Islamisten setzen den Präsidenten unter Druck

Schulden verschoben

Der pakistanische Präsident Pervez Musharraf wird von den Islamisten immer stärker unter Druck gesetzt.

Wenn Pakistans Präsident Pervez Musharraf am zweiten Jahrestag seiner Machtergreifung etwas zu feiern hatte, dann wohl, dass es auch hätte schlimmer kommen können. Seitdem seine Regierung die US-amerikanischen Angriffe auf das einst protegierte Taliban-Regime unterstützt, stellen nicht wenige die Frage nach seiner Zukunft. Islamistische Gruppen hatten für den vergangenen Freitag landesweite Proteste gegen die USA und die pakistanische Führung angekündigt. In den ersten beiden Tagen nach dem Beginn der Luftangriffe auf Afghanistan war es in verschiedenen Städten Pakistans zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen, in deren Verlauf die Sicherheitskräfte fünf Demonstranten erschossen. Entsprechend nervös blickte die Regierung den im Anschluss an das Freitagsgebet geplanten Massenmobilisierungen entgegen.

Musharraf rief die Prediger des Landes auf, die Gläubigen nicht zu »provozieren« und kündigte »strenge Maßnahmen« gegen Gewalttäter an. Den zwei bis drei Millionen Afghanen im Land drohte er mit Abschiebung, falls sie sich an den Demonstrationen beteiligen sollten. Zwar versammelten sich in zahlreichen Städten Zehntausende, um Musharraf als »Schoßhund der USA« zu beschimpfen und zu seinem Sturz aufzurufen, doch verliefen die von einem großen Polizeiaufgebot begleiteten Demonstrationen unerwartet ruhig. Lediglich in Karatschi kam es zu Ausschreitungen, bei denen Demonstranten auf Polizisten schossen, einige Fahrzeuge in Brand setzten und ein Fast-Food-Restaurant zerstörten.

Allerdings hat Musharraf wenig Grund zum Aufatmen. Putschgerüchte machen die Runde, und einige Beobachter sprechen, sicher verfrüht, von einem möglichen Bürgerkrieg. Fast zwei Drittel der Bevölkerung sind einer Umfrage zufolge gegen die Unterstützung der Militäraktion. In der Armee und im Geheimdienst ist, insbesondere in den mittleren Offiziersrängen, der Einfluss islamistischer Gruppen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen.

Jahrelang hat die pakistanische Regierung den Taliban finanziellen und militärischen Beistand gewährt. Eine freundlich gesinnte afghanische Regierung galt den Strategen in Islamabad als Gegengewicht zur Bedrohung durch den Erzfeind Indien. Ein großer Teil der Taliban besuchte pakistanischen Koranschulen, die Anfang der achtziger Jahre im Zuge der brutalen Islamisierungspolitik des Diktators Zia ul-Haq systematisch aufgebaut worden waren. Die Schulen, von denen es heute etwa 11 000 in Pakistan gibt, dienten zunächst als Rekrutierungsanstalten für afghanische Mudschaheddin, die von der CIA und dem pakistanischen Geheimdienst ISI in ihrem Kampf gegen die sowjetische Armee unterstützt wurden.

In der Folge entwickelte sich ein mächtiger Sicherheitsapparat, der enge Verbindungen zu fundamentalistischen Gruppen unterhielt. Im Apparat des ISI, der in den vergangenen sieben Jahren die zentrale Rolle beim Aufbau und der Unterstützung der Taliban spielte, düfte die Entscheidung Musharrafs, sich an der Seite der USA gegen die Taliban zu wenden, einigen Unmut hervorgerufen haben.

Offenbar aus Angst vor einem Putschversuch besetzte Musharraf wenige Stunden vor Beginn der Luftschläge verschiedene Posten in derArmeeführung neu. Unter anderem wurden drei der wichtigsten Generäle ersetzt, unter ihnen der ISI-Chef, die allesamt als Kritiker des proamerikanischen Kurses galten.

In der pakistanischen Öffentlichkeit besteht zudem Sorge, dass die Taliban nach einer Niederlage ihre Aktivitäten auf Pakistan ausdehnen könnten. Insbesondere in Balutschistan und der Nordwest-Provinz könnte die Situation außer Kontrolle geraten. In den beiden an Afghanistan grenzenden Bundesstaaten leben die meisten der 20 Millionen pakistanischen Paschtunen. Dieser Bevölkerungsgruppe, die 20 Prozent der Armeeangehörigen stellt, gehören auch die Taliban an. Zwischen 3 000 und 4 000 pakistanische Islamisten sollen an der Seite der Taliban gegen die Nordallianz kämpfen.

Vor die Alternative gestellt, Washington nachzugeben und damit eine innenpolitische Krise auszulösen oder in die völlige internationale Isolation zu geraten, war Musharraf keine wirkliche Wahl geblieben. Pakistan hat 37 Milliarden Dollar Schulden und gibt die Hälfte des Staatshaushaltes für den Schuldendienst aus. Die nach den Atomtests von 1998 verhängten Wirtschaftssanktionen haben das Land weiter ruiniert.

Um die Stimmung im Land zu beruhigen, verweist die pakistanische Führung darauf, dass sie die Militäraktion nicht direkt unterstützt. Hieß es zunächst, man werde den USA lediglich die Nutzung des pakistanischen Luftraums gestatten, stellte die Regierung in der vergangenen Woche zwei Luftwaffenbasen zur Verfügung, auf denen bereits die ersten Maschinen gelandet sind. Dabei wurde jedoch betont, diese dürften nur »Rettungsaktionen« dienen.

Die Kehrtwende in der Afghanistan-Politik machte sich unmittelbar bezahlt. Die USA hoben die Wirtschaftssanktionen auf, sagten Pakistan 100 Millionen Dollar an Finanzhilfe zu und erklärten sich bereit, die fällige Rückzahlung von 379 Millionen Dollar aufzuschieben. Zudem versprach die Regierung der USA, sich beim Internationalen Währungsfonds für weitere Kredite einzusetzen. »Wir sind enorm beeindruckt von Pakistans Reformprogramm, das vor zwei Jahren begonnen hat«, gab Weltbankpräsident James Wolfensohn zu Protokoll, als er in der vergangenen Woche den pakistanischen Finanzminister traf, und versprach, so die Formulierung, »Unterstützung«.

Auch die früher von den USA geäußerte Kritik an der Militärjunta ist verstummt und der Sorge um die Stabilität der Regierung gewichen. Während der vergangenen drei Jahre hatte sich Washington vom früheren Verbündeten Pakistan abgewandt und engere Beziehungen zu Indien geknüpft. So hatten die USA Pakistan Anfang des Jahres gedrängt, den Spielraum von islamischen Extremisten, die im indischen Teil Kaschmirs aktiv sind, einzuschränken. Seit 1996, als die indische Armee die Oberhand über die separatistischen Rebellen in Kaschmir zu gewinnen schien, strömen mit pakistanischer Hilfe verstärkt afghanische und pakistanische Gotteskrieger nach Indien. Auf US-amerikanischen Druck verbot die pakistanische Regierung das Tragen von Waffen und schränkte die Sammlung von Spenden für bewaffnete Gruppen ein.

Die US-Regierung betrachtet den Konflikt in Kaschmir als den wichtigen Unsicherheitsfaktor in der Region und drängt die beiden Regierungen seit längerem zu Gesprächen. Vor dem Besuch von US-Außenminister Colin Powell am Montag dieser Woche teilte dessen Stellvertreter Richard Armitage mit, Powell wolle den beiden Ländern nicht nur für ihre Kooperation danken, sondern er habe vor, die Spannungen zwischen ihnen abzubauen.

Nachdem Anfang Oktober eine von Pakistan aus operierende Gruppe einen Anschlag auf das Parlament des Bundesstaates Jammu und Kaschmir verübt hatte, bei dem 38 Menschen starben, meldeten sich in Indien verschiedene Politiker zu Wort, die Angriffe auf »terroristische Ausbildungslager« in Pakistan forderten. Der indische Premierminister B.J. Vajpayee teilte in der vergangenen Woche mit, die Regierung erwäge eine militärische Offensive gegen Separatisten im indischen Teil Kaschmirs; für Pakistan, wo diese Gruppen als Freiheitskämpfer verehrt werden, stellt dies einen weiteren Unsicherheitsfaktor dar.