Hungerstreik in der Türkei

Heiliges Fasten

<none>

In der Türkei ist Fastenzeit. Während die einen, dem Befehl des Propheten gehorchend, nur tagsüber auf Essen und Trinken verzichten, nehmen die etwa 250 politischen Gefangenen, die auf Geheiß ihrer Organisationen die Nahrungsaufnahme verweigern, nichts außer Tee sowie Salz- und Zuckerwasser zu sich. Nächste Woche, wenn der Fastenmonat Ramadan endet, werden die einen zu ihren Essgewohnheiten zurückkehren. Völlig offen ist hingegen, wie lange die Gefangenen aus der DHKP/C, TKP(ML) und TKIP weiter hungern werden.

Auch wenn es Zufall ist, dass der alljährliche islamische Ramadan und das in unregelmäßigen Abständen wiederkehrende Todesfasten diesmal zusammenfallen - religiöse Motive finden sich hier wie da. Den einen wird das Paradies verheißen, den anderen die »Karawane der Märtyrer«. Auf Plakaten und Erklärungen wird verkündet: »Die Märtyrer der Revolution sind unsterblich«. Nicht nur die Sprache ist geprägt von religiösen Begriffen, auch das rote Stirnband etwa, das sich die Todesfastenden um den Kopf binden, ist dem alevitischen Islam entlehnt. Zumindest in ihrer Bildersprache entwickeln sich die linken Gruppen zu einer - in sich zersplitterten - alevitischen Hamas.

»Ich begrüße den Sieg, ich heiße den Tod willkommen«, erklärt der DHKP/C-Gefangene Ali Sanli. Eine Todessehnsucht, die sich - neben einer penetranten Volkstümelei - in allen persönlichen und offiziellen Erklärungen findet.

Für diese Gruppen geht es nicht nur um konkrete - und berechtigte - Forderungen. Da es an jedweden vorzeigbaren politischen Erfolgen mangelt, ist der Tod der Kämpfer das einzige Mittel, mit dem man sich auf der politischen Agenda platzieren und legitimieren kann. In diesem politischen Kalkül - genauer: dem Führungsanspruch der DHKP/C - dürfte auch der Grund dafür liegen, weshalb sich nicht die gesamte illegale Linke an der Aktion beteiligt. Zwar befinden sich seit Anfang Dezember auch Inhaftierte aus anderen Gruppen im Hungerstreik, jedoch nicht im Todesfasten.

Die Ankündigung von Justizminister Hikmet Sami Türk, die geplante Verlegungen in die neuen F-Typ-Gefängnisse bis auf weiteres zu verschieben, hat die Gefangenen nicht zur Abkehr bewegen können. Sie fordern die Abschaffung des Anti-Terror-Gesetzes und den endgültigen Verzicht auf die F-Typ-Gefängnisse. Das aber, erklärte Türk am Wochenende, sei »inakzeptabel« und bedeute eine »Bedrohung der Staatsmacht«. Angesichts dieser Konfrontation ist es kein Wunder, dass die Vermittlungsbemühungen einiger Intellektueller wie Yasar Kemal fruchtlos geblieben sind.

Zwar hat der Staat kein Interesse daran, durch ein Massensterben wie 1996 die in den letzten Jahren mühsam verbesserte Reputation im Ausland zu verspielen. Andererseits ist man dazu entschlossen, das Knastsystem umzustrukturieren und so die Kontrolle über die Haftanstalten zurückzuerlangen. Denn die jetzigen Gemeinschaftszellen bieten für die Gefangenen nicht nur die Möglichkeit, sich gegen Misshandlungen zu schützen, sondern fungieren zugleich als Zentren, in denen inhaftierte Sympathisanten zu Kadern ausgebildet werden.

Wenn die ersten Todesnachrichten eintreffen, könnte der Staat zum letzten Mittel greifen - mit Gewalt die Knäste zu erstürmen, um den Hungerstreik zu beenden und die Knastkollektive zu zerschlagen. Die vor einigen Tagen verhängte Nachrichtensperre ist ein Indiz dafür, dass dies nicht ausgeschlossen ist.