Gender-Debatte in Deutschland

Queer ain’t here

Von Caren Lay

Queer Politics erfordern neben dem Einschluss sexueller Minderheiten auch den Angriff auf die heterosexuelle Norm. In der BRD aber ist die Losung, »We're here, we're queer - get used to it«, nie angekommen.

Die Identität des feministischen Subjekts darf nicht die Grundlage feministischer Politik bilden.« Es ist zehn Jahre her, dass mit diesem Satz in Judith Butlers Buch »Gender Trouble« eine Debatte unter bundesdeutschen Feministinnen losbrach, die so kontrovers und fruchtbar wie lange keine andere mehr war. Nach wie vor herrscht in erster Linie Begriffsverwirrung, sobald der anglo-amerikanische Import Queer Theory zur Diskussion steht, als dessen prominenteste Vertreterin Butler wahrgenommen wird.

Die heftige Abwehr richtete sich in erster Linie gegen Butlers Infragestellung der Zweigeschlechtlichkeit als einer natürlichen Tatsache von biologischem Binarismus. Dieser Streit ist unter der Bezeichnung Gender-Debatte in die feministische Theoriegeschichte eingegangen. Erst Mitte der neunziger Jahre beruhigten sich die Kämpfe an der universitären Anti-Butler-Front allmählich und die Tatsache, dass sie Perversen einen Platz in der Theorie eingeräumt hatte, konnte überhaupt erst geschätzt werden. Gleichzeitig bildete sich eine wachsende Gemeinde von Butler-AnhängerInnen und Queer-RezipientInnen.

Besonders bemerkenswert war, dass Butlers Anliegen, die Kritik an Geschlechterhierarchien mit der an der heterosexuellen Matrix zu verbinden, zunächst geflissentlich übersehen wurde. Die Mischung aus Ignoranz und Aggression, die in der vehementen Ablehnung ihrer Thesen zum Ausdruck kam, legte die Annahme nahe, dass die akademischen Feministinnen dem Ansturm der Perversionen nicht gewachsen waren. Doch mit Heterosexismus alleine lässt sich die Kritik an Butler nicht erklären. Es scheint so etwas wie ein spezifisch deutsches Übersetzungsproblem von Queer als Theorie und als Bewegung zu geben, das nicht nur sprachliche, sondern auch kulturelle und politische Gründe hat.

Zunächst bestand die Herausforderung der Queer Theory an den Feminismus darin, nicht nur die Hierarchien zwischen Männern und Frauen zu bekämpfen, sondern auch die Kategorien Mann und Frau in ihrer Ausschließlichkeit und Natürlichkeit zu hinterfragen sowie Lebensweisen zwischen diesen Polen und jenseits von ihnen zu ermöglichen. Butlers Behauptung, dass die Kategorien Mann und Frau nur in einer heteronormativen Ordnung Sinn ergäben, stellte auch das feministische Subjekt »Frau« und damit die tradierte identitätspolitische Basis in Frage.

In der Bundesrepublik gehört das Ausblenden oder die Unkenntnis des bewegungsgeschichtlichen Hintergrundes zu einer der wesentlichen Bedingungen, unter denen Queer Theory rezipiert wurde. Vollkommen vernachlässigt wurde, wie das Queer Movement während der Aids-Krise entstand, um die massive Stigmatisierung sogenannter Risikogruppen durch eine erstarkende rechts-konservative Sexualpolitik in den USA der achziger Jahre anzugreifen. Damals erkannten Teile der Schwulen- und Lesbenbewegung die Notwendigkeit, von den bisherigen politischen Rezepten abzurücken - weg von einer auf Identität, Toleranz und Minderheitenrechte orientierten Politik hin zu einem Bündnis gegen die Anforderungen sexueller und geschlechtlicher Normalisierung. Denn die Strategie, die Mehrheitsgesellschaft von der eigenen Harmlosigkeit zu überzeugen, hatte sich spätestens angesichts der massiven Angriffe der Moral Majority auf alles, was sich nicht ihrer Vorstellung von sexueller Normalität fügte, als untauglich erwiesen. Anstatt also Toleranz und Partizipationsmöglichkeiten zu fordern, ging es Gruppen im Umfeld des Aids-Aktivismus wie Act up! mit der Losung, »We're here, we're queer - get used to it!«, um das Recht, sexuelle Lebensformen öffentlich darzustellen. Queer stand als ironische Selbstbezeichnung für eine provokative, anti-assimilatorische Haltung gegenüber dem heterosexuellen Mainstream, für die aggressive Zurschaustellung der eigenen Perversion.

In Deutschland ist schon deshalb keine ähnliche Bewegung entstanden, weil die sozialen Auswirkungen der Aids-Krise im sozialstaatlichen Gesundheitssystem weitaus weniger gravierend ausfielen als in den USA. Vermutlich sind historische Gründe dafür verantwortlich, dass nationale Identitäten in den USA in weitaus stärkerem Maße über den Appell an eine ordentliche und normale Sexualität hergestellt werden als in der Bundesrepublik, in der das so genannte Deutsche traditionell rassistisch und ethnisch begründet wird.

In den USA entstand die Queer-Bewegung auch als eine Kritik an der bestehenden lesbisch-schwulen Bürgerrechtsbewegung. Da sich der sexuelle Backlash der achtziger Jahre nicht nur gegen Lesben und Schwule richtete, scheiterte der identitätspolitische Versuch, die eigene Community auf ein bestimmtes Identitätsmodell einzuschwören, an der Wiederkehr der verdrängten Ausschlüsse: an Prostituierten, Transsexuellen und Transgender-Personen zum Beispiel. Auf theoretischer Ebene gerieten mit der Dekonstruktion und Entnaturalisierung von Heterosexualität selbstredend auch die Kategorien der homosexuellen Bewegung ins Wanken. So war und ist es ein entscheidendes Anliegen der Queer Theory zu untersuchen, inwieweit emanzipatorische Diskurse daran beteiligt sind, hierarchisch-dualistische Kategorien wie etwa Mann und Frau aufrechtzuerhalten, die in Butlers Worten »von Anfang an unsere Unterordnung sichern sollten«. Zur Disposition steht damit, inwieweit der Rückgriff auf Frauen und Homosexuelle überhaupt eine geeignete Basis für eine politische Strategie darstellt. In der Tradition von Michel Foucault wurde in der Queer Theory darauf hingewiesen, dass sexuelle Praktiken in der Moderne in sexuelle Identitäten gegossen werden, die eine zentrale Rolle für das moderne Selbstbild haben. Sich als Lesbe, Schwuler oder aber als Heterosexuelle/r zu verstehen, ist keinesfalls eine geschichtslose Tatsache, sondern das Ergebnis von konkreten historischen Herrschaftspraktiken. Die homophilen Verbände der fünfziger Jahre, die Bürgerrechtsbewegung der achtziger Jahre, und auch der lesbische Feminismus haben diese Kategorien jedoch nicht bekämpft, sondern zu ihrer Aufrechterhaltung beigetragen. Die Kritik an dieser Entwicklung führte dazu, politische Bündnisse nicht mehr auf einer gemeinsamen sexuellen Identität aufzubauen. Ob nun Lesben oder Schwule, Bi-oder Multisexuelle, Positive oder Nicht-Positive, Intersexuelle, Transen oder dissidente Heterosexuelle politischen Protest organisierten, wurde dabei zwar nicht ganz egal, aber zweitrangig angesichts einer gemeinsamen politischen Praxis gegen die heterosexuelle Norm.

In Deutschland hatte sich in den achtziger Jahren eine auf Integration angelegte schwul-lesbische Bürgerrechtsbewegung noch nicht etabliert. Sie formierte sich erst in den frühen Neunzigern, als sexuelle Politik zunehmend öffentlich wahrgenommen wurde. Gleichzeitig wurde auch damit begonnen, Queer Theory zu rezipieren, was irrtümlicherweise dazu führte, dass lesbisch-schwule Bürgerrechtspolitik und Queer Politics häufig als das Gleiche begriffen werden.

Es sind vor allem die expressiven Ausdrucksformen wie Camp und Drag, die in der BRD zum zentralen Inhalt von Queer stilisiert werden. In der Szene erschöpfen sich gemeinsame Aktivitäten gerne im Abfeiern queerer Parties. In der bundesdeutschen Linken stoßen aber gerade die politischen Formen der Queer Politics, die auf Ironisierung, Subversion und der spielerischen Dekonstruktion von Heteronormativität beruhen, nicht auf Gegenliebe. Sie werden als bloß kulturelle und symbolische Politik abgetan. Als Ästhetisierung von Politik kritisiert, werden darin gerne die Tendenz zu Beliebigkeit und die Anpassung an differenzkapitalistische Angebote gesehen.

So bleibt Sexualpolitik auch in der Linken und bei Feministinnen ein Fremdwort. Und dies gilt umso mehr, wenn es um die Infragestellung der Heterosexualität als Norm geht, denn Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität werden als natürlich und selbstverständlich verstanden.

Diese nur langsam aufweichende Ignoranz, Heteronormativität nicht als einen gesellschaftlichen Zwang zu begreifen, liegt sicherlich auch in der Schwierigkeit begründet, Normalisierung als ein Herrschaftsverhältnis zu erkennen. Voraussetzung dafür wäre die Bereitschaft, kulturelle und sexuelle Praktiken als politische zu begreifen. Umgekehrt wächst auf Seiten der Queer Theory die Aufmerksamkeit für soziale und materielle Dimensionen, die bisher vernachlässigt wurden. Die Forschung darüber, wie Heteronormativität in ökonomische Verhältnisse und staatliche Praktiken eingeschrieben ist, steckt noch in den Anfängen. Erste Ansätze wurden aber beispielsweise von dem britischen Soziologen David Evans und auf der Berliner Konferenz »Queering Demokratie« unternommen.

Trotzdem muss man sagen, dass nicht überall, wo mittlerweile Queer drauf steht, auch das drin ist, was ursprünglich mit dem Begriff intendiert war. Es ist zwar gelungen, einige verkrustete Strukturen in der Schwulen- und Lesbenbewegung aufzuweichen. Dass der gemeinsame Weg nun zum Traualtar führt, bietet allerdings nicht unbedingt einen Anlass zur Freude. Das radikale, anti-assimilatorische Potenzial von Queer ist nie im deutschsprachigen Raum angekommen oder hat zumindest nicht den Weg aus dem Seminarraum gefunden. Der Perspektivenwechsel, den Queer im besten Sinne markiert, steht somit noch immer aus: weg von der Fokussierung auf Minderheiten hin zu einer Entprivilegierung von Heterosexualität als einer weitgehend unausgesprochenen und scheinbar selbstverständlichen Norm.