwas völlig anderes als das, was Schily und Konsorten, die Sicherheitsingenieure und Terrorbekämpfer aller Art, umtreibt.

Die Lage bleibt indessen widersprüchlich. Das transnationale Kapital hatte zwar ein entscheidendes Interesse an der Durchsetzung der neoliberalen Globalisierungspolitik, kann von einem ausufernden »Welt-Bürgerkrieg« und fortgesetzter politischer Instabilität auf längere Sicht aber kaum profitieren. Wahrscheinlich hat dieser Umstand einiges dazu beigetragen, die US-Regierung von ihrer anfänglichen Wildwestattitüde wenigstens etwas abzubringen. Einige europäische Staaten, die die Notwendigkeit politischer Lösungen betonen, tun dies allerdings weniger aus Einsicht in diese Notwendigkeiten als aus dem Bedürfnis heraus, gegenüber den USA noch einen gewissen politischen und ökonomischen Spielraum zu bewahren. Überlegungen dahingehend, wie eine »neue Weltordnung« praktisch aussehen könnte, findet man auch dort praktisch nicht.

Perspektiven radikaler Politik

Es ist umso wichtiger, der herrschenden Globalisierung eine andere entgegenzusetzen, um die praktischen Notwendigkeiten einer vernünftigeren Weltordnung zu thematisieren und eine »Weltinnenpolitik« einzufordern, die nicht auf Repression und Militärinterventionen setzt, sondern wenigstens ansatzweise den humanitären, sozialen und demokratischen Prinzipien folgt, die von den ideologischen Wasserträgern der herrschenden Machtstruktur umso bemühter verkündet werden, je weniger die faktische Politik ihnen entspricht.

Von den existierenden Staaten, den Regierungen und den sie tragenden Parteien sind Schritte in dieser Richtung nicht zu erwarten. Wenn sich etwas ändern soll, dann kann dies nur das Ergebnis eines starken Drucks sozialer Bewegungen sein, die sich der neuen Weltsituation stellen und dabei den nationalstaatlichen Rahmen überschreiten. Es bedarf einer neuen Politik jenseits des Staates.

Die Ereignisse von Seattle, Prag oder Genua signalisieren bei allen Schwierigkeiten und Widersprüchen, die ihnen innewohnen, am ehesten noch die Herausbildung einer derartigen neuen internationalen Bewegung. Ihre Aufgabe ist kompliziert, weil es darauf ankäme, zugleich Forderungen zu einer radikalen Umgestaltung der ökonomischen, sozialen und politischen Weltordnung zu formulieren und gegenüber den Staaten durchzusetzen, wie auch praktisch an der Veränderung der alltäglichen gesellschaftlichen Praktiken und Lebensverhältnisse zu arbeiten, die die Grundlage der herrschenden Verhältnisse sind. Es ginge also um die Konstitution einer wirklich neuen, internationalen politischen und sozialrevolutionären Bewegung.

Es ist allerdings schon jetzt abzusehen, dass gerade diese neuen Bewegungsansätze zum eigentlichen Objekt der sich aufrüstenden staatlichen »Terrorbekämpfung« werden. Der italienische Ministerpräsident Berlusconi, der die Bewegung der »Globalisierungskritiker« mit den Attentätern von Washington und New York in einen Topf wirft, spricht nur aus, was andere denken und bereits tun. Mit freundlicher Unterstützung der herrschenden »Zivilgesellschaft« schreitet die Errichtung eines autoritären Überwachungs- und Schnüffelstaates unter Preisgabe grundlegender rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien zügiger als je zuvor voran. Die Gesetz- und Rechtlosigkeit, die die neue »Weltordnung« kennzeichnet, reproduziert sich im Inneren der sich als »zivilisiert« und »demokratisch« etikettierenden Staaten.

Die angeblich zu verteidigende »westliche Zivilisation« zeigt ihr nicht eben angenehmes Gesicht. Gegen Attentäter, welcher Couleur auch immer, wird das wenig nützen, wohl aber zur Unterdrückung demokratischer und sozialer Bewegungen. Schwierige Zeiten also, die einiges an nüchternem Kalkül, politischer Einsicht, Augenmaß und vor allem viel praktisches Engagement erfordern. Auch wenn die »Zivilisierung« des Kapitalismus, wie die jüngsten Entwicklungen wieder einmal lehren, letztlich eine Illusion bleiben muss.

Joachim Hirsch lehrt Politik an der Universität Frankfurt/M. und ist Mitinitiator der Online-Zeitschrift links-netz (www.links-netz.de).