Frankreich vs. Yahoo Inc.

Souvenirs, Souvenirs

Ein französisches Gericht will Nazi-Auktionen auf dem US-Server von Yahoo Inc. verbieten. Die Diskussion um Rechtsterrorismus, Meinungsfreiheit und Filtertechnik ist in den Staaten wesentlich differenzierter als in Deutschland.

Wer 410 Dollar für einen » SA dagger, original, made by Franz Diek, Solinger Stahlwaren Fabrick« ausgibt, hat ein Problem. Lebt der SA-dagger-Interessent in Frankreich, hat der US-amerikanische Provider Yahoo, auf dessen US-amerikanischer Website das Objekt im Rahmen einer Privatauktion angeboten wird, ebenfalls eins. Denn der Antirassismus-Paragraph R. 645-2 des französischen Strafgesetzbuchs verbietet es, Nazi-Devotionalien zum Verkauf auszustellen. Zumindest nach der Interpretation des französischen Richters Jean-Jacques Gomez.

Ende Mai hatte er über einen Präzedenzfall zu entscheiden. Die französischen Organisationen Internationale Liga gegen Rassismus und Antisemitismus (Licra) und die Union der jüdischen Studenten Frankreichs (UEJF) hatten gegen die Yahoo Inc., die kalifornische Muttergesellschaft, und deren Filiale Yahoo France geklagt. Und sie bekamen Recht. Bis zum 24. Juni sollten Yahoo Inc. und Yahoo France den Nutzern in Frankreich den Zugang zu Versteigerungen von Nazi-Souvenirs unmöglich machen. Yahoo nahm entsprechende Auktionen von der französischen Seite, aber die amerikanische Website ist auch weiterhin von Frankreich aus zu erreichen.

Der Online-Dienst argumentiert, es sei technisch nicht möglich, bestimmte Inhalte für Nutzer aus einzelnen Staaten zu sperren. Man werde sie nicht entfernen, da sie in den USA vom ersten Verfassungszusatz über die Meinungsfreiheit geschützt seien. Nun ist Richter Gomez am Zug, am 6. November soll seine Entscheidung verkündet werden. Bis dahin sollen drei Experten Vorschläge erarbeiten, wie die Entscheidung vom Mai technisch umzusetzen ist. Zwei Fünftel der Kosten für die Expertise trägt Yahoo Inc., den Rest müssen die beiden Kläger aufbringen. Entscheidet Gomez im November, dass eine Blockade für französische Nutzer möglich ist, muss Yahoo Zwangsgelder von 200 000 Euro für jeden Tag zahlen, an dem die Auktionen von Frankreich aus erreichbar bleiben.

Die Verzögerungen bei der Urteilsfindung waren abzusehen. Denn in diesem Fall überschneiden sich zwei Problemfelder der Internet-Praxis: das juristische und das technische. Das juristische Dilemma beschreibt Henry H. Perrit, Dekan des »Chicago-Kent College of Law«, gegenüber der New York Times: »Ist eine Website weltweit erreichbar und fällt sie dadurch unter die Rechtsprechung jedes Staates, muss der kleinste gemeinsame Nenner gefunden werden. Sagen wir auf der anderen Seite, dass einzig das Gesetz des Staates gilt, in dem der Anbieter sitzt, bleiben Werte anderer Staaten unbeachtet.«

Der Anwalt Michael Taynor, der Yahoo Inc. in diesem Fall berät, argumentiert, Frankreich versuche, seine nationalen Gesetze international durchzusetzen: »Wenn jemand in Frankreich keine Nazi-Souvenirs sehen will, muss er es nicht.« Jack Goldsmith, Rechtsprofessor an der University of Chicago, teilt hingegen die Auffassung des französischen Gerichts: »Yahoo hat etwas auf der Seite, das, von französischen Bürgern betrachtet, gegen nationales Recht verstößt.« Er empfiehlt, das Gericht solle keine Zugangssperre verhängen, sondern lediglich fordern, dasss die Nutzung für bestimmte User deutlich erschwert wird. Dies könnte durch eine Filtertechnik erreicht werden, mit deren Hilfe Nutzer, die von Frankreich aus operieren, identifiziert werden können. Die von Goldsmith favorisierte Technik existiert zwar, ist allerdings noch nicht ganz ausgereift. Dennoch empfahl sich die New Yorker Firma Infosplit während des Prozesses schon mal ganz selbstlos als Retter: Ihre Technik könne in 95 Prozent alle Fälle das Herkunftsland eines Nutzer bestimmen.

Somit wäre es Yahoo möglich, eine Version seiner US-Seite zu erstellen, die nur den Surfern in Frankreich präsentiert werden - ohne Naziauktionen. Die User würden nicht einmal merken, dass sie andere Inhalte unter www.yahoo.com erhalten als ein Nutzer in den USA. Diese Filtertechnik hält Jean-Denis Gorin, Berater für Netzsicherheit bei Edelweb CA und Zeuge für Yahoo, allerdings für wenig verlässlich. Er schätzt, dass die Fehlerquote deutlich höher liegt als bei fünf Prozent.

In der Tat dürfte es für Yahoo auch mit der Infosplit-Technik schwierig werden, alle französischen Nutzer zu identifizieren. 600 000 von ihnen kommen über AOL ins Netz. Bei AOL werden alle Anfragen nach Internetseiten erst an AOL-Server in den USA gesandt, bevor sie von dort aus ins Netz gehen. Herkunftsland der Anfrage sind dann die USA, unabhängig davon, wo der User sitzt. Infosplit bietet einen Test seiner Technik unter www.infosplit.com an. Ruft man diese Seite bspw. in München über eine T-Online Verbindung auf, wird allerdings als Standort Hamburg angegeben. Immerhin: eine Stadt in Deutschland. Surft man über AOL, wird ein US-Städtchen als Standort genannt.

Diese Probleme kennt auch Licra-Anwalt Stephan Lilti. Seine Lösung: »Sind Zugriffe nicht zu filtern, müssen sie unterdrückt werden«. Dies würde bedeuten, dass Yahoo z.B. global das Suchwort »Nazi« sperrt. Eine solche Praxis stelle einen Angriff auf die in der US-Verfassung garantierte Meinungsfreiheit dar und könne auch die durchaus seriöse historische Recherche behindern, argumentiert Yahoo.

Allerdings stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, die juristischen und politischen Probleme des Internets mit Hilfe einer in Zukunft sicherlich perfektionierten Filtertechnik zu lösen. In der aktuellen Diskussion um die Verbreitung rechtsradikaler Ideolgien in Deutschland macht sich vor allem die CDU auf ihrer Aktionsseite www.netzgegengewalt.de für den Einsatz solcher Technologien stark. Philippe Guillaton von Yahoo France spricht sich dagegen aus: »Stellen sie sich vor, wir könnten umsetzten, was hier von uns verlangt wird. Dann kämen morgen Richter aus jedem Land der Welt zum Anbieter und verlangten, er soll dies und jenes löschen, weil es in ihrem Land nicht zu akzeptieren sei. So funktioniert das Netz nicht. Es basiert auf dem Verantwortungsbewusstsein der Nutzer.«

Filtertechnik, die nach Nationalstaaten unterscheidet, versucht das alte Grenzdenken aufs Netz zu übertragen. Es soll weiterhin viele kleine isolierte Dörfer auf dem Globus geben. Ein Vorschlag, der es vermeidet, traditionale Strukturen im neuen Medium zu reproduzieren, und den speziellen Problemen der Internet-Praxis gerecht werden will, stammt von Thomas P. Vartanian, dem Vorsitzenden des Komitees für Cyber-Recht der US-Anwaltskammer. Er fordert eine internationale Körperschaft, die einheitliche, globale Prinzipien für Internet-Rechtsprechung festsetzt: »Es ist, als wären wir auf dem Mars gelandet. Wir müssen neue Regeln etablieren und die Leute daran gewöhnen, nach ihnen zu handeln.«