Kritische Dozenten in Berlin und Bielefeld

Schnauze, Herr Dozent!

Kündigung, Disziplinarverfahren – kritische Dozenten haben nichts zu lachen, wie zwei Fälle in Bielefeld und Berlin zeigen.

Als Heinz Gess, Professor für Soziologie an der Fachhochschule Bielefeld, das Vorwort zu dem Text »Grün-braune Liebe zur Natur. Die NSDAP als ›grüne Partei‹ und die Lücken der Naturschutz­forschung« schrieb, war ihm nicht klar, dass es zu einem Disziplinarverfahren gegen ihn führen sollte. In dem Text, den Gess nicht selbst verfasste, aber auf der von ihm betriebenen Internet­seite kritiknetz.de veröffentlichte, geht es auch um Werner Georg Haverbeck. Dieser war SA-Mitglied, Leiter des Reichsbunds für Volkstum und Heimat, Mitglied der Reichsleitung des NS-Studen­tenbundes, Unterzeichner des »Heidelberger Manifests« und Gründer des »Collegium Humanum« (CH), das Innenminister Wolfgang Schäuble im Mai dieses Jahres als rechtsextremistische Organisation verbot.

Außerdem war Haverbeck Dozent an der FH Biele­feld. Dort lehrte er von 1972 bis 1975 offenbar unbehelligt. Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie hätten sich aus seinen »Unterlagen und seinem Lebenslauf keine Hinweise auf einen Sachverhalt, der einer Einstellung widerspricht«, ergeben. Dass Haverbeck das CH betrieb, sei bekannt gewesen, »ohne dass bereits damals ein Verbot dieser Organisa­tion in Rede stand«. Dabei blieb Haverbeck auch während seiner Lehrzeit politisch umtriebig: 1974 wurde er Vorsitzender des »Weltbunds zum Schutz des Lebens«, eines völkischen Umweltschutzvereins.
Heinz Gess machte in seinem Vorwort unter an­derem darauf aufmerksam, dass Haverbeck in Bielefeld unterrichtete, »ohne je dafür an der FH in die Kritik zu geraten und ohne dass das Rek­torat der FH es je für nötig gehalten hätte, sich von seinem Tun oder seinen Schriften zu distanzieren«. Die Rektorin leitete daraufhin das Disziplinarverfahren ein. Gess habe dem Ansehen der Hochschule geschadet, weil er die Maßnahmen der früheren Verwaltung öffentlich kritisiert habe, lautete der Vorwurf.
Das ist das dritte Verfahren gegen Gess. »Seit mehr als zehn Jahren versucht die Hochschule nun, meine Arbeit systematisch zu torpedieren«, sagt der 64jährige Professor. So seien For­schungs­daten wegen eines vermeintlichen Server-Fehlers verschwunden, Projekte ohne Angabe von Gründen gestrichen oder nicht genehmigt worden. Als Gess im vergangenen Jahr die Besetzer der Bielefelder Paul-Gerhardt-Kirche kritisierte, die den Verkauf der Kirche an die jüdische Gemeinde verhindern wollten, spitzte sich die Lage zu. »Deren Äußerungen waren voll von antisemitischen Statements«, sagt Gess. Das legte er auch in einem Text auf seiner Internetseite dar. Die FH löschte daraufhin auf ihrer Home­page den Link zu kritiknetz.de. Bisher war jedes Verfahren gegen Gess erfolglos, dieses Mal könnte es anders ausgehen. »Ich befürchte, dass es tatsächlich eröffnet wird. Die leichteste Strafe wäre eine Rüge, die schwerste eine Gehalts- und Rentenkürzung«, sagt er.

Der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta) steht auf der Seite von Gess und kritisiert das »ge­wollte Totschweigen der FH« in Sachen Haver­beck. »Mit diesem Vorgehen macht das Rektorat deutlich, dass kritische Wissenschaftler nicht erwünscht sind und es wichtiger ist, den Ruf der FH zu wahren«, heißt es in einer Pressemitteilung. Doch bei vielen Studenten wie bei Dozenten herrsche Desinteresse, sagt ein Vertreter des Asta. »Die Dozenten nehmen das zwar zur Kennt­nis, sehen das aber eher als Privatkrieg und verneinen die politische Dimension«, berichtet er. Die FH Bielefeld will sich zu dem Vorfall nicht äußern.
Äußerst schweigsam ist auch die Alice-Salomon-Fachhochschule (ASFH) in Berlin, wenn es um den Dozenten Michael Moreitz geht. Zum Sommer­semester 2008 wurde der Vertrag des Politikwissenschaftlers für seine Gastdozentur nicht ver­längert. »Man hat mich unter falschen Anschuldigungen nicht weiter als Lehrbeauftragten beschäftigt«, sagt Moreitz. Ein Seminar, das auf zwei Semester angesetzt war, konnte er nicht wei­ter betreuen.
»Moreitz tauchte irgendwann einfach nicht mehr im Vorlesungsverzeichnis auf«, sagt Konstantin Kohl vom Asta der ASFH. Die Fachhochschule begründete das Ende der Beschäftigung unter anderem damit, dass Moreitz seine Dienstpflichten verletzt habe. Außerdem hätten die Stu­denten seine Veranstaltungen zu schlecht bewertet. Moreitz dagegen sagt: »Die Behauptungen der Rektorin sind falsch. Ich wurde regelrecht rausgemobbt.« Insgesamt war er sechs Jahre lang Gastdozent für interkulturelle Sozialarbeit, Po­litik und Soziologie. Nun unterrichtet er nicht mehr, betreut aber noch Abschlussarbeiten.

Für Moreitz fing der Ärger mit dem Werkstatt-Projekt »Demokratiegefährdende Phänomene« von Levi Salomon und Katrin Becker an, in der Studenten den Antisemitismus von Jugendlichen mit arabischem und türkischem Migrationshintergrund untersuchten. Die Werkstatt war als dreiteilige Veranstaltung vorgesehen, 2005 und 2006 wurden die Ergebnisse der ersten beiden Teile öffentlich vorgestellt.
Der dritte Teil sollte auf einmal nicht mehr stattfinden, obwohl er von der Rektorin fest zugesagt worden sei, berichtet Moreitz. »Die offi­zielle Begründung für den Wegfall war technischer Art, es ging um die Umstellung auf Bachelor«, ergänzt er. Gewichtiger scheint aber gewesen zu sein, dass die Werkstatt innerhalb der FH nur auf Kritik und Ablehnung gestoßen sei. »Zumeist wurden die Beiträge als unsachlich, überzeichnet, ausländerfeindlich, islamophob bezeichnet«, sagt Moreitz. Er setzte sich öffentlich für die Fort­setzung der Werkstatt ein, und zwar als einziger, wie der Asta berichtet. Doch die Werkstatt sei mit »unlauteren Mitteln aus dem Lehrplan getrickst« worden, sagt der ehemalige Dozent.
Wegen seines öffentlichen Einsatzes stand Moreitz seitdem, wie er sagt, »im Fokus der Kritik«. Die Semesterwochenstunden seiner Gast­dozentur wurden gekürzt, dann wurde »im Hau-Ruck-Verfahren eine Regelung verabschiedet, die Gastdozenten, die ein Lehrdeputat von weniger als 16 Stunden haben, die Durchführung nur eines Projektes gestattet«, berichtet Moreitz. Seit der Kürzung unterrichtete er nur noch elf Stunden. Ein von den Studenten gewähltes Projekt, für das sie Moreitz als Dozenten wollten, konnte nicht mit ihm stattfinden.
Ginge es nach den Studenten, würde Moreitz immer noch unterrichten. »Wir haben mehr als 400 Unterschriften gesammelt, auch von Leuten, die keine Seminare bei ihm hatten. Das ist schon ganz ordentlich bei 2 000 Studenten insgesamt«, sagt Konstantin Kohl. Bei seinen Kollegen stieß Moreitz jedoch auf Gleichgültigkeit. »Das so genannte Kollegium an der ASFH ist keines«, sagt er. »Ich habe dort seit 1981 gearbeitet, fast alle Per­sonen, mit denen ich ein gutes, kollegiales Verhältnis hatte, sind weg.« Und mit seinen Themen – völkische Ideologie, Nationalsozialismus, Rassismus, Antisemitismus, Rechtsradikalismus, Nahost-Konflikt – sei er immer in einer Außenseiterposition gewesen.