Beresowski wirft Putin Erpressung vor

U-Boot-Krieg ums Fernsehen

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Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen, mag sich der Medientycoon Boris Beresowski gedacht haben. Und schrieb einen Offenen Brief an den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Darin beschuldigte er Putin der Erpressung: »Vor zwei Wochen hat ein hoher Beamter Ihrer Verwaltung mir ein Ultimatum gestellt: Entweder soll ich das von mir kontrollierte Aktienpaket am Fernsehsender ORT dem Staat überantworten oder den Weg Gussinskis antreten - offenbar ging es dabei um das Butyrka-Gefängnis.«

Der russische Staat hält 51 Prozent der Anteile an ORT, Beresowski soll 49 Prozent kontrollieren, hat aber die entscheidende Bedeutung. Der Sender ist ein überaus wichtiges Instrument der Beeinflussung - bei potenziell 350 Millionen Zuschauern in ganz Russland und in den GUS-Staaten können seine Sendungen über die Mattscheibe flimmern. Zugleich ist er aber ein Millionengrab - nach Angaben von Le Monde verschlingt er seit dem Finanzcrash vom August 1998 und dem Zusammenbruch seiner Werbeeinnahmen 1999 jährlich 150 bis 200 Millionen Dollar und befindet sich angeblich am Rande des Bankrotts.

Als Grund für das angebliche Kreml-Ultimatum gab Beresowski die Unzufriedenheit Putins mit der ORT-Berichterstattung zu dem »Kursk«-Desaster an. Tatsächlich hatten nicht einmal die lammfrommen ORT-Leute die Lügen der russischen Militärs und Politiker umstandslos geschluckt. Putin aber sah das anders. »Das Fernsehen? Das lügt«, zitierte Beresowski den Präsidenten - im Gespräch mit Verwandten der Seeleute aus dem endgültig abgetauchten U-Boot.

Es entbehrt nie der Komik, wenn ein Staatschef sich von den Medienangestellten nicht ausreichend bedient sieht. Und wenn es sich wie bei Putin um einen handelt, der aus den Geheimdiensten stammt, reagiert er in solchen Fällen besonders sensibel. So ist es auch kein Wunder, dass der russische Präsident gerne auf bewährte Methoden zurückgreift, um sich mediale Loyalität zu verschaffen und sie zu sichern. Nach Zeitungsberichten sind mehrere, auch im Westen nicht unbekannte Varianten im Spiel: Die Platzierung loyaler Leute auf redaktionelle Schlüsselstellen wichtiger Medien; die Ausspionierung widerspenstiger Journalisten, die auch unter Druck gesetzt werden sollen; und gemäß einem der Zeitung Segodnja zugespielten Dokument des Innenministeriums soll »ein ständiger Pool von Mitarbeitern in den gedruckten und elektronischen Medien« gebildet werden. Wem fällt dabei nicht auf Anhieb die berüchtigte, noch heute unveröffentlichte Liste der vom BND gesponsorten deutschen Pressevertreter ein?

Für Beresowski wiederum bietet das angebliche Kreml-»Ultimatum« die Gelegenheit, sich als Retter der so genannten Zivilgesellschaft zu präsentieren. In seinem Offenen Brief schrieb er: »Die russische Gesellschaft hat heute nur noch eine Möglichkeit, die Macht zu beschränken - die unabhängigen Medien.« Man weiß nicht genau, ob er damit die von ihm kontrollierten Medien meinte, mit denen er u.a. Putin den Weg an die Macht geebnet hat. Jedenfalls übertrug er am Freitag sein ORT-Aktienpaket nicht dem Staat, sondern »Journalisten und anderen Vertretern der schöpferischen Intelligenz«.

Putin jedoch begrüßte diesen Schritt. Nicht zu Unrecht: Dass die unterwürfige Intelligenz die Staatsraison verinnerlicht hat und ihm noch weniger in die Quere kommen wird als ein in Ungnade gefallener so genannter Oligarch, der an einer »konstruktiven Opposition« aus dem Establishment bastelt, dürfte von niemandem zu bezweifeln sein.